Sonntag, 31. Januar 2010

„Nichts ist gut in Afghanistan“

Mit dieser harmlosen Feststellung hat die Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Margot Käßmann, in ihrer Neujahrspredigt die politische Elite und die Meinungsmacher in helle Aufregung versetzt. Ihre Worte waren nach über ächtjähriger Besetzung und Krieg in Afghanistan mehr als überfällig und stellen eine adäquate Zustandsbeschreibung dar, die durch die Afghanistan-Konferenz in London mehr als bestätigt worden ist. Seit mehr als acht Jahren führen die USA und ihre Nato-Verbündeten einen „illegalen Krieg“ gegen die Menschen in Afghanistan, wie Francis A. Boyle, Professor für Völkerrecht an der Universität von Illinios in Champaign, in seinen Buch „Tackling America´s Toughest Questions“ feststellt.

Auf der Afghanistan-Konferenz in London wurde zwar so getan, als ob die Militärallianz zu einem Verein von Sozialarbeitern mutiert wäre, nichtsdestotrotz wird der Krieg gegen die Taliban intensiviert und fortgesetzt. Das Regime von Hamid Karzai schrieb den Nato-Truppen gleichzeitig ins Stammbuch, dass es ungefähr 15 Jahre dauern kann, bis sie Afghanistan werden verlassen können. Daneben brauche er eine Milliarde US-Dollar, um Taliban durch ordentliche Gehaltszahlungen von ihrem Widerstand gegen seine illegitime Regierung abbringen zu können. Diese aufgewärmte Schnapsidee wurde auch schon einmal von einem früheren „Präsidenten“ Afghanistans unter sowjetischer Besetzung, Mohammed Najibullah, praktiziert. Anstatt über die „Illegalität“ der Besetzung Afghanistans durch den Westen zu reden, wurde die Eskalation des Konflikts durch eine Truppenaufstockung beschlossen. Parallel dazu sollen „Resozialisierungsprogramme“ für diejenigen gestartet werden, die „Nein“ zur Besetzung Afghanistans sagen, und dies ist der überwiegende Teil der Bevölkerung, die vom Karzai-Regime nicht profitieren. Welches Ziel verfolgen eigentlich die westlichen Truppen in Afghanistan? Diese Frage wurde bisher nie beantwortet. Wenn im Land eine einigermaßen funktionierende Demokratie aufgebaut werden soll, müssen die Truppen zirka weitere 500 Jahre dort stationiert bleiben, wollen sie, dass es so ist wie Somalia, können sie sofort abziehen. Oder dient das Land als Aufmarschgebiet gegen Russland, China oder den Iran, um deren geopolitischen Einfluss einzudämmen?

Alles begann offiziell mit 9/11. Die versammelten Politiker hätten über das zentrale Dilemma des Westens in London diskutieren müssen: Afghanistan hat die USA nicht angegriffen. Es gab also keinen Grund, warum dieses Land vom Westen in diese humanitäre Katastrophe gestürzt worden ist. Den Politikern sei Boyles Buch als Bettlektüre empfohlen. Ob sie es kennen lernen wollen, darf jedoch bezweifelt werden. Es würde ihre vom „war on terror“ getrübte Sichtweise zu sehr durcheinander bringen.

Die 9/11-Anschläge wurden von Kriminellen in den USA verübt. Keiner von ihnen war Afghane, 15 dagegen Saudis. Die monströse Tat hätte gemäß Völkerrecht und inneramerikanischem Recht geahndet werden können, so die Argumente Boyles. Auf völkerrechtlicher Ebene durch die „Montreal Sabotage Convention“ von 1971 wie im Lockerbie-Fall und durch die Durchsetzung der US-Strafgesetze, in denen eindeutig geregelt ist, was terroristische Akte sind. Auch die Terroranschläge in Kenia und Tansania wurden nach US-Strafrecht als terroristische Akte eingestuft. Beide Möglichkeiten wurden von der Bush-Administration ignoriert. Direkt nach dem Anschlag bezeichnete Bush dieses Verbrechen als einen „act of terrorism“, was es auch war. Nach Beratungen mit US-Außenminister Colin Powell nannte er das Verbrechen wenig später einen „act of war“, was es natürlich nicht war, da kein Land die USA angegriffen hatte. Darüber hinaus wurde die völlig unhistorische Parallele zu Pearl-Harbor gezogen. Alle völkerrechtlichen „Argumente“ oder die anderen abstrusen Rechtskonstruktionen dienten letztendlich als Vorwand, um Rache und Vergeltung für die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu üben, so der Völkerrechtsprofessor. Unter dem Schock von 9/11 habe der US-Kongress Bush wohl freie Hand unterhalb einer förmlichen „Kriegserklärung“ gegeben.

Obgleich bekannt war, dass die afghanische Regierung nichts mit dem Anschlag zu tun hatte, stand sie sofort im Fokus der USA. Die Taliban-Regierung wurde ultimativ aufgefordert, Osama bin Laden zwecks eines Prozesses an die USA auszuliefern. Dazu hätte es aber konkreter Beweise bedurft, die die US-Regierung nicht liefern konnte. Die afghanische Regierung war aber bereit, bin Laden an ein muslimisches Land auszuliefern und ihn auf der Basis der Scharia anklagen zu lassen. Dies wurde von Bush beiseite gewischt und die Taliban-Regierung nochmals ultimativ aufgefordert, bin Laden umgehend an die USA auszuliefern.

Auch der UN-Sicherheitsrat gab Bush kein grünes Licht für einen Angriff auf Afghanistan. Die Bush-Regierung wandte sich an den UN-Sicherheitsrat, um eine Legitimation für einen Angriff gegen das Land zu bekommen wie weiland Bush senior, als diesen der UN-Sicherheitsrat ermächtigte, Saddam Hussein aus Kuwait zu vertreiben. Bush junior wurde eine solche Resolution verweigert, weil keine Aggression Afghanistans vorlag. Auch der zweite Versuch, in dem sich die USA auf Artikel 51 der UN-Charta beriefen, der das Recht auf Selbstverteidigung regelt, scheiterte. Dieser Artikel kommt nur zum Tragen, wenn es einen Angriff eines Staates gibt und dadurch die Souveränität oder die Sicherheit des angegriffenen Staates gefährdet gewesen wäre. Dies war durch 9/11 jedoch nicht gegeben. Auch die „Beweise“, die der Sondergesandte Taylor den Sicherheitsrat vorgelegt hatte, überzeugten diesen nicht.

