Freitag, 23. Oktober 2009

Obama steps into Israel`s shoes

It seems as if the Obama’s administration is as fixated on Israel as his predecessor’s was. Why on earth did he make his government denounce the Goldstone report with Israeli terminology? “One-sided”, “deeply flawed”, and “unfair”. Goldstone`s report was exactely the opposite. A small difference in style in defamation could be detected between the attacks by the U.S. and Israel against the author: The American side did not call him an “anti-semite”. Goldstone, incidentally, is an ardent Zionist. His report was way too balanced where Israel´s crimes were concerned. These crimes against humanity were equated to the shelling by Hamas of Israeli towns with home-made Kassam-rockets. The Israeli military attacked a practically defenceless population with the most modern weapons which it obtained from the United States. While the number of dead Palestinians, most of them women and children, reached 1,400, thirteen Israelis died, thereof four from so-called friendly fire.

The Obama administration should know that the bad US-American reputation in the Muslim world is based on its one-sided support of Israel´s 42 year old occupation and colonisation of Palestinian land. The US-American government threatened to use the veto power in the UN Security Council to prevent further proceedings about the Goldstone report. Instead of standing on the side of international law, the Obama administration supports uncritically the position of the occupiers. Even under Obama the US is no honest broker in the Middle East. It is a mistake that only “facts on the ground” count.

Professor Richard Falk is right when he writes: “In essence, the Israeli contention, backed by Washington, is that how we reached the present impasse is of no practical use in mapping a beneficial future. All that counts, according to this view, is the present relation of forces, ‘the facts on the ground’ that the Israelis have been unilaterally shaping to their adventage for many decades, and continue to do so in the Palestinian territories occupied sind 1967. Of course this Israeli position is extremely self-serving, and confronts the Palestinians with an unpalatable choice between swallowing non-sustainable, unjust peace offerings and continuing their struggle under the highly adverse conditions of a prolonged occupation of their territories carried out in manner violative of international humanitarian law.” The various Israeli governments have been violating international law since the the beginning of the occupation in 1967 and the diverse US administations have supported it.

Sonntag, 18. Oktober 2009

Jüdische Geschichte, Jüdische Religion

Israel Shahak gehörte neben dem israelischen Religionsphilosophen Yeshayahu Leibowitz zu den streitbarsten Persönlichkeiten in Israel, deren Werk auch über ihren Tod hinaus Bestand haben wird. Er starb leider viel zu früh am 2. Juli 2001. Als Kind ging er durch die Hölle von Bergen-Belsen und emigrierte nach dem Ende der Nazi-Barbarei nach Palästina. Er absolvierte seinen Militärdienst und studierte Biochemie und wurde Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Aus einem Bewunderer David Ben-Gurions wurde er 1956 einer seiner schärfsten Kritiker. Anlass war die Offenlegung der wirklichen Kriegsziele Israels. Ben-Gurion erklärte damals in der Knesset, dem Parlament Israels, dass der wirkliche Grund für den 1956er Krieg „die Wiederherstellung des Königreichs Davids und Salomons„ gewesen sei. Sein direktes gesellschaftspolitisches Engagement begann 1965 als er Augenzeuge wurde, wie ein ultrareligiöser Jude die Erlaubnis verweigerte, sein Telefon am Sabbat zu benutzen, um einen Rettungswagen für einen Nicht-Juden herbeizurufen. Shahak wandte sich an das Rabbinische Gericht in Jerusalem, um dessen Meinung zum Verhalten des ultrareligiösen Juden einzuholen. Das Gericht erklärte, dass der Jude nach den Religionsgesetzen richtig, ja sogar fromm gehandelt habe. Dieser Zwischenfall machte ihn stutzig gegenüber seiner eigenen Gesellschaft, insbesondere dem Judentum. Hinzu kam seine Zionismus-kritische Einstellung. Sie hat ihn vor vielen Fehlurteilen gegenüber der israelischen Politik bewahrt. Schon frühzeitig kämpfte er gegen jede Art von Diskriminierung von Nicht-Juden, insbesondere von palästinensischen Israelis und Palästinensern in den von Israel besetzten Gebieten. Er war jahrelang Vorsitzender der Liga für Menschenrechte. In den letzten Jahren hat er sich dem Studium der jüdischen Religion gewidmet und insbesondere ihre Interpretation durch die Orthodoxie scharf verurteilt. In ihr sieht er die Wurzeln für den Rassismus gegenüber allen Nicht-Juden und auch die Ursache für den Mord an Ministerpräsident Yitzhak Rabin.

Die Orthodoxen instrumentalisieren das klassische Judentum, um die Politik Israels zu rechtfertigen, so Shahak. Er vertritt folgende These: „Nach meiner Meinung stellt Israel als ein jüdischer Staat eine Gefahr nicht nur für sich selbst und seine Bewohner, sondern auch für alle Juden und alle anderen Völker und Staaten des Nahen Ostens und darüber hinaus dar.“ So stelle z. B. der Kibbuz eine „exklusive Utopie“ dar, von der alle Nicht-Juden rigoros ausgeschlossen seien. „Es ist diese exklusive Ideologie, es sind nicht die vorgeschobenen ‘Sicherheitsinteressen’ der israelischen Propaganda, die die Übernahme des Landes in den fünfziger und Mitte der sechziger Jahre und dann die besetzten Gebiete von 1967 bestimmt haben.“ Auch seien in den völkerrechtswidrigen Siedlungen in den Palästinensischen Besetzten Gebieten (POT) alle Nicht-Juden „offiziell ausgeschlossen“.

