Dienstag, 29. November 2011

Der Taliban-Komplex

Als von zehn Jahres auf dem Bonner Petersberg die erste Afghanistan-Konferenz stattfand, waren die Veranstalter mit ihren handverlesenen afghanischen „Partnern“ noch voller Euphorie, was die demokratische Zukunft des Landes betraf. Nachdem die USA die Regierung der Taliban und ihrem „Islamischen Emirat Afghanistan“ nach einigen Wochen Dauerbombardement samt Al-Qaida-Terroristen ein Ende bereitet hatten, schickte sich der Westen an, ein neues Protektorat zu errichten, in dem Frieden, Demokratie, die Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Frauenrechte garantiert sein sollten.

Wenn man sich in illusterer Runde nach zehn Jahren am 5. Dezember 2011 wieder an altbekanntem Ort auf dem Petersberg zum Stelldichein trifft, dürfte auch dem letzten Teilnehmer klar sein, dass nichts von den proklamierten Zielen auch nur im Entferntesten erreicht worden ist. Die westlichen Besatzungstruppen samt ihrem Söldnerheer und den Tausenden von NGO-Mitarbeitern sollten ihr Scheitern eingestehen. Weder wird am Hindukusch die Freiheit Deutschlands verteidigt, noch das Westminister-Modell einer Demokratie eingeführt. Milliarden von US-Dollar und Euros haben sich in den Bergen und Tälern Afghanistans regelrecht verflüchtigt. Auf dieser zweiten Petersberger-Konferenz kann es nur um einen schnellen Abzug des Westens gehen, wenn dieser auch noch „in Würde“ zu bewerkstelligen ist, umso besser für die Psychohygiene des Westens.

Nach zehn Jahren Krieg sind die Taliban überall. „Taliban“ ist zu einer Chiffre für Widerstand gegen die westliche Besatzung geworden. Folglich sind alle diejenigen Afghanen „Taliban“, die nicht von dem Besatzungsregime profitieren. Diese Tatsache wird immer noch nicht von den westlichen Medien wahrgenommen. Sie hantieren mit Begriffen, die der Asservatenkammer der politischen Propaganda entstammen. „Gotteskrieger“, „fanatische“ und „archaische Krieger“, die das Land ins Mittelalter zurückführen wollen. Jede Gräueltat sei ihnen Recht, die zur Errichtung ihres „Gottesstaates“ führe. In der Wirklichkeit sind es die westlichen Besatzungstruppen und das von ihnen ausgehaltene Söldnerheer, die neben den Widerstandskämpfern überwiegend Zivilisten töten. Als besonders verwerflich gilt in den Augen der Menschen der Drohnenkrieg des US-Friedensnobelpreisträgers Barack Obama.

Der Westen scheint nicht mehr genau zu wissen, gegen wen oder um was er eigentlich kämpft. Das vorliegende Buch von Conrad Schetter, Privatdozent am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, und Jörgen Klußmann, Studienleiter der Evangelischen Akademie im Rheinland, hat Autoren/innen versammelt, die eine realistische Bestandsaufnahme des Taliban-Komplexes vorgelegt haben. Den Mitgliedern der Afghanistan-Konferenz kann es nur empfohlen werden.

Für die westlichen Besatzungstruppen waren die Taliban der Inbegriff der Intoleranz, sie verachteten alle Werte, für die der Westen steht. Die Kenntnisse über die „Neo-Taliban“ und ihren national-islamischen Politikansatz haben sich noch nicht im Denken der westlichen Militärs durchsetzen können. Zu diffus ist das Netzwerk, das mit „Taliban“ nur sehr unzureichend beschrieben wird.

Auf drei Themenfelder konzentrieren sich die Buchbeiträge: Wer sind die Taliban? Die Rolle der Taliban sowie der militärische Einsatz. Die Autoren/innen trauen der Nato nicht zu, das Blatt militärisch noch wenden zu können. Obgleich haushoch überlegen, steigt die Zahl gefallener Soldaten, von den zivilen Toten gar nicht zu sprechen. Deren Zahl steigt permanent, was die sowieso geringe Legitimität der Karzai-Regierung weiter untergräbt. Obgleich die westlichen Truppen viele Taliban-Kämpfer töten, scheint deren Zahl weiter zuzunehmen; Schätzungen bewegen sich um die 35 000 Kämpfer. Über deren Motive, Motivation bzw. Ideologie gehen die Meinungen auseinander, wie der Beitrag über die ideologischen Facetten der Taliban zeigt.