Was die USA dagegen bekamen, war eine deutlichere Sprache. Der Sicherheitsrat behielt sich in seiner Resolution 1368 „all necessary means“ vor. Von einer Blankovollmacht für einen militärischen Angriff war nicht die Rede. Auch in Resolution 1373 erhielten die USA keine UN-Legitimation für einen Angriff. Der Sicherheitsrat deutete an, dass das Problem vor US-Gerichte gehöre. Ebenso unzutreffend ist die Behauptung, es habe nach Nato-Vertrag Artikel 5 ein „Bündnisfall“ vorgelegen. Kein Nato-Land wurde durch Afghanistan angegriffen. Artikel 5 des Nato-Vertrages kommt aber auch nur zusammen mit Artikel 51 der UN-Charta zum Tragen, da friedenssichernde Maßnahmen allemal Vorrang vor kriegerischen Aktionen haben. Die USA und ihre 42 Verbündeten führen also Krieg gegen Afghanistan, ohne dazu von einem internationalen Gremium legitimiert worden zu sein, außer durch Selbstlegitimation, so Boyle. Dass die Nato den Bündnisfall beschlossen hat, ist der Tatsache geschuldet, dass die Mitglieder immer das tun, was die USA ihnen vorgibt. So wurde das Bündnis nach dem Verschwinden der Sowjetunion umfunktioniert in eine Allianz zur weltweiten Intervention und Kriegführung unter Führung der USA, obwohl es nach Nato-Vertrag als ein Verteidigungsbündnis zur Verhinderung eines Krieges in Europa geschaffen worden ist.

Der Westen hätte auf der Afghanistan-Konferenz ehrlich zu sich selber sein und sich eingestehen sollen, dass nach mehr als acht Jahren Krieg, das stärkste Militärbündnis der Welt gegenüber bewaffneten Aufständischen gescheitert ist wie weiland die Sowjetunion. Auch gilt es, sich Rechenschaft über die wirklichen Motive des Krieges abzulegen. Abgesehen davon, dass die USA den Angriff auf Afghanistan vermutlich schon vor 9/11 geplant hatten, geht es in diesem Krieg nicht um solch hehre Ziele wie Demokratie, Freiheit, Menschenrechte oder „westliche Werte“, wie der Westen vorgibt, sondern um Ölrouten und die Öl- und Gasvorräte Zentralasiens. Afghanistan als Transitland für ein Piplineprojekt ist da von überragender Bedeutung. Darüber hinaus spielen geopolitische Überlegungen eine zentrale Rolle. So wollen die USA den Einfluss Russlands und Chinas in Zentralasien zurückdrängen und das Land als zusätzliches Aufmarschgebiet gegenüber dem Iran nutzen. Die Ausdehnung des Krieges auf Pakistan trägt zur weiteren Destabilisierung der gesamten Region bei.

Dieser Krieg widerspricht nicht nur westlichen Interessen, sondern auch allen „westlichen Werten“, die in dieser unwirtlichen Gegend zur Disposition stehen sollen. Dass die Freiheit am Hindukusch verteidigt werden soll, ist zu einem „running gag“ politischer Rhetorik geworden. Haben wir nicht durch diesen Krieg gegen das afghanische Volk erst eine „Terrorgefahr“ geschaffen, die skrupellose Machtpolitiker uns eingeredet haben, und die sich jetzt als „self-fulfilling prophecy“ bestätigt? Spiegel online meldet am 30. Januar 2010, dass die Taliban nach eignen Angaben „keine Bedrohung für das Ausland darstellen und nur im Interesse der Afghanen kämpfen“. Zu den „Taliban“ kann jeder gerechnet werden, der „Nein“ zur Besetzung Afghanistans sagt, und dies ist die Mehrheit der Bevölkerung. Es scheint, als ob der Begriff „Taliban“ einer Chiffre für Widerstand gegen die Besetzung geworden ist. Die „Taliban“ entpuppen sich als Hydra; je mehr „der Westen“ tötet, desto mehr bekennen sich zu den „Taliban“.

Sich auf eine Regierung als Partner zu verlassen, der jegliche Legitimation fehlt, widerspricht „westlichen Werten“ und Interessen. Soldaten für Drogenbarone und eine bis auf die Knochen korrupte Regierung sterben zu lassen, ist zynisch, und dies will der Westen doch wohl nicht sein? Je länger der Westen die Karzai-Regierung unterstützt, desto unglaubwürdiger wird sein Einsatz für „westliche Werte“, deren Erwähnung in der muslimischen Welt nur noch ein verächtliches Lächeln hervorrufen. Diese Afghanistan-Konferenz hat wieder einmal eine Chance verpasst, über die wirklichen Motive des Westens zu reden. Aber dies dürfte nicht die letzte Konferenz dieser Art gewesen sein. Vielleicht geht es das nächste Mal realistischer zu, wenn die Existenz des westlichen Bündnisses zur Disposition steht. Für Boyle jedenfalls stellen „humanitäre Interventionen einen Vorwand für Aggressionen dar“.

Samstag, 30. Januar 2010

Tackling America´s Toughest Questions

Der Krieg gegen Afghanistan sei “illegal”. Humanitäre Interventionen dienten dem Westen als Vorwand für Aggressionen gegen die Völker des Südens. Die Öffentlichkeit müsse den neokonservativen „Kriegstreibern“ widerstehen, die die USA in ein weiteres militärisches Abenteuer gegen Iran treiben wollen. Diese und zahlreiche weitere kritische Forderungen erhebt der an der Universität von Illinios in Champaign lehrende Völkerrechter Francis A. Boyle in seinem neusten Buch.

Die Publikation enthält zahlreiche Interviews, die Boyle seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in alternativen Medien gegeben hat. Daneben gibt es weitere Beiträge, die sich mit der Politik von George W. Bush auseinandersetzen und dessen Politik als einen Anschlag auf die US-Verfassung, das Völkerrecht und die Weltordnung beschreiben. Die Beiträge und die Interviews machen deutlich, dass der Krieg gegen Afghanistan „illegal“ ist, von dem Überfall auf den Irak gar nicht zu sprechen, und dass dem hehren Ziel einer „humanitären Intervention“ in Wahrheit Aggressionen des Westens gegen die Völker des Südens zugrunde liegen, um sich deren Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas anzueignen. Ein „Markenzeichen“ der Clinton-Administration war „its manipulation of the doctrine of ´humanitarian intervention` and end of ´humanitarianism` in order to justify its illegal, aggressive, and imperialist interventions around the world”.

Der Autor spricht dem Westen ab, in Afghanistan Freiheit, Demokratie oder Menschenrechte durchsetzen zu wollen. Der wahre Grund liege in den Erdöl- und Ergasvorräten Zentralasiens sowie der Kontrolle der Piplines, die durch Afghanistan verlaufen. Hinzu kommen weitere geopolitische Überlegungen wie die Zurückdrängung des Einflusses Russlands und Chinas sowie des Irans. Die Destabilisierung Pakistans liege ebenfalls im westlichen geopolitischen Interesse, um es aus Afghanistan zurückzudrängen. „The destabilization and fragmentation of this nuclear-armed Muslim state was already part of the Bush jr. necoconservative agenda.”