In diesem Buch geht der Autor hart mit dem Talmud und den Schriften des jüdischen Philosophen Maimonides ins Gericht. Beide seien angefüllt mit „beleidigenden Anweisungen gegen alle Nicht-Juden und mit ausdrücklichen Attacken gegen das Christentum und Jesus.“ Diese Stellen seien Mitte des 16. Jahrhunderts aus den Ausgaben in Europa entfernt worden. Erst nach der Gründung Israels wurden sie wieder in die Neuauflagen eingefügt. Im Kodex Maimonides, der in einer zweisprachigen Ausgabe 1962 erschien, finde sich in dem „Buch des Wissens“ folgender Satz zur Behandlung „Ungläubiger“. „Es ist die Pflicht, sie mit seinen eigenen Händen auszurotten.“

hahak zeichnet in seinen fünf Kapiteln ein sehr differenziertes Bild über Einfluss, Macht und Verfolgungen der Juden in Europa. Letztere müssen jedoch von denen der Nazi-Barbarei unterschieden werden. Die Verfolgungen in der Periode des klassischen Judentums waren populäre Bewegungen von unten, wohingegen letztere von oben organisiert und durchgeführt wurden. Das Modell der Judenverfolgungen in der klassischen Periode dient nach Shahak den „zionistischen Politikern“ als Modell und Entschuldigung für deren Verfolgung der Palästinenser.

Abschließend soll noch auf eine Gefahr hingewiesen werden: Das Buch liefert eine solch kritische Analyse des klassischen Judentums, dass sie auch als „Fundgrube“ für Antisemiten missbraucht werden könnte. Shahak wollte dazu natürlich keinen Vorschub leisten. Zitate, die aus dem Zusammenhang gerissen würden, könnten durchaus ein Zerrbild des Judentums entstehen lassen. Das Anliegen von Israel Shahak ist es aber, den religiösen Absolutheitsanspruch der Orthodoxie einzudämmen und auf die Gefahren hinzuweisen, die der liberalen israelischen Demokratie von Seiten dieser Fundamentalisten drohen. Wer die Gedankenwelt der Orthodoxen verstehen will, für den ist das Buch eine Pflichtlektüre. In seinem exzellenten Vorwort zitiert der im britischen Exil lebende israelische Politikwissenschaftler Ilan Pappe eine Aufforderung das Autors, um was sich politisches Engagement drehen sollte: „Obwohl der Kampf gegen den Antisemitismus (und gegen alle anderen Formen von Rassismus) nie aufhören darf, ist heute der Kampf gegen den jüdischen Chauvinismus und jüdische Exklusivität, was eine Kritik des klassischen Judentums einschließen muss, von gleicher oder noch größerer Wichtigkeit.“


Sonntag, 11. Oktober 2009

The Nobel Peace Prize as a Curse for Obama?

At the end of the Nobel Peace Prize nomination period Barack Hussein Obama was just twelve days in office. The Nobel Peace Prize will be a curse for Obama and will haunt him till the end of his presidency. For which political achievement did he receive it? Was this prize intended for his rhetorical abilities? In this field, Obama is brilliant. So far, he hasn’t changed anything in the political arena. We have not seen the intended closure of the prison camp in Guantanamo nor have we seen him ending the occupation in Iraq or the de-escalation of the war in Afghanistan and Pakistan. Predominant in this respect is his failure in the Middle East where Israel´s Prime Minister Benyamin Netanyahu demonstrated to him what is and what is not, what can and what cannot be done; not to speak of his recent domestic flops. Obama did not even react when he was humiliated by his general Stanley McChrystal who told him publicly what he had to do. Who is the Commander-in-Chief? Obama should have sacked this man on the spot. Who is McChrystal? He was once running the assassination wing of the military's joint special-operations command. For less, Harry S. Truman dismissed the WorldWar II hero General Douglas McArthur when he committed an offense against the political dress code.

It seems as if President Obama is loosing control of the political process. He is haunted and hunted by the Republican party; by Dick Cheney and his neoconservative cronies and by the the Christian-fundamentalists. His presidency will fail if he does not change course at once and face these dark forces head on. For the first time in history, there has been a call for a military coup against a President of the Untied States. John L. Perry called in a column on “Newsmax” that a military coup could "resolve the Obama problem". This guy wrote that a coup, while not "ideal" may be preferable to "Obama's radical ideas". It would "restore and defend the Constitution." This has to be seen against the background that there are plenty of influential right wing and anti-democratic radicals in the US. That Obama is the first non-white President becomes increasingly a political issue. Perhaps it explains some of the absurd reactions of the opponents of his policy.

Obama should know that the key to the problems in the Middle East and with the Muslim world is the conflict between Israelis and the Palestinians. In this conflict, he has already lost out to Netanyahu. One cannot at first call for a total stop of the settlement expansion and then yield to the pressure by an ally, who has been violating international law and human rights on a regular basis while having been supervised by the US. American interests and Israeli interests are not congruent. The later are no longer an asset to US foreign policy but rather a liability as John Mearsheimer and Stephen M. Walt used to put it. Obama must watch out not being pushed into another adventure that is not in the interest of his country: An attack on Iran.

