Samstag, 28. April 2012

“Messianic feelings” among Israel´s political leadership?

In Israel findet ein erbitterter Machtkampf zwischen dem Sicherheitsestablishment des Landes und einer politischen Führung statt, die ihre Entscheidungen nicht aufgrund von Interessenabwägungen, sondern aufgrund von „messianischen Gefühlen“ (messianic feelings) trifft, so der massive Vorwurf des im Mai 2011 aus dem Amt geschiedenen Chefs des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Yuval Diskin. Er ist der vorläufig letzte in einer Reihe ehemaliger und amtierender Geheimdienstchefs und führender Militärs, die „Hilferufe“ in die USA und nach Europa senden, ohne dass diese dort bisher so wahrgenommen worden sind, wie sie gemeint sein dürften. Dass Netanyahu nicht nur unter starkem ideologischem Einfluss seines 101-jährigen Vaters, sondern auch unter dem von religiösen Extremisten steht, ist bekannt.

Der Chefredakteur von „The New Yorker“, David Remnick, hatte Folgendes über Benzion Netanyahu, den Vater von Benyamin Netanyahu, zu berichten: „Benzion, who is now a hundred and one, invited me to his house for lunch, and I am not sure that I have ever heard more outrageously reactionary table talk. The disdain for Arabs, for Israeli liberals, for any Americans to the left of the neoconservatives was chilling. The bitter ideological resentments were deepened by genuine loss: another of Benzion’s sons, Yoni, was the Israeli commando killed in the extraordinary rescue of the hostages at Entebbe, in 1976. In books, speeches, and action, Benjamin Netanyahu has proved himself his father’s son." 

Wenn schon der führende ehemalige Geheimdienstchef Diskin kein Vertrauen in die gegenwärtige Regierung Israels hat, stellt sich zwangsläufig die Frage, was die EU und die USA veranlassen, diese Regierung zu konsultieren? Warum konsultierten die fünf UN-Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland vor der letzten Verhandlungsrunde mit der iranischen Regierung in der Türkei gerade den israelischen Ministerpräsidenten, dessen extreme Position gegenüber Iran doch bekannt ist? Und warum teilen sie ihm auch die Ergebnisse der Verhandlung mit? Netanyahus politisch anmaßender Vorwurf gegen die Fortschritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Nuklearkonfliktes zwischen Iran und diesem Gremium lautete: Die Delegation habe Iran einen fünfwöchigen „freebie“ (Gratisgeschenk) zur weiteren ungehinderten Urananreicherung bis Mai gegeben! Wenigstens Obama hat diese politische Unterstellung umgehend zurückgewiesen. 

Die USA und die EU sollten sich folgende Aussage Diskins zu Herzen nehmen: „My major problem is that I have no faith in the current leadership, which must lead us in an event on the scale of war with Iran or a regional war.” Und er fügte noch hinzu: “I don't believe in either the prime minister or the defense minister. I don't believe in a leadership that makes decisions based on messianic feelings (…) believe me; I have observed them from up close... They are not people who I, on a personal level, trust to lead Israel to an event on that scale and carry it off. These are not people who I would want to have holding the wheel in such an event (…) they are misleading the public on the Iran issue. They tell the public that if Israel acts, Iran won't have a nuclear bomb. This is misleading. Actually, many experts say that an Israeli attack would accelerate the Iranian nuclear race.”

Zuvor hatte sich bereits der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan gegen einen Angriff auf Iran ausgesprochen. Hatte er in der Tageszeitung „Haaretz“ eine solche Idee als „the stupidest thing I have ever heard“ bezeichnet, so meinte er doch, dass er in der populären CBS-Sendung „60 minutes“ noch einmal für das US-amerikanische Publikum auf den Irrsinn eines solchen Angriffs hinweisen müsse. Ein solcher Angriff, so Dagan, habe einen „devastating impact“ auf Israel. Was Dagan auch allen Fanatikern in den westlichen Medien ins Stammbuch schrieb, war, dass die iranische Führung und selbst Achmadineschad „rational“ handelten. Dies sei zwar „not exactly our rational, but I think he (Achmadinedschad L. W.) is rational”. Obgleich deren Denkweise sich von der westlicher unterscheide, ziehen sie gleichwohl alle “implications of their actions” in Betracht. Es ist zu hoffen, dass sich die Vernunft gegenüber dem „Messianismus“ durchsetzt. 

Dass selbst der Generalstabschef der IDF, Benny Gantz, sich öffentlich gegen Ministerpräsident Netanyahu und Verteidigungsminister Barak stellt, ist für israelische Verhältnisse bemerkenswert. Oder vielleicht doch nicht? Historisch hat schon immer das Sicherheitsestablishment die Entscheidungen über Krieg und Frieden in Israel getroffen, die dann von den jeweiligen Ministerpräsidenten abgesegnet worden sind. Anders kann das Interview von General Gantz in „Haaretz“ nicht verstanden werden. Er betont, dass der diplomatische und ökonomische Druck auf Iran Früchte zeitigt, deshalb bestehe keine Eile für einen militärischen Überfall. Hatte nicht Netanyahu die augenblickliche Situation Israel mit 1938 und den iranischen Präsidenten mit Hitler verglichen? Oder in seiner Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages verglich er die „iranische Gefahr“ mit der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland. Im Gegensatz dazu ist Generalstabschef Gantz bemüht, die politisch-aggressive Rhetorik Netanyahus zu entschärfen. 

Entbehrt nicht diese historische Analogie jeglicher rationaler Grundlage? Es scheint, als dominiere wenigstens im Generalstab der israelischen Armee und den Geheimdiensten die Vernunft: „The military option is the last chronologically but the first in terms of its credibility. If it's not credible it has no meaning. We are preparing for it in a credible manner. That's my job, as a military man.“ Und Gantz fügte hinzu “Iran is going step by step to the place where it will be able to decide whether to manufacture a nuclear bomb. It hasn't yet decided whether to go the extra mile." 

Durch ein technisches Missgeschick wurde bekannt, was Nikolas Sarkozy und US- Präsident Barack Obama vom israelischen Ministerpräsident wirklich halten. Warum geht die US-Administration mit den wohl häufigen Anrufen von Netanyahu im Weißen Haus nicht nach dem Motto vor: „Don´t call us, we call you“?