Boyle gehörte zusammen mit Ramsey Clarke, einem früheren Justizminister unter US-Präsident John F. Kennedy, zu denjenigen, die Mitglieder des US-Kongresses davon überzeugen wollten, gegen Bush ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, was aber an den Demokraten gescheitert ist, weil sie fürchteten, ihrem Präsidentschaftskandidat John Kerry könnten dadurch Nachteile entstehen. Aus Boyles Äußerungen wird jedoch deutlich, dass die Demokraten im US-Kongress auch deshalb kein Interesse zeigten, weil sie Bushs „war on terror“ mit ganzem Herzen unterstützt haben.

Illusionslos hat er Barack H. Obama aufgrund seiner Aussagen und der Auswahl seiner Berater analysiert. Die irrationale Euphorie der Europäer konnte er nie nachvollziehen. Obamas Präsidentschaft entspreche eher einem dritten Term von Bill Clinton als etwas völlig Neuem. „You are not going to get change with Joe Biden.“ Die Ernüchterung über Obama scheint endlich auch in Europa angekommen zu sein. Für Europa dürfte die Einschätzung Boyles über sein Land etwas gewöhnungsbedürftig klingen: „The United States and its Nato Alliance consitutes the greatest collection of genocidal states ever assembled in the entire history of the world. (...) Humanity bears a ´responsibility to protect` the very future existence of the world from the United States and Nato.” Die politischen Eliten in Europa dürften wenig Interesse an dieser Sichtweise der Welt haben. Der Autor hält den Finger in die Wunde eines taumelnden Empires. Europa sollte sich dafür interessieren. Die Zukunft bleibt allemal spannend so wie der Inhalt dieses Buches.

Freitag, 1. Januar 2010

Die Globalisierung religiöser Gewalt

Warum kam es zu Beginn des 21. Jahrtausends zu einem Ausbruch religiös motivierter Gewalt? Dieser Frage geht Mark Juergensmeyer, Professor an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, nach. Anhand zahlreicher Fallstudien und Interviews, die der Autor mit Vertretern christlicher Milizen, Hamas, Hisbollah, im Irak und Iran sowie an fast allen Brennpunkten weltweit geführt hat, vertritt er die These, dass das Wiederaufblühen der religiösen Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts in weiten Teilen dem Verlust des Glaubens an den säkularen Nationalismus in einer zusehends globalisierten Welt geschuldet sei. Die Globalisierung habe diesen Trend zum Religiösen noch beschleunigt. Das westliche Konzept des Nationalstaates konnte in zahlreichen Ländern, in denen es religiös motivierte Aufstandsbewegungen gibt, keine Wurzeln schlagen.

Diese These Juergensmeyers ist in Teilen zu eindimensional und gilt natürlich nicht für alle Staaten. In Afrika gibt es einige so genannte „failed states“, aber keiner hat religiös motivierte Gewalt hervorgebracht. Selbst Somalia, das als ein klassisches Beispiel eines gescheiterten Staates angesehen werden kann, kämpfen verschiedene Clans unter dem Banner des Islam um die Zentralgewalt. Ob sie vom Islam inspiriert werden, lässt sich nicht eindeutig sagen. Auch für Iran trifft die These des Autors nicht in Gänze zu. Der Schah von Persien war ein autokratisch-diktatorischer Herrscher, der ganz bewusst einen Staat geschaffen hat, der sich auf eine tausendjährige persische Tradition berufen hat. Er scheiterte nicht nur, weil er eine US-amerikanische Marionette war, sondern auch, weil er die religiöse Tradition seines Landes mit Füßen getreten hat.

Für Mark Juergensmeyer haben die religiös motivierten Aufstandsbewegungen wenig mit Religion zu tun. Religion sei ein Surrogat für Nationalismus, um den Nationalstaat funktionsfähig zu halten. Die „Religiösen“ treten mit dem Anspruch auf, es besser machen zu wollen. Sie bemühen sich um eine innerdemokratische Legitimation. Aber liefert ihnen nicht gerade „der Westen“ mit der Praktizierung doppelter Standards einen Vorwand, um ihren anfangs verkündeten demokratischen Anspruch als Vehikel für ihren absoluten Herrschaftsanspruch zu missbrauchen?

Der Autor hat mit Vertretern solcher Aufstandbewegungen, die vom Westen verteufelt werden wie Hamas und Hisbollah, oder selbst mit Vertretern der Islamischen Republik Iran gesprochen. Genau hier fängt das eigentliche Problem des Westens an, der sich aus ideologischen Gründen des Dialogs mit diesen Bewegungen oder Staaten verweigert. Einige westliche Staaten sind nicht bereit, sich die Argumente der „Verdammten dieser Erde“ anzuhören. Dass dies ein Fehler ist, zeigt Juergensmeyer. Selbst diese „Verdammten“ haben überzeugendere Argumente für ihr Anliegen als „der Westen“. Dass jedes unterdrückte Volk ein Recht auf Widerstand hat, ist bekannt. Die besagte UN-Resolution ist eindeutig. Die christliche Soziallehre rechtfertigt sogar den „Tyrannenmord“ und den Widerstand gegen eine lang andauernde ungerechte Unterdrückungsherrschaft. Jedes unterdrückte und kolonisierte Volk hat also gute juristische und moral-ethische Argumente für den Widerstand gegen die Besetzung ihres Landes, sei es in Irak, Afghanistan, Palästina oder Tibet.

Für einen renommierten Wissenschaftler wie Juergensmeyer ist es unüblich, sich vor Ort ein Bild über die Motive der religiösen Aufstandsbewegungen zu machen. So hat er u. a. auch mit dem paralysierten Scheich Ahmed Yassin im Gaza-Streifen gesprochen, den Israel am 22. März 2004 durch eine Rakete - abgefeuert aus einem US-Made Apache-Kampfhubschrauber - aus seinem Rollstuhl gebombt hat. Scheich Yassin beschrieb seine islamische Widerstandsbewegung (Hamas) „als das Herz der palästinensischen Opposition“. Eine säkulare Befreiungsbewegung sei zutiefst irregeleitet, da „der Islam so etwas wie einen säkularen Staat nicht kennt“, so Yassin. Der Westen sollte wissen, dass „die Unterscheidung zwischen der PLO und der Hamas eine künstliche“ ist. Auf Abbas zu setzen, ist ebenso verfehlt wie auf Hamid Karzai oder Nuri al-Maliki, da allen die Legitimation ihrer Völker fehlt.