The New York Times journalist Roger Cohen has recently written fine articles on what is really going on in Iran that annoyed the neo-conservative warmongers in the US. Iran is home to 30 000 Jewish Iranians who are not discriminated by the government because of their enshrined rights as Iranian citizens. The Israeli and the US governments are threatening the country with an attack even though the Iranian government has not violated any international treaty and obligation concerning their nuclear installations. All there facilities are regularly visited by the International Atomic Energy Agency (IAEA). The US Intelligence Community has stated that Iran has already abandoned its nuclear program back in 2003. Despite all the contrary evidence, Iran is demonised by Israel and their supportes in the US. Beyond that, the Iranian leadership is caricaturized as being mad and irrational. This Western attitude is a continuation of the neo-colonial and racist policies of the past. The political elite in the US needs to calm down and act rationally. In his book “Resistance” , Alastair Crooke shows what the “conflict” between Iran and the West is all about. After reading the book, one doesn’t have to speculate anymore about who are the irrationals?

As far as the American wars against the “Wretched of the Earth” is concerned, Obama must be aware since he read Frantz Fanon’s book. Neither Iraq nor Afghanistan were “righteous” wars. The US was driven into these imperialist adventures by an elite which has lost all sense of rationality and humanity. Obama must dissociate himself from this so-called “war of necessity” in Afghanistan. Fortytwo countries are fighting on the side of an Afghan government which is currupt to the bone and has thoroughly manipulated the last elections. Peter Galbraith who strongly pointed it out, lost his job at the United Nations. The Obama administration remained and remains mute.

Afghanistan is not Vietnam, but the final outcome can be much worse. In the long run, this war could destroy the democratic fabric of the US and in the end the country itself. The US army is already morally on the ground. It is loosing its ethic high position together with its military leadership. Only if it helps Obama to stop this insanity, the decision by the Nobel Peace Prize Committee might have been a wise one.

Freitag, 9. Oktober 2009

Der Palästinakonflikt

Vor genau 21 Jahren hat Alexander Flores ein Buch über die Hintergründe des Ausbruchs der ersten Intifada - der Abschüttelung der israelischen Besatzungsherrschaft – geschrieben, dessen Analysen bis heute Bestand haben. Er lehrt Wirtschaftsarabistik an einer Hochschule in Bremen. Mit dem vorliegenden Büchlein behandelt der Autor alle Facetten des unendlichen Palästinakonfliktes.

Das Buch gliedert sich in sieben kurze Kapitel, die sehr übersichtlich - durch farbliche Hervorhebungen und Ausstellungen zentraler Begriffe - ästhetisch gut aufgemacht sind. Der Autor lässt die Entstehung des Konfliktes mit dem Aufkommen der zionistisch inspirierten Besiedlung Palästinas beginnen. Jüdisches Leben hat es in Palästina immer gegeben, und Probleme zwischen palästinensischen Araber und palästinensischen Juden waren vor der Kolonisierung durch den Zionismus unbekannt. „Ein Problem schuf erst die zionistisch inspirierte Einwanderung.“ Diese „europäische Siedlerkolonie“ sei der autochthonen palästinensischen Bevölkerung von den Europäern aufgezwungen worden. Die zionistischen Kolonisatoren trafen auf eine Bevölkerung, die im Begriff war, ihr eigenes „nationales Selbstbewusstsein“ herauszubilden. Der Widerstand gegen die Inbesitznahme ihres Landes war durch alle Gesellschaftsschichten von Beginn an vorhanden und wurde als Bedrohung ihrer Existenz angesehen. Es könne keine Rede davon sein, dass „gewisse Elemente“ dagegen aufgehetzt worden seien, wie die israelische Geschichtsmythologie behauptet.

Da die Siedler über kein natürliches Hinterland verfügten, mussten sie sich immer wieder bei den europäischen Mächten rückversichern. So schrieb Theodor Herzl in „Der Judenstaat“: „In Europa würden wir dort eine Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Hat sich an dieser – doch wohl zeitbedingten - kolonial-rassistischen Haltung inzwischen etwas in Israel geändert? Ehud Barak hat Israel vor einigen Jahren als „Villa im Dschungel“ bezeichnet.

Auch ist die Haltung der diversen israelischen Regierung gegenüber den Palästinenser wenig überraschend, wenn man sich die programmatische Schrift „The Iron Wall“ von Vladimir Jabotinsky aus dem Jahre 1923 vor Augen führt: „Unsere Kolonisierung muss entweder beendet oder gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung fortgesetzt werden. Diese Kolonisierung kann daher nur weitergehen und sich entwickeln unter dem Schutz einer Kraft, die von der lokalen Bevölkerung unabhängig ist – eines eisernen Schutzwalles, den die einheimische Bevölkerung nicht durchbrechen kann.“ Diese „politische Vision“ wurde inzwischen vollständig realisiert: Israel ist die viertgrößte Militärmacht der Welt, ausgestattet mit über 200 Atomraketen, biologischen und chemischen Waffen, und es hat wider jedes Völker- und Menschenrecht eine über acht Meter hohe Mauer und einen Sicherheitszaum um Restpalästina errichtet, hinter dem die eigentlichen Besitzer des Landes ihr Leben fristen müssen. Und wenn die „Gefängnisinsassen“ keine Ruhe geben, werden sie angegriffen, wie um die Jahreswende 2008/09 geschehen. Die Todesrate betrug 100:1 zu Ungunsten der Bewohner des „größten Freiluftgefängnisses der Welt“ im Gaza-Streifen. Dass der „zivilisierte“ Westen dazu geschwiegen hat und weiterhin alles unternimmt, dass der "Goldstone-Report" nicht vor dem UN-Sicherheitsrat diskutiert wird, ist das Bemerkenswerteste. Auf die palästinensische "Autonomieregierung" wurde so großer Druck von Seiten der USA und Israels ausgeübt, dass die Betroffenen eine Debatte auch nicht wollten!

