Samstag, 28. April 2012

“Messianic feelings” among Israel´s political leadership?

In Israel findet ein erbitterter Machtkampf zwischen dem Sicherheitsestablishment des Landes und einer politischen Führung statt, die ihre Entscheidungen nicht aufgrund von Interessenabwägungen, sondern aufgrund von „messianischen Gefühlen“ (messianic feelings) trifft, so der massive Vorwurf des im Mai 2011 aus dem Amt geschiedenen Chefs des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Yuval Diskin. Er ist der vorläufig letzte in einer Reihe ehemaliger und amtierender Geheimdienstchefs und führender Militärs, die „Hilferufe“ in die USA und nach Europa senden, ohne dass diese dort bisher so wahrgenommen worden sind, wie sie gemeint sein dürften. Dass Netanyahu nicht nur unter starkem ideologischem Einfluss seines 101-jährigen Vaters, sondern auch unter dem von religiösen Extremisten steht, ist bekannt.

Der Chefredakteur von „The New Yorker“, David Remnick, hatte Folgendes über Benzion Netanyahu, den Vater von Benyamin Netanyahu, zu berichten: „Benzion, who is now a hundred and one, invited me to his house for lunch, and I am not sure that I have ever heard more outrageously reactionary table talk. The disdain for Arabs, for Israeli liberals, for any Americans to the left of the neoconservatives was chilling. The bitter ideological resentments were deepened by genuine loss: another of Benzion’s sons, Yoni, was the Israeli commando killed in the extraordinary rescue of the hostages at Entebbe, in 1976. In books, speeches, and action, Benjamin Netanyahu has proved himself his father’s son." 

Wenn schon der führende ehemalige Geheimdienstchef Diskin kein Vertrauen in die gegenwärtige Regierung Israels hat, stellt sich zwangsläufig die Frage, was die EU und die USA veranlassen, diese Regierung zu konsultieren? Warum konsultierten die fünf UN-Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland vor der letzten Verhandlungsrunde mit der iranischen Regierung in der Türkei gerade den israelischen Ministerpräsidenten, dessen extreme Position gegenüber Iran doch bekannt ist? Und warum teilen sie ihm auch die Ergebnisse der Verhandlung mit? Netanyahus politisch anmaßender Vorwurf gegen die Fortschritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Nuklearkonfliktes zwischen Iran und diesem Gremium lautete: Die Delegation habe Iran einen fünfwöchigen „freebie“ (Gratisgeschenk) zur weiteren ungehinderten Urananreicherung bis Mai gegeben! Wenigstens Obama hat diese politische Unterstellung umgehend zurückgewiesen. 

Die USA und die EU sollten sich folgende Aussage Diskins zu Herzen nehmen: „My major problem is that I have no faith in the current leadership, which must lead us in an event on the scale of war with Iran or a regional war.” Und er fügte noch hinzu: “I don't believe in either the prime minister or the defense minister. I don't believe in a leadership that makes decisions based on messianic feelings (…) believe me; I have observed them from up close... They are not people who I, on a personal level, trust to lead Israel to an event on that scale and carry it off. These are not people who I would want to have holding the wheel in such an event (…) they are misleading the public on the Iran issue. They tell the public that if Israel acts, Iran won't have a nuclear bomb. This is misleading. Actually, many experts say that an Israeli attack would accelerate the Iranian nuclear race.”

Zuvor hatte sich bereits der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan gegen einen Angriff auf Iran ausgesprochen. Hatte er in der Tageszeitung „Haaretz“ eine solche Idee als „the stupidest thing I have ever heard“ bezeichnet, so meinte er doch, dass er in der populären CBS-Sendung „60 minutes“ noch einmal für das US-amerikanische Publikum auf den Irrsinn eines solchen Angriffs hinweisen müsse. Ein solcher Angriff, so Dagan, habe einen „devastating impact“ auf Israel. Was Dagan auch allen Fanatikern in den westlichen Medien ins Stammbuch schrieb, war, dass die iranische Führung und selbst Achmadineschad „rational“ handelten. Dies sei zwar „not exactly our rational, but I think he (Achmadinedschad L. W.) is rational”. Obgleich deren Denkweise sich von der westlicher unterscheide, ziehen sie gleichwohl alle “implications of their actions” in Betracht. Es ist zu hoffen, dass sich die Vernunft gegenüber dem „Messianismus“ durchsetzt. 

Dass selbst der Generalstabschef der IDF, Benny Gantz, sich öffentlich gegen Ministerpräsident Netanyahu und Verteidigungsminister Barak stellt, ist für israelische Verhältnisse bemerkenswert. Oder vielleicht doch nicht? Historisch hat schon immer das Sicherheitsestablishment die Entscheidungen über Krieg und Frieden in Israel getroffen, die dann von den jeweiligen Ministerpräsidenten abgesegnet worden sind. Anders kann das Interview von General Gantz in „Haaretz“ nicht verstanden werden. Er betont, dass der diplomatische und ökonomische Druck auf Iran Früchte zeitigt, deshalb bestehe keine Eile für einen militärischen Überfall. Hatte nicht Netanyahu die augenblickliche Situation Israel mit 1938 und den iranischen Präsidenten mit Hitler verglichen? Oder in seiner Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages verglich er die „iranische Gefahr“ mit der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland. Im Gegensatz dazu ist Generalstabschef Gantz bemüht, die politisch-aggressive Rhetorik Netanyahus zu entschärfen. 

Entbehrt nicht diese historische Analogie jeglicher rationaler Grundlage? Es scheint, als dominiere wenigstens im Generalstab der israelischen Armee und den Geheimdiensten die Vernunft: „The military option is the last chronologically but the first in terms of its credibility. If it's not credible it has no meaning. We are preparing for it in a credible manner. That's my job, as a military man.“ Und Gantz fügte hinzu “Iran is going step by step to the place where it will be able to decide whether to manufacture a nuclear bomb. It hasn't yet decided whether to go the extra mile." 

Durch ein technisches Missgeschick wurde bekannt, was Nikolas Sarkozy und US- Präsident Barack Obama vom israelischen Ministerpräsident wirklich halten. Warum geht die US-Administration mit den wohl häufigen Anrufen von Netanyahu im Weißen Haus nicht nach dem Motto vor: „Don´t call us, we call you“? 