„Selbst in Iran ist die Macht des Klerus beschränkt.“ Der Westen spricht aber vereinfachend von einem „Mullah-Regime“. Die Vielfältigkeit des Landes fällt so ebenso unter den Tisch wie die Heterogenität der politischen Elite, was das ideologisch gefärbte Zerrbild als Selbsterfüllende Prophezeiung erscheinen lässt. Zeichnet vielleicht die westliche Politrhetorik bewusst ein Schwarzweißbild des Landes, um einen Angriff auf dessen Atomanlagen ihren Bevölkerungen leichter vermitteln zu können? Iran sei alles andere als eine Theokratie. Ebenso sei in anderen religiös motivierten Aufstandsbewegungen die Macht der Geistlichen stark begrenzt. Selbst al-Qaida werde von einem Ingenieur und einem Arzt geführt. Juergensmeyer weist darauf hin, dass die meisten Bewegungen des religiösen Aktivismus organisationsintern demokratische Verfahren etabliert haben. „Über die internen Organisationsstrukturen radikaler Bewegungen von Sri Lanka bis Algerien und von Palästina bis Montana wurde entweder durch breite Konsultation der Mitglieder oder durch Wahlen entschieden.“ Dieser innerdemokratische Prozess sagt aber wenig über die Garantie von Minderheitenrechten aus. Der Autor stellt fest, dass diese Sorge mehr als berechtigt ist.

Juergensmeyer hält die Militärisierung der Konflikte gegenüber religiös inspirierten Aufständischen für verfehlt. „Eine überzogene Reaktion der Regierung verschlimmert nur die Lage.“ Den USA und der Nato sollte Folgendes zu denken geben. In einem Interview äußerte ein Mullah in Bagdad: „Der Islam wird angegriffen.“ Die Präsenz der US-Amerikaner im Irak richte sich gegen die Religion seines Landes; man wolle kein säkulares politisches Regime nach amerikanischem Vorbild. Gilt dies nicht auch für Afghanistan, wo die Nato und die mit der Invasion gekommen Nicht-Regierungsorganisationen par tout den westlichen Lebensentwurf zur Regel machen wollen? Ein Abzug ist heute eher geboten als morgen, bevor die Niederlage noch demütigender ausfällt als bisher.

Die letzten Seiten des Buches sollten gründlich gelesen und bedacht werden, weil die Möglichkeit besteht, dass es zu einem Krieg zwischen Religion und Vernunft kommt. Äußerungen von Scharfmachern im Westen, den Iran selbst mit Atomwaffen anzugreifen, würde das Tor zur Hölle aufstoßen, die selbst die Befürworter solcher Szenarien verschlingen würde. Bedachtsamkeit, Langmut und die Tugend des Zuhörens und des Dialogs sind seitens des Westens gefragter als Kriegsgeschrei. Allen Scharfmachern und Kriegstreibern muss die rote Karte gezeigt werden.

Ein flüssig formuliertes Buch, das Anregungen gibt, wie man jenseits von militärischer Gewalt mit religiösem Nationalismus umgehen sollte. Als Fazit bleibt festzuhalten: Der Westen muss sich von seinem ideologisch bestimmt Konzept des Antiterrorkrieges verabschieden.

Dienstag, 29. Dezember 2009

Mensch bleiben

Genau vor einem Jahr, am 27. Dezember 2008, öffneten sich die „Pforten der Hölle“ für die Bewohner des Gaza-Streifens. Die viert stärkste Armee der Welt startete einen Angriff gegen eine wehrlose Bevölkerung, die darüber hinaus eingesperrte und gefangen gehalten - in dem größten „Freiluftgefängnis“ der Welt -, ihren Besatzern, den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF), wehrlos ausgeliefert war. Abgesehen von der menschlichen Tragödie - 1 400 Palästinenser, überwiegend Frauen und Kinder wurden getötet – und den massiven Zerstörungen, zeichnete sich die Weltöffentlichkeit durch Schweigen aus. Präsident-elect, Barack Hussein Obama, spielte Golf auf Hawai. Weder von ihm noch dem Noch-Präsidenten George W. Bush dem Jüngeren war etwas zu hören, das sich wie Kritik angehört haben könnte. Westliche Werte standen bei diesem Angriff nicht zur Disposition. Die Leidtragenden waren ja Palästinenser. Der Wall des Westens stemme sich gegen die Barbarei, wie einst Theodor Herzl Israels Rolle in dieser Region umschrieb. Oder sollte nur die „Villa im Dschungel“ verteidigt werden, wie vor Jahren Verteidigungsminister Ehud Barak Israel euphemistisch nannte? 14 israelische Soldaten verloren bei diesem Angriff ihr Leben, drei davon durch so genanntes “friendly fire“, das heißt, sie wurden von den eigenen Kameraden getötet.

Über dieses „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, wie es Richter Richard Goldstone aus Südafrika nannte, liegen Dokumentationen von Amnesty International, Human Rights Watch und den Vereinten Nationen vor. Besagter Richter Goldstone hat im Auftrag der Menschrechtskommission der UN den Bericht vorgelegt, an dessen Seriosität kein Zweifel besteht. Gleichwohl haben die USA, Israel und – man höre und staune- auch Deutschland in den Vereinten Nationen dagegen votiert. Dieses Votum ist ein Schlag ins Gesicht des Völkerrechts. Diese drei Dokumentationen reichen nicht im Entferntesten an den Augenzeugenbericht des italienischen Journalisten Vittorio Arrigoni heran.

Arrigoni, Journalist und Pazifist der Internationalen Solidaritätsbewegung (ISM), hat sich vor Ort nicht nur für das Überleben der Menschen eingesetzt, sondern auch für die italienische Zeitung „Il Manifesto“ berichtet. So erfuhr wenigstens die Weltöffentlichkeit etwas über das Grauen dieses Krieges. Die Bilder und Nachrichten, welche die israelischen Besatzungstruppen der Weltpresse zur Verfügung gestellt haben oder von dieser von einem Hügel und aus sicherer Entfernung übermittelt worden sind, erweckten eher den Eindruck eines „Feuerwerks“, das Schaulustigen „Urlaubern“ dargeboten worden ist.

„Wenn man die Waffengewalt besitzt und keine moralischen Skrupel vor der Ermordung von Zivilisten hat, entsteht die Situation, deren Zeugen wir nun in Gaza werden“, so Ilan Pappé, der wegen seiner Meinung zum Nahostkonflikt von seinem Lehrstuhl an der Universität Haifa gemobbt worden ist und nun in Großbritannien wieder frei lehren kann. Pappé macht die Ideologie des Zionismus für diese Untaten verantwortlich. „Wir müssen nicht nur der Welt, sondern auch den Israelis selbst erklären, dass der Zionismus eine Ideologie ist, die ethnische Säuberungen, Besetzungen und jetzt auch massive Tötungen beinhaltet.“

Ich erspare mir die Schilderung dieses 22-tägigen Grauens. Jeder Leser sollte es sich selber zumuten. Die Menschen im Gaza-Streifen wissen nur zu gut, wem sie ihr Elend zu verdanken haben. Für den Palästinenser namens Iyad sind es „amerikanische Bomben“, die die Handschrift von Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak tragen, der meint, mit Israel in Gaza um den „Hass“ der Menschen konkurrieren zu müssen. Ägypten beteiligt sich auch am Bau einer Stahlmauer entlang seiner Grenze zum Gaza-Streifen, damit auch noch die letzten „Transportwege“ geschlossen werden, welche das Überleben der Menschen sichern helfen.

