Dienstag, 19. März 2013

Peter Beinart, Die amerikanischen Juden und Israel

Als “The Crisis of Zionism” von Peter Beinart auf dem US-Markt erschienen ist, hat das Buch zu heftigen emotionalen Eruptionen innerhalb des jüdischen politischen und kulturellen Establishments geführt. Der Autor bezeichnet sich selber als Zionist; er macht sich um die Zukunft Israels und die Entfremdung der jungen US-amerikanischen Juden vom Zionismus große Sorgen. Er will den liberalen Zionismus retten, der für ein demokratisches Israel steht. Ein zentrales Anliegen des Autors ist es, aufzuzeigen, dass Israel mit der Macht, die es besitzt, verantwortungsvoll umgeht. Das Problem sei nicht mehr die Schwäche des jüdischen Volkes, sondern der verantwortungsvolle Umgang mit seiner Stärke. Dieser Herausforderung würden weder die israelische Regierung noch die amerikanischen jüdischen Organisationen gerecht. 

Peter Beinart ist Professor für Journalismus und Politikwissenschaft an der “City University” in New York. Darüber hinaus schreibt er für „The Daily Beast“ und ist Chefredakteur für „Open Zion“, einem Blog, der sich Gedanken über Israel und die Zukunft der Juden macht. Sein Hauptanliegen ist die Rettung des “liberalen Zionismus”, was aus mehreren Gründen einer Quadratur des Kreises entspricht. Erstens gibt es nicht den “liberalen Zionismus“, sondern nur liberale Individuen, die sich zum Zionismus als Ideologie bekennen; zweitens kann Israel nicht gleichzeitig ein jüdischer und demokratischer Staat sein, weil dies eine contradicito in adjecto oder ein Oxymoron ist, und drittens ist Liberalismus nicht mit Tribalismus vereinbar. Dass Vertreter der „Israellobby“ Beinart der „Einseitigkeit“ geziehen und ihn als „jüdischen Selbsthasser“ verleumdet haben, gehört zum Standardrepertoire gegenüber seriösen Israelkritikern, weil die Lobbyisten über keine rationalen Argumente verfügen.

Liberaler Zionismus sei ein Mythos; dies hat schon der israelische Autor, Dichter und politische Aktivist Yitzhak Laor in seinem Buch “The Myth of Liberal Zionism” überzeugend dargelegt. Als ein jüdisch liberaler US-Amerikaner scheint der Autor dem Image des “Beautiful Israel” nachzutrauern, das im Westen immer noch in einigen gesellschaftlichen Kreisen herumgeistert. Dieses Bild entstand während der langen Herrschaft der Arbeitspartei. Beinart gibt sich als ein Bewunderer von David Ben-Gurion, Golda Meir und Yitzhak Rabin zu erkennen. Glaubt man jedoch den Ausführungen von Zalman Amit and Daphna Levit in ihrem Buch “Israeli Rejectionism”, so war Ben-Gurion der “greatest Israeli rejectionist”.  

Was ist so erstrebenswert für einen liberalen Demokraten, dass er versucht, die Privilegien einer ethnischen Gruppe (jüdische Israelis) über eine andere (israelische Palästinenser) zu erhalten? Beinart sieht, wie z. B. andere Vertreter der zionistischen Linken, die Probleme Israels erst mit der Besetzung palästinensischen Landes im Juni-Krieg von 1967 entstehen. Demzufolge setzt er sich zu Recht für ein Ende dieser Gewaltherrschaft über ein anderes Volk ein. Die Vertreter eines liberalen Zionismus blenden jedoch das große Unrecht, das im Zuge der Staatsgründung Israels mit der Vertreibung von 750 000 Palästinensern aus ihrer Heimat entstanden ist, aus. Darüber hinaus scheinen für den Autor Israels demokratische Unzulänglichkeiten nur darin zu bestehen, dass religiös fanatisierte Siedler die Israelische Gesellschaft in Geiselhaft genommen haben. Ein weiterer Trugschluss in Beinarts Argumentation liegt der Behauptung zugrunde, dass es in Israel zwar eine liberale Demokratie gebe, dagegen aber in den besetzten Gebieten ein “undemokratisches” und “ethnozentrisches” Regime herrsche. Damit stellt sich für jeden Leser zwangsläufig die Frage, ob nicht die demokratisch gewählte israelische Regierung für die Situation in den besetzten Gebieten verantwortlich ist. Israel hat in der Tat erhebliche politische und gesellschaftliche Probleme, die zu einem großen Teil hausgemacht sind und in der zionistischen Ideologie begründet liegen; justament dieser, wenn auch deren „liberalen“ Variante, will Beinart wieder neues Leben einhauchen. 