Donnerstag, 26. April 2012

Amnesty International - Stop the Transfer

Die Transfer-Debatte gehört zum Zionismus wie das Amen in der Kirche. Schon der Gründer dieser Ideologie, Theodor Herzl, beschäftigte sich mit dieser Idee. Das über die Grenze Schaffen der Araber, sollte aber „unbemerkt“ geschehen. Die Transfer-Idee hat alle politischen Stürme überdauert, die zuerst der Zionismus und später der Staat Israel zu überstehen hatten. So schreibt Michael Prior in „Speaking the Truth“: „The Zionist archives confirm the consistency of the transfer imperative within the Yishuv leadership.“ 

Wurde die Vertreibung im großen Stile erstmals im Zuge der Gründung des Staates Israel politisch in die Tat umgesetzt, so ist dieses Gedankengut bis heute innerhalb der politischen Elite Israels virulent. Besonders verbreitet ist es im rechtsnationalistischen Spektrum der israelischen Gesellschaft. Aber auch bei der so genannten zionistischen Linken wurde die Transfer-Idee von prominenter Seite wieder hoffähig gemacht. In seinem berühmt-berüchtigten Interview mit Ari Shavit in der Tageszeitung „Haaretz“ vom 8. Januar 2004 bekannte sich Benny Morris freimütig zur Transfer-Idee. Das Problem, das Morris mit der Vertreibung der Palästinenser durch David Ben-Gurion hat, ist, dass sie nicht gründlich genug war: „Ben-Gurion was a transferist“ (…) I think he made a serious historical mistake in 1948 (…) If he was already engaged in expulsion, maybe he should have done a complete job (…) As a historian, I assert that a mistake was made here. Yes. The non-completion of the transfer was a mistake.” 

So ist es wenig verwunderlich, dass die israelische Regierung bei der fortdauernden Kolonisierung von palästinensisch besetztem Land auch von einem Transfer der Menschen nicht zurückschreckt. Wie die Studie von Amnesty International zeigt, macht die israelische Regierung selbst vor der Umsiedlung von 2 300 Beduinen nicht halt, um die Expansion der völkerrechtswidrig errichteten Stadt Ma´ale Adumin weiter voranzutreiben. Und Amnesty stellt fest: “If carried out, this forced transfer would violate Israel`s obligations under international law and uproot some of the poorest communities in the West Bank.” Die von Umsiedlung und Zerstörung bedrohten Jahalin-Beduinen oder die dort noch wohnenden Palästinenser leben alle in der so genannten C-Zone, die 60 Prozent der West Bank ausmacht, und in der die israelische Besatzungsmacht das alleinige Sagen hat. Weniger als ein Prozent des Landes in dieser Zone steht den dort lebenden Palästinensern zur Entwicklung zur Verfügung! Darüber hinaus schikanieren die Siedler die dort lebenden Palästinenser, ohne dafür vom Militär zur Verantwortung gezogen zu werden. Die so genannte Zivilverwaltung will die Beduinen in der Nähe einer riesigen Mülldeponie ansiedeln, auf der täglich zirka 1 100 Tonnen Müll aus Jerusalem abgekippt werden.

Da die Jahlin-Beduinen bereits 1948 aus der Negev-Wüste vertrieben worden sind, verlangen sie von der israelischen Regierung bei einer neuen Zwangsumsiedlung oder Vertreibung wieder in ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet zurückkehren zu dürfen. Als Alternative wollen sie, dass ihre Behausungen mit Wasser und Strom versorgt werden. Auch sollen die willkürlichen Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit aufgehoben werden. Die Studie zeigt nur einen winzigen Ausschnitt der israelischen Unterdrückungspolitik gegenüber den Palästinensern.

Mittwoch, 25. April 2012

"Spenden für Kolonialismus und Apartheid"

Der Jüdische Nationalfonds (JNF) wurde 1901 als eine, wie es selbstreferentiell heißt, Wohltätigkeitsorganisation gegründet. Mit ihren Baumpflanz-, Wasser- und anderen Umweltaktionen sollte nach David Ben-Gurion „die Wüste in einen blühenden Garten verwandelt“ werden. Von diesem „unpolitischen“ Image lebt der JNF bis heute. Die „Blaue Büchse“, eine kleine Blechbox mit einem Münzschlitz, ist zum Symbol geworden und hat einen Stammplatz in vielen jüdischen Haushalten. Dieses „selbstlose“ Image hat in vielen Ländern Europas und Nordamerikas dazu geführt, dass die nationalen Schwesterorganisationen des JNF den Status der Gemeinnützigkeit erhalten haben, was bedeutet, dass ihre gesammelten Spenden steuerbefreit sind.

Der vorliegende Info-Spezial der Palästina-Solidarität Basel in Kooperation mit dem Palästinakomitee Stuttgart leistet einen wichtigen Beitrag zu den gar nicht so „gemeinnützigen“ Zielen des JNF. Wie die verschiedenen Artikel der Broschüre zeigen, ist der JNF alles andere als eine weitere „grüne“ NGO (NGO=Nichtregierungsorganisation). Der Titel dieser Publikation enthält eine eindeutige und politische Message. 

Der JNF mit Hauptsitz in Jerusalem ist keine gemeinnützige, sondern eine parastaatliche Organisation, die drei Schlüsselfunktionen erfüllt: Der JNF fungiert als Grundbesitzer, erfüllt spezifische Aufgaben, die von Natur aus von der israelischen Regierung wahrgenommen werden müssten, und er teilt sich die Verantwortung für die Verwaltung des Grundbesitzes zusammen mit dem Staat Israel. Der JNF versteht sich als „caretaker of the land of Israel, on behalf of its owners – Jewish people everywhere”. Adalah – The Legal Center for Arab Minority Rights in Israel – schreibt in der Veröffentlichung „Land controlled by Jewish National Fund for Jews only“ vom 29. Juli 2007: “The JNF, in relation to being an owner of land, is not a public body that works for the benefit of all citizens of the state. The loyalty of the JNF is given to the Jewish people and only to them is the JNF obligated. The JNF, as the owner of the JNF land, does not have a duty to practice equality towards all citizens of the state.”

Die Verwaltung des Landes in Israel wurde durch ein Gesetz im Jahre 1960 neu geregelt. Gleichzeitig wurde „Israel Lands Administration“ (ILA) gegründet, in der die Verwaltung von „Staatsland“ zentralisiert worden ist. Die ILA verwaltet 93 Prozent des gesamten Landes in Israel, einschließlich der 13 Prozent des Landes, das vom JNF verwaltet worden ist. Trotz dieser Reform behielt der JNF seine einflussreiche Stellung, und die „Land Authority“ werde das Land in dem Sinne verwalten „that will preserve the principles of the JNF relating to its land“, schreibt Adalah in seinem Newsletter „“The New Israeli Land Reform“ vom August 2009. Deutsches Recht besagt: „Alle wesentlichen Tätigkeiten des Vereins müssen gemeinnützig sein.“ 

Besteht jetzt nicht ein dringender Handlungsbedarf der nationalen Finanzbehörden in den einzelnen Ländern für eine Neubewertung der Gemeinnützigkeit für den JNF?