Israel wollte mit diesem Angriff der Hamas den Garaus machen. Für den unbefangenen Beobachter nicht überraschend, konstatiert Arrigoni, dass dieser Angriff Hamas in keiner Weise geschadet, sondern ganz im Gegenteil, die Organisation an Rückhalt in der Bevölkerung gewonnen habe. Wer - wie der palästinensische Präsident Abbas - Verständnis für den Angriff der Israelis gegen sein eigenes Volk geäußert hat, darf nicht überrascht sein, dass die westliche Staatengemeinschaft, die ihn als Präsident umschwänzelt, in dieser Region auf verlorenem Posten steht.

Vor kurzem sind die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen verschoben worden. Die Mitglieder der deutschen Seite sollten das schmale Bändchen doch einmal zur Kenntnis nehmen, bevor sie sich in naher Zukunft mit ihren israelischen Kollegen an einen Tisch setzen. Vielleicht überlegt es sich der Eine oder die Andere. Falls zum Lesen keine Zeit bleibt, sei ein Ausspruch des amtierenden israelischen Außenministers in Erinnerung gerufen, der für das „Problem“ Gaza-Streifen das US-amerikanische Szenario von Hiroshima und Nagasaki empfohlen hat. Dass der Fall-Out an der Mauer von Gaza nicht Halt macht, sollte auch er wissen. „Mensch bleiben“, sollte den Reisenden zum Abschied und als geistige Wegzehrung mit auf den Weg gegeben werden. Die Rückseite des Covers ziert ein Satz, den ein israelischer Minister „anonym“ als Werbung für dieses erschütternde Buch geschrieben hat: „Wenn die enormen Zerstörungen im Gazastreifen bekannt werden, kann ich nicht mehr als Tourist nach Amsterdam gehen, sondern nur noch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag erscheinen.“ Wohl wahr!

Montag, 28. Dezember 2009

Barack Obama: The Nobel Peace Prize Warrior

Am 10. Dezember 2009 wurde dem US-amerikanischen Präsidenten Barack Hussein Obama in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Jedermann fragt sich, hat er ihn verdient? Die Antwort muss lauten: Nein! Schritt für Schritt kommt der wirkliche Obama zum Vorschein. Das „Faszinosum“ Obama mutierte innerhalb eines Jahres zum Friedensnobelpreiskrieger. Wie sich jetzt herausstellt, waren seine diverse Reden formvollendete PR-Shows. Obamas Wahlkampfauftritte sowie seine Ankara- und Kairo-Rede stehen in einem diametralen Gegensatz zu seinen jüngsten „Kriegsreden“ an der Militärakademie in West Point und Oslo. Dort sind die letzten Hüllen gefallen, die ihn fast zu einem Widergänger von Bush dem Jüngeren erscheinen lassen. Für seine Oslo-Rede bekam er tosenden Applaus von den „Bush-Kriegern“: Sie riefen: Welcome to the club!

Am 27. Oktober 2007 sagte Obama: "I will promise you this, that if we have not gotten our troops out by the time I am president, it is the first thing I will do. I will get our troops home. We will bring an end to this war. You can take that to the bank. " In seiner Rede in Oslo war von Truppenrückzug keine Rede mehr. Im Gegenteil: Dort bemühte Obama die „Lehre vom gerechten Krieg“, um die neokoloniale Expansion der USA als „gerecht“ erscheinen zu lassen. Nach dieser Antikriegslehre liegt die Beweislast bei demjenigen, der einen Krieg anzetteln will. Trifft auch nur eine Bedingung nicht zu, ist der Krieg unmoralisch. Gemäß der „Lehre vom gerechten Krieg“ ist nur die Verteidigung gegen einen Angriff statthaft. Schon bei diesem Punkt fällt Obamas Rechtfertigung für die Eskalation des Krieges in Afghanistan durch, wenn er in alter Bush-Manier behauptet, „to defend ourselves and all nations from further attacks". Die USA wurden aber von keinem Land angegriffen. Die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 waren ein monströses Verbrechen von „religiös“ motivierten Kriminellen. Sie wurden von der Bush-Administration dazu missbraucht, die US-amerikanische Hegemonie auf den Mittleren Osten und Zentralasien auszudehnen, um eine geopolitische Neuordnung im Sinne der USA zu bewerkstelligen.

Obama wandelt schon nach seinem ersten Jahr als US-Präsident auf den verhängnisvollen Spuren seines Vorgängers. Dieser Weg dürfte seine Präsidentschaft direkt in den Abgrund führen. Das Chaos im Irak und Afghanistan scheint der Obama-Regierung noch nicht groß genug, da tragen die USA durch ihre Drohnen-Angriffe auf vermeintliche Terroristen zur weiteren Destabilisierung des pakistanischen Regimes von Präsident Asif Ali Zardari bei, dessen Legitimation gegen Null tendiert. Diese Angriffe werden in Pakistan von der Öffentlichkeit heftig kritisiert, weil dadurch nicht nur überwiegend Zivilisten ums Leben kommen, sondern weil sie scheinbar auch mit stillschweigender Zustimmung der Regierung erfolgen. Dieser Verdacht wird immer wieder in der pakistanischen Presse geäußert.

Unter weiteren Handlungsdruck wird die Obama-Administration durch Drohungen der israelischen Regierung gesetzt, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Obama sollte diesen politisch motivierten Druck ignorieren, da auf Jahre hinaus kein akuter Handlungsbedarf in Sachen atomare Bedrohung durch den Iran besteht. Die Berichte der US-amerikanischen Geheimdienste und der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien sehen keinerlei Anzeichen, dass Iran im Geheimen an einer Atombombe bastelt. Die gegenteiligen „Erkenntnisse“ zweier weiterer Geheimdienste sind ideologischer Verblendung geschuldet. Wie es denn der iranischen Führung und der herrschenden Geistlichkeit wohl eher darum geht, von der internationalen Staatengemeinschaft respektvoll behandelt zu werden. Einigen Politikern im Westen scheint immer noch nicht klar zu sein, dass die Völker, die wir gemeinhin unter „Dritter Welt“ subsumieren, nicht mehr Untergebene oder Befehlsempfänger des „Weißen Mannes“ sein wollen.

Kein anderer als Frantz Fanon hat in seinem Buch „Black skin white masks“ dieses Phänomen in entwaffnender Klarheit beschrieben. Das Erste, das der „black man“ sagen muss, ist „No“. (Fanon bezeichnet alle „non-whites“ als „black“.) “No to degrading treatment. No to exploitation of man. No to the butchery of what is most human in man: freedom. No to those who attempt to define him.” Wenn „der Westen“ überhaupt noch einen Fuß in dieser Region auf die Erde bekommen will, dann muss er seine arrogant-koloniale und anmaßende Haltung gegenüber den Politikern und den Menschen dieser Länder ablegen. Sie brauchen keinerlei Belehrungen, wie sie ihre Staaten am besten regieren sollen. Dies trifft insbesondere auf Afghanistan zu, wo ein Viertel der Staatengemeinschaft den Afghanen eintrichtern will, wie westliche Demokratie funktioniert und was westliche Werte bedeuten. Mit dieser Methode befindet sich „der Westen“ schon seit fast neun Jahren auf dem Holzweg.