In ihrer nüchternen Analyse konstatieren die Autoren/innen, dass die Taliban auf allen Gebieten professioneller geworden sind, insbesondere in der Anwendung neuster Kommunikationstechnologien. Die Grenzen Afghanistans sind umstritten, die Kriegsfürsten haben die Herrschaft über Afghanistan unter sich aufgeteilt, und im Grenzgebiet herrscht eine Auseinandersetzung zwischen Stamm und Staat, schreibt Conrad Schetter. Zahlreiche Konfliktfelder überlagern sich in Afghanistan. Da ist die Rolle Pakistans, Indiens, Irans und anderer Akteure. Ein undurchsichtiges Netzwerk von Kriegsfürsten teilt sich das Drogengeschäft; sie alle verfolgen ihre eigene Agenda. Schetter und Klußmann befürchten, dass der US-Drohnenkrieg einen Vorgeschmack auf die Kriege der Zukunft gibt und dazu führen könnte, dass weiteren Gesellschaften eine „Talibanisierung“ drohen könnte.

Die Aussichten für den Westen sind in Afghanistan nicht rosig. Ökonomisch lässt sich das Abenteuer keine weiteren zehn Jahre durchhalten. Allein die USA zahlen pro Monat in Afghanistan sieben Milliarden US-Dollar. Ohne eine Einbeziehung der „Taliban“ in Verhandlungen, die zum vollständigen Abzug der Nato-Truppen führen müssen, wird es kein Ende des Konfliktes geben. Wie sagen die Taliban: „Der Westen hat die Uhren, wir haben die Zeit.“ Was aus der afghanischen „Zivilgesellschaft“ wird, bleibt unklar. Sie ist noch zu schwach entwickelt, als dass Teile dieser neuen politischen Elite das Karzai-Regime ersetzen könnten.

Das Buch liefert eine sehr differenzierte, nüchterne und realistische Bestandsaufnahme des westlichen Afghanistan-Abenteuers. Einen Königsweg aus der Schlamassel bietet es nicht. Was es jedoch deutlich macht, ist das Ende westlicher Träumereien von Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte für die Völker Afghanistans. Der "Patient Afghanistan" ist im Verlauf der Operation gestorben. Darüber sollte auch auf der bevorstehenden Afghanistan-Konferenz in Bonn gesprochen werden. Das Buch hebt sich wohltuend von den in den Medien verbreiteten Klischees über das Land und dessen Bewohner ab.

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Montag, 28. November 2011

AI-Bericht: Troubled Waters - Wassernöte

Der Zugang zu angemessenem und sauberem Wasser ist ein Menschenrecht. Dieses Recht wird den Palästinensern in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten (OPT=Occupied Palestinian Territories) durch diskriminierende Maßnahmen seitens der Besatzungsmacht verwehrt. Der Zugang zu Wasserressourcen für Palästinenser in den OPT wird von Israel kontrolliert und auf ein Maß beschränkt, das weder deren Bedürfnisse zu decken vermag, noch einen fairen und gleichberechtigten Anteil an den gemeinsamen Wasservorkommen darstellt.

Den Palästinensern stehen rund 70 Liter Wasser pro Kopf am Tag zur Verfügung, einem Israeli dagegen etwa 300 Liter. Zirka 200 000 Palästinenser in den ländlichen Gemeinden der Westbank haben keinen Zugang zu fließendem Wasser. Einigen stehen nur 20 Liter pro Tag zur Verfügung. Selbst in denjenigen Städten oder Dörfern, die an das Wassernetz angeschlossen sind, bleiben die Wasserhähne oft trocken – manchmal über Wochen oder sogar Monate.

Die Ungleichbehandlung beim Zugang zu Wasser zwischen Israelis und Palästinensern ist eklatant. Israel verbraucht rund 80 Prozent der Wasservorräte des Berg-Aquifers, der einzigen Grundwasserquelle in der Westbank, dazu noch das gesamte verfügbare Oberflächenwasser des Jordanflusses, von dem den Palästinensern überhaupt nichts zugestanden wird.