In den 400 Jahren Osmanischer Herrschaft habe es zwar nie eine Verwaltungseinheit „Palästina“ gegeben, aber trotzdem sei Palästina ein arabisches Land. Der Autor rückt die Legenden von einer „intensiven“ Zusammenarbeit der Palästinenser mit den Nazis zurecht, die besonders von politisch motivierten antideutschen Propagandisten und Pseudowissenschaftlern, neokonservativen und christlich-fundamentalistischen Extremisten sowie anderen Dilettanten ventiliert werden. Abgesehen vom „Mufti von Jerusalem“ habe es keine Zusammenarbeit gegeben; was es dagegen gab, war eine intensive Kooperation zwischen Nazis und Zionisten, wie das Buch „Zionismus und Faschismus“ (Kai Homilius Verlag) von Lenni Brenner zeigt.

Auch was die Vertreibung der Palästinenser betrifft, rückt der Autor einige israelische Geschichtsmythen ins rechte Licht. Die Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung sei in der „Transfer“-Diskussion der 1930er Jahre angelegt gewesen. Die Entvölkerung der Dörfer fand unter Aufsicht der britischen Mandatsmacht statt: „Man vertrieb die Araber, wo immer es möglich war, oft unter den Augen der britischen Armee.“ Die weiteren Vertreibungen während des 1948-Krieges mit den Arabern seien keine „natürlichen“ Begleiterscheinungen der Kampfhandlungen gewesen, „sondern wurden neben ihnen vorgenommen. Sie wurden immer mehr zu einem wichtigen Kriegsziel, das unabhängig von der Verteidigung und Ausdehnung des Staates Israels verfolgt wurde.“ Dass die Bevölkerung auf Anweisung geflohen ist, sei eine bis heute unbewiesene Behauptung „israelischer Propaganda“. Eine Vertreibung der Zivilbevölkerung ist völkerrechtswidrig. Die Behauptung Israels, man habe dies nicht gewollt, scheint angesichts der Verweigerung ihrer Rückkehr unglaubwürdig.

Der Autor verweist weitere israelische Behauptungen wie „Israel hatte keinen echten Verhandlungspartner“, Die arabische Bevölkerung Israels ist gleichberechtigt“, „Israel war in seiner Existenz bedroht“, „Die PLO wollte Israel vernichten“, „Israel war zu Kompromissen bereit“, „Die Araber tragen die Verantwortung“ und zahlreiche andere politische Parolen ins Reich der Legenden. Gerade für Deutsche sollte gelten, was Flores abschließend in „Perspektiven“ anmerkt: „Israel behauptet ja, im Interesse aller Juden der Welt zu agieren, und das immunisiert es bei denen, die ihm das abnehmen, gegen jede Kritik. Dieser Mechanismus greift besonders in Deutschland. Das ist zunächst nachvollziehbar – wer wollte den Juden nach allem, was passiert ist, eine sichere Heimstatt verweigern? Die Folgen sind freilich katastrophal. Wer aus dem Holocaust den Schluss zieht, man müsse zu neuen Verbrechen schweigen, wenn sie von Juden begangen werden, trägt zur Immunität Israels und damit zu seiner Skrupellosigkeit bei, welche den Konflikt mit all seinen Schrecken nur verlängern kann. Das ist weder im wohlverstandenen Interesse der israelischen noch in dem der nichtisraelischen Juden. Genaueres Hinsehen und weit verbreitete, wohlbegründete Kritik am israelischen Vorgehen werden die absolute Immunität Israels beenden, und das kann nach Lage der Dinge nur gut sein.“

Das Bändchen ist eine exzellente Darstellung des ältesten Regionalkonfliktes in den internationalen Beziehungen. Es ist überaus verständlich geschrieben. Die Urteile des Autors sind fundiert, präzise und souverän vorgetragen. Eine Pflichtlektüre für jeden politisch Interessierten. Auch dem durch einseitige pro-israelische Geschichtsdarstellungen überfluteten facettenreichen Bildungsbereich würde eine „Frisch-Zellen-Kur“ in der Form dieses Buches gut tun.


Donnerstag, 17. September 2009

Hitler besiegen

„Oft frage ich mich, ob es ohne die Deutschen und ihre Barbarei überhaupt einen Staat Israel geben würde“, so eine der vielen provokanten Fragen und Thesen von Avraham Burg in seinem aufrüttelnden Buch „Hitler besiegen“. Diese Frage scheinen die Historiker bereits hinlänglich beantwortet zu haben: Auch ohne die Shoah wäre es zur Gründung Israel gekommen. Die Schaffung einer „jüdischen Heimstätte“ - sprich eines jüdischen Staates - stand seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf der Tagesordnung der internationalen Staatengemeinschaft. Folgerichtig wurde die Gründung eines jüdischen und arabischen Staates auch aufgrund eines Beschluss der UNO vom November 1947 gefasst und am 14. Mai 1948 durch die Proklamation Israels realisiert. Jedem Volk steht also ein völkerrechtlicher Anspruch auf Selbstbestimmung zu. Um die Identität des Staates Israel dreht sich das Buch von Burg, der die Fundierung israelischer Staatsraison auf einer Katastrophe als Identität stiftende Quelle für eine Sackgasse hält. Fast zu gleichen Teilen betrifft das Buch aber auch die Deutschen.

Als das Buch 2007 in Israel erschien, hat es einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Zum ersten Mal hatte ein führender Vertreter des politischen Establishments alle zentralen Prinzipien israelischer Staatsraison in Frage gestellt. Avraham Burg ist nicht irgendwer in Israel. Er war Abgeordneter der Arbeitspartei in der Knesset, dem israelischen Parlament, zuletzt dessen Präsident. Was aber noch viel bedeutsamer ist, er war Vorsitzender des Präsidiums der Jewish Agency und der zionistischen Weltorganisation. Abraham Burg, der aus einem jüdisch-nationalen Elternhaus stammt, versuchte in seiner politischen Laufbahn immer wieder das Politische mit dem Religiös-Geistigen zu verbinden.

