Mittwoch, 7. Mai 2014

Eine Karikatur des Islam: "Der islamische Faschismus"

Der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad hat mit diesem Buch eine antiislamische Kampfschrift vorgelegt, die perfekt den antimuslimischen Zeitgeist der deutschen Mehrheitsgesellschaft trifft. Darin werden äußerst provokante antiislamische Thesen vertreten. Von einer Analyse zu sprechen, wäre verwegen. So habe „faschistoides Gedankengut nicht erst mit dem Aufstieg der Muslimbrüder Eingang in den Islam gefunden“, sondern dieses liege bereits „in der Urgeschichte des Islam begründet“. Für den Autor begann bereits alles mit dem Propheten. Dieser war aber alles andere als ein Monster, wie der Autor glauben machen will. Mohammad hatte viele Freunde unter Christen und Juden. Der Islam habe die „religiöse Vielfalt auf der arabischen Halbinsel beendet“, verlange von seinen Anhängern absoluten Gehorsam, dulde keine andere Meinung und strebe nach Weltherrschaft, so der Autor weiter. Wer als gelernter Muslim ein solches Zerrbild über seine frühere Religion der westlichen Öffentlichkeit vermittelt, dem fällt es auch leicht, von „Islamo-Faschismus“ zu sprechen. 

Der Autor übernimmt diesen Kampfbegriff, den neokonservative und islamophobe Autoren im Dunstkreis der Neokonservativen in den USA kreiert haben, um nicht nur eine mächtige politisch-religiöse Strömung zu diskreditieren, sondern den Islam in Gänze. Der Islam ist nicht aggressiver als andere Religionen auch. In jeder Religion gibt es Extremisten, sei dies im Christentum, Judentum (zionisitische Siedler), Hinduismus, die Buddhisten in Myanmar usw. Faschistisch werden Teile des Islam dort, wo sie vom Wahabismus, der extremistischen Staatsreligion Saudi-Arabiens, infiziert ist. Salafisten und Dschihadisten sind die Wiedergänger dieser wahabitischen Ideologie. Die Diktatur der Al-Saud ist ein enger Verbündeter und Freund der USA. Liegen nicht dort die wirklichen Wurzeln des „Islamo-Faschismus“? Der Salafismus im Allgemeinen hat nichts mit Faschismus zu tun; er ist ein Kind der Nahda (Renaissance) – einer Bewegung, welche die Moderne mit dem Islam in Einklang bringen will.

Abdel-Samad leistet mit seinen simplifizierenden Thesen für den deutschsprachigen Raum ganze Arbeit. Er popularisiert eine Karikatur des Islam und des Islamismus und verstärkt damit die Ressentiments gegen diese Religion im deutschsprachigen Raum. Der politische Islam, auf den es Abdel-Samad abgesehen hat, ist aber eine relativ junge Bewegung. Entstanden ist sie als Reaktion auf den Kolonialismus und die damit einhergehende Verelendung großer Teile der Bevölkerungen in der islamischen Welt. Selbst der politische Islam ist keine monolithische Bewegung. Er umfasst Al-Kaida in all ihren Schattierung, aber auch das Erdogan-Regime in der Türkei. Wer nach der Gleichung – Islam – politischer Islam = Faschismus – operiert, landet zwangsläufig beim „Islamo-Faschismus“. 

Diese abgestandene These vom „Islamo-Faschismus“ erfasst aber nicht das Wesentliche der politisch-ideologischen Strömungen in der islamischen Welt, sondern trägt nur zu einer Verharmlosung und Relativierung der Massenverbrechen im Europa des 20. Jahrhunderts durch den Faschismus bei. Was bringt es an Erkenntnisgewinn, wenn er die Ähnlichkeiten aufzählt, die es vielleicht in Teilen tatsächlich gibt? War nicht Winston Churchill auch ein Bewunderer Hitlers und Mussolinis, bis er deren teuflisches Wesen und Taten durchschaut hat? Waren nicht die revisionistischen Zionisten vom italienischen Faschismus begeistert?

Das Buch ist seiner Mutter gewidmet, die Hamed den Rat gab, es nicht zu veröffentlichen. Nachdem der Autor seine anti-islamischen Thesen Anfang Juni 2013 in Kairo vorgetragen hatte, erhielt er Morddrohungen in Form einer Fatwa – ein islamisches Rechtsgutachten. In Ägypten gibt es nur eine Institution, die eine „Fatwa“ aussprechen darf, und zwar das 1895 gegründete „Ägyptische Haus der Fatwa“. Diese Institution wird vom Großmufti von Ägypten geleitet. Sie ist neben der Al-Azhar-Universität die wichtigste islamische Einrichtung. Von ihrer Seite liegt gegen Abdel-Samad keine „Fatwa“ vor. Welcher Obskurant auch immer die angebliche Fatwa gegen den Autor ausgesprochen haben könnte, stellt sie eine Privatmeinung dar und hat keinerlei Rechtsverbindlichkeit. Abdel-Samad sollte aufhören, mit dieser „Fatwa“ in den Talkshows zu kokettieren. 