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Montag, 23. April 2012

James K. Galbraith, Inequality and Instability

Das jüngste Buch des renommierten US-Ökonomen James K. Galbraith, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Texas, führt einige „heilige Kühe“ der vorherrschenden Ideologie der Deregulierung und Globalisierung zur Schlachtbank. Er macht die herrschenden Finanzoligarchen für die Finanzkrisen verantwortlich, ohne nicht unerwähnt zu lassen, dass die politischen Klassen ihnen dazu alle politischen Hindernisse aus dem Weg geräumt haben. Er widerspricht damit auch den „Finanzpäpsten“, dass angeblich mysteriöse technologische Kräfte hinter der stark zunehmenden Ungleichheit stünden. Die treibende Kraft sei die politische Entfesselung der Geldpolitik gewesen, die für den Zusammenhang von Ungleichheit und wirtschaftlicher Instabilität verantwortlich zu machen sei.

Den Sargnagel dafür habe kein geringer als der demokratische US-Präsident Bill Clinton geliefert, wie der Autor im Interview mit Paul Jay auf “the Real news” feststellte: „In the Clinton administration, I mean, you had very powerful figures dominating the Treasury and the White House who were very determined to reduce the regulation of the financial sector, both to eliminate the regulations that had been put in place to protect investors at the start of the New Deal and to broaden the access that American financial institutions had to overseas markets. And the Clinton administration pursued both of those agendas, producing in 1999 the repeal of Glass-Steagall, and in 2000 at the very end of his term the Commodity Futures Modernization Act, which opened the sluiceways to the spread, proliferation of credit default swaps, those derivatives that Mr. Buffett described as financial weapons of mass destruction.”

Als die George W. Bush-Administration die Macht übernahm, befand sich nach Ansicht des Autors die US-Wirtschaft bereits in einer Rezession, und die Deregulierung hatte ihren Höhepunkt überschritten. Im Zusammenhang mit den 9/11-Anschlagen setzte jedoch ein unverantwortlicher Kontrollrückgang des Finanzsektors ein. „Right after September 11, 500 FBI agents who had been working on financial fraud were shifted to counterterrorism, which was understandable, but they were never replaced. So that functionality, that capability was sharply reduced (…) And you had industry-friendly people who were appointed to run practically all of the financial regulatory institutions, and at the Federal Reserve, Alan Greenspan, who was, notoriously, philosophically opposed to effective federal supervision of the banking sector."

Galbraith vertritt weiterhin die These, dass Gesellschaften, in denen eine geringere ökonomische Ungleichheit herrsche, eine größere Stabilität aufweisen. Dies treffe nicht nur für Roosevelts „New Deal“ und Johnsons „Great Society“, sondern auch für die Länder Europas zu, die eine Gesellschaftspolitik verfolgen, die auf Ausgleich zwischen den Sozialpartner beruhe, wie das „Skandinavische Modell“ zeige. Der Autor verweist auf die Krise in den 1930er-Jahren als in den USA Roosevelt gewählt worden ist, der unabhängig von den Banken war und folglich die richtigen Maßnahmen ergreifen konnte. Er schloss die Banken und erlaubt nur solchen wieder zu eröffnen, die finanziell ein gesundes Fundament besaßen. Es gab eine strikte Kontrolle der Banken. Nicht so unter der Obama-Regierung, die die gleiche Finanzpolitik verfolgte wie die Bush-Administration, ja sogar mit den gleichen Personen. Dies führte dazu, dass „you lose the liberty to make a fundamental change of policy.” Und dies ist “just a huge difference between the Hoover-Roosevelt transition in 1933 and the Bush-Obama transition in 2009”.

Galbraith weist auf einen weiteren interessanten Aspekt innerhalb der Demokratischen Partei in den USA hin, dem die Partei entgegentreten müsse, und zwar „that finance is dominant in the Democratic Party“. Dass die Demokratische Partei stark von den Gewerkschaften beeinflusst sei, ist ein Mythos. Die Kontrolle hat längst die Wall Street übernommen, und die Gewerkschaften sind nur noch die „Cheerleaders“.

Galbraith spricht sich für ein Ende der Kontrolle der Wirtschaft durch die Bankiers aus. Eine Wirtschaftspolitik, die durch diese Klasse beherrscht werde, diene ausschließlich deren Interessen. Die Sozialprogramme müssten verteidigt und die Deregulierung rückgängig gemacht werden, weil diese Finanzjongleure nicht das Gemeinwohl, sondern nur ihre eigenen egoistischen Interessen im Blick haben. Darüber hinaus habe sich der Finanzsektor total kompromittiert, er müsse völlig neu strukturiert und die Kontrolle verstärkt werden.

Es verwundert nicht, das die Obama-Administration mit aller Macht und brutaler Gewalt gegen die „Occupy-Bewegung“ vorgeht, weil sie den Finger in die Wunde legt und diejenigen verantwortlich macht, die 99 Prozent der Verantwortung für das ökonomische Desaster tragen. Galbraiths Buch könnte eine Art „Bibel“ für diese Bewegung werden. Ebenso sollten sich die politischen Eliten aus den Fängen dieser „Heuschrecken“ befreien und ihrem sozialen „Kahlfraß“ ein schnelles Ende bereiten. Was für die USA gilt, trifft auch für den Rest der Welt zu.

Erschienen hier.

Mittwoch, 18. April 2012

Religionsfreiheit verteidigen, Christen schützen

Dass sich Regierungen demokratisch verfasster Staaten und deren Repräsentanten weltweit für die Religionsfreiheit einsetzen sollten, ist eine Selbstverständlichkeit – gehört doch das Recht auf eine freie Religionsausübung zu den Menschenrechten. In 64 Ländern der Erde, in denen über 70 Prozent der Menschheit lebt, ist die Religionsfreiheit stark eingeschränkt oder gar nicht existent. Besonders prekär ist die Lage der Christen in Teilen Indiens, China, Nigeria und in vielen islamischen Staaten. Nach dem Besuch des Papstes auf Kuba scheint sich die Situation der Christen zu bessern.

Am 17. Dezember 2010 fand im Deutschen Bundestag eine Debatte über die bedrängte Lage der Christen in Welt statt. In der vorliegenden Broschüre werden vier Reden von CDU-Bundestagsabgeordneten abgedruckt. Am Ende findet sich ein Antrag der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Religionsfreiheit weltweit schützen“ als Bundestagsdrucksache 17/2334, der mit großer Mehrheit vom Parlament angenommen worden ist.

Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) macht zu Beginn einige grundsätzliche Bemerkungen: „Das Völkerrecht ist die Grundlage, auf die wir uns bei unserem Einsatz für die Verfolgten und Bedrängten berufen, denn es gilt universell und verbindlich für alle Staaten (…) Als Christdemokraten fühlen wir uns ebenfalls aufgefordert, uns für die verfolgten Christen einzusetzen. Wir tun dies über die Stärkung der Menschenrechte.“ Und er fährt fort: „Unsere wertegeleitete Außenpolitik muss dafür eintreten, dass das friedliche Werben für die eigene Religion auch in der muslimischen Welt als Recht anerkannt wird.“

In allen vier Beiträgen wird völlig zu Recht auf die prekäre Lage der Christen in Irak hingewiesen, deren Lage sich besonders „seit dem Einmarsch der von der USA geführten Koalition 2003 wahrscheinlich mehr als halbiert“ habe, so Kauder. Leider vergisst Kauder zu erwähnen, dass sich erst durch den völkerrechtswidrigen Überfall der USA die Lage der irakischen Christen so dramatisch verschlechtert hat. Die „Bush-Krieger“ haben mit diesem auf Lügen beruhenden Krieg die Büchse der Pandora geöffnet und den Anlass für die Christenverfolgung gegeben. Ähnliches oder noch Schlimmeres könnte den Christen und den anderen religiösen Minderheiten bevorstehen, sollte der Westen und seine von Saudi Arabien und Katar vermutlich finanzierten Söldner das Assad-Regime stürzen. Ob das Völkerrecht für alle gilt, wie der CDU-Fraktionsvorsitzende behauptet hat, wurde und wird doch gerade durch die USA ad absurdum geführt.

Auch im Nato-Land Türkei, das die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebt, gibt es kaum noch Christen – sie stellen gerade einmal 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung, verglichen mit 20 Prozent vor 60 Jahren. Die Geschichte des Christentums hat sich aber zu einem nicht unerheblichen Teil auf dem Gebiet der heutigen Türkei abgespielt. Dass es heute noch rudimentäre syrisch-christliche Gemeinden im Tur Abdin und um das Kloster Mar Gabriel gibt, ist auch dem permanenten Einsatz eines Teils des Westens zu verdanken.

Traditionell genießen die Mitglieder der Buchreligionen, das heißt, Juden und Christen, Schutz (Dimma) im Islam. Ihre tatsächliche Stellung hängt aber von den inneren Verhältnissen eines Landes, der Haltung des jeweiligen Herrschers sowie von deren Nützlichkeit für die muslimische Gesellschaft ab. Besonders unterdrückt werden die Bahei in Iran und jüngst auch in Ägypten, wo selbst die fast elf Millionen zählende koptische Religionsgemeinschaft zunehmend unter Anschlägen durch radikale Islamisten zu leiden hat. Besonders prekär ist die Lage der Christen im fundamentalistischsten Regime unter der Sonne, in Saudi-Arabien. Auch in den anderen Golf-Autokratien, die vom Westen gehätschelt werden, sieht es nur unwesentlich besser aus. Besonders hart werden Menschen bestraft, die vom Islam zum Christentum konvertieren. Diese „Apostasie“ wird oft mit der Todesstrafe geahndet.

Die Abgeordneten äußern sich jedoch nicht zur Situation der Christen im von Israel besetzten Palästina. Betrug deren Zahl vor der Gründung des Staates Israel 18 Prozent, so sind es heute noch zwei Prozent. Auch in Bethlehem, dem Geburtsort Jesu, ging ihre Zahl von 90 auf 15 Prozent zurück. Die Broschüre des Weltkirchenrates „Glaube unter Besatzung“ hätte den Abgeordneten als Inspiration dienen können. Die verheeren Auswirkungen der israelischen völkerrechtswidrigen Besatzung sind ein wesentlicher Grund für die Auswanderung nicht nur der Christen aus Palästina.

Der Einsatz für die christlichen Minderheiten in muslimischen Ländern ist notwendig, er muss aber unbedingt einhergehen mit dem Einsatz für muslimische Minderheiten in den westlichen Staaten, weil diese Minderheit seit den 9/11-Anschlägen einer Stigmatisierung und Dämonisierung ausgesetzt ist. Bei allem Einsatz für die Christen sollten aber nicht die verfolgten Buddhisten im von China besetzten Tibet vergessen werden. Verfolgungen aufgrund des Glaubens sollten im 21. Jahrhundert eigentlich überall der Vergangenheit angehören.

Dienstag, 17. April 2012

Pope Benedict XVI should visit Sabra and Shatila

The Pontifex Maximus, Pope Benedict XVI, will visit Lebanon from 14 to 16 September 2012. This papal visit will coincide with the 30th anniversary of the Sabra and Shatila massacre that was perpetrated by Christian militia forces under the watch of Israeli occupation troops. To make atonement for the crimes committed by “his” Christian brothers he should commemorate this anniversary by visiting his Palestinian Muslim brothers and sisters, who can be regarded as “the Wretched of the Earth” in Lebanon because they enjoy no rights whatsoever.

Pope Benedict`s predecessor, Pope John Paul II, expressed his desire in 1982 to visit Lebanon but the civil war, which started three years earlier, prevented him from doing so. At that time, Israel had invaded Lebanon on June 6, 1982 and called its operation ”Peace for Galilee” after the PLO had shelled the north of Israel with rockets. The main reason, however, was the assassination attempt against Israel`s ambassador to the United Kingdom, Shlomo Argov, by the Abu Nidal organization. Besides the political and geopolitical considerations the then Israeli government under Prime Minister Menachem Begin pretended to protect the Christians in Lebanon. At the end, they let the Christian Phalange killers go on the rampage after having sealed the refugee camps off. And the “Christians” did a “good job”: Almost 3 500 unarmed civilians were massacred. Robert Fisk´s report makes one shiver.

Pope John Paul II, besides being very conservative on religious issues, was very outspoken against the misery and the oppression of the peoples of the “Third World”. He put the Palestinian people on an equal footing with Israeli Jews. On September 15, 1982, he received Yasser Arafat, who had just been forced to leave Beirut, providing him with a political legitimacy after a military defeat. Three days before the meeting, the Israeli Foreign Ministry issued a violent accusation: “The same church that did not say a word about the massacre of Jews for six years in Europe, and did not say much about the killing of Christians in Lebanon for seven years, is willing to meet the man who perpetrated the crime in Lebanon and is bent on the destruction of Israel which is the completion of the work done by the nazis in Germany. If the pope is going to meet with Arafat, it shows something about the moral standards (of the church)”.

