Donnerstag, 22. Oktober 2015

50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen: Inszenierter Jubel

Mit historischer Geste begrüßt Kanzlerin Merkel Ministerpräsident Netanyahu in Berlin.
Glaubt man der Politiker-Folklore, so grenzen die deutsch-israelischen Beziehungen nach dem Massenmord der Nazis am europäischen Judentum an ein "Wunder", so umschreibt Bundestagspräsident Norbert Lammert in einer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, den aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen. In der Tat waren die Beziehungen niemals besser und intensiver als unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel. 

Sprach Bundeskanzler Helmut Kohl bei seinem ersten Israel-Besuch noch von der "Gnade der späten Geburt", was zur damaligen Zeit einen Sturm der Entrüstung auslöste, so konnte Kanzlerin Merkel in ihrer Rede vor der Knesset im März 2008 von der "besonderen historischen Verantwortung für die Sicherheit Israels" sprechen, und diese zu einem Teil der deutschen "Staatsräson" erklären. Dieses Statement stellt einen politischen "Qantensprung" in Bezug auf Beziehungen zwischen souveränen Staaten dar, weil es keinem verantwortungsbewussten Politiker in den Sinn kommen würde, einen Staat, der seit seiner Gründung und insbesondere nach 1967 ein anderes Volk einem immer unerträglicheren Besatzungsregime unterwirft und ihm dessen Land raubt, zu einem Bestanteil der eigenen "Staatsräson" zu machen. 

Das langsame Herantasten zwischen den politischen Eliten beider Länder wurde erst durch das "Wiedergutmachungsabkommen" aus dem Jahre 1952 möglich, das im Rathaus von Luxemburg unterzeichnet worden war. Gleichwohl dauerte es noch 13 Jahre, bis am 12. Mai 1965 formelle diplomatische Beziehungen aufgenommen werden konnten. Die Entsendung von Rolf F. Pauls, dem ersten deutschen Botschafter in Israel, glich noch einem Spießrutenlauf.

Seit 2008 gibt es auch jährliche Regierungskonsultationen zwischen der deutschen und der israelischen Regierung. Ob man bei diesen auch über das brutale Besatzungsregime oder über die rechtsextremen Sprüche einiger Mitglieder der Netanyahu-Regierung spricht, dürfte jedoch fraglich sein. Aus Protest gegen die expansive Kolonisierung Rest-Palästinas oder den offenen Rassismus großer Teile der israelischen Gesellschaft sowie eines Teils der Rabbinerschaft und der Regierung sollten diese Konsultationen solange ausgesetzt werden, bis die israelische Regierung die Menschenrechte der unterdrückten Palästinenser sowie das Völkerrecht und üblichen Usancen, die in demokratischen Gesellschaften herrschen, respektiert. 

Trotz des inszenierten Jubels haben laut Meinungsumfragen knapp über 50 Prozent der Deutschen eine schlechte Meinung über Israel; bei den 18- bis 29-jährigen sind es sogar 54 Prozent. Der Holocaust ist nicht mehr der Kristallisationspunkt zwischen den jüngeren Generationen, was die mehr als 20 000 jungen Israelis zeigen, die nach Berlin immigriert sind. Gleichwohl bildet er eine feste Größe in den offiziellen Beziehungen. 

Wie "instrumentalisierbar" die historischen Geschehnisse immer noch sind, zeigt die Äußerung der Pressesprecherin der Israelischen Botschaft in Berlin, Adi Farjon, gegenüber israelischen Journalisten. Darin erklärte sie, dass es im politischen Interesse Israel läge, wenn das Land Deutschlands Schuldgefühle gegenüber dem Holocaust aufrechterhalte. Israel strebe keine vollständige Normalisierung zwischen beiden Regierungen an. Die israelische Tageszeitung "Haaretz" titelte daraufhin : "Israeli Diplomat in Berlin: Maintaining German Guilt About Holocaust Helps Israel." An diesem vertraulichen Pressegespräch nahm zeitweise auch der israelische Botschafter, Yakov Hadas-Handelsman, teil. Die deutschen Medien haben diesen Skandal ignoriert. 

50 Jahre diplomatische Beziehungen sollten eher Anlass zu einer kritischen Bestandaufnahme sein als weiter einer Israel-Verklärung zu frönen, wie sie besonders von der deutschen politischen Klasse betrieben wird.

Zuerst erschienen hier und hier.