Montag, 10. Juni 2013

Syrien, die Medien und die Menschenrechte

Cartoon von Carlos Latuff.
Die führenden Geostrategen von „Süddeutsche Zeitung“, „Die Zeit“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Die Welt“ müssen sich plötzlich ideologisch umorientieren. Lange haben sie die Sichtweise des Pentagons als im deutschen Interesse liegend verbreitet, jetzt müssen sie zurückrudern. Haben sie nicht den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, der das Opfer eines vom Westen und seinen reaktionärsten Verbündeten - wie Saudi-Arabien und Katar - inszenierten Aufstandes ist, versucht, als „Diktator“ zu dämonisieren und dem Regime alle nur erdenklichen Kriegsverbrechen zuzuschreiben, wobei die Verbrechen der so genannten Freiheitskämpfer immer nur nebenbei erwähnt wurden? Dass beide arabische Regime zu den fundamentalistischsten in der arabischen Welt zählen und zu den Financiers von Terroristen gehören, wird ignoriert. Selbst von einem vermutlich von den so genannten Aufständischen inszenierten Giftgasangriff schreckte die internationale Presse nicht zurück, diesen dem Assad-Regime alleine anzulasten, ohne auch nur einen einzigen überzeugenden Beweis präsentieren zu können. Das von französischen Journalisten herausgeschmuggelte Material, das angeblich das Giftgas Sarin enthalten haben soll, ist ebenso viel wert wie weiland das vom FBI inszenierte „Mordkomplott“ des „iranischen Geheimdienstes“ gegen den saudi-arabischen Botschafter in Washington. Solche Stories sind von westlichen Geheimdiensten inszenierte Scoops, um den eigenen Regierungen einen Casus Belli zu liefern. Selbst US-Präsident Obama konnte von diesen Groschenroman-Inszenierungen nicht zum Sprung über seine selbstgezogene „rote Linie“ veranlasst werden, um seine Kriegsmaschinerie gegen Syrien in Gang zu setzen. Und all dies und noch viel mehr sollte den aufgeklärten westlichen "Meinungsmachern" entgangen sein? Ohne die massive Einmischung der diversen Geheimdienste ist der Aufstand gegen Assad gar nicht zu verstehen.

Das Blatt hat sich in Syrien plötzlich sowohl politisch als auch militärisch gewendet. Der machtversessene „Sultan von Istanbul“ ist gerade durch sein eigenes Volk politisch angezählt worden. Obwohl demokratisch gewählt, verhält sich der „Sultan“ nicht anders als sein „Kollege“ Assad, wenn es darum geht, Kritiker seiner Politik zu verunglimpfen. Militärisch sind die so genannten Rebellen gegen die syrische Regierung aufgrund des Eingreifens der libanesischen Hisbollah kurz vor dem Ende. Von nun an rudern auch die „Meinungsmacher“ zurück und beginnen, die Lage etwas „differenzierten“ zu sehen. Die einzige Journalistin, die unter Einsatz ihres Lebens, immer direkt aus Syrien realitätsnah berichtet hat, ist Karin Leukefeld. Ihre Berichte für die Tageszeitung „junge Welt“ haben sich wohltuend von den Kriegs-Phantasien ihrer „Pentagon“-Kollegen abgehoben. Als Dank für ihre ausgezeichnete Arbeit wurde sie bei einigen Rundfunkanstalten von bestimmten politischen Kreisen und Kollegen denunziert. Ihre Lagebeurteilung passe nicht ins verordnete publizistische Eingriffsszenario, das von den etablierten Medien herbei geschrieben worden ist. 

Auch haben sich die westlichen „Meinungsmacher“ niemals ernsthaft gefragt, wen die Exil-Syrer eigentlich vertreten außer sich selbst. Die syrischen Marionetten des Westens verfügen über keine politische Basis im Land. Auch wurden nie die Opferzahlen einer selbsterklärten syrischen „Menschenrechtsorganisation“ im Ausland auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft wie weiland die Meldungen einer libyschen „Menschrechtsorganisation“ in Genf oder die Horrormeldung, Saddams Schergen hätten Babys aus Brutkästen in Kuwaitischen Krankenhäusern entwendet. All dies gehört ins Reich der Kriegspropaganda und sollte von seriösen Medien hinterfragt werden. Die Verbrechen der so genannten Freien Syrischen Armee und ihrer Al-Kaida-Verbündeten stehen denen des Assad-Regimes in nichts nach. Die Giftgas-Story zeigt, mit welch skrupellosen Tricks die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien, die bereits 1916 die Araber über ihre wahren politischen Ziele getäuscht haben, einen politischen Vorwand schaffen wollen, um endlich Waffen an terroristische Banden zu liefern oder gar selbst in den Krieg gegen Syrien einzutreten. 