Was sollte Obama tun, um seinem Anspruch als Friedensnobelpreisträger gerecht zu werden und seine Präsidentschaft noch zu retten? Vier Maßnahmen sind dafür u. a. erforderlich:

Erstens sollte er George W. Bush, seinen Vizepräsidenten Dick Cheney und deren Kumpane anklagen, weil sie die Vereinigten Staaten aufgrund getürkter Fakten in Kriege geführt, die zu fast 6 000 toten US-Soldaten und zehntausenden Schwerstverletzen, Verstümmelten und Traumatisierten geführt haben; und dies alles für eine verblendete imperiale Ideologie. Von den Millionen Toten und Vertriebenen in Irak und Afghanistan sowie den Zerstörungen in den Ländern gar nicht zu reden.

Zweitens hätte Obama keine weiteren Truppen nach Afghanistan entsenden, sondern eine Exit-Strategie mit den anderen Besatzungstruppen vereinbaren sollen. Durch die Entsendung weiterer Truppen werden die Soldaten noch verwundbarer, da sie als zusätzliche Anschlagziele gelten. Ebenso unverantwortlich ist es, Soldaten für ein Regime sterben und kämpfen zu lassen, das gerade die Wahlen massiv gefälscht hat und das korrupt bis auf die Knochen ist. Kaum ein Afghane will für die Regierung von Hamid Karzai kämpfen, da sie über keinerlei Legitimation verfügt. Der Spruch, die Freiheit des Westens werde am Hindukusch verteidigt, zeugt nicht von politischer Weitsicht. Die Afghanen bedrohen nicht den Westen. Die Bedrohung für den Westen kommt durch die fast neunjährige Okkupation des Landes. Erinnern wir uns: Demokratie und Freiheit wurde auch schon einmal in Vietnam verteidigt. Die anderen hehren Ziele, für die sich der Westen dort einsetzt, sind vorgeschoben. Im Irak und am Hindukusch kämpft man um geopolitische Vorteile und Einflusssphären. Im Irak geht um die Kontrolle der Ölfelder und die weitere Einkreisung des Iran. In Afghanistan will das US-Imperium zusammen mit der Nato primär Chinas Einfluss, aber auch Russlands Interessen eindämmen. Ebenso soll dort der pakistanische Einfluss geschwächt und der Indiens gestärkt werden. Die Interessen der Menschen dieser Länder werden von den neokolonialen Mächten des Westens wie weiland im 19. und 20. Jahrhundert nicht geachtet.

Drittens betrachtet der Westen den Widerstand in Irak und Afghanistan als Terrorismus. Mark Juergensmeyer zitiert in seinem Buch „Die Globalisierung religiöser Gewalt“ einen Mullah im Irak. Seine Wahrnehmung des westlichen Eindringens in den Irak sollte den Politikern zu denken geben: „Der Islam wird angegriffen“, so ein weit verbreitetes Gefühl innerhalb der islamischen Welt. Obgleich selbst Bush behauptet hat, keinen Krieg gegen „den Islam“ zu führen, sehen es die Menschen im Irak, Afghanistan und der muslimischen Welt anders. Viele wehren sich überhaupt gegen den Aufbau eines säkularen Regimes in ihren Ländern. Auf welches Recht berufen sich westliche Politiker, wenn sie meinen, das Westminstermodell müsse unbedingt am Hindukusch oder im Irak eingeführt werden? Auch die Nicht-Regierungsorganisationen sollten ihre Nation-building-Strategie überdenken. Auch sie sind nicht frei von westlich-arroganter Hybris.

Viertens sollte Obama massiv auf die Beendigung der 42-jährigen Besetzung palästinensischen Landes durch Israel drängen. Seit dem Junikrieg von 1967 haben die diversen israelischen Regierungen die Menschenrechte der Palästinenser verletzt und gegen das Völkerrecht verstoßen. Unter dem Vorwand der „Sicherheit“ und der „Terrorbekämpfung“ haben die israelischen Regierungen großes Unheil über die Palästinenser gebracht. Insbesondere unter der Regierung von Ariel Sharon wurde die Autonomiebehörde zerschlagen und die Infrastruktur dieser Scheinregierung völlig zerstört. Symbolisch für diese Zerstörungswut stand der völlig demolierte „Regierungssitz“ von „Präsident“ Yassir Arafat, die Mukata. Der PLO-Chef hauste von der Weltpresse beobachtet in den Ruinen wie ein Clochard, bis man ihn todkrank nach Paris ausflog. Die letzte Attacke gegen das palästinensische Volk im Gaza-Streifen ereignete sich vom 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009. Bei diesem Angriff gegen ein eingeschlossenes und wehrloses Volk kamen über 1 400 Menschen ums Leben, mehrheitlich Frauen und Kinder. Israel verlor bei diesem Angriff 14 Soldaten, drei davon durch so genanntes „friendly fire“, das heißt, sie wurden von den eigenen Soldaten erschossen. Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und der im Auftrag der Vereinten Nationen erstellte Goldstone-Bericht legen eindeutig Zeugnis von massiven Verstößen gegen Menschen- und Völkerrecht ab, die Richard Goldstone als „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet hat. Für Israel stellen Arafat, Mahmoud Abbas oder die Hamas „Hindernisse zum Frieden“ dar. Das wirkliche Hindernis auf dem Weg zu einem Frieden ist aber die 42-jährige israelische Besatzungsherrschaft über ein anderes Volk und die Intransingenz der jeweiligen Regierung. Sie gilt es zu beenden, damit würde sich der palästinensische Widerstand in Luft auflösen. Solange der Nahostkonflikt nicht gelöst ist, bleiben die USA im Nahen Osten unglaubwürdig, weil sie als Partei Israels wahrgenommen werden.

Obama hat zwar vollmundig erklärt, Israel müsse einen totalen Siedlungsstopp für die besetzten Gebiete verkünden, aber Ministerpräsident Benyamin Netanyahu hat Obama politisch ausgebremst, indem er ihm einen zehnmonatigen „Baustopp“ aufs Auge gedrückt hat. Gleichzeitig hat sein Außenminister Avigdor Lieberman verkündet, dass weiter gebaut werde, wie die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete. Ebenfalls meldete diese Zeitung am 17. Dezember 2009, dass Obama erklärt habe, die USA könnten Israel nicht „unbegrenzt“ von einem Angriff auf den Iran abhalten. Hatte nicht schon Obamas Vize-Präsident Joseph Biden vor Monaten erklärt, Israel sei ein souveräner Staat, dem man nicht vorschreiben könne, was für seine Sicherheit notwendig sei?

