Montag, 30. Mai 2011

Ilan Pappé, Wissenschaft als Herrschaftsdienst (Out Of The Frame)

Endlich liegt die außergewöhnliche Autobiographie „Out of the Frame“ des israelischen Politikwissenschaftlers Ilan Pappe auch in deutscher Übersetzung vor. In ihr erzählt der Autor die Geschichte seiner Konversion vom Zionisten zum Anti-Zionisten. Diese „Bekehrung“ korrespondierte mit seiner Marginalisierung als Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Haifa. Je unverblümter sich Pappe für die Anerkennung des historischen Narratives der Palästinenser im israelischen politischen und öffentlichen Diskurs einsetzte, desto stärker wurde er von Seiten seiner „Kollegen/innen“ gemobbt, diskriminiert und marginalisiert. Sie machten ihm sprichwörtlich das Leben zur Hölle, in der auch noch die letzten Ansprüche von der „Freiheit der Wissenschaft“ auf der Strecke geblieben sind. Als letzter Ausweg blieb ihm nur das Exil in Großbritannien. Er lehrt am Institut für Arabische und Islamische Studien an der University of Exeter, England, und ist Direktor des Europäischen Zentrums für Palestine Studies und der Co-Direktor des Zentrums für Exeter Ethno-politische Studien.

Der Autor kann sich nicht mehr exakt an den Augenblick seiner persönlichen „Offenbarung“ erinnern, aber es gab Momente, in denen Widersprüche zum offiziellen Judentum und die Immoralität des Zionismus immer offener zu Tage traten. Das heißt jedoch nicht, dass Pappe das Judentum samt seiner Moralität ablehnt, weil es immer noch ein großes Erbe darstellt, auf dessen Grundlage man moralische Urteile fällen kann. Für ihn missbraucht der Zionismus jedoch das Judentum samt seiner Moralität für seine politisch-expansionistischen Ziele. „Worst of all was the Zionist and later Israeli abuse of the Holocaust memory to justify the dispossession of Palestine that disconcerted and outraged me. The abuse is obvious and yet so many today can still not see it. It was this departure point human and Jewish that recently led so many Jews to oppose crimes and policies done in the name of the state.”

Ilan Pappe versucht, das Rätsel des Zionismus zu dechiffrieren. Was einst für ihn „ultimativer Ausdruck einer tadellosen Menschheit war“, entpuppte sich, wenn aufgegeben, „als eine rassistische und ziemlich üble Philosophie von der Moral und des Lebens“. Die ersten Zweifel kamen dem Autor, als er 1981 zum Promotionsstudium an die Universität von Oxford ging. Zwei Ereignisse bewirkten die ersten Risse im zionistischen Gebäude: Die Invasion Israels in den Libanon 1981, in dessen Folge es zum Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila kam, das unter den Augen von Generalstabschef Rafael Eitan und Verteidigungsminister Ariel Sharon von den christlichen Phalangisten begannen worden ist. Der zweite „Augenöffner“ war die Einladung der israelischen Botschaft in Stellvertretung des Botschafters Argon, der gerade ein Attentat überlebt hatte, eine Rede zu halten. Für Pappe war die israelische Botschaft bereit, ihn zu opfern, falls es noch einmal zu einem Attentat gekommen wäre. Von diesem Zeitpunkt an begann eine „Reise ohne Wiederkehr“.

Nach Pappe ist es für einen israelischen Akademiker „tödlich“, den Zionismus als koloniale Bewegung und nicht als „Befreiungsbewegung für das jüdische Volk“ zu sehen. Ebenso wenig sei es erlaubt, Zionismus mit Kolonialismus gleichzusetzen; dies sei eine Abirrung von der „historischen Wahrheit“. Aber waren es nicht die Zionisten selber, die ihr Unternehmen in der Terminologie des Kolonialismus beschrieben? Sie waren sogar stolz darauf. So gründeten sie “the Jewish Colonization Association”, “the Society for the Colonization of the Land of Israel”, “the Palestine Jewish Colonization Association”, and “the Jewish Colonial Trust”. Der 12. Zionistenkongress richtete eine “Kolonisierungsabteilung” ein. Chaim Weizman verglich die zionistische Bewegung mit der französischen Kolonisierung Tunesiens.

Pappes Autobiographie ist eng verbunden mit der Geschichte seines Landes und der Kolonisierung Palästinas. Seine wissenschaftlichen Überzeugungen über den kolonialistischen Charakter des Zionismus bescherten dem Autor enorme Probleme. Was der Autor über die Mobbing- und Denunziations-Kampagnen seiner Kollegen/innen im Zuge der so genannten Katz-.Affäre schreibt, kann nur als Schande bezeichnet werden. Nicht wie Benny Morris, der eine wissenschaftliche 180-Grad-Wendung vollzog, blieb Pappe seinen Überzeugungen treu. Der Autor schreibt über ein Treffen zwischen israelischen und palästinensischen Historikern in Paris, an dem auch Benny Morris und Itamar Rabinovitch teilgenommen haben. Nach Pappe hätten beide ihren palästinensischen Kollegen aufgrund der nicht Verfügbarkeit der historischen Dokumente und der mangelnden Fachkenntnis die Fähigkeit abgesprochen, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Dies würde bedeuten, dass zumindest in diesem Fall nur die Kolonialherren die Möglichkeit besitzen, die Geschichte der Kolonisierten zu schreiben.

Der Autor kritisiert heftig die Rolle der Medien in Israel, die wesentlich zur Militarisierung der Gesellschaft beitrügen. Sie betätigten sich als willfähriges Sprachrohr des militärischen und politischen Sicherheitsestablishments sowie der zionistischen Ideologie. Als ein Fernsehmoderator ihn einen „Verräter“ und ein ehemaliger Justizminister (!) einen „Agent der Hisbollah“ nannten, war es Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, schreibt Pappe.

In seinem Nachwort „Israel entwaffnen“ zeigt der Autor, wie gestört die israelische Gesellschaft ist. „Es scheint, dass Menschen wie ich den neuen Antisemitismus vertreten, der wie der alte, eine starke selbst hassende Komponente enthält.“ Für diese schräge Haltung hat der Autor eine überzeugende Erklärung parat: „Es war meine jüdische Herkunft, die es mir nicht länger erlaubte, die Lüge zu tolerieren, und diese Herkunft drängte mich in eine aktive Rolle, sie zu demaskieren.“ Für Pappe war der Zionismus eine „großartige Reaktion“ auf die „akuten Probleme der jüdischen Existenz in Europa“. Aber diese edlen Motive waren verschwunden, als man Palästina als Ziel des zionistischen Unternehmens ausgewählt habe. „Es ging nicht mehr um die Rettung von Menschen, sondern man konzentrierte sich auf Kolonisierung und Enteignung.“ Nach Pappe schuf sich die Armee mit Israel einen Staat. Die „Entwaffnung“ dieses modernen Sparta müsse mit der Entwaffnung der Ideologie beginnen, so der Autor. Dazu bedürfe es eines kritischen Dialogs mit der Zivilgesellschaft und der Politik in Israel, die ja zur „zivilisierten Welt“ gehören wollen, aber bei Aufrechterhaltung einer „rassistischen“ Haltung. Eine Änderung in der Haltung seiner Landsleute könne durch die weltweite BDS-Kampagne (Boykott, Divestment und Sanktionen) erreicht werden.

Eine intellektuelle und überaus anspruchsvolle Autobiographie, die den Israellobbyisten und deren Parteigängern innerhalb der politischen Klasse wärmstens empfohlen sei.

Erschienen hier.

Dienstag, 24. Mai 2011

„Antisemiten als Koalitionspartner?“

Auf dem Markt der Möglichkeiten ist eine neue „wissenschaftliche“ Studie gelandet: Samuel Salzborn und Sebastian Voigt haben versucht, sich Gedanken über die „Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit“ zu machen. Dieses Experiment ist diesen so genannten Wissenschaftlern gründlich misslungen, wenn man die üblichen wissenschaftlichen Standards an diese „Studie“ anlegen würde. Diese im wissenschaftlichen Gewande drapierte politische Scharlatanerie wurde aber von der Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ ernst genommen, weil es ihr wohl ins politische Konzept passte.

