Montag, 30. November 2009

Die Wertordnung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstand sich nie als Verfassung im klassischen Sinne, aber es (das Grundgesetz) ist das beste und beständigste Verfassungsdokument, das sich die Vertreter des deutschen Volkes jemals gegeben haben. Es hat sowohl die Schwächen der Weimarer Reichsverfassung beseitigt, als auch die Konsequenzen aus der Abartigkeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gezogen. Die Debatte um eine neue Verfassung stand noch einmal auf der politischen Agenda, als sich der Auftrag des Grundgesetzes erfüllte: die Wiedervereinigung Deutschlands. Von Zeit zu Zeit brandet die Diskussion um eine neue „Verfassung“ immer wieder auf. Für eine solche Neuschöpfung bedarf es keiner Eile, da auch das wiedervereinigte Deutschland mit dem Grundgesetz gut gefahren ist.

Das Grundgesetz ist eine im westlichen Kulturkreis tief verwurzelte Verfassung. Seine Bedeutung kann nur erfasst werden, „wenn es in seiner instrumentalen Funktion zur Realisierung zugrunde liegender Werte begriffen wird“. Sie bilden das innere Band, das die Verfassung zusammenhält und sind für den Erfolg des Grundgesetzes mitverantwortlich. Diese Werte scheinen dem Verfassungsgeber so wichtig gewesen zu sein, dass er sie in diesem „Normengebäude“ verankert hat.

Joachim Detjen lehrt Politische Wissenschaft und Politische Bildung an der Katholischen Universität in Eichstätt und gehört zu den Vertretern einer normativ ausgerichteten politischen Wissenschaft. Gesellschaftlich galten und gelten Werte und Normen immer noch als antiquiert. Umso mutiger und überzeugender wirkt das Buch des Autors, der sich nicht scheut, deutlich die Wertgebundenheit des Grundgesetzes zu betonen, sondern auch ihre Verwurzelung im Naturrecht hervorzuheben. Seine These, dass die Werte den Erfolg des Grundgesetzes mit bewirkt haben, sollte den politisch Verantwortlichen zu denken geben, die den „Königsweg“ in einer Hip-Hop- und Eventkultur sowie in der virtuellen Welt des Internets zu sehen scheinen. Er könnte sich ebenso als Fata Morgana erweisen wie weiland die „New Economy“.

Um welche „antiquierten“ Werte handelt es sich, die das Grundgesetz zum Erfolgsmodell gemacht haben? In sieben Kapitel breitet der Autor einen Wertekanon aus, der als permanenter Auftrag der staatlichen Bildung vorgegeben sein sollte. Detjen unterscheidet „Verfassungslegitimierende Werte“, „Lebenswelt-, gesellschafts- und politikprägende Werte“, „Staatliche Ordnungswerte“ und „Politische Zielwerte“. Zu ersteren gehören Menschenwürde, Leben, Innere Sicherheit, Individuelle Freiheit, Rechtsstaatliche Gleichheit, Soziale Gerechtigkeit, Volkssouveränität und Demokratie. Zur zweiten Kategorie zählen u. a. Privatsphäre, Ehe und Familie, Pluralismus, Politische Partizipation. Der dritte Wertekanon umfasst u. a. gemäßigte, begrenzte und verantwortliche Herrschaft, Rechtssicherheit und Wehrhafte Ordnung. Zu den „Politischen Zielwerten“ zählen Gemeinwohl, Frieden und Umwelt.

In einem abschließenden Kapitel stellt der Autor fest, dass das Grundgesetz keine „fugenlose Einheit“ bilde, weil es ein Dokument „politischer Kompromisse“ sei. Es habe jedoch keine „unvereinbaren Grundrechte“ aufgenommen. Dies zeige, dass es mehr als andere Verfassungen „juristisch durchdacht“ sei. Ein besonderes Spannungsverhältnis bestehe zwischen „innerer Sicherheit“ und „individueller Freiheit“. Glücklicherweise hat sich das Bundesverfassungsgericht eindeutig auf die Seite letzterer geschlagen.

Neben dem 2007 erschienen Standardwerk „Politische Bildung“ hat der Autor mit dieser fundierten Monographie eine weitere Bresche für eine wertorientierte politische Bildung geschlagen. Beide Bücher sollten zum dauerhaften Standardangebot aller politischen Einrichtungen gehören.