Mehr als dubios bleibt auch die Im November 2013 gemeldete „Entführung“ des Autors. So schnell er verschwunden war, so schnell tauchte er jedoch wieder auf. War dies nur ein dilettantischer PR-Gag, um auf sich aufmerksam zu machen? Einem größeren Kreis wurde Abdel-Samad durch eine skurrile „Deutschland-Safari“ bekannt, die er mit Henryk M. Broder und dessen Hündin Wilma auf Kosten des Gebührenzahlers gemacht hat. Auch auf der darauffolgenden „Europa-Safari“ spielte Hamad Broders folgsamen Diener. Zu einer "Gaza-Safari" wollten die beiden dann doch nicht mehr aufbrechen. 

Das Anliegen Abdel-Samads wäre wesentlich glaubwürdiger ausgefallen, hätte er sich nicht von den neokonservativen Scharfmachern instrumentalisieren lassen und die These vom „Islamo-Faschismus“ als lukratives Geschäftsmodell entdeckt. Viele Auswüchse des Islam und Islamismus sind in der Tat kritikwürdig, aber mit der Faschismus-Keule wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Im ersten Kapitel werden unter Bezugnahme auf Umberto Eco einige Eckpunkte des Ur-Faschismus versucht zu konstruieren und sodann eine mehr als gewagte Schlussfolgerungen gezogen, die viel über Abdel-Samads politische Intention und ideologische Stoßrichtung des Buches offenbaren. „Da, wo der islamische Faschismus die Macht übernommen hat, wie im Iran, im Sudan, in Nigeria, Somalia und Gaza sind brutale Diktaturen entstanden, die ihre Macht bis heute nicht wieder abgegeben haben. Da, wo der Islamismus vom ‚Regierungssessel‘ verdrängt wurde, verwandelten sich die Islamisten in Terroristen und überzogen ihre Länder mit Gewalt und Verwüstung wie in Algerien, Afghanistan, Mali und Libyen. Ein Schicksal, das nun auch Ägypten und Syrien droht.“ Warum wird Irak nicht erwähnt? Dort haben die US-Amerikaner einen großen Erfolg zu verbuchen, sie hinterließen 1,5 Millionen tote Iraker. Von dem Unheil, das die Bush-Krieger über dieses Land gebracht haben, gar nicht zu reden.

Mit diesen salopp dahin geschriebenen Zeilen zeigt der Autor, dass er nicht nur undifferenziert denkt, sondern schon gar nicht bereit ist, die wirklichen Verursacher für diesen „Terrorismus“ beim Namen zu nennen. Wer hat zum Beispiel Länder wie Afghanistan, Libyen, Ägypten, Mali oder Syrien mit Gewalt, Verwüstung und Zerstörung überzogen? Waren es nicht die gewaltsamen völkerrechtswidrigen Überfalle des Westens und die Kooperation mit den fundamentalistischsten Despotien wie zum Beispiel Saudi-Arabien oder den protzigen Kataris, die dafür ursächlicher waren? Wer in Iran „islamischen Faschismus“ und „Faschismus als Staatsdoktrin“ diagnostiziert, offenbart seine Ahnungslosigkeit über das Funktionieren des dortigen politischen Systems. 

Da der Islam seit seiner Entstehung faschistoide Neigungen zeigt, scheint folglich jede Erscheinungsform des Islamismus ebenfalls von dieser Ideologie „infiziert“ zu sein. Auf der Grundlage dieser verqueren Sichtweise schreibt Abdel-Samad: „Die Muslimbruderschaft weist seit ihrer Gründung im Jahr 1928 faschistische Züge auf. Wie alle faschistischen Bewegungen handelt sie mit zwei Waren: Wut und Blut.“ Und weil sie den Propheten als ihren Anführer, den Koran als die Verfassung, den Dschihad als Weg und das Sterben für Allah als Ziel sehen, mache sie zu einer „faschistoide(n) Organisation“. Deshalb gelte: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, (und so) kann man in der Muslimbruderschaft auch die Mutterorganisation des islamistischen Terrorismus sehen. Al-Qaida ist eine ihrer Ausgeburten.“ 

Als gelernter Muslim und studierter Politologe hätte Abdel-Samad eigentlich wissen müssen, dass die Muslimbruderschaften zu Beginn eine konservative Erneuerungsbewegung gewesen sind. Es gibt im Islam eine Vielzahl von Orden, Bruder- und Schwesterschaften, von den verschiedenen Sufis und Kulturclubs über politische Organisationen wie die Assassinen bis hin zu "liberalen Muslimen", die die unterschiedlichsten Ziele verfolgen. Dass irgendeine dieser Organisationen dem Faschismus nacheifert, ist nicht bekannt. Wären die Muslimbrüder, die in Ägypten durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen sind, tatsächlich „Faschisten“ gewesen, wären sie selbst mit dem Militär anders umgegangen. In den ersten Jahrzehnten hat die Muslimbruderschaft in der Art von Volkshochschule-Kursen unverschleierten Frauen Unterricht erteilt!