Die Frage nach dem „Cui bono?“ stellt sich schon bei den beiden Autoren. Wären sie unabhängig und seriös, könnte man über ihre These vielleicht noch diskutieren. Aber die politische Ausrichtung der beiden Autoren steht ihrem „wissenschaftlichen“ Ehrgeiz so sehr im Wege, dass ihre Ausführungen nur das bestätigen, was man von Ideologen erwarten kann. Von Wissenschaft keine Spur, dafür aber umso mehr an ideologischem Irrsinn und Obsession. Die einzigen, die sich über diesen politischen Blödsinn freuen können, sind die "Israellobbyisten", die es auch zuhauf in der Linkspartei gibt. Ihre politische Symbolfigur ist Petra Pau, die bei jeder passenden Gelegenheit nach Jerusalem pilgert, um ihre zionistische Linientreue zu demonstrieren oder um Abbitte für politische “Verfehlungen“ ihrer Parteigenossen/Innen zu leisten. Da diesen neuen „wissenschaftlichen Inquisitoren“ die wirklichen Antisemiten abhanden zu kommen scheinen, müssen neue, nämlich linke kreiert werden. Folglich haben sie die „wissenschaftliche“ Kategorie des „neuen Antisemitismus“ erfunden, und den nennen sie „antizionistischen Antisemitismus“ oder „linken Antisemitismus“; dieser „wissenschaftliche“ Industriezweig expandiert – Karriereinvestitionen lohnen sich also, wie man sehen kann.

Die Autoren dürften dem ideologischen Dunstkreis der „Antideutschen“ zuzurechnen sein, wenn man sich ihren bizarren Politjargon zu Gemüte führt. Samuel Salzborn hat nicht nur für einschlägige Publikationsorgane gearbeitet, sondern auch in linksgestörten Postillen wie „Jungle World“, „Antifaschistische Nachrichten“ oder „Konkret“ publiziert. In seiner Habilitationsschrift „Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne“ hat er angeblich eine Lücke zwischen theoretischer Aufarbeitung antisemitischer Theorien und empirischer Verifizierung geschlossen. Das theoretische Sample besteht leider nur aus sieben (!) Telefoninterviews. Gelobhudelt wurde diese „wissenschaftliche“ Leistung, man höre und staune, von dem Koautor der vorliegenden „wissenschaftlichen Studie“, Sebastian Voigt, in „der tageszeitung“ vom 8. Mai 2010. Dass diese „empirische“ Überprüfrung einiger desperater wissenschaftlicher Meinungen nicht hinreichend ist, leuchtet selbst wissenschaftlichen Laien ein. Und so etwas darf eine Vertretungsprofessur an der Liebig-Universität in Gießen wahrnehmen; umso schlimmer für die Universität.

Bei Salzborns Koautor, Sebastian Voigt, handelt es sich um ein Gründungsmitglied des „Bundesarbeitskreises BAK Schalom“ in der Linkspartei, der eine Plattform gegen „Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus“ darstellen soll. Tatsächlich handelt es sich um ein politisches Instrument der Zersetzung und Diffamierung von Mandatsträgern der Linkspartei in Bezug auf deren Kritik an der Kolonisierungs-, Unterdrückungs- und Besatzungspolitik Israels. Die Mitglieder dieses Klübchens machen politischen Radau, denunzieren ehrbare Kritiker und schüchtern die gesamte Partei ein, um letztendlich jede abweichende Meinung, die die israelischen Besatzungsverbrechen nicht gutheißt, mundtot zu machen. Ein Mosaikstein in dieser Verleumdungskampagne soll auch diese so genannte wissenschaftliche Studie darstellen. Voigt ist darüber hinaus auch noch wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut der Universität Leipzig und Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; zuvor war er Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei eng verbunden ist, und deren Mitglieder, die ihm ideologisch nicht passen, er jetzt denunziert.

Mit diesem wissenschaftlichen Pamphlet sollen Mitglieder der Linkspartei einer gnadenlosen Hetzjagd ausgesetzt werden. Was bisher den Paus, Ramelows, Liebichs, Kippings u. a. nicht gelungen ist, soll jetzt mit dieser „wissenschaftlichen“ Expertise bewerkstelligt werden. Gregor Gysi hat die in der Studie geäußerten Vorwürfe zu Recht als „Blödsinn“ bezeichnet. Wenn er es sich damit nicht zu einfach macht, ist doch der Einfluss der rechtszionistischen „Israellobby“ in seiner Partei weiter fortgeschritten als man denkt. Der renommierte Völkerrechtler Norman Paech wurde solange durch Denunziation und Verleumdung seitens seiner „Parteifreunde/Innen“ auf perfideste Art und Weise so madig gemacht, dass er sich zurückzog. Die urdeutsche „Blockwart-Mentalität“ feiert auch in der Linkspartei wieder fröhliche Urstände.

In impertinenter Art und Weise behaupten die beiden wissenschaftlichen Ideologen, dass in der Linkspartei „linke Selbstimprägnierungsstrategien darüber hinwegtäuschen“, dass im bundesrepublikanischen Spektrum der Linken „antisemitische Positionen in ihren Reihen toleriert“ würden. Es finde ein „Dämonisierung der Politik Israels“ statt, die sich nicht nur in einer Parteinahme zugunsten der Palästinenser ausrücke, sondern bis hin zu einer „offenen Solidarisierung mit den terroristischen Kräften innerhalb dieses Spektrums“ reichten, und diese Position sei seit Anfang des Jahres 2010 innerhalb der Bundespartei „konsensfähig“ geworden sei. Für diese ungeheuerlichen Behauptungen bleiben die beiden „Wissenschaftler“ jeglichen Beweis schuldig, geschweige denn, dass sie irgendeinen Beschluss der Linkspartei vorlegen könnten. Als Beispiele dienen die politischen Äußerungen oder politische Aktionen einiger Funktionsträger der Linkspartei. Dass einige Abgeordnete die zionistische Ideologie Israels kritisieren, wird ihnen als „antizionistischer Antisemitismus“ ausgelegt. Es scheint, als haben diese beiden Wissenschaftsideologen die Mechanismen einer demokratischen Gesellschaft nicht begriffen, in der es keine Tabus geben darf, insbesondere dann nicht, wenn es um völkerrechtswidriges und menschenverachtendes Regierungshandeln auch der israelischen Regierung geht.

Der Zionismus ist eine Variante des jüdischen Nationalismus. Wie jeder Nationalismus ist er des Teufels und somit mehr als kritikwürdig. Wer die Auswüchse dieses zionistischen Nationalismus erlebt hat und kennt, hält die Kritik am Zionismus von Seiten der Linkspartei für politisch harmlos. Die Behauptung, dass Antizionismus, d. h. die Kritik an dieser nationalistischen Ideologie und Politik, gleichbedeutend mit Antisemitismus sei, verharmlost letzteren. Dass sich Salzborn und Voigt die obskure Arbeitsdefinition der Europäischen Union über Antisemitismus zu Eigen machen, überrascht nicht. Diese denunziatorischen Kriterien wurden auf Druck der "Israellobbyisten" auf europäischer Ebene durchgesetzt, obgleich sie nicht justiziabel sind, sondern als politische Instrumente zur Diskreditierung von berechtigter Kritik an Israels brutaler Unterdrückungspolitik eines anderen Volkes eingesetzt werden. Keiner der Funktionsträger der Linkspartei hat jemals durch seine Kritik gegen diese überaus fragwürdige Definition verstoßen.

Als jüngster Kampfbegriff der "Israellobbyisten" hat sich nicht nur in der Linkspartei der Terminus „antizionistischer Antisemitismus“ eingebürgert. Durch diese Politphrase soll jedwede Kritik am Regierungshandeln der rechtszionistisch-nationalistischen israelischen Regierung diskreditiert werden. Die beiden „Wissenschaftler“ wollen durch ihr Pamphlet dazu eine „wissenschaftlich“ begründete Rechtfertigung liefern. Dies ist ihnen aber formvollendet misslungen. Auf diese Scharlatanerie ist bisher nur die „Frankfurter Rundschau“ abgefahren. Sollte die wissenschaftliche Zeitschrift, der dieses Pamphlet zur Publikation vorliegt, dieses veröffentlichen, sollte sie umgehend ihr Erscheinen einstellen. Wer die folgende hanebüchene Behauptung aufstellt, „dass Die Linke auf dem besten Weg ist, eine antisemitische Partei zu werden“, sollte sich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politische ins Aus manövrieret haben. Mit „Blödsinn“ sind die Aussagen dieses politischen Machwerkes noch nett charakterisiert und sollten von den wenigen seriösen Kritikern israelischer Besatzungspolitik nicht allzu ernst genommen werden. Viel gefährlicher sind die eigenen Parteigenossen/Innen, die aus politischem Opportunismus gegen Andersdenkende in den eigenen Reihen mit den Waffen der Denunziation vorgehen, weil sie über keine Gegenargumente verfügen, genauso wenig wie diese „Wissenschaftler“.