Der freie Westen, der den Völkern des Südens Demokratie und Freiheit via Bomben verordnen will, hat zum wiederholten Male geopolitisch versagt. Würden sich die Strategen in den europäischen Hauptstätten nach ihren jeweiligen nationalen Interessen ausrichten, plappern sie stattdessen die US-amerikanischen Vorgaben nach oder philosophieren über so genannte „europäische Interessen“, die aber nicht in ihrem eigenen nationalstaatlichen Interessen liegen. Nur aufgrund dieser irrwitzigen „Interessenkongruenz“ war es möglich, dass man sich am Krieg gegen das afghanische Volk und am Überfall auf Irak, der Zerstörung Libyens oder den mörderischen Sanktionen gegen Iran beteiligen konnte. Die Aussage, Deutschlands Sicherheit würde am Hindukusch verteidigt, hat sich zu einem der zahlreichen politisch-dämlichen „running gags“ entwickelt. Nach 13 Jahren Krieg in Afghanistan muss die allmächtige Allianz des Westens geschlagen den Rückzug antreten, obwohl die Militärallianz weiterhin mehr Militärs in diesem Land bereitstellen muss, um die so genannten Ausbilder oder die unzähligen Nichtregierungsvertreter zu schützen, die meinen, Afghanistan als ihre politische Spielwiese betrachten zu können. 

Die Kriege der westlichen Kolonialmächte gegen die Völker des Südens liegen nicht im deutschen Interesse, das nicht identisch mit dem europäischen ist, weil Frankreich und Großbritannien weiterhin ihre kolonialen Interessen verfolgen. Warum soll sich Deutschland in diesen Neokolonialismus hineinziehen lassen? Unser nationales Interesse liegt darin, mit jedem Staat der Welt, bestmögliche Beziehungen zum beiderseitigen Wohle der Völker zu unterhalten. Gute bilaterale Beziehungen müssen zum Beispiel mit Russland, China, Indien, Brasilien, Südafrika, den Ländern der arabischen Welt oder selbst Iran gepflegt werden, weil dies in unserem nationalen Interesse liegt. Übrigens, die deutsch-iranischen Beziehungen waren historisch immer ausgezeichnet, bis sich Deutschland auf die politische Obsession einer angeblichen iranischen „Sicherheitsbedrohung“ eingelassen hat. Deutschland genießt höchstes Ansehen nicht nur in Iran, und das sollte auch so bleiben - unabhängig davon - wer in Iran das Präsidentenamt bekleidet, das man politisch nicht so wichtig nehmen sollte, wenn man die wirklichen politischen Kräfteverhältnisse mit in Betracht zieht.

Die westlichen Meinungsmacher sollten sich auf die geopolitischen Ziele des türkischen „Sultans“ konzentrieren, über dessen Territorium ein großer Teil der so genannten Freiheitskämpfer nach Syrien einsickern. In Ankara träumt man von der Wiederrichtung des „Osmanischen Reiches“. Die türkische Regierung versucht, die Stabilitätsbemühungen Russlands, Chinas und der USA zu unterlaufen, indem das Land bereitwillig die so genannte syrische „nationale Koalition“ mit Argumenten versorgt, die gegen eine friedliche Beilegung des Konfliktes ist. Die Unterstützer dieser „nationalen Koalition“ tun alles, um die avisierte Friedenskonferenz über Syrien in Genf zu sabotieren. Einige westliche Länder scheinen keinerlei Skrupel zu haben, das letzte säkulare Regime in der arabischen Welt den radikalen Islamisten auszuliefern. Ob dadurch der Wille des Volkes realisiert wird, darf bezweifelt werden. Die westlichen Meinungsmacher stehen deshalb auch nach der militärischen Wende in Syrien etwas ratlos dar, weil sie die politische Forderung vom Verschwinden Assad unkritisch nachgeplappert haben. Mit gleicher Berechtigung hätten sie schreiben können, dass das saudische, katarische oder bahrainische Regime verschwinden müsse. 

Die westlichen "Meinungsmacher" müssen sich endlich von ihrer aggressiven Rhetorik gegenüber Syrien verabschieden und zu ihrer ureigensten Aufgabe zurückfinden, nämlich der Förderung von Dialog und Kooperation. Die Medien sind nicht der Büttel der Politik, sondern deren watch dog. Darin liegt ihre zivilisatorische Rolle. Robert Fisk hat in der Tageszeitung „The Independent“ vom 29. Juli 2012 den Kollegen/innen Folgendes ins Stammbuch geschrieben: „The West's real target here is not Assad's brutal regime but his ally, Iran, and its nuclear weapons. Has there ever been a Middle Eastern war of such hypocrisy? A war of such cowardice and such mean morality, of such false rhetoric and such public humiliation? I'm not talking about the physical victims of the Syrian tragedy. I'm referring to the utter lies and mendacity of our masters and our own public opinion eastern as well as western in response to the slaughter, a vicious pantomime more worthy of Swiftian satire than Tolstoi or Shakespeare."