Im Gaza-Streifen herrscht gravierende Wassernot. Darüber hinaus sind 90 – 95 Prozent des Wassers verschmutz, weil durch Überverbrauch Abwasser und Meerwasser in die Grundwasserschichten einsickern. Für den menschlichen Genuss ist dieses Abwasser nicht mehr geeignet, wie die häufig auftretenden Krankheiten zeigen. Über Jahrzehnte hat die israelische Besatzungsmacht die Wasserressourcen einseitig für die Kolonisierung des Gaza-Streifens durch zirka 8 000 Siedler ausgebeutet. In einem Gebiet, in dem permanente Wasserknappheit herrscht, leisteten sich die Kolonisatoren extrem wasserintensive Bananenplantagen.

Im Gegensatz zu den Palästinensern „ertrinken“ die völkerrechtswidrigen Siedlerkolonien geradezu in Wasser. Dies zeigt der AI-Bericht überdeutlich. Wie es scheint, gibt es genug Wasser in der Region. Die Israelis benutzen es jedoch wider Völkerrecht und den Menschenrechten als politisches Druckmittel, um die Palästinenser auch auf diesem Gebiet zu zeigen, wer Herr und wer Knecht ist.

Der AI-Report stellt unmissverständlich fest, dass die israelische Vorgehensweise einen „Verstoß gegen die israelischen Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsabkommen und dem Humanitären Völkerrecht“ darstellt. Die Oslo-Verträge, die den so genannten Friedensprozess ausgelöst haben, wirken sich auch auf dem Gebiet der Wasserverwaltung verheerend für die Palästinenser aus. Wie auf allen anderen „ausgehandelten“ Politikfeldern auch, liegt die Letztentscheidung über die Wasserkontrolle allein bei Israel. Dieser Bericht informiert und dokumentiert diese Farce und die permanenten Völkerrechtsverstöße Israels auf beeindruckende Weise.

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Sonntag, 27. November 2011

AI-Bericht: Operation Gegossenes Blei

Am 27. Dezember 2008 begann die israelische Armee unter dem Codenamen „Gegossenes Blei“ ein vernichtendes Bombardement des Gaza-Streifens. Anlass für diese kriegerische Aggression war der Beschuss Südisraels mit Kassam-Raketen. Hamas, die seit dem gescheiterten Putsch des Fatah-Warlords Mohammed Dahlan von 2007 den Strip regiert, hatte den Beschuss erst wieder aufgenommen, als Israel Anfang November 2008 vier Hamas-Mitglieder getötet hatte.

Das israelische Außenministerium selbst hat in einer Dokumentation mit dem Titel „The Hamas terror war against Israel“ gezeigt, wie vertragstreu sich Hamas verhalten hat. Es präsentierte zwei Schaubilder, die das „Intelligence and Terrorism Information Center at the Israel Intelligence Heritage & Commemoration Center“ erstellt hat. Sie belegen, dass Hamas erst wieder mit dem Beschuss israelischen Territoriums begann, als Israel vier ihrer Mitglieder getötet hatte.


Raketeneinschläge pro Monat.

Mörsergranateneinschläge pro Monat.


Diese Schaubilder wurden in der Nacht zum 4. Januar 2009 von der Website des Außenministeriums entfernt und durch folgendes Schaubild ersetzt, das man als verwirrend bezeichnen könnte. Dieses Dokument trug den gleichen Titel wie das ursprüngliche: „The Hamas terror war against Israel“.


Als am 18. Januar 2009 - zwei Tage vor der Amtseinführung von US-Präsident Barack Obama - ein Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel vereinbart worden war, waren 1 400 Palästinenser tot, die überweigende Anzahl Zivilisten, darunter 300 Kinder. 14 israelische Soldaten - vier davon durch „friendly fire“ - kamen bei diesem Massaker der israelischen Armee ums Leben.

„Viele der Zerstörungen wurden mutwillig durchgeführt und resultierten aus gezielten Anschlägen auf zivile Objekte sowie wahllosen Angriffen, die nicht zwischen militärisch legitimierten Zielen und zivilen Objekten unterschieden. Solche Angriffe verletzten fundamentale Bestimmungen der internationalen Menschenrechte, vor allem das Verbot von Direktangriffen auf Zivilisten und zivile Objekte, das Verbot wahlloser oder unverhältnismäßiger Angriffe und das Verbot von Kollektivstrafen“, so der AI-Bericht.