Sonntag, 22. Mai 2011

Kampagnenjournalismus in der Frankfurter Rundschau

Die "Frankfurter Rundschau" hat am 18. und 19. Mai politische Kampagnen gegen einige Politiker/Innen der Partei Die Linke gefahren, die von interessierter dritter Seite auf die weitere Diskreditierung einiger kritischer Geister in Bezug auf die Kritik an der brutalen Besatzungspolitik und den Menschrechtsverletzungen der israelischen Besatzungsmacht gegenüber den Palästinensern abzielen. In den Beiträgen "Studie zu Antisemiten in der Linkspartei" von Jan-Philipp Hein vom 18. Mai und "Linkspartei sieht Antisemitimsmus nur bei Wessis" von Markus Decker vom 19. Mai 2011 lassen sich die Redakteure zu willfährigen Instrumenten dieser politischen Kreise machen, denen es darum geht, auch noch die letzten Reste einer Kritik an Israels brutaler Besatzungspolitik in Deutschland zum Schweigen zu bringen. Im Folgenden mein Leserbrief vom 21. Mai an die Chefredaktion der Zeitung:

"Es hat den Anschein, als ob mit der Schrumpfung des Formates Ihrer Zeitung auch das kritische Bewusstsein und die Distanz Ihrer Redakteure zum Objekt geschrumpft sind. Die Journalisten Decker und Hein haben sich unkritisch für offensichtliche politische Ziele – wissentlich oder „unwissentlich“ - instrumentalisieren lassen. Sowohl die Platzierung eines rechtsextremistischen Pamphlets auf der Website der Partei Die Linke in Duisburg als auch die so genannte wissenschaftliche Studie zweier angeblicher Wissenschaftler unter dem Titel „Antisemiten als Koalitionspartner? Die Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit“ von Samuel Salzborn und Sebastian Voigt hätte nach nur zwei Klicks im Internet als das entlarvet werden können, was sie sind, nämlich politisch-ideologische Pamphlete im Geist der Antideutschen.

Dieser vermeintliche Antisemitismus, den Ihre Redakteure und die so genannten Wissenschaftler in der Linkspartei ausmachen wollen, ist eine Chimäre; diesen Antisemitismus gibt es in der Linkspartei und unter Linken nicht. Keinem politischen Beobachter ist es entgangen, dass diese Verleumdungskampagne gegen unliebsame kritische Geister in der Linkspartei abzielt, um auch noch die letzten Reste einer Partei auf den expansionistisch-zionistischen Kolonialismus und die völkerrechtswidrige Politik Israels zu zwingen, indem man diese Personen politisch ausgeschaltet.

Zu einem seriösen Journalisten gehört es, wenigstens bei den “Beschuldigten“ anzufragen, noch nicht einmal diesen Mindeststandards wurde von den FR-„Journalisten“ entsprochen. dies entlarvt ihre wahre Intention. Die Paus, Ramelows, Kippings und des so genannten „Arbeitskreises Shalom“ der Linksjugend“ Solid“ gehören u. a. scheinbar zur „Israellobby“, die auf die Diskreditierung der letzten Reste einer kritischen Linken abzielt. Wie naive kann man eigentlich noch sein, wenn dieser Blauäugigkeit keine politische Absicht unterliegt? Als Alibi entpuppt sich die Anfrage bei Petra Pau, die keinen Kommentar abgeben wollte; warum auch? Die Nachfragen bei Rolf Mützenich, Stefan Liebich, Ramelow sind scheinheilig und pseudo-journalistisch. Warum keine Anfrage dagegen bei dem schon lange auf der „Abschussliste“ der „Israellobby“ stehenden Hermann Dierkes aus Duisburg oder der MdB Inge Höger? Was ist so verwerflich daran, dass Frau Höger an einer Veranstaltung der Palästinenser in Wuppertal teilgenommen hat, an der sie einen Palästinenserschal getragen haben soll, auf dem die Grenzen Israels nicht vermerkt waren? Haben sich die FR-Journalisten einmal sachkundig gemacht, warum in israelischen Schulbüchern und auf Straßenkarten schon seit Jahrzehnten die von Israel im Juni 1967 besetzten Gebieten nicht mehr zu sehen sind? Wissen diese „Journalisten“ überhaupt, dass Israel seine eigenen Grenzen bisher noch nicht einmal selber festgelegt hat?

Positiv für die FR ist anzumerken, dass diese so genannte wissenschaftliche Studie von Salzborn/Voigt online gestellt worden ist. Jeder, der lesen kann, erkennt sofort ihre ideologische Intention. Hoffentlich publiziert nicht die Zeitschrift dieses Machwerk, das ihr unter einem „wissenschaftlichen“ Anspruch angeboten worden ist. Ihre Redakteure sollten in Zukunft ihre ideologische Voreingenommenheit besser kaschieren, damit sie nicht noch den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit verlieren."

Dienstag, 17. Mai 2011

Victor Kocher, Terrorlisten

Der Schutz der Menschenrechte ist ins Gerede gekommen, wie absurd dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht deren Verteidigung steht auf der Agenda der internationalen Politik und des Völkerrechts, sondern sie sind von Aushöhlung und Sinnentleerung bedroht. Auf die Zerstörung des Völkerrechts, der „rule of law“ und der Menschrechte zielte die Politik des US-Imperiums in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ab. Die Vereinten Nationen galten den neokonservativen „Bush-Kriegern“ als „der Feind“ schlechthin, und für das Völkerrecht hatten sie nur Verachtung übrig. Aber ebenso verheerend für die Glaubwürdigkeit einer Menschenrechtspolitik haben sich die Kriege erwiesen, die verbrämt als „humanitäre Interventionen“ von so genannten Menschrechtskriegern/Innen angezettelt und legitimiert worden sind. Dazu zählt nicht nur der Kosovo-Krieg, sondern auch der Überfall auf Libyen, wo man unter dem Vorwand der Errichtung einer „Flugverbotszone“ zum „Schutz der Zivilbevölkerung“ durch den UN-Sicherheitsrat jetzt im Namen der Nato auf Seiten von der CIA implantierter „Aufständischer“ Krieg gegen ein UN-Mitglied wider alle UN-Prinzipien führt.

Welche Langzeitfolgen die 9/11-Anschäge für die Bürger- und Menschrechte nicht nur in den USA, sondern weltweit haben, zeigt das Buch des ehemaligen Nahostkorrespondenten der „Neue Zürcher Zeitung“, Victor Kocher, der erst seit einem Jahr vom UN-Sitz in Genf für die NZZ berichtete. Noch vor der Vorstellung des Buches verstarb der Autor auf tragische Weise bei einem harmlos scheinenden Spaziergang auf vereister Grundlage im schweizerischen Wallis. Kocher gehörte zu den Besten und Kenntnisreichsten seiner Zunft. Wer ihn erleben durfte, wie er in souveräner Weise die zahlreichen deutsch-arabischen Mediendialoge moderiert hat, in denen er auf fast spielerische Art und Weise nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch auf Französisch, Englisch, Arabisch oder Persisch jonglierte und parlierte, konnte nur bewundernd sagen: Chapeau! Außerdem war er ein fachlich überaus kompetenter und menschlich außergewöhnlicher Kollege.

Wie die UNO von den neokonservativen „Bush-Krieger“ so dämonisiert werden konnte, war niemals nachvollziehbar. Ist doch die Weltorganisation auch ein kongeniales Instrument für die Legitimation einer expansiv-aggressiven Politik des US-Imperiums unter dem Deckmantel des Völkerrechts; die „Bushies“ agierten nur extrem ungeschickt. Unrecht und die Legitimation von rechtsfreien Räumen durch UN-Resolutionen ist das Thema des Buches von Kocher. Die UNO wollte im Oktober 1999 durch die Verabschiedung der UN-Sicherheitsresolution 1267 Präventivmaßnahmen gegen die Taliban und Al-Qaida ergreifen. Tatsächlich schuf man dadurch einen globalen rechtsfreien Raum, der auf einen Schlag Menschen ihrer Bürger- und Freiheitsrechte beraubte. Nach 9/11 wurde diese Resolution „modifiziert“, sodass sie zu einem Willkürinstrument wurde, das man nur aus totalitären Staaten kennt.

