Donnerstag, 10. Oktober 2013

Das Afghanistan-Desaster

Deutsche Minister bei der Schlüsselübergabe in Kunduz.
Die deutschen Medien haben den 12. Jahrestag des Afghanistan-Überfalls durch die USA geflissentlich übergangen. Es gibt auch keinen Grund, dieses Desasters zu gedenken. Über was die Medien jedoch berichtet haben, war eine bizarre Veranstaltung, bei der die „Schlüssel“ für das deutsche Feldlager in Kunduz in afghanische Hände übergeben worden sind. Zu diesem Event reisten der deutsche Verteidigungs- und der Außenminister an, um ihren afghanischen „Freunden“ viel Glück zu wünschen und das Versprechen abzugeben, sie auch in Zukunft nicht alleine zu lassen. Bis das Feldlager Kunduz von den Taliban überrannt werden wird, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Ehemalige Stützpunkte der US-Amerikaner sind bereits von den Taliban übernommen worden. 

Das Afghanistan-Abenteuer hatte doch für alle so hoffnungsvoll begonnen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 überschlug sich die Bundesregierung in „uneingeschränkter Solidarität“ mit den USA, wohlwissend, dass Afghanistan nichts mit diesen Terroranschlägen zu tun hatte. Endlich konnte sich die Bundeswehr als Entwicklungs- und Aufbauhelfer bewähren, wenn man den Worten der damaligen Verteidigungsminister glauben wollte. Ein bewaffnetes THW wurde der deutschen Öffentlichkeit präsentiert, bis die ersten toten deutschen Soldaten zu beklagen waren. Peu à peu wurde aus dem Unwort „Krieg“ bittere Realität, die nicht länger geleugnet werden konnte. 

Wenn schon die USA nicht mit noblen Absichten Afghanistan in die Steinzeit zurückbomben wollten, so zeigte wenigstens das deutsche Expeditionscorps seine edlen Absichten. Man wollte den Afghanen die Segnungen samt dem bundesrepublikanischen Bewusstsein des 21. Jahrhunderts kostenlos liefern: Demokratie, Freiheit, Bildung, Frauenrechte, Gendermainstreaming usw. Nach 12 Jahren Besatzung ist die Bilanz niederschmetternd. 

Mehr als 20 Mrd. Euro wurden regelrecht am Hindukusch in den Sand gesetzt. 54 Soldaten mussten ihre Leben für eine politische Schnapsidee lassen. (Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt!) Unzählige Soldaten kommen traumatisiert zurück, weil sie mit der Sinnlosigkeit dieses Abenteuers nicht fertig werden. Von den hehren Zielen wurde nicht eines realisiert. Es geht den westlichen Besatzern nur noch darum, ohne Gesichtsverlust aus diesem Schlammassel rauszukommen. 

Die deutsche politische Elite sollte mit Wechseln auf die Zukunft behutsam umgehen und nicht schon jetzt Zusagen wie, „wir lassen sie nicht im Stich“, zu machen, die man dann doch nicht einhalten kann. Bis 2016 wurden weiter 430 Mio. Euro versprochen, und bis zu 800 Soldaten sollen auch über den offiziellen Abzugstermin Ende 2014 in Afghanistan stationiert bleiben. Die Verantwortlichen sollten sich jedoch eingestehen, dass das Afghanistan-Abenteuer die größte außenpolitische Fehlentscheidung war, die seit Gründung der Bundesrepublik gefällt worden ist. Hat der Gouverneur von Kunduz keine anderen Sorgen, als die deutsche Seite daran zu erinnern, dass sie das versprochene Schwimmbad noch nicht fertiggebaut habe? 

Die Hauptlast dieser fehlgeleiteten Politik haben jedoch die USA zu tragen. Sie haben allein in Afghanistan fast 2 300 tote Soldaten zu beklagen, nicht zu sprechen von den fast 4 500 Gefallenen in Irak. Die Schwerstverwundeten und Verkrüppelten übersteigen nach offiziellen Angaben 32 000; Schätzungen belaufen sich jedoch auf zirka 100 000. Jährlich begehen mehr als 300 Soldaten Selbstmord – Tendenz steigend. Die Kosten des Irak- und Afghanistan-Abenteuers werden auf über acht Billionen US-Dollar geschätzt. Von den Folgekosten für die Versorgung der arbeitsunfähigen Soldaten, deren medizinischer Betreuung samt deren Familien gar nicht zu reden. In der Tat eine stolze Bilanz für das größte Militärbündnis der Welt.

Dem US-Imperium und seinen Helfershelfern ist es in Afghanistan nicht anders ergangen wie weiland den Soldaten ihrer königlichen Majestät und der Sowjetunion. Wurde die Sowjetunion noch durch die „Glaubenskrieger“ geschlagen, die massiv von den USA und Saudi-Arabien mit Waffen und Geld unterstützt worden sind, so musste das westliche Militärbündnis vor den mit primitivsten Mitteln kämpfenden Taliban kapitulieren und den geordneten Rückzug antreten. 

Die fehlgeleitete Politik des Westens nach dem 11. September 2001 hat nicht nur in Irak und Afghanistan millionenfachen Tod und Zerstörung hinterlassen, sondern auch in Libyen und Syrien zu Chaos geführt. Der Überfall Frankreichs, Großbritanniens und der USA auf Libyen hat auch dieses Land zu einem Tummelplatz von islamistischen Terroristen und zu einem „gescheiterten Staat“ gemacht. Dank der Diplomatie Russlands ist Syrien dieses Schicksal bis jetzt erspart geblieben. Wäre es nach Obama und Frankreichs Präsident Hollande gegangen, befände sich „der Westen“ bereits in einem weiteren Krieg gegen ein muslimisches Land. 

Dass sich Deutschland an dem Sturz Gaddafis nicht beteiligt hat, war politisch klug, weil dieser auf dem Missbrauch der Resolution des UN-Sicherheitsrates beruhte. Russland und China wurden vom Westen getäuscht, deshalb werden sie keiner weiteren UN-Sicherheitsratsresolution im Falle Syriens zustimmen, die auch nur die geringste Chance für einen Missbrauch durch den Westen bieten könnte. Wenn der Westen Syrien überfallen will, ist dies ein völkerrechtswidriger Aggressionskrieg. 

Aufgrund der negativen Erfahrungen, die Deutschland mit seinen westlichen Verbündeten gemacht hat, sollte das Land verstärkt seine Außenpolitik nach eigenen nationalen Interessen ausrichten und sich nicht mehr ins Schlepptau des US-Imperiums und seiner anderen willfährigen Verbündeten begeben.