Donnerstag, 14. März 2013

verheimlicht - vertuscht - vergessen

Vor mehr als 2000 Jahren schrieb Platon sein Höhlengleichnis. Sind die heutigen Medienkonsumenten besser informiert als die damaligen Höhlenbewohner, die nur die Schatten von Gegenständen wahrnehmen konnten, die durch den Höhleneingang fielen, und die Stimmen der Außenwelt als die Stimmen der Schatten zu hören meinten? Glaubt man dem Enthüllungsjournalisten und erfolgreichen Buchautor Jürgen Wisnewski, so ähnelt unsere von Informationen überflutete Welt durchaus der Schattenwelt der Höhlenbewohner aus Platons Gleichnis. 

Mit dem „anderen Jahrbuch“ beabsichtigt der Autor, die Menschen aus ihrem „Muggel-Häuschen“ zu befreien, um sie für Ereignisse und Vorgänge zu sensibilisieren, über welche die Mainstream-Medien „vergessen“ haben zu berichten. Um die geistige Verfasstheit der Menschen 2013 zu beschreiben, greift Wisnewski auf eine Figur aus dem Harry-Potter-Roman zurück. Darin symbolisieren „Muggel“ die ahnungslosen Spießbürger, die in ihrer kleinen Welt leben, ohne mitzuerleben, was um sie herum alles geschieht. In der Potter-Welt gibt es auch ein „Amt für Desinformation des Zauberministeriums“, das „unverdächtige Erklärungen“ über Vorkommnisse verbreitet, die selbst in der „Muggelöffentlichkeit“ mit Magie in Verbindung gebracht werden, und die sogar die „Muggel“ verdächtig finden. Dieses Zauberministerium könne am ehesten mit den Geheimdiensten verglichen werden, die ebenfalls ihre Tricksereien als ganz „normale“ und „natürliche“ Vorgänge verkaufen. 

Im Monatsrhythmus über 2012 verteilt, behandelt der Autor aktuelle politische Themen und stellt kritische Fragen, die von der offiziellen Medienelite so nicht gestellt werden. In dieser Ausgabe des „anderen Jahrbuchs“ liegt der Schwerpunkt unter anderem auch auf den Krisengebieten Nahen Osten und Iran, weil sich dort das „Schicksal des gesamten Globus“ entscheide. Nach dem Motto „Erst kommt die Bild-Zeitung, dann kommt die Nato“ wird im Augenblick kein anderes Land so verteufelt und dämonisiert wie Iran. Die Allmacht von „Bild“ musste auch der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff erfahren. Zuerst wurde das Präsidentenpaar von diesem Medium in den glamourösen Medienhimmel entrückt, um es nur kurze Zeit später auf den Boden der brutalen politischen Realität zurückzuholen. Dass die zahlreichen Bobby-Car-Affärchen zu Wullfs Rücktritt geführt haben, wird vom Autor bezweifelt. Für ihn waren es Wulffs kritische Äußerungen zur Finanzaffäre und zum ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus). Es sei eher sein „Verrat“ an der „europäischen Finanz-Junta“ gewesen, die an seiner politischen Zuverlässigkeit haben Zweifel aufkommen lassen. Die eigentliche Verfehlung aber war, „den europäischen Zwangsvereinigungsprozess in Gefahr gebracht zu haben“.

Auch die „NSU“-Terrorzelle ist für den Autor ohne das Mitwissen der Geheimdienste nur schwer vorstellbar. Darauf deuten Kapitelüberschriften wie „Kam der Killer von Verfassungsschutz?“ oder „Die Spur führt zum Verfassungsschutz“ oder „Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst“ hin. Wisnewski hält folglich die Bezeichnung „Nationalsozialistischer Untergrund“ für falsch. „Wenn, dann müsste es ‚Nationalsozialistischer Vorgarten‘ oder ‚Nationalsozialistische Grillparty‘ heißen.“ Die drei von der NSU führten scheinbar über Jahre „offen ein beschauliches Leben in einer überschaubaren Nachbarschaft“.

Wisnewski gehörte einer Delegation an, die im April 2012 eine Informationsreise in den Iran unternahm, um sich über die Wirklichkeit dieses Landes ein Bild zu machen, da die internationalen Medien das Land überwiegend nur karikieren. Seiner Meinung nach führte dies zu einer „Blackbox“, der jedes Label angeheftet werden könne. So werde Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad als „Judenhasser „ und „schlimmster Antisemit der Welt“ dargestellt. Laut Wikipedia gehören „antisemitische Verschwörungstheorien“ zu seinen Hauptmerkmalen. Was die Medien nicht zu interessieren scheint, so der Autor, sei Ahmadinedschads großer Respekt, ja Verehrung für die Juden. Diese falsche Darstellung käme davon, „wenn man Judentum und Zionismus in einen Topf“ werfe. Vertreter der „Neturei Karta“ (ultraorthodoxe jüdische Gruppierung) haben den iranischen Präsidenten bei seinen Besuchen in New York 2007 und 2012 mit Lobeshymnen gerade überhäuft. Trotz dieses Zerrbildes, dass westliche Kreise über den „Judenhasser“ Ahmadinedschad zeichnen, verlässt keiner der über 30 000 jüdischen Iraner das Land! Der Autor zeigt sich beeindruckt von dem persönlichen Treffen mit dem „Irren von Teheran“, wie die unsägliche Bild-Zeitung ihn tituliert hat. Zur Delegation gehörte auch der FDP-Landtagskandidat aus Delmenhorst, Claus Hübscher, über den nach seiner Rückkehr eine rhetorische Hölle hereinbrach. 

Zahlreiche andere Themenkomplexe werden behandelt. So stellt der Autor sehr kritische Fragen zu Amnesty International, die diese Organisation nicht mehr als „Saubermann“ in Sachen Menschenrechte erscheinen lassen. Über die Probleme bei der Organspende, Vergewaltigungen bei der Bundeswehr oder der Frage nach der Magen-Darm-Infektion von über 11 000 Kindern bis zur Mars-Mission der NASA reicht das Spektrum der vorgestellten Themen. 

Dieses alternative „Jahrbuch“ sei „systemfunktional“, weil es „Demokratie und Meinungsfreiheit“ vorgaukele, die es so gar nicht gebe. Der Autor gibt zu, dass selbst in dieser Publikation vieles, was hätte geschrieben werden müssen, nicht publiziert worden ist, weil „der Autor sonst um seine Existenz oder gar Freiheit fürchten müsste“. Trotz alledem zeigen diese Geschichten, dass es möglich ist, aus der platonischen Höhle heraufzusteigen. Die Wächter und Deuter über die Trugbilder müssen jedoch beiseitegeschoben werden, damit sich die „Muggel“ endlich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien können und die komplizierte Wahrheit mehr lieben als die simple Lüge. Dazu weist „Das andere Jahrbuch“ einen möglichen Weg.