Sein Vater, Josef Burg, war seit 1948 dreißig Jahre lang Innen- und Religionsminister. Als ein in Dresden geborener deutscher Jude konnte er gerade noch 1939 Nazi-Deutschland verlassen und nach Palästina emigrieren. Bis zu diesem Zeitpunkt organisierte er die Ausreise von jüdischen Deutschen nach Palästina und rettete so Tausende vor den Klauen der Nazi-Schergen. Die Mutter von Avraham Burg lebte in der siebten Generation in Hebron, von wo sie wegen des Pogroms 1928/29 gegen die dortigen palästinensischen Juden fliehen musste.

Avraham Burg hat in „Hitler besiegen“ den Versuch unternommen, ein neues Selbstverständnis für Israel zu formulieren, das für ihn jenseits der Shoah angesiedelt sein sollte. Es muss humanistisch-universalistisch ausgerichtet sein, gemäß der jüdischen Tradition; das nationalistisch-zionistische ist ihm zu parochial. Israel sollte sich wieder dem Judentum als Identität stiftender Quelle zu- und vom Zionismus abwenden; beide stellen unvereinbare Gegensätze dar. Dazu lese man das aufschlussreiche Werk von Jakov M. Rabkin „A Threat from within. A Century of Jewish Opposition to Zionism“.

Das Anliegen des Autors ist von großer Sorge um den Bestand Israels bestimmt. Er wolle mit diesem Buch „Herzen, Mund und Augen für eine neue Vision öffnen“. Die Ausführungen sind ein „Zeugnis der Gebrechen Israels und eine Reaktion auf seinen Hilferuf“. Burg hat die politische Bühne verlassen, weil „Israel zu einem Reich ohne Prophezeiung geworden ist“. Der Autor will die Israelis weg vom Trauma zu neuer Hoffnung in alle Menschen führen. „Von meiner persönlichen Geschichte zum Universellen, das für alle Völker und Nationen gilt.“ Diesen Weg versucht Burg aufzuzeigen. Provokant ist sein ausführlicher Vergleich des Zustandes Israels mit dem Deutschlands während der Weimarer Republik. Dieses Kapitel habe ihm viele schlaflose Nächte bereitet. Die Argumente, die der Autor vorträgt, sind sehr überzeugend; ebenso die Lehre, die beide Länder daraus ziehen sollten: „Nie wieder, niemand, nicht nur keine Juden. Nie wieder Mord und Vernichtung von Menschen.“ Dies sei die universelle Lehre aus der tragischen Beziehung zwischen Juden und Deutschland, „die wir aus ´unserem Holocaust` ziehen wollen für eine bessere Welt für alle Menschen, für alle, die nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden“.

Der Autor greift aber auch die israelische Staatsraison frontal an: Er fordert das Ende der Holocaust-Erinnerung. Der Zionismus müsse gegenüber einer humanistischen Weltsicht in den Hintergrund treten. Das Rückkehrrecht sei aufzugeben, das allen Juden auf der Welt automatisch die israelische Staatsbürgerschaft garantiert, wenn sie nach Israel einwandern. Die Jewish Agency sei aufzulösen. Israel solle ein Staat aller seiner Bürger werden. Die Besatzung müsse unverzüglich beendet und ein Staat Palästina müsse in den Grenzen von 1967 gegründet werden. Die Zukunft Israels könne nur in einem Zionismus à la Ahad Ha´am liegen. Herzls Zionismus müsse ad acta gelegt werden. Als sei dies noch alles nicht genug, empfiehlt Burg allen Israelis, sich eine zweite Staatsbürgerschaft zuzulegen. Der Autor selbst hat die französische.

Israels Existenz werde von der Shoah bestimmt. Sie ist “wie ein Ozonloch: nicht zu sehen, aber immer präsent, abstrakt, aber folgenschwer.“ Für den Autor ist „die Shoah zu einer theologischen Stütze der modernen jüdischen Identität geworden und eine der größten Herausforderungen für das jüdische Volk in der Moderne“. Israel sei der „Auschwitz-Staat“, dessen Kultur ein Trauma und dessen Seele ein Hort des Schreckens sei, und die „Shoah ist in unserem Leben präsenter als Gott“, schreibt Burg. „Israel übernahm das Vermächtnis der Unsicherheit, die typisch für Traumaopfer ist. Seither leben wir unter ständigem Druck und in dem Widerspruch, die innere Ohnmacht und Existenzangst mit endloser Aufrüstung zu kompensieren. Wir sind zu einer Nation der Opfer geworden, und unsere Staatsreligion besteht in der Verehrung und Pflege von Traumata, als ob Israel auf immer seinen letzten Weg ginge.“ Der Autor bestreitet nicht den Wert von Erinnerung für sein Land, aber wie das Gedenken in Israel instrumentalisiert werde, „verwandelt es diese heilige Erinnerung in ein lächerliches Sakrileg und lässt brennenden Schmerz hohl und kitschig werden“. Israel sei heute wesentlich abhängiger als bei seiner Gründung und stärker vom Holocaust geprägt als drei Jahre, nachdem die Todesfabriken der Nazis geschlossen wurden, so Burg. Im Kapitel „Shoah-Epidemie“ kommt der Autor auf die Ängste, die Paranoia und die Schuld zu sprechen, die Israels politisches Leben dominieren, und schlussfolgert daraus: „Ein Staat, der mit dem Schwert regiert und seine Toten glorifiziert, muss in einem ständigen Ausnahmezustand leben, weil jeder eine Nazi, jeder ein Araber ist, alle uns hassen und die ganze Welt gegen uns ist.“