Für den Leser drängt sich der Eindruck auf, als habe der Autor ein stark eingeschränktes Bild der Realität von Israel und Palästina. Sein Buch ist primär für seine US-amerikanischen Landsleute, insbesondere seine jüdischen, geschrieben. Unter “Ethnokratie ” versteht Beinart einen “Ort, an dem die Juden die Staatsbürgerschaft genießen und Palästinenser nicht”, und dies beziehe sich nur den “Mini-Staat”, der von den Siedlern in der Westbank errichtet worden sei. Andere renommierte Israelis wie Oren Yiftachel, Professor an der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva, und die deutsch-israelische Menschrechtsanwältin Felicia Langer und viele andere bezeichnen Israel als “Ethnokratie”, weil die jüdischen Israelis zahlreiche Privilegien gegenüber ihren israelisch- palästinensischen Mitbürgern genössen. Zerstört nicht gerade dieser illiberale Zionismus den herbeigesehnten “liberalen Zionismus” in Israel? 

Der Autor schreibt Dinge über Israel und die pro-zionistische “Israellobby” in seinem Heimatland, die sich für amerikanische Ohren geradezu häretisch anhören müssen, wenn man die rosarote Berichterstattung der Medien in den USA über Israel vor Augen hat. So bekämpfe die “Anti-Defamation League” nur einen “angeblichen” Antisemitismus, und dieses Problem sei eine Art jüdischer “Selbstbetrug”. Dieses Urteil dürfte cum grano salis auch für die Arbeit des Simon-Wiesenthal-Zentrums gelten, das vor einiger Zeit durch die Veröffentlichung einer bizarren Liste der zehn schlimmsten „Antisemiten“ der Welt in die Schlagzeilen geraten war. Auch was Beinart sonst über Israels Misshandlung der Palästinenser sowie Israels Missachtung der Menschenrechte der Palästinenser und des Völkerrechts schreibt, ist gemessen an US-amerikanischen Medienstandards beachtlich. Beinart lässt sich vom Geiste des großen Rabbiners Hillel leiten, demzufolge “Juden nicht anderen das antun dürfen, was sie selber als hassenswert empfinden, wenn es ihnen angetan werden würde”. Er lässt für die LeserInnen ein anderes Judentum aufscheinen, das Israel durch sein politisches Verhalten so nicht repräsentiert. 

Der Autor setzt sich intensive mit der “Krise in Amerika” und der “Krise in Israel” auseinander, aber nicht mit der “Krise in Palästina”. Folglich ist seine größte Sorge, welche langfristigen Auswirkungen die fortdauernde Besatzungsherrschaft auf die liberalen und demokratischen Ideale Israels oder auf seine physische Existenz haben werden. Auch würden die zahlreichen jüdischen Interessenverbände ihre Augen vor diesen Problemen verschließen und mit der rechtsnationalistischen Netanyahu-Regierung durch dick und dünn gehen. Als Zionist ruft Beinart sogar zum Boykott israelischer Waren aus den besetzten Gebieten auf. Dies darf aber nicht im Sinne der BDS-Kampagne verstanden werden, weil er mit seinem Boykottaufruf die israelische Besatzung der Palästinensergebiete zu delegitimieren, aber gleichzeitig den Staat Israel dadurch selbst zu legitimieren versucht.

Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor der Beziehung zwischen US-Präsident Barack Obama und Ministerpräsident Benyamin Netanyahu. Als US-Amerikaner empfindet er Verachtung für die Demütigungen Obamas durch Netanyahu sowie den fanatischen Applaus, den dieser während seiner gesamten nationalistischen Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses im Mai 2011 erhalten hat. Netanyahu machte nicht nur Obama öffentlich lächerlich, als er sich seiner Forderung nach einer Verlängerung des sechsmonatigen Baustopps der völkerrechtswidrigen Siedlungen widersetzte, sondern dass er auch öffentlich äußerte, dass er von Obama “erwartet”, dass sich dieser an die Zusagen der Bush-Administration aus dem Jahr 2004 halte. Beinart bedauert, dass Obama sich permanent dem Druck der “Israellobby” und anderen wichtigen jüdischen Meinungsführern beugt. 

Der Autor äußert sich pessimistisch über den Zustand der liberalen und demokratischen Ideale in Israel, „und die amerikanischen Juden, die sich diesen Idealen gegenüber am meisten verpflichtet fühlen, verhalten sich im besten Fall indifferent gegenüber dem jüdischen Staat“. Um das zionistische liberale Israel durch die Gründung eines Palästinenserstaates retten zu können, scheint es bereits zu spät zu sein. Zu sehr haben die rechtsnationalen religiösen Eiferer das Heft des Handelns übernommen, jetzt sitzt sogar ihr Vertreter, Naftali Bennett, in der Regierung. Dass die gegenwärtige israelische Regierung einem “Staat Palästina” neben Israel, der diese Bezeichnung auch verdient, niemals zustimmen wird, macht die Zusammensetzung der neuen Regierung deutlich. Es dürfte wohl bei den augenblicklichen “Bantusatans” für lange Zeit bleiben. Wo aber solche politischen Gebilde entstehen oder existieren, dürfte “Apartheid” gleich um die Ecke lauern. Erst kürzlich hat das israelische Transportministerium Busse „nur“ für Palästinenser eingeführt!

Für einen zionistischen US-Amerikaner ein überaus mutiges und weitsichtiges Buch; darüber hinaus ist es exzellent geschrieben. Beinarts Thesen dürften im politischen Establishment der Bundesrepublik wohl nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert werden.