Der renommierte österreichische Völkerrechtler und ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak, hat in seinem Vorwort auf die verhängnisvolle Rolle der westlichen Demokratien hingewiesen, die durch ihr Verhalten nicht nur gegen ihre eigenen westlichen Werte handelten, sondern auch die Prinzipien des Rechtsstaates unterminierten und die demokratische Kontrolle außer Kraft setzten. Der Westen sei auf dem besten Wege, ein oligarchisches System zu errichten.

Die Praktiken der Resolution 1267 hätte man früher eher totalitären Systemen zugeordnet. Wenn eine Person oder Organisation vom „1267-Ausschuss“, so Nowak, auf die „Terrorliste“ gesetzt worden ist, seien alle UN-Mitglieder völkerrechtlich verpflichtet, gegen sie vorzugehen. Die eingeleiteten Maßnahmen bedeuteten das gesellschaftliche und persönliche Aus. Victor Kocher gibt zirka 500 Personen an, die von diesen obskuren Methoden betroffen sind. Als ein Beispiel für viele nennt der Autor den Bankier Jussef Nada, den man aufgrund unterstellter „Terrorverbindungen“ mit einem Federstrich ruinierte, und er brauchte fast ein Jahrzehnt, um dieser UN-Schlagengrube zu entkommen. Aufgrund seines hohen Alters verzichtet er auf langwierige Schadensersatzprozesse.

Jeder x-beliebige Geheimdienst kann ihm „verdächtige“ Personen auf diese Liste setzen lassen, um sie erstmals aus dem Verkehr zu ziehen; besonders die USA haben davon einen exzessiven Gebrauch gemacht. Beweise bedarf es zur gesellschaftlichen Ausschaltung keiner, wie es keine Berufungsinstanz oder Akteneinsicht in dieses totalitär-denunziatorische System gibt. Erst aufgrund zahlloser Beschwerden von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Seite hat sich die UNO 2006 bemüßigt gefühlt, eine Beschwerdestelle einzurichten, seit 2010 gibt es einen „Ombudsmann“, dessen Macht aber sehr beschränkt ist. Von den zirka 50 Verfahren endeten nur wenige „erfolgreich“. Mit diesen „Terrorlisten“ wird auch erfolgreich Politik gemacht. Es ist nicht verwunderlich, dass deren Spuren bis in den Nahen Osten reichen. Bis heute habe sich an dieser rechtswidrigen Praxis nichts Grundlegendes geändert, so der Autor.

Es gab aber auch Widersprüche von Seiten einiger Staaten und Individuen: Für die UNO äußerte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan erste Einwände, und für die Schweiz nahm sich der Parlamentarier Dick Marty, der schon als Sonderberichterstatter des Europarates für Menschrechte eine herausragende Rolle in der Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien und der Menschenrechte gespielt hat, der Sache an. Obgleich Depositar-Staat der Genfer Konventionen ging die Schweizer Diplomatie die üblichne Wege, indem sie die Nachbarschaft gleichgesinnter Staaten suchte und Studien finanzierte, welche die Möglichkeiten einer Reform des Sanktionsregimes untersuchten, schreibt Kocher. Wer könnte der Schweiz diese Haltung verdenken, sah sie sich doch vor einigen Jahren eines enormen politischen Drucks seitens der Anwälte der Zionistischen Weltorganisation und der US-Regierung wegen der nachrichtenlosen jüdischen Vermögen aus dem Zweiten Weltkrieg ausgesetzt.

Die Konsequenz aus Victor Kochers Buch kann nur lauten: Der „Kampf gegen den Terrorismus“ muss wieder mit den Mitteln des Rechtsstaates, des Völkerrechts und der Menschrechte geführt werden und nicht mit „Waterboarding“, anderer Foltermethoden oder brutaler militärischer Gewalt. Die Folter-Kammern des US-Imperiums in Guantanamo Bay, Abu Ghreib oder Bagram müssen geschlossen werden, und die Länder, in denen die USA Folterungen auf Neudeutsch „outgesourced“ haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Das kafkaeske Spießrutenlaufen der grundlos Verdächtigten und die Prozesse vor Militärtribunalen sind zu stoppen, sonst sind die westlichen Demokratien schon bald nur noch durch eine „demokratische“ potemkinsche Fassade von totalitären Regimen zu unterscheiden. Es darf keine weiteren Verbrechen im Namen der „nationalen Sicherheit“ mehr geben, da auch eine solche Begründung einem antidemokratischen Gedankengut entspringt.

Der Autor hat nicht nur seinen Kollegen/Innen ein „Vermächtnis“ hinterlassen, sondern auch an elementare demokratische Tugenden und Prinzipien erinnert, denen sich vor allem auch die politischen Klassen in Demokratien verpflichtet fühlen sollten. Ein überaus lesenswertes Buch.

Erschienen hier.

Sonntag, 15. Mai 2011

Khaled Juma, Dickerchen und Sesam

Der Gaza-Streifen ist noch ein belagertes Gefängnis, zu dem die israelische Besatzungsmacht den Schlüssel besitzt. Diese Unmenschlichkeit dürfte aber bald ein Ende haben, wenn Ägypten seine Grenze zu dem Küstenstreifen öffnen wird, damit die „gefangenen“ Menschen endlich ihr Menschenrecht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen können, das Israel ihnen seit fast 44 Jahren vorenthält.

Kahlid Juma, Dichter, Kinderbuchautor und Songschreiber lebt derzeit in diesem Freiluftgefängnis. Er hat zahlreiche Kinderbücher geschrieben; dazu zählen „Kaiouse at a Press Conference, children’s story“, „Sheeps Do Not Eat Cats“, „The Distant City“ u. v. a. m. Dafür wurde er mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.

Der Autor lässt mit seinen fünf Fabeln die Kinder teilhaben an seinen fantasievollen Erzählungen. Die Texte vermitteln alle ein Plädoyer für ein friedvolles Miteinander und enthalten eine moralische Botschaft. So handelt die Geschichte „Drei Beine“ von einer Hündin, der von Geburt an ein Bein fehlte. Sie versuchte alles, um diesen „Schaden“ zu beheben, bis sie einem Raben begegnete, der diese Benachteiligung als ein Merkmal von Einzigartigkeit deutete. „Schau, wenn du dir die Hunde ansiehst, wirst du merken, dass sich jeder Hund vom anderen Hund unterscheidet. Sie haben verschiedene Schwänze, verschiedene Ohren und Zähne, unterschiedliche Haarfarbe und Größen! Und auch du unterscheidest dich von den anderen Hunden. Deswegen, weil du drei Beine hast! Das ist alles! Da kehrte das Lächeln wieder in das Gesicht der Hündin zurück und sie dachte sich, dass das, was der Rabe gerade gesagt hatte, richtig war, denn kein Tier hatte sie ausgelacht, als sie nur mit drei Beinen durch den Wald gegangen war. Sie lachten sie erst dann aus, als sie sahen, dass die kleine Hündin einen Ast für ihr fehlendes Bein verwenden wollte. Als sie das begriffen hatte, war sie glücklich und ging nach Hause.“

In einer Region, in der die Gewalt das Sagen hat, sind solche Erzählungen kleine Lichtblicke, die nicht nur Kindern sondern auch Erwachsenen eine Botschaft vom Frieden vermitteln. Die zahlreichen Illustrationen von Ali Farzat geben der Fabel-Sammlung eine besondere Note. Als Vorlesebuch für Kinder hervorragend geeignet.

Erschienen hier.

Samstag, 14. Mai 2011

Fatah- und Hamas-Versöhnung: kein Ende der Nakba

Israel feiert wie üblich seinen 63. Geburtstag mit großem nationalistischem Tamtam. Dagegen ist den Palästinensern nicht zum Feiern zumute. 63 Jahre al-Nakba (die Katastrophe) für ein Volk können nicht mit Pomp begangen werden. Anlass zum Feiern gibt jedoch die Versöhnung zwischen der Fatah und der Hamas, die sich nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 von Israel und dem USA in einen Bruderkrieg haben treiben lassen, bzw. bereitwillige PLO-Funktionäre meinten, gegenüber der Besatzungsmacht eine größere Loyalität an den Tag legen zu müssen als gegenüber ihrem eigenen Volk. Die PLO-Funktionäre zettelten mit Hilfe der Besatzungsmacht einen Bürgerkrieg in Gaza an, um mit der einzig demokratisch legitimierten Regierung, die Palästina jemals hatte, kurzen Prozess zu machen. Dieser PLO-Putsch gegen die Hamas ging jedoch nach hinten los. Mohammed Dahlan, Israels Mann in Gaza, musste mit seiner Miliz geschlagen von Dannen ziehen. Er kann von Glück reden, dass er seinen Putsch nur über sein Handy aus Ägypten dirigiert hat und nicht vor Ort war. Ob die Versöhnung letztendlich gelingt, hängt nicht so sehr von den beiden Parteien, sondern vom Willen der Besatzungsmacht und ihrer Klientel in Europa und den USA ab.