Bei dieser Aggression wurde weißer Phosphor, eine hochbrennbare Substanz, wiederholt wahllos über dicht besiedeltem Gebiet abgefeuert. Neben den vielen Toten machte das israelische Militär auch vor der totalen Zerstörung der Infrastruktur nicht halt. Tausende Wohnungen, Geschäfte, Betriebe und öffentliche Gebäude wurden willkürlich zerstört, „ganze Nachbarschaften dem Erdboden gleich gemacht und Vieh getötet“. AI kommt zu dem Ergebnis, dass die Zerstörungen „absichtlich und gezielt“ erfolgten, militärisch nicht „notwendig“ oder „begründet“ waren. Sie seinen das Ergebnis „rücksichtsloser und wahlloser Angriffe“ gewesen.

Neben dem AI-Bericht erstellte Human Rights Watch sowie der UN-Menschenrechtsrat unter Leitung des südafrikanischen Richters Richard Goldstone Untersuchungsberichte, die alle zu ähnlichen Ergebnissen wie Amnesty International kamen. Das AI-Dokument zeigt das ganze Grauen, das das israelische Militär über die Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens gebracht hat. Alle drei Berichte könnten als Grundlage für eine Anklage der Verantwortlichen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag dienen.

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Samstag, 26. November 2011

Amnesty International Report 2011

Die jährlichen Berichte von Amnesty International (ai) zur weltweiten Lage der Menschenrechte sind bereits Tradition. Sie machen deutlich, dass es mit der Achtung der Menschenrechte nicht zum Besten steht. AI tritt überall auf der Welt gegen Unrecht ein. Wie der vorliegende Report für das Jahr 2010 zeigt, besteht dazu auch aller Anlass.

AI hat in seiner 50-jährigen Geschichte immer auch auf die Rolle der Medien bei der Veröffentlichung von Menschenrechtsverletzungen gesetzt. Insbesondere die neuen Medien wie Internet, Twitter oder SMS machen den Despoten, Autokraten, Diktatoren und autoritären Regimen das Leben schwer. Ihnen gelingt es immer seltener, ihre Länder vom Informationsfluss abzuschotten. In Echtzeit werden Verbrechen gegen die Menschenrechte um die ganze Welt geschickt. Hinzu kommt, dass es mit der Plattform „Wikileaks“ einen Whistleblower (Informant) gibt, die auf Missstände hinweist und einen weltweiten „Abladeplatz“ für nicht zur Veröffentlichung bestimmte Regierungsdokumente geschaffen hat. Den Zorn der USA haben ein Video erregt, das die willkürliche Tötung von unbewaffneten, wehrlosen irakischen Zivilisten durch einen Apache-Kampfhubschrauber zeigt, sowie die Fülle an US-Dokumenten, welche die dubiosen Machenschaften der USA in Afghanistan und Irak offengelegt haben.

Ohne den mutigen Einsatz von einzelnen Menschen in Ländern, in denen oft ein Menschenleben „wenig“ zählt, sähe es um die Achtung der Menschenrechte noch schlechter aus. AI unterstützt gerade auch diese Aktivisten/innen, indem sie auf deren prekäre Lage hinweist, was diesen wiederum einen gewissen Schutz vor totaler Repression des jeweiligen Regimes gibt.

Ein besonderes Augenmerk des AI-Berichtes liegt u. a. auf den Menschenrechtsverstößen in demokratischen Staaten. Hier sind vor allem die USA, die selbsternannte „shining city upon the hill“, zu nennen, deren Menschenrechtsbilanz seit 9/11 recht düster aussieht. Nicht nur in den Ländern Afghanistan (Bagram), Irak (Abu Ghreib) und Guantanamo Bay, Kuba, begehen die USA massive Menschenrechtsverletzungen, sondern auch in den USA selbst, wenn man sich den Umgang mit Migranten/innen, die Antiterrormaßnahmen, die Todesstrafe und die bis zum Bersten überfüllten Haftanstalten vor Augen führt.

Neben dem globalen Überblick über die Menschenrechtslage in Afrika, Amerika, Asien und Pazifik, Europa und Zentralasien sowie dem Nahen Osten und Nordafrika findet man Analysen zur Lage der Menschenrechte in 157 Ländern. Im Anhang findet sich eine Chronik über 50 Jahre AI, die Adressen der deutschsprachigen Sektionen sowie den Ratifikations- und Zeichnungsstand ausgewählter internationaler Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte.

Allein in Deutschland gibt es über 110 000 freiwillige AI-Helfer/innen. Zum 50. Geburtstag wurde AI allseits gelobt, es gab neben der Würdigung durch den Bundespräsidenten auch eine Sondermarke. Das Movens der Unterstützer und Helfer ist jedoch die immer noch schwierige Lage vieler Menschen, deren Situation sich trotz zahlreicher internationaler Pakte und Deklarationen nicht zum Besseren gewandelt hat. AI ist deshalb nötiger denn je.