On the same level, we find the complaint by Israel`s interior minister Eli Yishai, member of the right-wing Shas party. He declared German Nobel laureate Guenter Grass persona non grata and banned him from visiting Israel after he published a poem in which he stated that Israel is a threat to world peace because it is planning to attack Iran on charges of a phantom nuclear bomb from which Iran is light years away. Prior to pope Benedict`s visit, Yishai did not only condemn the timing of the papal visit but also declared that a visit to the Sabra and Shatila camps would arouse hatred against the State of Israel and the Jewish people. “Yishai had earlier sent a memorandum to the US reminding the Israel lobby not to forget that following his 14th birthday in 1941, Joseph Ratzinger, the current Pope, joined the Hitler Youth. Yishai omitted the information that Hitler Youth membership was required by law for all 14-year-old German boys after December 1939”, writes Franklin Lamb on April 14, on MWC news. According to his brother Georg, the young Josef Ratzinger was an unenthusiastic member who refused to attend meetings.

During his visit to Lebanon, Pope Benedict should make a strong statement concerning the establishment of a viable Palestinian state, the return of the refugees to their homeland, and Israel´s dreadful policy in the region. But he should also remind the Lebanese government to grant the Palestinian refugees a status that allows them to live with human dignity. A visit to the refugee camps would show to the world that the Catholic Pontifex Maximus does not only care about his Christian brethren but also about the Muslim ones. For the Vatican, it goes without saying, that the religious identity of Jerusalem is not only Jewish but also Christian and Muslim. This would be a strong political message from Lebanon to Israel.

First published here, here and here.

Sonntag, 15. April 2012

Josef Braml, Der Amerikanische Patient

Die Vereinigten Staaten von Amerika erheben zwar noch immer den Anspruch, Gralshüter einer liberalen, US-geprägten Wirtschaftsordnung zu sein, aber ihre eigene wirtschaftliche Schwäche und eingeschränkte Führungsqualität hindern sie zunehmend daran, diese Rolle effizient zu spielen, so die zentrale These des Buches eines der besten Kenner des US-amerikanischen Regierungssystems und der Innen- und Außenpolitik, Josef Braml, USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Wie kaum ein anderer verfügt der Autor über Insiderkenntnisse des US-amerikanischen Politikbetriebes, die er sich in zahlreichen wichtigen Institutionen in Washington erworben hat.

Die Handlungsschwäche der einstigen Weltordnungsmacht drohe, die Welt in Unordnung zu bringen, behauptet der Autor. Hat der angebliche „benign hegemon“ vielleicht in den letzten zehn Jahren Ordnung im internationalen System geschaffen, wenn man sich seine so genannten Antiterrorkriege in Afghanistan und Irak vor Augen führt? Die US-Außenpolitik zielt weiter auf gewaltsame Regimewechsel ab, wie die Beispiele Libyen, Syrien oder Iran zeigen. Braml legt den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Wirtschaftspolitik frei nach der Clintonschen Erkenntnis: „It´s the economy, stupid!“ Folglich konzentriert sich der Autor auf Fragen eines neuen Protektionismus, einer zunehmenden Ressourcen-Rivalität mit China und Russland sowie die Abwälzung sicherheitspolitischer Lasten auf die Verbündeten.

Wie sagte es doch der ehemalige US-Finanz- und Außenminister unter George H. W. Bush dem Älteren, James Baker: „Wir sind bankrott, wirklich bankrott. Unsere größte Herausforderung ist die Schuldenzeitbombe.“ Diese These wird auch durch Bramls Buch bestätigt: die USA als eine „Weltmacht auf Pump“. Die kränkelnde Wirtschaft sei nicht nur ein Konjunkturproblem, sondern es geht in fast allen gesellschaftlichen Bereichen bergab. Der militärisch-industrielle Komplex ist der einzige, der die US-Wirtschaft noch am Laufen hält. Die USA geben für die Aufrechterhaltung ihrer Militärmaschinerie so viel aus wie alle Staaten der Welt zusammengenommen. In keinem Industrieland er Welt gibt es so viele wirklich Arme, fast 50 Millionen, deren Bildungschancen oder gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten sind gleich Null. Die Kluft zwischen den Superreichen und diesem „Lumpenproletariat“ kann nur als eine Perversion des so genannten „American Dream“ bezeichnet werden. Einigermaßen anspruchsvolle Bildung ist kaum noch bezahlbar. Die Infrastruktur der USA zerfällt, der Mittelstand verarmt zusehends, aber die Republikanische Partei fordert weitere Steuersenkungen für die Superreichen, die von George W. Bush dem Jüngeren zu Lasten der Sozialsysteme für die Ärmsten bereits veranlasst worden sind. Gleichzeitig halten die USA drei Viertel der Welt-Territorien durch eine Stützpunktpolitik „besetzt“ und führen koloniale Kriege, um ihren Durst nach Öl und Energie zu stillen.

Auf den jüngsten Coup in der Stützpunktpolitik weist der Autor hin, und zwar das Abkommen über Militärstützpunkte mit der australischen Regierung, um China einzudämmen, obgleich die USA in der Wirtschafts- und Handelspolitik bereits heute schwer verwundbar und auf die finanzpolitische Kooperation, um nicht zu sagen Hilfe Chinas, angewiesen sind, schreibt Braml. Unkritisch geht der Autor mit Begriffen wie „nationales Interesse“ oder „vitale amerikanische Interessen“ um, wobei es sich doch um ideologisch determinierte Herrschaftsbegriffe handelt, deren Inhalt einseitige von der US-„Hypermacht“ festgelegt werden.

Es ist aber eine große Leistung des Autors ein Buch über die Außen- und Wirtschaftspolitik zu schreiben, ohne den Namen Israel auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Die starke Fokussierung auf die globale Wirtschaft, der Kampf um Ressourcen und Energie macht deutlich, um was es den USA geht: globale Hegemonie. Stärkere Kritik am US-amerikanischen Expansionismus und den imperialen geostrategischen Zielen hätten die Dominanz des wirtschaftlichen etwas relativiert. Das Buch überzeugt durch die Sachkompetenz des Autors.

Samstag, 14. April 2012

Amitai Etzioni, Vom Empire zur Gemeinschaft

Das US-Imperium hat durch seinen Überfall auf Irak einen machtpolitischen Flop erster Güte gelandet. Unter der Präsidentschaft von Barack Obama haben sich die USA weg vom Unilateralismus seines Vorgängers wieder verstärkt dem Mulitlateralismus zugewandt, was aber letztendlich auf das Gleiche hinausläuft. Der Unterschied zu beiden hegemonialen Strategien besteht darin, dass bei der letzteren andere Staaten in Mithaftung für die expansionistischen Ziele der US-„Hypermacht“ genommen werden. Beide Strategien zielen auf Expansion der US-amerikanischen Hegemonie.