Jedem promovierten Politologen ist bekannt, dass der Islamismus keine völkische und rassistische Ideologie ist, folglich ethnisch-nationale Kategorien irrelevant sind. Darüber hinaus ist der Islam egalitär und universell und gerade nicht nationalistisch wie der Faschismus. Stammt nicht der Ausspruch „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ von George W. Bush? Haben nicht die CIA, der pakistanische und saudi-arabische Geheimdienst Al-Qaida erst geschaffen? War nicht deren Terror ursächlicher als der islamistische? Hat nicht Bush die Welt ebenfalls in Freund und Feind eingeteilt? Als die Mujaheddin gegen die sowjetischen Besatzer kämpften, wurden sie von den USA und dem Westen als „Freiheitskämpfer“ verhätschelt, als sie sich gegen die Besatzer aus den USA und dem Westen wandten, mutierten sie zu „Terroristen“. Der Autor lag noch in den Windeln, als US-Präsident Jimmy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński sich mit der Kalaschnikow bei den Mujaheddin in Afghanistan in Pose warf. 

Wer Vergleiche mit dem Nationalsozialismus anstellt, liegt meistens knapp daneben. So wagt Hamad-Samed doch allen Ernstes Folgendes gleichzusetzen: „Viele Leute sagen, der Faschismus ist für den Tod von sechs Millionen Juden verantwortlich. Erstens: Die Messlatte für den Faschismus darf nicht bei sechs Millionen Toten liegen. Und wenn man die Opfer der Islamisten zusammenzählt kommt man ebenfalls auf Millionen: Die Opfer des iranischen Regimes, hingerichtet, zu Tode gefoltert, Hunderttausende. Die Opfer des algerischen Bürgerkriegs, der von Islamisten entfesselt wurde, die Opfer des afghanischen Bürgerkriegs, der von Islamisten entfesselt wurde, die Opfer des irakischen Bürgerkriegs, die Opfer des Krieges in Syrien, Sudan, Somalia, Jemen. Dazu die Opfer von über 40.000 Terroranschlägen, die in den letzten 20 Jahren verübt wurden mit hundertausenden von Toten, die meisten von ihnen übrigens Muslime - da kommt man fast auf sechs Millionen!" Das Fazit des Politologen: Der Islamismus habe vielleicht nicht die gleiche Vernichtungsmaschinerie wie der Nationalsozialismus, aber die gleiche Geisteshaltung, und er verfolge die gleichen Ziele. Wie schon bei früheren Vergleichen hat auch hier der Autor die Millionen Toten vergessen, welche die USA und ihre Verbündeten bei ihren jüngsten Eroberungskriegen hinterlassen haben. 

Für den Autor verfolgt der Islamismus immer die gleichen Ziele: Sobald die Islamisten an der Macht seien, wollten sie die islamistische Gesellschaftsordnung durchsetzen, die Scharia einführen und letztendlich die Welt erobern. Der Islam sei nicht reformierbar, weil er alles als Wort Gottes ansehe, was im Koran stehe. Den Islamismus hält der Autor – im Gegensatz zu anderen Experten - für schwach, darin liege aber auch seine Gefährlichkeit. Die Islamisten glaubten nicht an die Reformierbarkeit ihrer Gesellschaften durch wirtschaftliche und politische Pläne, weil die Souveränität bei Gott und nicht beim Volk liege.

Natürlich darf ein Kapitel über „arabischen Antisemitismus“ nicht fehlen. „Nirgendwo ist der Antisemitismus so stark ausgeprägt wie in der arabischen Welt“ schreibt Abdel-Samad. Als zentrale Figur wird immer wieder der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, als Kronzeuge genannt. Es ist nicht zu leugnen, dass der Mufti ein Judenhasser war und von Berlin aus die Muslime in Palästina gegen die dort lebenden Juden aufhetzte. Zu welchen grotesken Schlüssen es führen kann, wenn man mit ideologischer Voreingenommenheit an den Untersuchungsgegenstand herangeht, haben Barry Rubin und Wolfgang G. Schwanitz in ihrem soeben erschienen Buch „Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East“ demonstriert.

Der Vergleich zwischen Faschismus und Islamismus wirkt nach Lektüre dieses Buches deplatziert und wenig überzeugend. Meinte der Politologe vielleicht „Totalitarismus“ und nicht Faschismus? Mit diesem Buch wird das lodernde Feuer der Islamophobie weiter angefacht. Neben den Kriegen des Westens gegen den Islam, werden sich nicht nur die Minderheit der faschistoiden Islamisten von diesem Buch vor den Kopf gestoßen fühlen, sondern auch die Mehrheit der gemäßigten Muslime. Ein Bärendienst für den Islam und eine Irreführung der deutschen Öffentlichkeit.

Zuerst erschienen hier.