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Donnerstag, 24. November 2011

Azoulay´s From Palestine to Israel

The present photobook uses a new approach to the explanation of the Palestine/Israel conflict. By reading over more than 200 photographs, Ariella Azoulay recounts the four crucial years that determine the history of this conflict till today. She analyses the photos as historical documents and presents them in a way to write and interpret history anew. With this presentation she created a civil archive “which makes it possible to view the catastrophe they recorded”. (7) Years of research made it clear “that the occupation is part of the Israeli political regime, and that reconstructing its schema should start in 1948”. (17) Indirectly, this statement repudiates the argument put forward by the Zionist left that Israel went wrong after it occupied the rest of Palestine in the June war of 1967. This photobook proves through pictures that the cause of the conflict is based on the forceful expulsion of the indigenous owners of the Land of Palestine by the Zionist forces.

Ariella Azoulay teaches political philosophy and visual studies. She directs the Photo-Lexic project at the Minerva Humanities Centre at Tel Aviv University. She has written several books; her latest “Civil Imagination: Political Ontology of Photography” was just published. In 2002, she won the Infinity Award for Writing, presented by the International Center of Photography for excellence in the field of photography.

This book traces the constituent violence carried out by the Zionist military and political leadership. The transformation of Palestine into the State of Israel was not achieved during an unavoidable war between the two peoples, “but by the exercise of systematic and planned violence to create a clear Jewish majority that would correspond to and justify the formation of a Jewish state and the Jew-ification of the state organs. This violence was called the ‘War of Liberation`.” (7) The author makes clear that the term “War of Liberation” is a misnomer. Why did the Zionists wanted to ‘”liberate” a territory from the British, the Palestinians or the Arab states? The terminology “liberation” or “independence” implies a decolonization project, liberation from a foreign power, in a manner that camouflaged the colonization of Palestine by the State of Israel, the author writes. None of these reasons existed in Palestine.

In seven chapters, the photos show a process of the newly established state that destroyed Palestinian society by killing, dividing, expropriating, expelling and preventing those expelled from returning. In order to pretend a democratic façade, the Israelis had to transform the catastrophe imposed on the Palestinians into a non-catastrophe, into what Azoulay calls the “catastrophe from their point of view” – “their”, of course, referring to the Palestinians. (9) The author sets the Zionist narrative, beginning with the dream of return to Zion and ending with the establishment of the State of Israel, and the Arab one, which situates the Nakba as the constitutive event of Palestinian existence and identity, aside. Instead of sticking to the drawing line between Jews and Arabs, Azoulay tries to understand its institutionalization as a central ruling principle of the Jewish state. She presents the catastrophe from a civil perspective and does not present it as an outcome of war that preceded “the creation of the Israeli regime, but as a component and as a product of that regime”. (9)

The photos show that expulsion of the population and the destruction of their homes was done in an organized and well-planned manner. The Zionist myth that all happened in the cause of war lies beside the truth. From its inception, the Israeli government eliminated every possibility of civil life, according to the author. The government did everything that the civil disaster which occurred in Palestine appeared as a “natural phenomenon” or a “necessary evil”. To the detriment of Zionist mythology, the photos tell a different story. Perhaps this photobook is more convincing than thousands of history books because it allows the readers to visually participate in the great injustice that was inflicted upon the Palestinian people by a movement that views itself as a “liberation movement” for Jews but was in fact just a mere colonial one for the Palestinians. This extraordinary set of photographs reawakens not only the disappearance of a country but also the invisibility of its real inhabitants. Impressive!

First published here.

Sonntag, 20. November 2011

Popular Resistance in Palestine

Palestinian resistance against an Israeli “belligerent occupation” is mostly viewed as terrorism and rocket attacks. The brutal violence that was inflicted upon the Palestinian people by the Israeli occupation force is mostly ignored by the West. The most what the Western politicians are doing, is recommending the Palestinian to abstain from using violence, ignoring Israel`s forty-five-year-old occupation and colonization of another people. For them, popular resistance seems immoral or unnecessary.

The late Israeli professor of sociology at the Hebrew University, Baruch Kimmerling, wrote on March 27, 2001 in the Israeli daily “Haaretz”: “Since 1967, millions of Palestinians have been under a military occupation, without any civil rights with, and most lacking even the most basic human rights. The continuing circumstances of occupation and repression give them, by any measure, the right to resist that occupation with any means at their disposal and to rise up in violence against that occupation. This is a moral right inherent to natural law and international law.”