Amitai Etzioni, Direktor des Communitarian Network und Professor für Internationale Beziehungen an der George Washington Universität, favorisiert einen Multilateralismus. Auch sieht er sein Land bloß als ein „Semi-Imperium“, das keinerlei egoistische Machtinteressen verfolge, sondern nur an der finanziellen Überforderung für seinen Expansionismus zugrunde gehen könnte, weil die Trittbrettfahrer in Europa und Asien sich nicht finanziell an dieser Eroberungsstrategie beteiligten. Ergo müsse das Imperium kollektiviert werden.

Diese Thesen sind bereits ein Jahr nach der „mission accomplished“-Rede von George W. Bush und als Antithesen gegen Samuel P. Huntington Kulturrassismus und Francis Fukuyamas westlicher Kapitalismusdominanz (Ende der Geschichte) formuliert worden. Etzioni ist kein moralischer Wanderprediger im Gewande eines Kommunitaristen, sondern er hält tatsächlich die verheerenden Militäraktion der USA in Afghanistan und Irak für einen Dienst des Imperiums an den internationalen Machtstrukturen und der internationalen Staatengemeinschaft, weil die USA verhindert hätten, dass Nuklearwaffen nicht in die Hände von Terroristen gefallen seien, sondern auch eine ungehinderte Proliferation von Nuklearwaffen hätte stattfinden können. Dass diese Anti-Proliferations-Politik nur den Atommächten und ihrer Dominanz über andere Staaten und der Aufrechterhaltung ungleicher Machtstrukturen dient, bleibt unerwähnt. Auch teilt er als Kommunitarist die für die USA typische Skepsis gegenüber den Vereinten Nationen, obgleich doch mit dem Japaner Ban ki-moon ein für die USA handsamer UN-Generalsekretär die Geschicke der Weltorganisation führt und diese immer stärker mit den US-amerikanischen Machtinteressen in Einklang bringt.

Dennoch behauptet der Autor, dass diese Strategie nicht auf eine Verwestlichung der Welt oder eine Konfrontation zwischen West und Ost hinauslaufe, wie von anderen Doomsday-Ideologen behauptet worden ist, sondern dass beide Kulturkreise letztendlich aufgrund gemeinsamer Interessen konvergieren. Etwas salopp formuliert: Westlicher Individualismus und östlicher Gemeinschaftsinn werden schreiten Seit an Seit. Folglich lautet seine Hauptthese, dass im Zuge der Entstehung einer globalen Gesellschaft, der Ausweitung des globalen Regierungshandelns, des Eintretens von immer mehr Menschen aus immer mehr Weltgegenden in die Politik, normative Faktoren an Bedeutung gewinnen werden. Aufgrund des spirituellen „Hungers“ verlangten die Menschen immer öfter nach moralischen Antworten, die in Kooperation und Gemeinschaft zu finden seien. Das Buch ist zwar keine Handlungsanweisung für eine Weltgemeinschaft, es gibt aber vielfältige Inspirationen gegen die politische Resignation und die Dominanz neokonservativer und machtpolitischer Ideen.

Erschienen hier.

Samstag, 7. April 2012

Friedensnobelpreis für Günter Grass?

Die politisch-mediale Schlammschlacht, die im Nachklapp zum Prosagedicht des Großschriftstellers Günter Grass die Bundesrepublik Deutschland überrollt, sagt viel über die psychische Verfasstheit der deutschen Meinungsbildungselite aus, die sich über einen Satz, der bereits durch eine Umfrage der Europäischen Union im Jahr 2003 von zirka zwei Dritteln der Deutschen und anderen Europäern bejaht worden ist, echauffiert. Damals wurde bereits Israel als die größte Gefahr für den Weltfrieden dicht gefolgt von Iran, Nord-Korea und den USA umfragefest gemacht. Wie es sich gehörte, distanzierte sich die EU-Kommission flugs von den Ergebnissen ihrer in Auftrag gegebenen eigenen Untersuchung. Neben diesem provokanten Satz findet sich eigentlich kein einziges Faktum über die behauptete „existentielle Bedrohung“ Israels durch Iran in dem Polit-Gedicht.

Lag also Grass mit seiner Quasi-Frage: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“ fast zehn Jahre nach der EU-Umfrage gar nicht so daneben, wenn man sich die hysterischen Reaktionen vor Augen führt, die einige schwammige Aussagen und dieser Aussagesatz ausgelöst haben? Nicht Israel gehört auf die Couch, wie einst ein Buchtitel von Ofer Grosbard für die Israelis meinte feststellten zu müssen. Wäre nicht eine solche Therapie auch für Deutsche angebracht?

Etwas jedoch unterscheidet diese Kampagne von früheren. Wie gehabt, beteiligen sich die alte Garde und die üblichen Verdächtigen an dieser Aktion, die jede Kritik an der Unterdrückungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern und die Angriffsdrohungen der augenblicklichen israelischen Regierung gegen Iran mit dem Vorwurf des „Antisemitismus“ ins politische Aus bugsieren wollen. Es gibt aber vereinzelt auch Medienschaffende wie den Herausgeber der Wochenzeitung „Der Freitag“, Jakob Augstein, Künstler wie Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, oder wagemutige Politiker wie Niema Movassat und Wolfgang Gehrke von der Partei „Die Linke“, die öffentlich Partei für Günter Grass ergreifen. Darüber hinaus zeigt sich im Internet ein ganz anderes Meinungsbild. Justament diese Diskrepanz zwischen der kontrollierten veröffentlichen und der öffentlichen Meinung der Mehrheit der Menschen war das Unbehagen, das wohl Günter Grass veranlasst haben könnte, seine letzte Tinte zu verschreiben, wobei er nicht immer den richtigen Ton getroffen hat. Trotz einiger suboptimaler Formulierungen stünde Nachsicht mit Grass einigen gut zu Gesicht.

Nachdem bereits kriegführende Präsidenten, ehemalige Terroristen und andere Vertreter der internationalen Politik - aber auch viele großartige Persönlichkeiten und Organisationen - den Friedensnobelpreis erhalten haben, sollte jetzt endlich wieder einmal ein verdienter Schriftsteller mit dieser Ehrung ausgezeichnet werde. Warum nicht Günter Grass?

Donnerstag, 5. April 2012

Günter Grass, Israel und der „Antisemitismus“

Der Großschriftsteller Günter Grass ein „Antisemit“, ja sogar ein „gebildeter Antisemit“? Kluge Menschen wie Tom Segev, Avi Primor u. a. weisen diesen ungeheuerlichen Vorwurf zurück. Sie betonen sogar Grass` Verbundenheit mit dem Staat Israel.