Burg stört auch die Definition Israels als „jüdisch“, ja er hält einen „jüdischen Staat“ für „Dynamit“, („To define the State of Israel as a Jewish state is the key to its end. A Jewish state is explosive. It's dynamite"), mehr noch, er hält ihn für „Nitroglycerin“, wenn er sich als „jüdisch-demokratisch“ definiert („But 'Jewish-democratic' is nitroglycerine."), wie er in dem Interview mit Ari Shavit in der Tageszeitung „Haaretz“ vom Juni 2007 erklärte. Die jüdische Ausrichtung Israes habe das Land für den radikalen Messianismus geöffnet, der mit den demokratischen Grundsätzen Israels nicht mehr zu vereinbaren sei. Die Kritik des Autors richtet sich nicht nur gegen die religiösen Extremisten, sondern zielt auf die politische Elite, die es zugelassen habe, das Israel gegen die jüdische Tradition der Toleranz und der Weltoffenheit verstoßen und sich einem militaristischen und kriegerischen Kurs verschrieben habe. Burg geißelt auch insbesondere den weit verbreiteten „Araberhass“, der sich aber nicht nur gegen diese, sondern generell gegen alle Goyim (Nicht-Juden) richte.

Klafft nicht zwischen Burgs Kritik am jüdischen Charakter Israels und seiner permanenten Verwendung des Terminus „jüdisches Volk“ ein Widerspruch? Hat nicht erst kürzlich der israelische Historiker Shlomo Sand in seinem Buch „The Invention of the Jewish People“ die These vertreten, das es ein solches gar nicht gebe? Diesen Widerspruch löst Avraham Burg in seinem Buch nicht auf. Er konnte es auch nicht, weil sein Buch zwei Jahre vor dem Sands erschienen ist.

Wenn ein Mitglied der politischen Elite Israels alle „heiligen Kühe“ der israelischen Staatsraison „schlachtet“, stellt sich die Frage, ob er noch Zionist ist. Im herkömmlichen Sinne kann er es nicht mehr sein, da er Israels Zukunft in einem Kulturzionismus à la Ahad Ha´am sieht, der nichts mit dem real existierenden Zionismus zu tun hat, weil ihm die geistig-religiöse Dimension fehlt. In dem bereits zitierten Interview antwortet Burg auf die Frage, ob er immer noch Zionist sei: "I am a human being, I am a Jew and I am an Israeli. Zionism was an instrument to move me from the Jewish state of being to the Israeli state of being. I think it was Ben-Gurion who said that the Zionist movement was the scaffolding to build the home, and that after the state's establishment it should be dismantled." Ob er denn bestätigen könne, dass er nicht länger Zionist sei, wollte Shavit wissen, worauf Burg antwortete: "Already at the First Zionist Congress, Herzl's Zionism was victorious over the Zionism of Ahad Ha'am. I think that the 21st century should be the century of Ahad Ha'am. We have to leave Herzl behind and move to Ahad Ha'am."

“Hitler besiegen” ist mehr als eine Kritik an der Verfasstheit des Staates Israel. Es ist auch eine Hommage an seine Eltern. Josef Burg verkörperte das Judentum, seine in Palästina geborene Mutter „die israelische Identität“. „Im Israelischsein war sie ihm immer weit voraus“. Aus beiden historischen Narrativen und seiner religiösen Überzeugung formt der Autor ein neues Selbstverständnis für seine israelischen Landsleute. Bevor sie dafür empfänglich werden, muss sich in Israel aber einiges grundsätzlich ändern, so wie z. B. die Klassenfahrten israelischer Schüler nach Auschwitz. „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich die für Israelis verpflichtenden Gedenkreisen zu den Vernichtungslagern in Polen für verfehlt und gefährlich halte. Da dieses Erlebnis emotional überwältigend ist, kultivieren wir eine unbewusste mentale Realität, die sämtliche Schrecken der Vergangenheit rekonstruiert und klont, damit zukünftige Generationen sie auffrischen und perpetuieren. Es ist wie eine kollektive Reinkarnation. Statt aus dem pathologischen Kreislauf auszubrechen, setzen wir ihn fort. Statt Heilung zuzulassen, infizieren wir uns selbst. Statt zu vergessen, kratzen wir unsere Wunden auf, damit sie immer wieder bluten.“ Bereits Yehuda Elkana hat am 8. März 1988 in der „Haaretz“ dazu aufgerufen, dass Israel den Holocaust vergessen solle. Die Israelis sollten den historischen Mahnruf „Zachor“ über ihr Leben abschütteln und sich der Zukunft zuwenden, anstatt sich von früh bis spät mit den Sinnbildern, Zeremonien und den Lehren der Shoah zu beschäftigen. Auch Burg tritt für die Behandlung der Shoah als eines abgeschlossenen historischen Ereignisses ein, das nicht die nationale Identität der Menschen völlig dominieren dürfe.

Burg hat ein prophetisches Buch für Israelis und Deutsche geschrieben. Es weist endlich einen gangbaren Weg jenseits der bekannten rhetorischen Stereotype auf. Wenn die politische Elite in Deutschland und die Verbandsfunktionäre diesen Weg nicht beschreiten wollen, sollte es die Zivilgesellschaft tun. Die Deutungshoheit über die Zukunft beider Völker muss dem Souverän übertragen werden.