Mazin B. Qzmsiyeh teaches at Bethlehem University and Birzeit University and works for a number of civil organizations. He received his Ph. D from Texas Tech University. He did his postdoctoral training at St. Jude Children Research Hospital and the University of Tennessee (included Clinical Fellowship). He published extensively in areas ranging from Zoology to Genetics. He serves as chairman of the board of the Palestinian Center for Rapprochement between People and coordinator of the Popular Committee against the Wall and Settlements in Beit Sahour. Besides this book, his political writing includes “Sharing the Land of Canaan: Human rights and the Israeli/Palestinian Struggle.

Many Western politicians keep recommending the Palestinian people to struggle for a state by nonviolent means. But hardly any of them ever has called on the Israeli government to restrain from its brutal repression of another people. By limiting their message to the undesirability of violence, they gloss over, according to the author, the long history of nonviolent struggle in Palestine. They do not attempt to ensure a colonized people the right of “plurality, justice, and human rights” (12) What the Palestinians want is “freedom and the right of return, not a flog over a canton called a state” (1) And they do not want what was envisaged for them by the former Israeli general and Army Chief of Staff Rafael Eitan: “When we have settled the land, all the Arabs will be able to do about it will be scurry around like drugged cockroaches in a bottle.” (15).

The author writes the history of popular resistance in Palestine beginning with the Ottoman rule, continuing during the Zionist build-up from 1917 to 1935, the great Arab revolt of 1936 to 1939, the devastation to the Nakba (the catastrophe) from 1939 to 1948, from the Nakba to the occupation of the whole of Palestine in 1967, via the period of the so-called peace process to the current Boycotts, Divestments and Sanctions campaign (BDS).

Qumsiyeh writes that by examining the Palestinian situation, everyone will recognize that there are no examples of completely nonviolent struggle for freedom from colonial occupation. “I cannot think fo a single historical precedent where the struggle for rights was waged solely by violent means or solely by nonviolent means. It seems that history of human struggle is a mix of both to varying degrees.” (21) International law recognizes the right to resists an occupation authority. This right is based not only in Article 3 of the 1949 Geneva Convention but also in the guiding lines set for by the International Tribunal in Nuremberg The statutory argument in article 2 of the indictments (concerning transgressions against the laws on conducts of war) at the Nuremberg Tribunal was based upon the Hague International Convention of 1907, writes the Israeli author Hans Lebrecht which Qumsiyeh quotes. (21) Not only thousands of Palestinians civilians have been killed over the past few decades for simply being Palestinians in Palestine but internationals too, like Rachel Corrie who was deliberately run over by a caterpillar bulldozer or Tom Hurndall who was killed by shot on his head.

The Israeli colonization of Palestinian land cannot be permanently maintained without ideological and material support from outside. The U. S. government, pro-Israeli pressure groups and the European Union give billions of dollars and Euros to Israel, used inter alia for building colonies on occupied land or are invested in the military sector. Billions of dollars are earned from Israeli exports, much of it security-related products, armaments and tourism. The BDS campaign, which Qumsiyeh strongly supports, brings these facts to the fore and attempts to induce governments, churches and private investors to restrain from investments in a country that has been occupying, oppressing and colonizing another people for the last 45 years. The author lists quite a few examples of the worldwide BDS campaign. (215-222) The appendix lists eighty out of 200 groups engaging in popular resistance in Palestine.

The author is optimistic that this form of popular resistance will bear fruit in the long run. This book refutes the claims that Palestinians never tried nonviolence. It would make more sense to ask the Israel military to restrain its violence and use nonviolent means to deal with the resistance. Qumsiyeh´s history of popular resistance in Palestine should be read by everyone who is opposed to colonialism and foreign domination. That is why it transcends the Palestinian case and can be a template for other resistance movements.

First published here, here and here.

Mittwoch, 16. November 2011

The Wandering Who?