Günter Grass hat das getan, wozu Schriftsteller auch da sind: Er hat ein gesellschaftliches Unbehagen verbalisiert, das nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit grassiert und das die veröffentlichte Meinung ignoriert, nämlich, dass die Menschen in den Angriffsdrohungen der USA und Israels gegen Iran eine Bedrohung des Weltfriedens sehen. Die international veröffentlichte Meinung hat aber das iranische Regime bereits so dämonisiert, dass die offenen Aggressionen der beiden Atommächte fast widerspruchslos hingenommen werden. Grass hat diese Fehlwahrnehmung zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung durch sein etwas schwammiges Prosagedicht versucht, zu korrigieren, was deshalb wohl nach hinten losgegangen ist.

Was ist an Grass` Vorwurf dran, „die Atommacht Israel gefährde den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“ Auch der israelische Schriftsteller David Grossmann hat kürzlich in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ähnliches insinuiert, aber im Gegensatz zu Grass, hat er eine politische Analyse geliefert und auf die Hermetik von Netanyahus Vorstellungswelt hingewiesen. Wie verhält es sich eigentlich mit den Fakten, um die es doch in der öffentlichen Debatte gehen müsste?

Nach internationalen Schätzungen verfügt Israel über zirka 250 bis 300 Atomraketen sowie über eine unbekannte Anzahl biologischer und chemischer Waffen. All diese Einrichtungen werden im Geheimen betrieben und unterliegen keiner Inspektion durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien. Israel ist die dritt- oder viertstärkste Militärmacht der Welt, die eine Hegemonie über die gesamte arabische Welt ausübt. Israel besetzt seit 1967 die Westbank, die syrischen Golan-Höhen und Ost-Jerusalem, und es hat den ehemals besetzten Gaza-Streifen in das größte „Freiluftgefängnis“ der Welt verwandelt, zu dem es die alleinige Schlüsselgewalt besitzt, folglich gilt auch der Strip nach Völkerrecht immer noch als besetztes Gebiet. Seit 45 Jahren kolonisiert Israel palästinensisches Land wider Völkerrecht und verletzt die Menschenrechte des palästinensischen Volkes wider alle Normen westlicher Wertvorstellungen. Im Juli 2004 hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag die von Israel zu großen Teilen auf besetztem Land errichtete Mauer als völkerrechtswidrig verurteilt. Teile der in die besetzten Gebiete transferierten Siedler terrorisieren die arabischen Bewohner. Hassparolen wie „Tod den Arabern“, „Arabs to he Gas“ oder „Gas the Arabs“ zieren als Slogans arabische Häuser; sie sind mit dem Kürzel „JDL“=“Jewish Defense League“ unterzeichnet. Selbst die palästinensischen Israelis sehen sich seitens des Staates Israel einer einzigartigen „legalen“ Diskriminierung ausgesetzt, der sie aufgrund ihres nicht-jüdischen Status als Bürger zweiter Klasse behandelt. Zu all diesen demokratischen Werten fundamental widersprechenden politischen Aktionen fällt den Staats- und Regierungschefs der westlichen Staatenwelt nichts Sinnvolles ein.

Darüber hinaus droht Israel Iran mit einem Überfall, obgleich das Land niemanden bedroht, seit Jahrhunderten kein anderes Land angegriffen hat und selbst einen mörderischen Überfall seitens des Irak, der von der gesamten westlichen Staatenwelt unterstützt und mit US-amerikanischem Giftgas ausgerüstet worden ist, überstanden hat. Die Vereinigten Staaten gehen mit den israelischen völkerrechtswidrigen und menschrechtsverletzenden Praktiken durch dick und dünn und haben über 30 UN-Sicherheitsresolutionen mit ihrem Veto belegt, das heißt, sie haben diese Verstöße, respektive "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (Goldstone-Bericht) wie das Massaker im Gaza-Streifen 2008/09 oder den Überfall auf die „Mavi Marmara“ in internationalen Gewässern, gedeckt.

Israels Schutzmacht, die USA, verstößt ihrerseits gegen alle Normen des Völkerrechts, wie durch den Überfall auf den Irak 2003 oder die Besetzung Afghanistans seit 2001 geschehen. Die USA haben einseitig auf der Seite so genannter Rebellen im libyschen Bürgerkrieg interveniert und bedrohen zusammen mit anderen arabischen Regimen das syrische Asad-Regime wider das Souveränitätsgebot und das Nichteinmischungsverbot des Völkerrechts.

Wie sieht die konkrete Bedrohung Israels durch das zivile iranische Nuklearprogramm aus? Eine solche halten selbst israelische Geheimdienstchefs, Militärexperten und Militärhistoriker nicht für gegeben. Auch die 17 (!) US-Geheimdienste sehen im iranischen Nuklearprogramm auf Jahre hinaus keine Bedrohung Israels, geschweige denn des Westens, weil es seit 2003 eingestellt worden ist. Israel fühlt sich also von einer nichtexistenten iranischen „Atombombe“ bedroht! Selbst die politisch einseitigen Berichte der IAEO kommen zu dem Schluss, dass Iran aktuell an keinem Atomprogramm arbeite.

Im Gegensatz zu Israel hat Iran den Atomwaffensperrvertrag (NPT-Vertrag) sowie das Zusatzprotokoll unterzeichnet. In allen seine nuklearen Forschungsanlagen gehen die IAEO-Inspekteure täglich ein und aus. Sie haben bis heute nichts gefunden, was darauf schließen lässt, dass Iran an einer Atombombe baut. Gleiche Befunde hatten die IAEO-Inspekteure auch für den Irak festgestellt, trotzdem hat der US-Cowboy-Präsident das Land überfallen und es nach zehn Jahren total verwüstet wieder „verlassen“. Wenn es nach der Meinung der neokonservativen Kriegstreiber, der Israellobbyisten, der US-amerikanischen und der israelischen Regierung sowie der Meinung internationalen Leitmedien geht, wird es einen weiteren Überfall auf ein Land der internationalen Staatengemeinschaft geben, und zwar aufgrund eines angenommenen Verdachts, dem jedoch alle Fakten entgegenstehen.

Wie steht es nun um die wirkliche „existentielle Bedrohung“ Israels? Nach Faktenlage gibt es eine solche nicht. Das politische Gerede von einem bevorstehenden „Holocaust“ diene auch dazu, die militärische Hegemonie Israels über den gesamten Nahen und Mittleren Osten weiter aufrechtzuerhalten, und dazu sei es nötig, das zivile iranische Atomprogramm zu zerstört. Die kruden Äußerungen des iranischen Präsidenten zum Holocaust sind so bizarre und stehen den Ergebnissen der seriösen Forschung so entgegen, dass sie keiner ernsthaften Würdigung Wert sind. Auch seine anderen rhetorischen Ausfälle stellen keine militärische "existentielle Bedrohung" Israels dar. Darüber hinaus ist seine zweite Amtszeit in einem Jahr beendet.