Dienstag, 8. September 2009

Between the Lines: Readings on the "war on terror"

Die Zerstörung einer Nation ist kein alltäglicher Vorgang in den internationalen Beziehungen. Eine solche findet vor den Augen der Weltöffentlichkeit seit dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 in Palästina statt und geht mit dem Bau einer acht Meter hohen Mauer und eines Schutzwalles seiner Vollendung entgegen. Als „Palästinenserstaat“ übrig bleiben werden Gefängnis-ähnliche Gebilde, die weiterhin von den israelischen Besatzern bewacht werden dürften. Hat die palästinensische Bevölkerung diese als die Erfüllung ihrer Träume von einem eigenen Staat schon immer ersehnt?

Die Israelin Tikva Honig-Parnass und der US-amerikanische Palästinenser Toufic Haddad haben in Anlehnung an ihre Zeitschrift „Between the Lines“ unter gleichnamigem Titel einen Sammelband herausgegeben, der an die kritische Tradition dieser Zeitschrift anknüpft. Einige der Beiträge sind Nachdrucke. War diese Zeitschrift deshalb so „gefährlich“, weil sie den westlichen Medien den Spiegel vorhielt, dass in Israel und Palästina nicht zwei „gleichberechtigte“ Partner gegen die „Extremisten“ in ihren Reihen kämpften, sondern es um die Auseinandersetzung zwischen einem „Kolonisierungsprojekt“ und dem Widerstand eines „kolonisierten Volkes“ ging, wie die Herausgeber hervorheben? Dieser Verwischung der realen Konfrontationslinien war es wohl geschuldet, dass im Westen der Widerstand eines unterdrückten und kolonisierten Volkes als „Terror“ porträtiert und verdammt worden ist, wohingegen die Kolonialmacht nur „Frieden“ wollte und „bereit war zu verhandeln“.

Die Meinung der Herausgeber im Vorwort lässt erahnen, warum diese Zeitschrift nicht mit westlicher Unterstützung überleben konnte. „Es besteht kein Zweifel, dass die politische Ausrichtung von Between the Lines auf unserer antiimperialistischen und antizionistischen Position und unserem Klassenbewusstsein beruht.“ Die Beiträge setzen sich kritisch mit der Fortsetzung des „zionistischen Kolonisierungsprojektes“ und dessen Unterstützung durch den „US-Imperialismus“ auseinander. Gerade an diesem Analyseraster dürfte die Überzeugungskraft einiger dieser Beiträge leiden. So ist die Einleitung, welche die Ereignisse bis zum Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada beschreibt, sehr klar und mutig. Eine weite Verbreitung könnte zu einer realitätsnäheren Einschätzung der Ereignisse beitragen.

Die Beiträge des ehemaligen Knesset-Abgeordneten Azmi Bishara, der es aufgrund von fragwürdigen Anschuldigungen vorgezogen hat, sein Abgeordnetenmandat niederzulegen und nicht nach Israel zurückzukehren, oder von Adi Ophir, Professor für Philosophie an der Universität von Tel Aviv, Salah Abdel Jawwad, Professor für Geschichtswissenschaft an der Bir-Zeit-Universität, Ilan Pappe, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Haifa und augenblicklich im Exil in Großbritannien lehrender Israeli, dem britischen Israel-Korrespondenten Graham Usher sowie dem Abgeordneten des palästinensischen Parlaments Husam Khader, u. a. m. stellen unverblümt den Nahostkonflikt und die repressive Besatzungspolitik Israels dar. Daneben gibt es noch weitere Beiträge des Herausgeber und der Herausgeberin.

Die Beiträge dieses Sammelbandes liegen quer zur Sichtweise des politischen Mainstreams. Die Sympathien der Autoren und Autorinnen sind auf Seiten der unterdrückten Palästinenser. Die Al-Aqsa-Intifada wird als ein „humaner“ Versuch gesehen, das israelische Besatzungsregime abzuschütteln. „The Al Aqsa Intifada ist a testament to the determined human will to challenge enormous powers of oppression.“ Die Aussage des ehemaligen israelischen Außenministers Silvan Shalom wird kritisiert, der den Widerstand der Palästinenser in einen „globalen Kampf gegen den Terrorismus“ einordnete. Der Widerstand der Hamas wird nicht als „Terrorismus“ oder als Herausforderung des Westens verstanden. Toufic Haddad schreibt abschließend: „Weder Scheich Yassin noch Hamas hatten jemals etwas zu tun mit Huntingtons ´Clash of civilization`“. Er zitiert aus einem Beitrag der Journalistin Amira Hass, die in Haaretz vom 2. April 2004 Yassin wie folgt zitiert: „Kein Palästinenser sagt, dass wir die Juden ins Meer treiben wollen. Die Palästinenser sagen nur, dass sie im Land ihre Vorfahren leben wollen und dass alle von uns - Muslims, Juden und Christen – im Geiste der Demokratie zusammen leben wollen. Das Problem besteht darin, dass die Juden den anderen nicht ihre Rechte zugestehen wollen. Sie wollen ein rassistisches Regime etablieren (…). Wir haben niemals anderen unsere Prinzipien aufgezwungen, noch wollen wir diese durch Gewalt anderen diktieren. Es wird kein Diktat geben. Es geht um die Lehre der eigenen Religion in einem Staat, der die Menschenrechte respektiert.“ Selbst Yassin ging es primär um die nationalen Rechte der Palästinenser. “Obwohl Israel dies verstanden hat, unterzeichnete es sein Todesurteil“, so der Autor.

