Dienstag, 9. Oktober 2012

In memoriam Kenneth M. Lewan

Es gibt nur wenige Wissenschaftler, die sich über einen so langen Zeitraum mit dem Palästina-Konflikt und seinen Verästelungen auseinandergesetzt haben wie Kenneth M. Lewan. Seit dem 7. Oktober 2012 ist seine Stimme für immer verstummt. Sein Fokus waren nicht nur die Ungerechtigkeiten, welche die zionistische Bewegung über das palästinensische Volk gebracht haben, sondern er setzte sich bis zuletzt sehr kritisch mit der deutschen Rolle im Nahostkonflikt auseinander. Dabei legte er den Finger sowohl in die Wunde der deutschen politischen Klasse als auch der bundesrepublikanischen Medienberichterstattung über diesen Konflikt. Beide konnten seinem kritischen Urteil nicht standhalten, wenn es um die Politik der diversen israelischen Regierungen gegenüber den Palästinensern ging. 

Lewan war US-Amerikaner; geboren 1925 in Chicago. Seine Ausbildung erhielt er an der Ivy-League-Universität in Harvard; die Promotion folgte an der LMU in München. Er arbeite als Rechtsanwalt und juristischer Berater für US-Ministerien und den amerikanischen Kongress in Washington, D. C. Als Professor lehrte er an Universitäten in New York City, Indiana und - bis zu seiner Emeritierung - in Hagen.

Seine akademischen Werke beschäftigen sich mit dem Nahostkonflikt in den westdeutschen Medien, insbesondere auch in der FAZ, der deutschen „neuen Schuld“, dem Sechstagekrieg und zwanzig vergeudeten Jahre sowie der Frage, ob Israel Südafrika sei. Neben seinem akademischen Schaffen hat Kenneth M. Lewan auch ein Buch mit Erzählungen - Jakobs Bericht - und ein Theaterstück - dies zusammen mit seiner Frau Hannelore - hinterlassen: „Der Außenminister“. Dieses Schauspiel wartet immer noch auf einen mutigen Regisseur, der es wagt, es als Drama auf eine deutsche Bühne zu bringen. Es geht dabei um Joschka Fischers Leistungen in Sachen deutsche Israelloyalität. 

In dem Buch „Sühne oder neue Schuld? Deutsche Nahostpolitik im Kielwasser der USA“ geht der Autor bereits im Jahr 1984 weit über das hinaus, was heute niemand mehr wagt, öffentlich zur Sprache zu bringen. Er zeigt darin auf, wie die bundesrepublikanische Unterstützung auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen als Juniorpartner der USA den palästinensischen Opfern großen Schaden zufügt. Sein Resümee. „Von Westdeutschland aus kann also viel getan werden, um die Verfolgung der Palästinenser und anderer Araber durch Israel – und seine Mittäter in den USA und der Bundesrepublik – aufzuhalten.“

Sein letztes wissenschaftliches Werk beschäftigte sich mit den zwei „Nahost-Lagern“ in der Redaktion der FAZ. Die „tageszeitung“ (taz) schrieb dazu am 21. August 2004: Es habe einen gewissen Charme, dass sich Lewan ausgerechnet die FAZ und ihre Korrespondenten und Redakteure ausgesucht habe, „um auf Widersprüche in der Berichterstattung über die grausame und blutige Intifada sowie deren Niederschlagung durch die israelische Armee aufmerksam zu machen. Zugleich wirft er dabei berechtigte Fragen zur Nahostpolitik des viel gelobten deutschen Außenministers auf, dessen Image des neutralen Vermittlers er anzweifelt.“

Lewans Publikationen wurden selten von den Mainstream-Medien zur Kenntnis genommen, weil sie sich zu pragmatisch und realitätsnah mit der Besatzungspolitik und der fortgesetzten Kolonisierungspolitik Israels und deren Widerspiegelung in der deutschen Presse nach 1967 beschäftigt haben. So wurde sein Buch „Ist Israel Südafrika?“ völlig ignoriert. Eine viel zu späte Würdigung erfolgte durch eine Besprechung von W. Frankenberg, die das „Palästina-Portal“ 2009 veröffentlichte. Dort schrieb der Rezensent u. a.: „Verbrechen werden sanktioniert (Südafrika), andererseits belohnt, wenn es um Israel geht.“ 

Ebenso war es nicht möglich, seinen kritischen Artikel über die „Zionistische Ideologie und Propaganda in Israel, Amerika und Deutschland“ weder in einer deutschen noch US-amerikanischen wissenschaftlichen Zeitschrift unterzubringen. Die Vielzahl der Reaktionen zu dem Artikel machen jedoch deutlich, wie überfällig eine öffentliche Debatte eigentlich wäre.

Kenneth Lewans gradlinige und unabhängige Meinung wird in Zukunft fehlen. Vielleicht haben andere den Mut, in seine Fußstapfen zu treten.

In Englisch erschienen hier und hier.