Die Veränderungen in der arabischen Welt sind endlich auch in Palästina ankommen. Sie haben nicht nur die politische Lage in Palästina, sondern auch für Israel verändert. Israels Pharao, Hosni Mubarak, wurde auf Druck des Volkes vom Militär aus dem Verkehr gezogen, und Bashar al-Assad steht in Syrien noch das Schlimmste bevor. Für die Palästinenser bedeutete dies, die Reihen zu schließen, bevor sich das „window of opportunity“ wieder schließt und es für einen fundamentalen Politikwechsel zu spät ist. Eine der Konfliktparteien hat bereits ihren Protegé verloren, und auch die Herrschaft der Hamas-„Partei“ in Syrien wankt. Nicht bessere Einsicht war also die treibende Kraft bei der „Versöhnung“ zweier kontradiktorischer Politkonzepte, sondern die Macht der Notwendigkeit, bedingt durch die geopolitischen Veränderungen, welche die Revolution in Ägypten und die Aufstände gegen die arabischen Autokraten bewirkt haben.

Ob das Versöhnungsdokument, das nicht nur von Hamas und Fatah, sondern auch von elf weiteren Gruppierungen unterzeichnet worden ist, das Papier wert ist, auf dem es geschrieben worden ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Wenn beide Kontrahenten die Sache ernst nehmen, können Verhandlungen im alten Stil mit Israel so nicht weitergeführt werden. Mahmud Abbas und seine Kumpane müssen Abschied von ihrer kollaborationistischen Haltung gegenüber Israel nehmen. Die Veröffentlichungen der „Palestine papers“ haben gezeigt, dass jedwede Verhandlungen mit welcher israelischen Regierung auch immer zu nichts führen, weil das Land zu keinem wirklichen politischen Kompromiss bereit ist, solange die Palästinenser nicht kapitulieren und kollektiv „auswandern“ oder sich zum Zionismus bekehren. Eine Regierung der nationalen Einheit wird wieder deutlicher die legitimen Rechte der kolonisierten Palästinenser betonen müssen, welche Abbas und seine Mannen für ihre Privilegien bereits geopfert haben.

Dass das neue und hoffentlich demokratische Ägypten nicht mehr die schäbige Rolle Mubaraks als Erfüllungsgehilfe Israels und der USA gegen die Palästinenser spielen wird, wurde bereits durch die Ankündigung deutlich, die Grenze des Gaza-Streifens zu Ägypten für die in Gefangenschaft lebenden Palästinenser wieder zu öffnen, damit Israels Gefangene endlich Zugang zur Welt erhalten, weil eine ungehinderte Ein- und Ausreise jedem Individuum als Menschenrecht zusteht. Auch wird sich eine zukünftige ägyptische Regierung nicht mehr an der Farce beteiligen, die vom Westen als „Friedensprozess“ bezeichnet wird, und der israelischen Kolonisierung der Westbank tatenlos zusehen. Auch wird sie nicht mehr Israels kriegerische Rhetorik gegenüber Iran unterstützen. All dies sollte Abbas bedenken, wenn er sich wieder mit Israel in Verhandlungen über einen „Friedensprozess“ einlässt. Aber Abbas ist umringt von Ja-Sagern, sodass kritischer Geist diesem Klüngel wohl tun wird.

Das Geschrei in Israel war groß, und Netanyahu rasselte heftig mit dem Säbel über den Fatah-Hamas-Deal. Die Rhetorik der rechtsnationalistischen Netanyahu-Lieberman-Regierung war vorauszusehen. Man drohte „schwerwiegende Konsequenzen“ an. Einige Extremisten verlangten sogar die sofortige Annexion der Westbank. Von Regierungsseite lamentierte man darüber, dass der „Friedensprozess“ nicht fortgesetzt werden könne, solange Mitglieder einer „Terrororganisation“ einer palästinensischen Regierung angehörten. Plötzlich hat Israel wieder „keinen Partner“, als ob Israel jemals ein Partner in einem ernstzunehmenden Friedensprozess gewesen wäre, wenn man sich die Geschichte seit der Gründung des Staates ansieht. Die erste dieser Strafmaßnahmen war die Sperrung von Überweisung der von Israel eingehaltenen Steuern an Abbas; eine rechtswidrige Maßnahme, wie so vieles rechtswidrig ist, was Israel tut.

Die Spaltung innerhalb des palästinensischen Widerstandslagers lag im Interesse Israels, und man tat alles, um diese aufrechtzuerhalten. Die Drohung mit dem Ende des „Friedensprozesses“ klingt hohl, als ob es jemals einen „Friedensprozess“ gegeben hätte, der diesen Namen verdient. Die altbekannten Propagandafloskeln wurden wieder aus der zionistischen Mottenkiste hervorkramt und in die Welt hinausposaunt. Damit sollen den Staaten wieder jegliche eigenständige Handlungsoptionen genommen werden, wie weiland beim Wahlsieg der Hamas 2006, als erstmalig in freien, gleichen, geheimen und allgemeinen demokratischen Wahlen in der arabischen Welt eine Regierung aus dem Amt gewählt worden ist. Der damalige „Sündenfall“ des Westens, der wider gegen seine so genannten Werte handelte, weil Israel es ihm aufgetragen hatte, darf sich dieses Mal nicht wiederholen, weil sich dadurch der Westen zum wiederholten Male jeglicher eigenständiger Politik berauben würde. Die spalterische Politik Israel gegenüber der arabischen und muslimischen Welt wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, u. a. auch deshalb, weil Israel mit der Türkei einen wichtigen Verbündeten verloren hat, den es durch seine aggressive Politik, wie z. B. durch die Ermordung von neun türkischen Staatsbürgern bei der völkerrechtswidrigen Kaperung der „Mavi Marmara“ in internationalen Gewässern geschehen, mehrmals vor den Kopf gestoßen hat.

Wo Israel mit seiner schrillen Politrhetorik immer landen kann, sind die USA und Deutschland. Viele der anderen europäischen Regierung sehen das völlig anders, wie z. B. die Rolle von Hamas. Demgegenüber haben beide das politische Mantra von Hamas als Terrororganisation wiederholt und gefordert, Hamas müsse der Gewalt abschwören, Israels Existenzrecht anerkennen und die ausgehandelten Verträge akzeptieren. Keiner hat jedoch jemals von Israel gefordert, der Gewalt abzuschwören (1 600 Tote im Libanon 2006; 1 400 Tote in Gaza 2008/09 sprechen eine eindeutige Sprache, von den hunderten toten Palästinensern in den Jahren dazwischen gar nicht zu reden), das Existenzrecht des palästinensischen Volkes anzuerkennen und die Oslo-Verträge einzuhalten. Apropos „Existenzrecht Israels“: Hat jemals irgendjemand gefordert, das „Existenzrecht“ Deutschlands, Frankreichs, der USA oder Tongas anzuerkennen? Daran zeigt sich, wie grotesk eine solche politische Forderung ist. Das Völkerrecht kennt nur die staatliche Anerkennung. Außerdem existiert Israel, Punkt! Darüber braucht nicht mehr diskutiert zu werden. Hätte die deutsche politische Klasse auch nur die geringste Ahnung, was sich hinter dieser Propagandaformel vom „Existenzrecht“ wirklich verbirgt, könnten sie nicht gedankenlos diesen politischen Unfug nachplappern. Zum Existenzrecht hat Abba Eban in der New York Times vom 18. November 1981 folgendes geschrieben: "Niemand erweist Israel einen Dienst, indem er sein ´Existenzrecht`proklamiert. Es ist beunruhigend, dass so viele, die Israel wohl gesonnen sind, diese verächtliche Formulierung im Munde führen." Warum fordert kein Staat von Israel, endlich seine völkerrechtlichen Grenzen anzuerkennen, die nur die Waffenstillstandsgrenzen von 1949 sein können. Oder sollte die internationale Staatengemeinschaft vielleicht auf den Grenzen der UN-Teilungsresolution beharren?