Bücher, die sich mit der Frage nach der jüdischen Identität beschäftigen, dürften eine spannende Lektüre abgeben. Diesem nicht so einfachen Sujet hat sich der in Großbritannien lebende israelische Saxophonist Gilad Atzmon in seinem Buch gewidmet. Er geht der Frage nach, was eine jüdische säkulare Person motiviert, sich weiterhin als Jude zu fühlen. Darüber hinaus zeigt das Buch die negativen Konsequenzen einer jüdischen Identität, insbesondere wenn sie nicht auf der jüdischen Religion basiert. Jüdische Identität definiert er als „Jewishness“ (Jüdischkeit), die er vehement ablehnt. Für den Autor begann der Zionismus zu Beginn vielversprechend, bevor er von der „Jüdischkeit“ übernommen worden ist, und daraus resultiere das repressive israelische Verhalten gegenüber den Palästinensern. „Jüdischkeit“ ist für ihn eine säkulare ethnozentrische Ideologie bestehend aus: „Exklusivität, Einzigartigkeitsanspruch, rassischer Überlegenheit und einer tiefen innewohnenden Neigung zur Segregation“.

Der Autor wurde in Jerusalem geboren und lebt seit 1994 in London. Bescheidenheit scheint nicht zu seinen Stärken zu gehören, wie die einführenden selbstreferentiellen Bemerkungen über seine diversen Talente zeigen. Mit „Stolz“ bezeichnet er sich als einen „selbsthassenden Juden“, „Ich verachte den Juden in mir.“ Seine „Einsichten“ verdanke er Otto Weininger!

Seine Verweise auf jüdische Identität bleiben jedoch selektiv, spekulativ und wenig konzise. Hätte er sich konsequent nur auf diese Frage konzentriert, wäre das Buch ein Beitrag zu dieser wichtigen Debatte gewesen. Dagegen ergeht sich der Autor in kategorischen Aussagen zu Sachgebieten wie z. B. Geschichte, Wirtschaft, Psychologie, Völkerrecht und Menschenrechte. Ein gravierendes Problem des Atzmon-Buches besteht darin, dass der Autor mit zahlreichen Andeutungen arbeitet, um seine wirkliche Message an die Leserinnen und Leser zu bringen. „Jüdischkeit“ und jüdische Identität dienen ihm dabei nur als Vorwand. Im Subtext des Buches werden krude Verschwörungstheorien und antijüdische Vorurteile transportiert. Im November 2010 hat er auf einer Konferenz in Stuttgart erklärt: „Ich denke, dass Israel weit schlimmer ist als Nazi-Deutschland.“ Atzmon scheint von einem Nuklearkrieg zwischen Iran und Israel mit Millionen von Toten auszugehen, um fortzufahren: „Einige mutige Menschen werden sagen, dass Hitler recht hatte.“

Woher stammt die Koinzidenz in der Begrifflichkeit zwischen Atzmon und der Nazi-Terminologie? Nach Meinung des Autors sei es vielleicht die größte Leistung der zionistischen Bewegung, dass sie die jüdische tribale Haltung in ein kollektiv funktionierendes System verwandelt habe. „Betrachtet man den Zionismus als organismus, (sic!) würde dies zu einem grundlegenden Wandel unserer Sicht der Weltpolitik führen.“ (21) Schon die Nazis benutzen den Begriff „Organismus“, um den Unterschied zwischen der organischen Natur der menschlichen Gesellschaft im Gegensatz zu einer rein bürokratischen Organisation zu beschreiben. Die Nazis haben den Juden unterstellt, sie wollten die deutsche Nation „versklaven“. Atzmon schreibt: „Wie konnte es Amerika zulassen, sich von Ideologien versklaven zu lassen, die von Natur aus mit ausländischen (zionistischen) Interessen verbunden sind?“ (26) Atzmon benutzt „zionistischer organismus“ an verschiedenen Stellen des Buches.

