Montag, 3. Februar 2014

Deutschland an alle Fronten

Nach den Reden der Vertreter der deutschen politischen Klasse, die diese auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten haben, sollte sich jeder besorgte Bürger fragen, ob diese Klasse aus ihrem Afghanistan-Desaster nichts gelernt hat. Die politische „Kultur der Zurückhaltung“, die zur Staatsräson der alten Bundesrepublik gehört, wurde an diesem Wochenende endgültig zu Grabe getragen. Das vorauseilende militärische Engagement des Neuen Deutschlands wurde bisher noch nie so freimütig vorgetragen, angefangen vom Staatsoberhaupt über die Verteidigungsministerin bis zum Außenminister. Obgleich nach neusten ARD-Umfragen immer noch über 60 Prozent der Deutschen gegen ein militärisches Engagement des Landes in allen Winkel der Erde ist, selbst weitere 30 Prozent wissen es nicht so genau, will die politische Klasse in den Krisenregionen der Welt aktiv intervenieren. Konkret heißt das, dass die Bürgerinnen und Bürger gegen militärische Abenteuer Deutschlands sind, wohingegen die politische und journalistische Elite die Bundeswehr am liebsten überall im Kampfeinsatz sehen möchte, wenn man in die Kommentarspalten der so genannten „opinion leaders“ schaut. Das Gerede von "Krieg" ist wieder en vogue. Das Neue Deutschland verhält sich fortan frei nach dem Motto: „Neue Macht – neue Verantwortung“, wie es jüngst von einem so genannten Think Tank antizipierend formuliert worden ist.

Vielleicht besinnen sich die Widerstandskämpfer in Mali oder Zentralafrika eines Slogans der Studentenbewegung: Schafft viele Vietnams! Denn am Hindukusch hat das mächtigste Militärbündnis der Welt sein Waterloo erlebt wie weiland die Briten und später die Sowjets. Als die Bundeswehr 2001 von der Schröder/Fischer-Regierung an den Hindukusch mit der Parole, Deutschlands Freiheit dort zu verteidigen, geschickt worden ist, sollten die Afghanen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit und durch die Segnungen westlicher Demokratien am Licht der Aufklärung teilhaben. Außer den westlichen Interventionisten samt ihrem Tross von Nichtregierungsorganisationen waren nur wenige Afghanen daran interessiert. Nach 13 Jahren zieht man geschlagen und enttäuscht von Dannen. Die Taliban, ein Synonym für den Widerstand in Afghanistan, sind stärker als jemals zuvor - Dank Bush und seinen willigen Vollstreckern. 54 deutsche Soldaten sind für nichts und wieder nichts gefallen; Milliarden von Euros wurden in den Bergen des Hindukusch pulverisiert. Die Besatzer müssen ihre afghanischen Helfershelfer mitnehmen, weil ihnen sonst die Taliban den Garaus machen. Anstatt die politische Klasse aus diesem totalen Fehlschlag die einzige Konsequenz zieht und keinen einzigen deutschen Soldaten mehr in unkalkulierbare Abenteuer schickt, will man nun an allen Fronten mitmischen. Wie ein Streber drängt man sich den vermeintlichen Freunden geradezu auf. 

Wie lässt sich dieser Kampfauftrag mit dem neuen „familienfreundlichen“ Konzept der Verteidigungsministerin vereinbaren? Bevor die Bundeswehr nach Mali, Zentralafrika oder sonst wo in der Welt in den Krieg ziehen soll, müssen vor Ort erst einmal ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung gestellt werden, damit die Besatzungstruppen und deren Familien sich auch heimisch fühlen können. Der Bericht des Wehrbeauftragten sollte den Geostrategen zu denken geben. Was um alles in der Welt ist nur in diese neue Bundesregierung gefahren, dass sie sich so der hegemonialen Führungsmacht des Westens anbiedert, obwohl diese doch die gesamte deutsche Bevölkerung flächendeckend abhört und belauscht, einschließlich der Bundeskanzlerin und der gesamten politischen, wirtschaftlichen und medialen Klasse? An dieser Missachtung zeigt sich, das Deutschland immer noch in seinem Vasallen-Status verharrt und von Souveränität keine Rede sein kann, die das Land angeblich mit der Wiedervereinigung erreicht habe. Jeder, der die Vertragslage kennt, kann über die Behauptung, es gebe eine „deutschen Souveränität“ seit 1990, nur in ein Hohngelächter ausbrechen.