Die US-amerikanische Außenpolitik unter Obama hat die Hoffnungen vieler enttäuscht. Obama ist nicht der „Heilsbringer“, den sich manche gewünscht haben, sondern der US-Präsident, der meint, im nationalen amerikanischen Interesse zu handeln. Dass er sich dabei nur in Nuancen von seinem ungeliebten Vorgänger unterscheidet, ist nur für die Utopisten enttäuschend. Damit muss die Staatengemeinschaft sich abfinden und die Zukunft seiner Präsidentschaft in die Hände des US-amerikanischen Souveräns legen.

Dienstag, 1. Dezember 2009

Obama´s Presidency: A One Term Show?

On December 10, 2009, President Barack Hussein Obama will be awarded the Nobel Peace Prize in Oslo. The award was premature, and for Obama it will be a heavy burden. That is why it would have classy to turn it down.

Obama delivered many elegant speeches that gave rise to high expectations. But all his nice talk led to nothing. The discrepancy between his words and his deeds caused frustrations around the globe. In terms of foreign policy, his presidency has thus far remained empty rhetoric. After his speeches in Ankara and Cairo, the Muslim world expected some concrete results and a change of policy in the Middle East and Central Asia. So far, the results are elusive. The U. S. is still fighting its illegal war in Iraq and the so-called “war on terror” in Afghanistan. In Afghanistan the situation is catastrophic, and in Iraq the conditions are horrible. In Afghanistan, the Taliban are in control of 80 percent oft the country, and Iraq has been totally devasted by the “coalition of the willing”. All the talk about the success of the surge in Iraq is just spin. There are attacks by the Iraqis every day, and the control of the Iraqi government does not reach beyond the so-called green zone. In fact, both countries are run by American puppets. Without Western occupying forces both governments would be overthrown within weeks, and the indigenous peoples would settle their differences their own way, like many opposition leaders in Iraq have said.

In addition to this mess, the U. S. does everything to destabilize Pakistan by attacking alleged terrorists and civilians within Pakistan by drones, remotely controlled from military installations in Nevada. Iran is under permanent military threat by Israel. The fear that Israel might pre-emptively attack Iran creates pressure on Obama to allow an attack on the Islamic Republic. But the American President is still reluctant; he tries to buy time. Neoconservatives and “Israel-firsters” are calling for “crippling sanctions” against Iran, but they prefer a military attack as soon as possible. What the U.S. and other Western countries apparently fail to understand, is their need to stop their colonial, arrogant and presumptuous attitude towards that country. The Islamic Republic wants to be treated respectfully as an equal member of the international community. In his book “black skin, white masks” Frantz Fanon described with great lucidity the need of people in the “Third World” to be treated as equals. The first thing a “black” man should say is “no”. (Fanon uses the term “black” for all non-white people.) “No to degrading treatment. No to exploitation of man. No to the butchery of what is most human in man: freedom. No to those who attempt to define him.” Obama should be able to understand what Fanon meant. Even if he wanted to change the course of events he can´t do it. He is a “prisoner” of the American system.

George W. Bush´s “vision” of a “Greater Middle East” through military force has led the U. S. into a quagmire which at the end can bring down the American Empire. The Bush Jr. presidency was the worst the United States had ever had. Bush’s conclusions of 9/11 were bug-ridden because his administration was driven by a simplistic ideology: “Either you are with us, or you are with the terrorists.” Bush erred when he declared that the Muslim people hated America for its values and their way of living. They do not hate the U.S., but they hate the occupation of their countries, may it be in Iraq, Afghanistan or Palestine. Maybe Obama should read Frantz Fanon’s “The Wretched of the Earth” in which he describes the social psychology engendered by colonialism. For his predecessor such a book would be too difficult to digest. After almost nine years of war in Afghanistan there is no light at the end of the tunnel. Obama should get rid of this ominous legacy at once. This requires four steps:

Firstly, the Obama administration must work off the eight Bush years and put him, Dick Cheney, and most of their cronies in the dock, because they have led the U. S. into two disasterous neocolonial wars on the basis of bogus evidence. They are responsible for the death of over 6,000 American service men and women and of tens of thousends seriously injured, maimed and traumatized soldiers. Not to speak of the millions of Iraqis who lost their lives and whoses existence were ruined.

Secondly, Obama should not allocate 30,000 or more troops to Afghanistan, but rather formulate an exit strategy for this country and Iraq. Sending more troops to Afghanistan, to a country whose so-called President just forged the last election, would be irresponsible. Why should Western soldiers die for such a government which lacks legitimacy and is corrupt to the bone? To claim that the West is defending its freedom on the Hindu Kush is unconvincing: There must be other reasons for its presence in that region. All the talk about building democracy, freedom of speech, fighting the drug warlords and securing women´s rights is spurious. The real reasons are geopolitical. Western involvement in the region is inspired by old imperialistic goals, including the geopolitical control of Central Asia, goals that disregard the rights and wishes of the people of these countrries.

Thirdly, the West views the resistance in Iraq and Afghanistan as terrorism. Mark Juergensmeyer in his book “Global Rebellion. Religous Challenges to the Secular State, from Christian Militias to al Qaeda” quotes religious people who attribute to religion the strong resistance of indigenous people to foreign occupation. “Islam is under attack”, says a mullah in Bagdad. George W. Bush has claimed that the U.S. does not fight “Islam” but the people of Iraq and Afghanistan view it differently. Besides “that Islam is under attack”, they also resist a secular regime for their countries. Such a justification of leading figures in both countries should cause the West and nongovernmental organizations (NGO) to reconsider their nation-building strategy.

Fourthly, the Obama administration should get tougher on Israel regarding the end of the occupation. The Jewish state has been systematically violating human rights and international law with the approval of the United States since it occupied Palestinian territory in the Six-Day War of June 1967. The mess the various Israeli governments have created in the Occupied Palestinian Territories (OPT) and the misery they inflicted on the real owners of the land did not elicit U.S. censure. Contrary to all so-called Western values, Israel attacks once in a while the OPT, as it did in 2001 when Ariel Sharon was elected Prime Minister in order to fight terrorism, as the Israeli politicians say. The Israeli Defense Forces (IDF) not only destroyed the complete infrastructure of the Palestinian Authority but also demolished all the ministries, including their equipment. The latest attack – on the Gaza Strip - happend just before Obama took office. It lasted from December 27, 2008 to January 18, 2009. It pitted the fourth strongest army in the world against a helpless population and killed more than 1,400 people, most of them women and children; Israel lost 14 soldiers, four of them by friendly fire. The reports by human rights organizations, such as Amnesty International, Human Rights Watch, and the U.N. Goldstone Report, document the horrific onslaught by the Israeli military. For the State of Israel, Yassir Arafat, Mahmoud Abbas and Hamas were and continue to be “obstacles to peace”. The real obstacle to peace is, in fact, Israel’s 42-year-old occupation. It has to be terminated, and the source of Palestinian resistance will vanish. As long as the conflict between Israel and the Palestinians remains unresoved, U.S. policy in the Near and Middle East will get nowhere.