Der Autor bemüht sich nahezu krampfhaft, die Existenz eines zionistischen „organismus“ oder Netzwerkes nachzuweisen. Ein solches sei verantwortlich für die US-amerikanischen Aggressionskriege und die Kreditklemme. An Personen wie Paul Wolfowitz, Scooter Libby und Alan Greenspan wird nun das, was Atzmon das “kollektive funktionierende System” oder wie er es vorzugsweise als „dritte Kategorie Bruderschaft“ (third category brotherhood) bezeichnet, und die als “rassische Solidarität” und mit „Zionismus“ gleichsetzt wird, exemplifiziert. (21) Der Autor behauptet allen Ernstes, ohne auch nur einen Beweis dafür vorzulegen, dass Greenspans Geldpolitik auf seiner jüdischen (oder zionistischen) Identität beruhte und das Ziel verfolgte, den Staat Israel zu unterstützen. Um diese Unterstellung „glaubhafter“ zu machen, schreibt Atzmon en Passant, dass jüdische Bankiers einen „Ruf“ als „Unterstützer und Finanziers von Kriegen und sogar der kommunistischen Revolution“ hätten. Diese hochrangigen jüdischen Politiker „blieben im Ausland, anstatt nach ‚Zion` zurückzukehren, um dem zionistische Interesse so gut wie möglich zu dienen“. Und er fragt weiter: „Wie kommt es, dass Amerika seine Wolfowitzes nicht zurückhalten konnte? Wie kommt es, dass Amerika es zulässt, dass Außenpolitik durch einige rücksichtslose ‚Zio-driven` Think Tanks gestaltet wird?“ Atzmon ist sich über die Problematik solcher Behauptungen durchaus bewusst und baut vor, indem er schreibt, dass die Kreditklemme „keine zionistische Verschwörung oder gar eine jüdische Verschwörung gewesen ist (…), denn es geschah alles in der Öffentlichkeit. Es ist tatsächlich ein Unfall.“ (30) Bei der Kapitelüberschrift „Credit Crunch or Zio-punch?“ hätten aber die Alarmglocken läuten müssen. Man fragt sich auch, warum führt er diese Beispiele in einem Buch über „jüdische Identität“ überhaupt an und weist darauf hin, dass jüdische Bankiers nicht nur Kriege finanzierten, sondern auch anzettelten? Die Medien hätten es nach Atzmon versäumt, „die amerikanische Öffentlichkeit vor der Gefahr von innen zu warnen“.

Der Autor pflegt ein ausgeprägtes Feindbild. Sein Hass richtet sich nicht nur gegen die Zionisten, sondern vor allem gegen jüdische Linke, linke Antizionisten und alle, die sich der Politik der israelischen Regierung als Juden widersetzen, wie z. B. Gruppen wie „Juden gegen Zionismus“ oder „Juden für Gerechtigkeit in Palästina“. Diese Personen agierten in einem globalen Netzwerk von „Jüdischkeit“ und Zionismus und zeichneten sich durch ein pathologisches Festhalten an ihrer jüdischen Identität aus. Atzmon lehnt nicht den Zionismus als koloniale Bewegung ab, sondern verurteilt sie nur, weil sie jüdisch ist. Ebenso stimmt er mit der These des Zionismus überein, dass es keine nicht-zionistische jüdische Identität geben könne. Er lehnt auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ab.

Wie denkt Atzmon über den Holocaust? Er leugnet nicht den Holocaust direkt, sondern flirtet eher mit den Holocaust-Leugnern. Der Holocaust „ist kein historischer Narrative, über den frei von Historikern, Intellektuellen oder einfachen Menschen debattiert wird“. Dieser müsse „richtig analysiert“ werden. „Ich denke, dass 65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, wir berechtigt sind zu beginnen, Fragen zu stellen. Wir sollten nach historischen Beweisen und Argumenten fragen, anstatt einer religiösen Erzählung zu folgen, die durch politischen Druck und Gesetze aufrechterhalten wird.“ (174f.) Was soll die Frage nach den „historischen Beweisen“? Meint er etwa, es habe keine industrielle Vernichtung gegeben? Was Atzmon wirklich über dieses abscheuliche Verbrechen denkt, wird nicht klar. Er arbeitet auch hier wieder mit Andeutungen, wenn er fragt: „Warum wurden die Juden gehasst?“ Seine Schlussfolgerung überlässt er dem Leser, der die Bedeutung seiner Andeutung vermuten sollte.

Das Buch ist in einem Punkt sehr hilfreich: Es liefert Einblicke in Atzmons bizarre Gedankenwelt: Hass auf Linke, Sozialisten und Marxisten, jüdisches und zionistisches Verschwörungsdenken, Sympathie für die Hinterfragung der Ergebnisse der Holocaust-Forschung, Ablehnung der Charta der Menschenrechte gepaart mit einer gehörigen Portion Eitelkeit. Vielleicht ist dem Autor gar nicht bewusst, dass er ein politisches Pamphlet geschrieben hat, das sich eines Tages gegen das Judentum in den USA wenden könnte, wenn die These an Fahrt gewinnt, dass jüdische Persönlichkeiten für die US-Kriege und am Betrug am US-amerikanischen Volk verantwortlich sind und ihn dafür als "Kronzeugen" anführen. Das Buch ist sehr gut geschrieben, was dessen schädliche und rassistische Thesen umso gefährlicher machen.