Dieser Band bietet eine Vielzahl kritischer Beiträge, die in den westlichen Medien in dieser Form niemals veröffentlicht worden wären, da sie Israels Besatzungsherrschaft in seiner unverblümten Form darstellen. So meinen die Herausgeber, dass das „zionistische Kolonisierungsprojekt“ ohne die Protektion des „US-amerikanischen Imperialismus“ nicht möglich gewesen wäre. Sein Ziel sei die „Eliminierung der palästinensischen Nation“. Wenn diese Einsicht zur Horizonterweiterung der Öffentlichkeit beitragen würde, hätte das Buch seinen Zweck erfüllt.

Israel´s Dilemma in Palestine

Zwei Rabbiner besuchten 1897 Palästina und entdeckten, dass das Land wie eine Braut sei, aber leider bereits „mit einem anderen Man verheiratet“. Sie meinten damit, dass, wenn in Palästina eine jüdische „Heimstätte“ geschaffen werden sollte, die einheimische Bevölkerung und die Besitzer des Landes verschwinden müssten. Diese Quadratur des Kreises stellt bis heute Israels Dilemma dar. Sie ist aber auch die Ursache der Katastrophe für die Palästinenser. Der Zionismus war niemals in der Lage, diesen Widerspruch des „anderen Mannes“ aufzulösen. Entweder der „andere Mann“ müsse „ausgerottet“ oder das Projekt eines jüdischen Staates aufgegeben werden. Israel hat weder das eine noch das andere getan. 1948 habe Israel einen großen Teil der Bevölkerung vertrieben oder zur Flucht gezwungen, es war aber nie in der Lage, das ganze Land „ethnisch zu säubern“. Der fundamentale Irrtum des zionistischen Projekts bestand darin, dass das ganze Land jüdisch sei und es sich bei den tatsächlichen Bewohnern nur um „fremde Eindringlinge“ handele. Alles in allem war das zionistische Projekt für seine jüdische Bevölkerung relativ erfolgreich, für die Palästinenser jedoch bedeutete es bis heute eine Katastrophe.

Ghada Karmi zählt zu den bekanntesten Radio- und TV-Kommentatorinnen zum Nahostkonflikt in Großbritannien. Sie wurde in Jerusalem geboren und 1948 aus ihrem Land vertrieben. Sie wuchs in England auf; wurde Ärztin, Wissenschaftlerin und Schriftstellerin. Augenblicklich arbeitet Karmi am Arab and Islamic Studies Institute at the University of Exeter.

Die Autorin zeigt, dass die Kosten des „zionistischen Projektes“ für die Palästinenser enorm waren und heute noch sind. Sie gibt dem Westen, besonders aber den USA einen Teil der Mitschuld, weil sie die permanente Verweigerungshaltung der israelischen politischen Elite über Jahrzehnte geduldet haben. Auch der Schaden für die Arabische Welt sei groß gewesen. Trotzdem wurde von den Arabern erwartet, “Frieden mit Israel zu schließen und es darüber hinaus auch noch zu lieben”. Karmi fragt sich in dem Kapitel, „Warum Juden Israel unterstützen“? wie es kommen konnte, dass trotz der Nichtnachvollziehbarkeit und der zerstörerischen Wirkung des Projektes für andere, es trotzdem so erfolgreich sein konnte. Diese Unterstützung setze sich auch denn fort, wenn die Verbrechen gegen die Palästinenser und die Missachtung des Völkerrechts für alle offensichtlich sind. Die Autorin nennt einige Gründe wie den Holocaust mit seinen Traumata und Schuldgefühlen, die machtpolitischen Bedürfnisses westlicher Regionalpolitik, religiöse Mythologien, so genannte gemeinsame Werte und Israel als „die einzige Demokratie des Nahen Ostens“. Auch die Unterstützung durch den Westen ist vielfältig. Das Kapitel ist spannend zu lesen. Die Autorin weist auf die große Unterstützung durch die „Israel Lobby“ hin. Besonders erwähnt sie die bizarre und obskure Weltanschauung der „Christlichen Zionisten“, die für ein Armageddon im Nahen Osten beten, damit das Kommen des Messias beschleunigt werde und es zu einer Massenkonversion der Juden komme. Dieser offensichtliche Antisemitismus scheint aber die Vertreter amerikanisch-jüdischer Interessengruppen von einer Zusammenarbeit nicht abzuhalten sowie israelische Politiker wie Natanyahu und früher Ariel Scharon nicht daran zu hindern, vor diesen „christlichen“ Foren aufzutreten.

Ghada Karmi kritisiert besonders scharf den „Neuen Historiker“ Benny Morris, der nach Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada eine 180-Grad-Wendung in seinen Ansichten vollzog und sich als glühender Zionist offenbarte. In weiteren Kapiteln kritisiert die Autorin den „Friedensprozess“, Arafats Rolle bei der Zerstörung seines Volkes und die Wiederbelebung der „Jordanischen Option“. Der kürzlich verstorbene israelische Soziologe Baruch Kimmerling hat die Politik Scharons treffend mit „Politizid“ beschrieben.

Das Buch gibt einen guten Überblick samt Begründung für die zerstörerische Besatzungspolitik, die ihre Begründung durch die zionistische Ideologie erfährt. Es eröffnet eine überzeugende alternative Sicht auf den Nahostkonflikt jenseits aller einseitigen Pro-Israel-Darstellungen. Es ist ein unbedingtes Muss für jeden, dessen Sicht auf diesen unendlichen Konflikt noch nicht völlig durch Propaganda benebelt ist.