Obama understood from the outset that the “settlements” in the OPT were the main obstacle to peace. Thus he started out, by calling forcefully for a total freeze of Israel`s colonial and illegal settlement projects in the OPT. But the Israeli government was not impressed. Prime Minister Benyamin Netanyahu gave Obama the cold shoulder. Secretary of State Hillary Clinton, on the other hand, praised at her last visit to the region Netanyahu´s offer of a limited settlement growth before beginning negotiations as “unprecedented”. In fact, Netanyahu's so-called "restraint package" was so minimalist that it kept his coalition partners happy. From Israel, Clinton flew to Marrakesh where she met with Arab foreign ministers who criticized her statement as “taking sides with Israel”. Morocco was the final stop of a charm offensive which Clinton launched across the Muslim world, starting in Pakistan. When Netanyahu announced his cabinet´s decision as a “far-reaching and painful step (...) to suspend new construction in Judea and Samaria” - the names used by the Right and the nationalists for the occupied West Bank - Secretary of State Clinton reacted immediately with a statement formulating the goal of the negotiations: The establishment of an “independent and viable state based on the 1967 lines". This could have been called a revolutionary statement because never before had a US government used such a language, when Netanyahu´s intention would not have been too timid. His “peace”-offer aimed not at the Palestinians but rather at the Obama administration.

Obama promised an American change. “Yes, we can”, was his slogan on the base of which he was elected. So far, he has disappointed everybody. Instead of getting tough on his predecessor and his cronies, he has followed their disastrous path in Iraq, Afghanistan, and the Middle East. He even went further than Bush by permitting regular attacks on Pakistan and entertaining threats of attacks on Iran. He is under enormous pressure from the Neocons, the “Israel-firsters”, Christian fundamentalists and the Israeli government which threatens to attack Iran itself if the Americans won´t do it.

So far, his foreign policy is a disappointment for the progressives around the world and hardly any different from his predecessor´s. If Obama does not watch out and make a U-turn in his approach towards these countries, the American Empire may topple: Either its soldiers will be worn down morally, or the financial burden will be too heavy to bear any longer. To transport a gallon of gasoline to Afghanistan costs 400 U.S. Dollars. Not to speak of the billions of US-dollars which are wasted in Iraq and Afghanistan. Perhaps, at the end of his first term Obama will either share the fate of Jimmy Carter or he will end up disenchanted, like Lyndon B. Johnson.

This article was first published in The Palestine Chronicle.

Montag, 30. November 2009

Die Wertordnung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstand sich nie als Verfassung im klassischen Sinne, aber es (das Grundgesetz) ist das beste und beständigste Verfassungsdokument, das sich die Vertreter des deutschen Volkes jemals gegeben haben. Es hat sowohl die Schwächen der Weimarer Reichsverfassung beseitigt, als auch die Konsequenzen aus der Abartigkeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gezogen. Die Debatte um eine neue Verfassung stand noch einmal auf der politischen Agenda, als sich der Auftrag des Grundgesetzes erfüllte: die Wiedervereinigung Deutschlands. Von Zeit zu Zeit brandet die Diskussion um eine neue „Verfassung“ immer wieder auf. Für eine solche Neuschöpfung bedarf es keiner Eile, da auch das wiedervereinigte Deutschland mit dem Grundgesetz gut gefahren ist.

Das Grundgesetz ist eine im westlichen Kulturkreis tief verwurzelte Verfassung. Seine Bedeutung kann nur erfasst werden, „wenn es in seiner instrumentalen Funktion zur Realisierung zugrunde liegender Werte begriffen wird“. Sie bilden das innere Band, das die Verfassung zusammenhält und sind für den Erfolg des Grundgesetzes mitverantwortlich. Diese Werte scheinen dem Verfassungsgeber so wichtig gewesen zu sein, dass er sie in diesem „Normengebäude“ verankert hat.

Joachim Detjen lehrt Politische Wissenschaft und Politische Bildung an der Katholischen Universität in Eichstätt und gehört zu den Vertretern einer normativ ausgerichteten politischen Wissenschaft. Gesellschaftlich galten und gelten Werte und Normen immer noch als antiquiert. Umso mutiger und überzeugender wirkt das Buch des Autors, der sich nicht scheut, deutlich die Wertgebundenheit des Grundgesetzes zu betonen, sondern auch ihre Verwurzelung im Naturrecht hervorzuheben. Seine These, dass die Werte den Erfolg des Grundgesetzes mit bewirkt haben, sollte den politisch Verantwortlichen zu denken geben, die den „Königsweg“ in einer Hip-Hop- und Eventkultur sowie in der virtuellen Welt des Internets zu sehen scheinen. Er könnte sich ebenso als Fata Morgana erweisen wie weiland die „New Economy“.

Um welche „antiquierten“ Werte handelt es sich, die das Grundgesetz zum Erfolgsmodell gemacht haben? In sieben Kapitel breitet der Autor einen Wertekanon aus, der als permanenter Auftrag der staatlichen Bildung vorgegeben sein sollte. Detjen unterscheidet „Verfassungslegitimierende Werte“, „Lebenswelt-, gesellschafts- und politikprägende Werte“, „Staatliche Ordnungswerte“ und „Politische Zielwerte“. Zu ersteren gehören Menschenwürde, Leben, Innere Sicherheit, Individuelle Freiheit, Rechtsstaatliche Gleichheit, Soziale Gerechtigkeit, Volkssouveränität und Demokratie. Zur zweiten Kategorie zählen u. a. Privatsphäre, Ehe und Familie, Pluralismus, Politische Partizipation. Der dritte Wertekanon umfasst u. a. gemäßigte, begrenzte und verantwortliche Herrschaft, Rechtssicherheit und Wehrhafte Ordnung. Zu den „Politischen Zielwerten“ zählen Gemeinwohl, Frieden und Umwelt.

In einem abschließenden Kapitel stellt der Autor fest, dass das Grundgesetz keine „fugenlose Einheit“ bilde, weil es ein Dokument „politischer Kompromisse“ sei. Es habe jedoch keine „unvereinbaren Grundrechte“ aufgenommen. Dies zeige, dass es mehr als andere Verfassungen „juristisch durchdacht“ sei. Ein besonderes Spannungsverhältnis bestehe zwischen „innerer Sicherheit“ und „individueller Freiheit“. Glücklicherweise hat sich das Bundesverfassungsgericht eindeutig auf die Seite letzterer geschlagen.

Neben dem 2007 erschienen Standardwerk „Politische Bildung“ hat der Autor mit dieser fundierten Monographie eine weitere Bresche für eine wertorientierte politische Bildung geschlagen. Beide Bücher sollten zum dauerhaften Standardangebot aller politischen Einrichtungen gehören.