Am 5. Mai war Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in Berlin, einige Wochen vorher Israels Ministerpräsident Netanyahu. Die Bilder der Begegnungen sprechen Bände: Netanyahu und Merkel schauen sich lächeln wie „Verliebte“ in die Augen; gegenüber Abbas tritt Merkel mit erhobenem Zeigefinger auf, wie gegenüber einem beim Abschreiben ertappten Schulbuben. Dass Merkel ihm dann eine Lektion in israelischer politischer Propaganda erteilte, überrascht keinen. Unter der Merkel/Westerwelle/Rösler-Regierung ist in Bezug auf den Nahen Osten Hopfen und Malz verloren, obwohl Westerwelle manchmal helle politische Momente hat, wie beim Abstimmungsverhalten Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, als es um den Kriegseintritt gegen Libyen ging, der durch eine so genannte Einrichtung einer „Flugverbotszone“ für Zivilisten verbrämt wurde. Heute führt die NATO einen Krieg auf Seiten von der CIA geschaffenen „Aufständischen“ gegen eine international anerkannte Regierung.

Neben der seit Jahrzehnten bestehenden Obstruktionspolitik der USA und Israels bleiben Fragen in dem „Versöhnungsdokument“ wie der zukünftige Wahlmodus, der Status der PLO, Sicherheitsarrangements, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit und die Rolle des Legislativrates weitgehend ungeklärt. Israel hält immer noch 13 demokratisch-gewählte Abgeordnete der Hamas grundlos gefangen. Wie soll damit umgegangen werden? Wie das israelische Außenministerium in einer politischen Lageanalyse feststellte, würde eine erfolgreiche Versöhnung den politischen Interessen Israels und der USA in der Region schaden. Die Palästinenser sollte diese „negativen“ Auswirkungen für seinen Besatzer und dessen Klienten, die USA, wenig interessieren, weil deren politisches Interesse nicht dem des palästinensischen Volkes entspricht. Es scheint, als entspreche diese Analyse den extremistischen Ansichten von Außenminister Lieberman.

Ob die Zusammenarbeit zwischen dem israelischen Besatzer und der willfährigen Abbas-Regierung in Sicherheitsfragen nicht primär der Sicherheit der völkerrechtswidrigen Kolonisatoren in der Westbank dient als den Palästinensern, muss von einer Regierung der nationalen Einheit überdacht werden. Hamas hat sich bisher immer geweigert, seine Hand den Besatzern zu reichen, um die eigene Bevölkerung zu drangsalieren und zu unterdrücken. Eine völkerrechtliche Anerkennung Israels, und nur darum kann es gehen, kommt für Hamas nur in Frage, wenn im Gegenzug Israel „Palästina“ als Staat völkerrechtlich anerkennt. Yassir Arafat hatte Israel im Rahmen der Oslo-Vereinbarungen mehrmals anerkannt, Israel im Gegenzug aber immer nur die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes. Die adäquate Ebene wäre gewesen, wenn Arafat die Arbeitspartei als Vertreterin des israelischen Volkes anerkannt hätte. Hamas kann kein glaubwürdiger Partner in einer Regierung der nationalen Einheit sein, wenn die „Friedensgespräche“ weiterhin von der PLO in der Person von Abbas und seinen Kumpanen geführt werden, weil Hamas kein Mitglied der PLO ist. Wenn nicht die Farce des „Friedensprozesses“, sondern ein wirklicher Friedensprozess neu beginnen soll, dann muss ein Verhandlungsteam zusammengestellt werden, das das Vertrauen der nationalen Einheitsregierung geniest.

Noch ist für Israel nichts verloren, denn Ministerpräsident Netanyahu wird in Kürze vor beiden Häusern des US-Kongresses eine Rede halten, vor einem Gremium, das zu 95 Prozent die Anweisungen der Israellobby befolgt. Der „wind of change“ und neues Denken kommen bestimmt nicht aus den USA und schon gar nicht aus Israel, sondern aus den revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt,. Solange die arabische Welt geteilt bleibt in moderate, sprich „gute“ Amerikahörige Regierungen, und radikale, sprich „schlechte“ Amerikakritische Regierungen, kann es zu keinen positiven Veränderungen im Israel-Palästina-Konflikt kommen. Die arabische Welt sollte erkennen, dass nicht die Kolonialmächte Israel und die USA ihre Interessen vertreten, sondern dies müssen sie schon selbst in Kooperation mit anderen Mächten wie Russland oder China tun, um dem Expansionsdrang des US-Imperiums Einhalt zu gebieten. Denn nur durch eine solche Allianz-Bildung könnte auch die fortdauernde al-Nakba in Palästina gestoppt werden.

Montag, 9. Mai 2011

Livia Rokach, Leben mit dem Schwert. Israels Heiliger Terror

Mit der Frage „Israel, ein Terrorstaat?“ leitet der Verleger Abraham Melzer seine Einführung in die Neuauflage des Buches von Livia Rokach ein, das erstmalig 1980 unter dem Titel „Israel´s Sacred Terrorism“ in den USA und auf Deutsch unter „Israels Heiliger Terror“ 1982 erschienen ist. Unter dem Titel „Leben mit dem Schwert. Israels Heiliger Terror“ ist es nun wieder verfügbar. Um das Resümee vorweg zu nehmen: Das Buch scheint heute noch wichtiger zu sein als zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung, weil es über ein Verhaltensmuster israelischer Regierungen und seiner politisch-militärischen Klasse Einblicke liefert, die sich bis heute scheinbar nicht verändert haben.

Livia Rokach starb 1984 in einem Hotelzimmer in Rom durch Selbstmord. „Il Manifesto“ vom 2. April 1984 berichtete in seinem Nachruf jedoch, dass Livia tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden sei. In den 1960er Jahren emigrierte sie als 23-jährige von Israel nach Italien und bezeichnete sich fortan als „italienische Autorin und Journalistin palästinensischer Herkunft“. Sie schrieb für die israelische Tageszeitung „Davar“ und berichtete für das israelische Radio. Beide beendeten die Arrangements, weil Rokach ihre Sympathien für die Palästinenser und den Kommunismus nicht verhehlte. Danach schreib sie für die palästinensische Tageszeitung „Al-Fajr“. Sie war mit dem Chefredakteur der italienischen Kulturzeitschrift „Il ponte“, Enzo Enrique Angnoletti, liiert; sie nahm die italienische Staatsbürgerschaft an.

Rokach war die Tochter des ersten Bürgermeisters von Tel Aviv und ehemaligen Innenminister Israels, Israel Rokach, im Kabinett von Ministerpräsident Moshe Sharett. Dessen Tagebücher wurden von Sharetts Sohn, Jaquov, 1979 auf Hebräisch veröffentlicht. Livia Rokach publizierte in „Israels Heiliger Terror“ zentrale Passagen aus diesen Tagebüchern, die tiefe und grundlegende Einblicke in das Verhalten der israelischen politischen und militärischen Klasse geben, die sich scheinbar bis heute tradiert haben. Die Tagebücher Sharetts sind noch immer nur auf Hebräisch verfügbar.

Livia Rokach war eine mutige, couragierte Frau, die sich für die Befreiung der unterdrückten Völker vom Kolonialismus eingesetzt hat. Sie war eine Sabra, eine in zweiter Generation in Israel/Palästina Geborene. Für sie war Zionismus gleichbedeutend mit Kolonialismus. Der Befreiungskampf des palästinensischen und des vietnamesischen Volkes bildeten eine Einheit; Vietnam und Palästina waren für sie zwei Seiten derselben Medaille. Ihr ganzes politisches Engagement galt einem säkularen Staat Palästina, was das Aufgehen Israels in einem solchen bedeutete. Diese politische Haltung, die auch in Italien singulär war, hat ihr zahlreiche Feindschaften eingetragen und sie immer stärker isoliert.

