Mittwoch, 6. Mai 2009

Sechzig Jahre Israel

Die Frage muss erlaubt sein: War noch ein Buch zum 60. Geburtstag Israels nötig, das dann auch noch mit fast einjähriger Verspätung auf den Markt gekommen ist? Die Antwort muss Ja lauten, weil über dieses Land nicht oft genug wirklichkeitsnah geschrieben werden kann. In diesem Sinne hebt sich das Buch von Moshe Zuckermann, Professor am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas (TAU) in Tel Aviv, positiv von der Erbauungsliteratur zum Staatsgründungsjubiläum ab, die die Komplexität und Widersprüchlichkeit Israels oft durch wohlwollende Interpretationen überkleistert hat.

Die Lage, in der sich Israel nach über 41 Jahren Besetzung palästinensischen Territoriums befindet, lässt ihm nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis: Entweder gibt Israel die Okkupation auf und riskiert einen Bürgerkrieg, oder es führt einen Dauerkrieg, um die Besetzung aufrechtzuerhalten, mit der Gewissheit der Entstehung eines binationalen Staates. Jede dieser Entscheidungen könnte das zionistische Projekt zum Wanken bringen, schreibt Zuckermann.

Der Autor liefert eine ungeschminkte Bestandsaufnahme seines Landes, die so gar nichts zu tun hat mit der „Israel-Verklärung“, die in den USA und Europa betrieben wird. Selbst das Shoah-Gedenken werde politisch instrumentalisiert. „Der israelische Zionismus rezipierte die Shoah nicht als weltgeschichtliches Ereignis, nicht als Zivilisationsbruch, nicht als das, wofür ein neuer, allgemeinmenschlicher kategorische Imperativ ´nach Auschwitz` notwendig geworden war; er unterwarf die Rezeption der Shoah vielmehr einzig der Logik seiner ideologischen Bedürfnissen, der rigoros funktionellen Zurichtung auf seine Selbstrechtfertigung als zionistischen Staat.“

Die zahlreichen kurzen Kapitel liefern aufschlussreiche Informationen, die man in anderen Publikationen über Israel schmerzlich vermisst. Seien es „das jüdische Problem“, die Ideologie des Zionismus, der Militarismus, Israel und die Diaspora, die Ideologie des Friedens oder die Debatte über „Existenzrecht“ und Existenz, in dem Zuckermann Folgendes schreibt: „Im Falle Israels drängt die Zeit, weil das ´historische Experiment des Zionismus` an einem Punkt ist, an dem ihm die Entscheidung zur Herstellung der Bedingungen für sein eigenes Überleben strukturell abgefordert wird. Israel hat sich zweifelsfrei vom Massada-Komplex zum Samson-Syndrom hinbewegt: Man kann die Juden nicht mehr ´ins Meer werfen`; eher gehen alle – die Juden und ihre Feinde – gemeinsam unter.“ Dies hält der Autor für keine zukunftsträchtige Perspektive.

Zu den deutsch-israelischen Beziehungen hat Zuckermann in einem Postskriptum nicht nur der deutschen politischen Elite, sondern auch seinen „spezial friends“ von den Antideutschen deutliche Wort ins Stammbuch geschrieben. Zur Knesset-Rede der Bundeskanzlerin merkt der Autor an: Wenn man schon Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson erkläre, so sei dies „hohles Gerede“. Deutschland habe seine „historische Verantwortung (Juden gegenüber) … sechsmillionenfach verwirkt; es kann (an Juden) nichts ´wiedergutmachen`, schon gar nicht, wenn es meint, ´Juden` mit ´Israel` gleichsetzen bzw. umtauschen zu dürfen“. Deutschland könne funktionale Beziehungen zu Israel unterhalten, „wobei zu erörtern wäre, was für ein `Israel` in diesem Zusammenhang gemeint ist: das reale Israel, das unter anderem seit über vierzig Jahren ein brutales Okkupationsregime betreibt, …, oder das ´Israel`, das sich abstrakt aus der ´historischen Verantwortung`(den ´Juden`) ableitet, daher auch als Abstraktes zur Projektionsfläche für Befindlichkeiten von Deutschen gerät, die mitunter noch immer nicht wissen, wo sie mit der ´Dauerpräsentation unserer Schande`(Walser) hin sollen.“

Für die „Antideutschen“ hat Zuckermann nur intellektuelle Geringschätzung übrig. Durch ihre überspannte „Israel-Solidarität“, ihr „abstruses Fahnenschwenken“ sowie ihr sonstiges „ideologisches Getue“ wollten sie nur ihre „nationalen Identitätsprobleme“ kompensieren. Sie gleichen im besten Fall „gutwillige Ignoranten“ oder eher „Gesinnungsschmarotzer“, die durch ihr „unreflektiertes Identitäts- und Befindlichkeitsdefizit“ letztlich „eine regressive politische Reaktion kanalisieren, ohne sich bewusst zu werden, dass sie durch die Ersetzung des Antisemitismus durch Islamophobie gerade das Andenken jener missbrauchen und kontaminieren, in deren Namen sie meinen, sprechen zu dürfen und derer sie sich projektiv bedienen, um sich selbst zu setzen“.

Zuckermann antwortet auf die Behauptung, in Deutschland tobe Antisemitismus folgendermaßen: „Antisemitismus hat es in der alten Bundesrepublik wie im nunmehr vereinten Deutschland immer gegeben. Er tobt nicht wieder, vor allem aber tobt er nicht, sondern hält sich eben in den Grenzen jener offenbar unausrottbaren Dimension, die es ihm ermöglicht fortzuwesen, ohne aber einem einzigen in Deutschland lebenden Juden in den Sinn zu kommen zu lassen, Deutschland seinetwegen verlassen zu wollen.“ Der Antisemitismus in seinen diversen Formen sei in Deutschland „ein gezügelter, weil tabuisierter Antisemitismus“. Und zur „Figur“ eines „Antisemitismus-Beauftragten“ meint der Autor, dass dies mit vielerlei zu tun habe, „nur nicht mit einer vom real herrschenden Antisemitismus ausgehenden Bedrohung, geschweige denn mit einer ernstzunehmenden Absicht, diese zu bekämpfen“.

Zur Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus schreibt Zuckermann: „Wer noch immer nicht den Unterschied zwischen Judentum, Zionismus und Israel, mithin zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik begriffen hat, wird zwangsläufig miteinander vermengen, was auseinander gehalten gehört.“ Gegenüber Religionsfunktionären, Lobbyisten oder einzelnen irregeleiteten Journalisten scheinen diese Worte in den Wind gesprochen zu sein.

Wer sich über Israel, seiner Ideologie und Geschichte, die tiefenpsychologischen Determinanten seiner Politik und der Besetzung fremden Territoriums sowie der Unterdrückung der Palästinenser umfassend informieren will, wird durch diese äußergewöhnliche Analyse auf seine Kosten kommen. Im sprachlichen Bereich weist das Buch jedoch einige Defizite auf, die man aber schnell überlesen sollte.