Die deutsche politische Klasse sollte ihre ureigensten politischen Interessen verfolgen, und diese sind bei den Handlungsreisenden in Sachen Krieg nicht gut aufgehoben. Dass die Signale auf Krieg, Militarisierung und Konfrontation und nicht auf Ausgleich, Diplomatie und Frieden stehen, zeigen einige politische Entscheidungen. So will die Bundesregierung eine Bürgschaft für 100 Patrouillen- und Grenzbewachungsboote an Saudi-Arabien übernehmen, gerade an das Land, das die diversen Terrorgruppen in Syrien mit Waffen und US-Dollars versorgt und die fundamentalistischste Variante des Islam weltweit finanziert. Wozu bedarf es bei Saudi-Arabien überhaupt einer Bürgschaft? Das Land kann den Deal doch aus der Portokasse bar bezahlen. Oder was haben deutsche Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze zu suchen, wo doch die Türkei ebenfalls die Terroristen in Syrien umfänglich unterstützt? Was will die Bundeswehr in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik? Wenn sich die „Grande Nation“ in waghalsige Abenteuer verstrickt, muss sie selber sehen, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskommt. Mali ist ureigenste französische Interessensphäre. Wenn man sich, wie weiland Nikolas Sarkozy von einem Kriegsphilosophen per Handy zum Angriffskrieg gegen Libyen locken lässt, darf man sich über Präsident Hollandes aggressive Politik in Afrika nicht wundern. 

Die Münchner Sicherheitskonferenz stand auch ganz im Zeichen einer aggressiven antirussischen Politik, was Syrien und die Ukraine betrifft. Deutschland sollte der US-amerikanischen Rhetorik nicht folgen und stattdessen mit der besonnen russischen Diplomatie in Sachen Syrien- und Iran-Politik eng kooperieren. Wäre es nach Obama gegangen, stünde der Nahe- und Mittlere Osten bereits wieder in Flammen. Dank des Nein der amerikanischen Bevölkerung zu einem neuen Krieg gegen Syrien konnte Obama und der schießwütige US-Kongress vorläufig von ihrem Plan abgebracht werden. 

Neben der Expansion in Fernost steuert die US-amerikanische Politikerklasse auf einen neuen Kalten Krieg mit Russland und China zu. Hauptzielscheibe ist der russische Präsident Vladimir Putin. Das mediale Theater, das im Vorfeld der Olympischen Winterspiele von Sotschi, gerade auch von deutscher Seite aufgeführt worden ist, stellt eine einzigartige Brüskierung Russlands dar. Im Gegensatz zu den so genannten Freunden Deutschlands im Westen, hat weder die Sowjetunion noch das spätere Russland Deutschland niemals wegen seiner kolossalen Nazi-Verbrechen am russischen Volk erpresst. (Man erinnere sich an die Darstellung Kanzlerin Merkels als "Nazi" bei unseren so genannten Freunden im Westen). Präsident Putin mag zwar kein „lupenreiner Demokrat“ sein, aber dieses Etikett könnte auch nicht jedem westlichen Regierungschefs ohne Bedenken ans Revers geheftet werden. 

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war auch Zbigniew Brzezinski, der einer aggressiven Anti-Russlandpolitik das Wort redet und die US-Regierung auffordert, Deutschland dazu zu veranlassen, sich aktiv an der Ausdehnung Europas gen Osten zu beteiligen. Die westliche Einmischung in der Ukraine verstößt gegen die Souveränität des Landes und kommt einem Umsturzversuch sehr nahe. Westliche Symbolfigur für diesen "Umsturz" ist der Boxer Klitschko. Seitens des Westens will man die Ukraine ins eigene Lager hinüberziehen, damit Russland nicht mehr zu alter Größe erstarken kann. Würden die westlichen Staaten solche Gewaltexzesse gegen ihre eigene Regierung dulden oder akzeptieren, dass sie von außen befeuert werden, wie durch Besuche westlicher Politiker in der Ukraine geschehen? Mit welcher Brutalität die US-Regierung gegen die Occupy-Bewegung vorgegangen ist, zeigt, wie mit demokratischem Protest im Westen umgegangen wird. 

An dieser antirussischen Stimmung beteiligen sich auch alle führenden Medien in Deutschland. Ihre Leitartikler befürworten nicht nur offensiv die Beteiligung der Bundeswehr in Krisenregionen, sondern sie betreiben auch eine antirussische Stimmung im Sinne des US-Imperiums. Ihre Kommentare lesen sich wie vorgefertigte Presseerklärungen der Spin-Doktoren des Pentagons. Das US-Imperium braucht keine souveränen Staaten, sondern nur Vasallen. Weil Putin die klassische Lehre von der Souveränität der Nationalstaaten vertritt, ist er zum neuen Feindbild des US-Imperiums samt seiner westlichen Vasallen mutiert. Die deutsche politische Klasse sollte im wohlverstandenen nationalen Interesse sich Russland nicht wieder zum Feind machen, nur weil es in den Masterplan der US-Hegemonie passt. Selbstbestimmung und Souveränität sollten endlich auch in Deutschland politische Tugenden werden.