Die Bisanz der Sharett Tagebücher machte es für seinen Sohn Yaquov sehr schwierig, einen israelischen Verlag zu finden. Yaquov Sharett versuchte, mit Unterstützung des israelischen Außenministeriums und unter zur Hilfenahme eines US-amerikanischen Anwalts, die Veröffentlichung von „Israel´s Sacred Terrorism“ zu verhindern. Er macht Urheberrechtsfragen und ökonomische Interessen der Familie geltend. Als es dann zum Schwur kommen sollte, unterstützte das israelische Außenministerium nicht mehr das Anliegen des Sohnes von Moshe Sharett. Dazu schrieb Uri Avnery in seiner Zeitschrift „Hoalam Hazeh“ vom 23. September 1980: „Die Politiker in Jerusalem waren der Ansicht, dass das Beschreiten des Rechtsweges ein Fehler ersten Ranges wäre, da dies dem Buch eine weit größere Publizität verschaffen würde.“

Angeheizt wurde die Agitation gegen Rokachs Buch durch einen Artikel der israelischen Tageszeitung „Maariv“ vom 4. April 1980 unter der Schlagzeile „Die Hasser Israels in den USA übersetzen die Tagebücher Moshe Sharetts ohne Erlaubnis“. Die „Association of Arabic-American University Graduates“ (AAUG), die für die englische Ausgabe verantwortlich zeichnete, ließ sich durch die Drohungen des Anwalts Martin Novak nicht beeindrucken und publizierte dieses aufschlussreiche Buch. Gegen die Veröffentlichung der Textauszüge aus den Tagebüchern konnten keine Einwände erhoben werden, da sie weder aus dem Zusammenhang gerissen waren, um einen falschen Eindruck zu erwecken, noch politisch-interpretatorisch entstellt wurden, sodass selbst Yaquov Sharett keinerlei Handhabe hatte, weiter juristisch dagegen vorzugehen. Übrigens: Livia Rokach hat nur ein Prozent der Tagebücher veröffentlicht, um ihre Thesen zu untermauern.

Durch ihr politisches Engagement geriet Rokach in Italien zunehmend in die politische Isolierung. Für ihr Buch „Israel im Libanon. Zeugnisse eines Genozids“ konnte sie keinen Verleger finden. Für ihre Weltanschauung und ihre radikalen politischen Ansichten fanden sich immer weniger Unterstützer, und sie verstrickte sich immer tiefer in die inneritalienischen Grabenkämpfe, die sie durch ihre publizistische Tätigkeit begleitete. Die bürgerliche Presse pflegte das Image einer gescheiterten, verzweifelten Frau, die angeblich vor der Räumung ihrer Wohnung stand, um ihren Selbstmord für ihre Leserschaft zu „rationalisieren“.

Aus einem Gespräch mit einer israelischen Persönlichkeit, die Livia Rokach 1983 in Rom getroffen hat, habe ich erfahren, dass sie sich damals in einer schwierigen seelischen Verfassung befunden und einen depressiven Eindruck gemacht habe. „Sie fühlte sich von ihren politischen Freunden verraten.“

Ein zentrales Anliegen von Livia Rokach war anhand der Tagebuchaufzeichnungen Sharetts, zur Entlarvung des Mythos von Israels Sicherheit und seiner Sicherheitspolitik beizutragen, was ihr auch gelungen ist. So schreibt sie über die immer beschworene Bedrohung Israels durch die arabischen Staaten: „Die arabische Bedrohung war ein von Israel erfundener Mythos, der den arabischen Regierungen aus internen und innerarabischen Gründen nicht völlig geleugnet werden konnte, obwohl sie ständig neue israelische Kriegsvorbereitungen fürchteten.“ Die Absicht des israelischen Sicherheitsestablishments sei es immer gewesen, „die arabischen Staaten in eine militärische Konfrontation zu drängen, die zu gewinnen die israelischen Führer sich immer sicher waren“. Israel sollte in eine Großmacht des Nahen Ostens verwandelt werden.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland und noch verstärkter in den USA wird von Wissenschaftlern immer noch das Märchen von einer arabischen Bedrohung des kleinen David durch den riesigen arabischen Goliath verbreitet. Nichts davon könnte weiter von der historischen Wahrheit entfernt sein. Wie die Tagebücher Sharetts deutlich zeigen, war „die Besetzung von Gaza und des Westjordanlandes seit den frühen fünfziger Jahren Teil der israelischen Pläne“. Auch die zahlreichen militärischen Aggressionen Israels gegenüber dem Libanon werden immer wieder durch ein angebliches israelisches „Sicherheitsbedürfnis“ gerechtfertigt. Aber auch hier nennt Sharett in seinen Tagebüchern den wirklichen Verantwortlichen: David Ben-Gurion und dessen aberwitzigen Plan einer „Christianisierung“ des Libanon; die inner-libanesischen Konflikte seien von ihm am Reißbrett erfunden worden. Diesen politischen Wahnsinn verfolgte auch Ariel Sharon, als er 1982 im Feldzug „Frieden für Galiläa“ in den Libanon einfiel und mit dem libanesischen Präsidenten Bachir Gemayel einen Separatfrieden schließen wollte, um einen Maronitischen Staat mit Israel als Schutzmacht zu schaffen.

Die Auszüge aus Sharetts Tagebüchern, die acht Bände umfassen, lesen sich wie ein Krimi. Durch diese minutiösen Aufzeichnungen offenbart sich für die Leserschaft ein politisches Verhaltensmuster der israelischen politischen und militärischen Klasse, die sich bis heute scheinbar tradiert hat. In der Gründungsphase Israels wurden die Fundamente gelegt, die Israels militärische Aggressionen gegen seine Nachbarn oder gegen unliebsame Politiker zeigen. Ob nun Nachbarländer überfallen werden wie der Libanon, wenn ein Massaker wie im Gaza-Streifen 2008/09 angerichtet wird oder wenn Personen in anderen Ländern liquidiert, entführt oder auf hoher See hingerichtet werden wie die neun türkischen Friedensaktivisten auf der „Mavi Marmara“.

Livia Rokach sieht diese Verhaltensweisen auch in der expansiven Ideologie des Zionismus grundgelegt. Der Zionismus habe sich als Kraft, „die bewusst und programmatisch auf eine ständig fortwährende Gewalt- und Konfliktbereitschaft im Nahen Osten gerichtet ist, konsolidiert und ausgeweitet“. Seine „Strategie des Terrors, der Provokation und der politischen Subversion“, die Sharett bereits in seinen Tagebuchaufzeichnungen für das erste Jahrzehnt israelischer Staatlichkeit diagnostiziert hat, habe sich auf den gesamten Nahen Osten ausgebreitet, so die Autorin. Sie hält den Zionismus für nicht reformierbar.

Was sich in diesem Bändchen nachlesen lässt, sollten alle an Israel Interessierten zur Kenntnis nehmen. Dass Abraham Melzer dieses „verschollene Juwel“, das enormen politischen Sprengstoff enthält, wieder neu aufgelegt hat, verdient höchste Anerkennung. Ein überaus spannendes Buch von der ersten bis zu letzten Seite. Ein Muss auch für alle Israellobbyisten, aber nicht nur für diese.

Erschienen hier.

Montag, 2. Mai 2011

Vittorio Arrigoni, Gaza – Mensch bleiben (Restiamo umani)

Posthum liest sich das Buch „Gaza – Mensch bleiben“ von Vittorio Arrigoni über das israelische Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens um die Jahreswende 2008/2009 wie ein Vermächtnis. Arrigoni war Mitglied der Internationalen Solidaritätsbewegung (ISM), harrte während des Massakers mit den eingesperrten Palästinensern aus und berichtet über die israelischen Gräueltaten für italienische Medien. Aus diesen Berichten entstand sein Buch „Restiamo umani“. Vittorio Arrigoni wurde am 14. April 2011 von der islamistischen Gruppe Tawhid wal-Jihad entführt, einer „salafistischen Sekte“. Am darauffolgenden Tag fand man ihn ermordet in einem leer stehenden Haus. Juliano Mer Kamis, Schauspieler, Regisseur und politischer Aktivist, wurde am 4. April 2011 vor seinem „Freedom Theatre“ im Flüchtlingslager Jenin von maskierten „Palästinensern“ erschossen. Beide Morde in so kurzer Abfolge können kein Zufall sein; sie stinken zum Himmel.

Wie seit Jahrzehnten bekannt, unterhält das israelische Militär so genannte verdeckte Einheiten, die als Palästinenser drapiert, perfekt Arabisch sprechen und von der Bevölkerung nicht zu unterscheiden sind und im Westjordanland als (Duwdewan-Einheit) und im Gaza-Streifen als (Schimschon-Einheit) operieren.(In meinem Buch „Frieden ohne Gerechtigkeit?“ habe ich darüber ausführlich berichtet.) Diese „Todesschwadronen“ haben den Auftrag, unliebsame Palästinenser zu liquidieren. Die Frage „Cui bono?“ drängt sich bei den beiden Morden zwangsläufig auf. Aus palästinensischer Sicht ergeben beide Morde keinen Sinn. Betrachtet sich Israel nicht als „Villa im Dschungel“, wie es einst Ehud Barak formuliert hat? Der „Dschungel“ ist in diesem Fall die von Israel besetzen Palästinensergebiete. Den palästinensischen Regierungen im Westjordanland und im Gaza-Streifen sollte schon aus Eigeninteresse alles daran gelegen sein, beide Morde aufzuklären, soweit sie dazu überhaupt in der Lage sind. La Verità prevarrà!

Das Buch ist hier erschienen.

Sonntag, 1. Mai 2011

Robert Fisk, Sabra und Schatila

Das Massaker durch christliche Phalangisten in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila vom 16. bis 18. September 1982 unter den Augen der israelischen Besatzungstruppen gehört zu den grauenvollsten Massakern, die im Namen von Christen und eines sich als „jüdisch und demokratisch“ verstehenden Staates in so kurzer Zeit angerichtet worden ist. Die Zahl der Opfer schwankt zwischen 700 bis zirka 2 000.

Robert Fisk gehörte zusammen mit zwei anderen Kollegen zu den ersten westlichen Journalisten, die unmittelbar nach dem Massaker die Flüchtlingslager aufsuchten. „Es waren die Fliegen, die es uns sagten.“ Was sich ihnen darbot, war ein Bild des Horrors und des Grauens, begleitet durch einen penetranten Verwesungsgeruch, der auch durch dauerhaftes Duschen des Autors nicht weichen mochte. Es ist schwerste Kost, die der Autor, der zu den besten Kennern des Nahen und Mittleren Ostens gehört, den Lesern/Innen vorsetzt.

Wie konnte es überhaupt zu einer solchen Orgie kommen? Letztendlich war der Auslöser dieses Massaker der israelische Feldzug vom 6. Juni 1982 unter dem Motto „Frieden für Galiläa“. Die PLO hatte sich nach ihrer gewaltsamen Vertreibung durch das Massaker vom „Schwarzen September“ 1977 durch die Truppen des jordanischen Königs Hussein im Libanon als Staat im Staate etabliert und das Land als Ausgangsbasis für Anschläge gegen Israel genutzt. Yassir ‚Arafat wurde von Seiten Menachem Begins, des Ministerpräsidenten Israels, als „Hitler“ dämonisiert. In einem Brief an US-Präsident Ronald Reagan stellte sich Begin als einer dar, der nach „Berlin“ marschieren wollte, um „Hitler“ zu liquidieren. Die permanenten Vergleiche Arafats mit „Hitler“ und die der Palästinenser oder Araber mit den „Nazis“ sind vermutlich Begins Traumatisierung als Holocaust-Überlebender geschuldet; seine ganze Familie wurde von den Nazis in Polen ermordet.

Verteidigungsminister Ariel Sharon und sein Generalstabschef Rafael Eitan ließen Begin über ihre wirklichen Kriegsziele im Unklaren. Abgesegnet vom israelischen Kabinett war offiziell nur die Errichtung einer 25-Kilometerlangen „Schutzzone“ im Süden des Libanon. Sharon und sein Generalstabschef marschierten, getragen vom Erfolg der israelischen Armee, bis Beirut, um dem „Hitler“ Arafat den Garaus zu machen, was insofern gelang, als Arafat mit einigen Getreuen nach Tunis ins Exil gehen musste und seine PLO-Kämpfer auf einige arabische Staaten verteilt worden sind.

Dem israelischen Überfall auf Libanon lag die irrsinnige Idee der israelischen Regierung zu Grunde, mit dem christlichen Präsidenten des Libanon, Baschir Gemayel, einen Separatfrieden abzuschließen und dadurch quasi eine Israelhörige Regierung im Libanon zu etablieren. Nach seiner Wahl zum Präsidenten im August 1982 soll er sich zwei Wochen vor seiner Ermordung mit Israels Ministerpräsidenten Begin getroffen haben. Am 14. September 1982 fiel Gemayel einem Attentat zum Opfer, das Habib Tanious Shartouni, ein libanesischer Christ, ausgeführt hatte; er warf Gemayel vor, sein Land an Israel verkaufen zu wollen. Zwei Tage später verübten phalangistische Milizen das Massaker in Sabra und Schatila. Robert Fisk stellt dar, dass das Massaker nur mit Wissen und Duldung der israelischen Militärführung durchgeführt werden konnte. Um jeden Zweifel auszuschließen, reiste der Reporter zu Major Haddad in den Südlibanon, um ihn dazu zu befragen, da man anfänglich seinen Männern versuchte, das Massaker in die Schuhe zu schieben.

Das israelische Libanonabenteuer dauert bis zum Mai 2000. Der damalige Ministerpräsident Ehud Barak zog nachts Hals über Kopf die israelischen Besatzungstruppen aus der so genannten Sicherheitszone ab, wie weiland die israelischen Besatzer sich am 26. September 1982 klammheimlich aus Beirut zurückgezogen hatten. Dieses Militärabenteuer hat über 1 000 israelischen Soldaten das Leben gekostet, für nichts und wieder nichts. Wenigstens gab es nach Bekanntwerden des Massakers die größte Demonstration gegen die Regierung, auf der in Tel Aviv über 300 000 Israels den Rücktritt der Regierung Begins gefordert haben.

Die zur Aufklärung der Umstände des Massakers eingerichtete Kahan-Kommission enthüllte, dass der israelische Geheimdienst Mossad ein komplettes System der Zusammenarbeit mit der Phalange unterhielt und dessen Mitarbeiter sich sogar die Büros mit den Pahlangisten teilten, die an den Morden beteiligt waren. Die Kommission forderte den Rücktritt Sharons und schrieb ihm ins Stammbuch, dass er nie wieder das Amt des Verteidigungsministers bekleiden dürfe. Wie bekannt, kam es noch viel schlimmer, Sharon wurde 2001 zum Ministerpräsidenten Israels gewählt.

Fisk zeigt, dass ein Teil der israelischen Militärführung über die Ereignisse in Sabra und Schatila bestens Bescheid wussten, aber nichts taten. Deshalb tragen sie dafür auch eine Verantwortung. Der Autor zitiert aus einem Telefonat des US-Diplomaten Morris Draper an Bruce Kashdan, einen Beamten des israelischen Innenministeriums, der über die Ereignisse ein detailliertes Tagebuch geführt hat, und vor der Kahan-Kommission ausgesagt hat: „Sie müssen die Massaker stoppen. Was dort geschieht, ist obszön. Ich habe einen Beamten im Lager, der die Toten zählt. Sie sollten sich schämen. Die Situation ist scheußlich und grausam. Die töten Kinder dort. Sie haben absolute Kontrolle über das Gebiet, und deshalb sind sie auch verantwortlich für dieses Gebiet.“ Juristische Konsequenzen gab es für niemanden.

Angeblich befanden sich in den Lagern nur „Terroristen“, auf die man nach israelisch-politischer Lesart Jagd machen kann. Solange diese Art der Dehumanisierung von Menschen, die nichts anderes als ihre Freiheit von Unterdrückung, Besatzung und Ungerechtigkeit haben wollen, solange wird der Hass über die Empathie obsiegen. Robert Fisk gehört nicht zur Sorte der „Embebbed Journalists“, die im Tross der westlichen Besatzungstruppen wie weiland die Missionare mit den Kolonisatoren über die „unterentwickelten“ Völker herfallen und dem heimischen Publikum eine Kriegsberichterstattung liefern, die den Besatzern gefällt, sondern sein Engagement ist getragen von der Suche nach den wirklichen Gründen eines politischen Ereignisses wie in diesem Fall des Massakers in den palästinensischen Flüchtlingslagern. Seine Courage und seine journalistische Gradlinigkeit sollten Ansporn für andere sein. Hofschranzen Journalismus ist niemals spannend und packend. Sein Bericht über dieses Massaker ist auch nach fast 30 Jahren immer noch eine bedrückende Lektüre der Zeitgeschichte und deshalb so lesenswert.

Das Buch ist hier erschienen.