Was denkt der führende Militärhistoriker Martin van Creveld, Professor für Militärgeschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, über eine angebliche „existentielle Bedrohung“ Israels? "Wir besitzen mehrere hundert atomare Sprengköpfe und Raketen, die wir auf alle Ziele in alle Richtungen abfeuern können, sogar auf Rom", sagt van Creveld in der Neuauflage von David Hirsts klassischem Buch bezüglich des arabisch-israelischen Konflikts: "The Gun and the Olive Branch" (Gewehr und Olivenzweig). "Die meisten europäischen Hauptstädte sind Ziele unserer Luftwaffe. Ich möchte General Mosche Dayan zitieren: 'Israel muss sein wie ein tollwütiger Hund, zu gefährlich, um sich mit ihm anzulegen.' (...) Unsere Armee ist nicht die 30-stärkste der Welt, sondern die zweit oder drittstärkste. Wir haben die Fähigkeit, die Welt mit uns in den Untergang zu reißen. Und bevor Israel untergeht, wird die Welt untergehen."

Da Iran von Ländern umzingelt ist, die von der US-Hypermacht besetzt sind, wäre es nach Meinung van Crevelds “crazy not to build nuclear weapons considering the security threats they face“. Und 2005 fügte er hinzu, dass “the world must now learn to live with a nuclear Iran the way we learned to live with a nuclear Soviet Union and a nuclear China. (…) We Israelis have what it takes to deter an Iranian attack. We are in no danger at all of having an Iranian nuclear weapon dropped on us (…) Thanks to the Iranian threat; we are getting weapons from the U.S. and Germany.” Grass hat also nicht ohne Grund die Lieferung eines sechsten U-Boots an Israel kritisiert, das mit Atomraketen ausgerüstet werden kann. Verstößt Deutschland nicht durch diese U-Boot-Lieferung gegen seine eigenen Waffenexport-Richtlinien, die besagen, keine Waffen in Krisen- und Spannungsgebiete zu liefern?

Vielleicht sollte sich die deutsche Medienöffentlichkeit mit Fakten befassen und nicht die psychische Verfasstheit eines 85-jährigen Schriftstellers analysieren und interpretieren.

Sonntag, 1. April 2012

Faith under Occupation

In the West, the Palestinian-Israeli Conflict is viewed as only a Muslim-Jewish one. Totally forgotten are the Christians in Palestine who constitute the cradle of Christianity. The study “Faith under Occupation” is published by “The Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI)“ together with the “Jerusalem Inter-Church Centre (JIC)” and the “World Council of Churches (WCC)”.

This report does not only aim to expose the grim realities of life under Israeli military occupation, and the impacts that it has on the Palestinian people in general, but it also aims to shed some light on the fact that Palestinian Christians are indigenous to the Holy Land. This report also disapproves of the unfounded Israeli and Christian Zionist propaganda that Palestinian Christians are depopulating due to Muslim fundamentalism in Palestinian society. Even more repelling is the fact that this report shows how Christian Zionist support for Israel’s brutal military occupation of Palestine is threatening the existence of Palestinian Christians.

Palestinian Christians think that the international community is not doing enough to relieve their plight. They do not comprehend why so many people around the world, especially in the West ignore the existence of Palestinian Christian communities. These lacks of awareness compounded by the distortions promoted by fundamentalist Christians in the U. S are seen as major obstacles by Palestinian Christians. In such circumstances, appeals by Palestinian Prime Minister Salam Fayyad to Western Christian “brothers in faith” to stop encouraging the emigration of Christians from Palestine, are in vain. As long as Christians all over the world can freely visit the Church of the Holy Sepulcher in Jerusalem but Palestinian Christians are denied their right to freely worship there, because they need a special permit to enter Arab East Jerusalem, regularly denied by the Israeli occupation forces, there is something fundamentally wrong within the Western value system.

Since the establishment of the State of Israel, the Christian population of Palestine had greatly diminished. Their proportion in the population decreased from more than 18 per cent in 1948 to 2 per cent today. Once, Christians in Bethlehem comprised more than 90 per cent of the population. Today Christians make up only 15 per cent in the city. The main focus of this study is build around a case study about the impacts of Israel´s military occupation of Palestine and how Christians are affected.

The views of the Evangelical pastor Wayne Smith on Israel are revealing. His attitude was initially strongly influenced by the June war of 1967 when allegedly Little David (Israel) defeated the “Arab goliath”. It took him almost 40 years to review his erstwhile attitude. It occurred when he came across the book “Bethlehem besieged” by Mitri Raheb, a pastor serving the Lutheran Church in Bethlehem. Further books by Elias Chacour, Marc Ellis and Mark Braverman opened his eyes for the grave injustices committed by Israel´s occupation regime. The glorious story of the birth of the nation of Israel fell apart by the parallel story of the forced expulsion of the indigenous owners of the land, the Palestinians.

Detailed case studies are presented about cities and villages such as Jerusalem, Bethlehem, Beit Sahour (a small village adjacent to Bethlehem, which has a long history of popular non-violent resistance), Beit Jalla, Nahhalin, Azzun ( in which only two Christians are left), and Zababdeh. Further Christian communities are presented, including St. George’s Greek Orthodox Church in Burqin, just west of the northern West Bank city of Jenin, or the 700 Christians in Nablus and the communities in Ramallah and its environs.

The report presents excerpts from the “Kairos Palestine ´Moment of Truth` document” of 2009 that was drafted after the Kairos South Africa document and presented in Appendix II. In the Palestinian document, the Christians declare “that the military occupation of our land is a sin against God and humanity, and that any theology that legitimizes the occupation is far from Christian teachings because the true Christian theology is a theology of love and solidarity with the oppressed”. It calls on the international community to stop the principle of “double standards” and to insist on international resolutions concerning the Palestinian problem. The document calls for a “system of economic sanctions and boycott to be applied against Israel“. This document has garnered support from churches all over the world but not in the mainstream Western media.

The study also sheds some light on the illegal policy of house demolitions and discriminations against Christian leaders, such as Suheil Dawani, Bishop of the Episcopal Diocese of Jerusalem and the Anglican Bishop in Jerusalem. A letter from the Interior Ministry in Jerusalem says: “Bishop Suheil acted with the PNA (Palestinian National Authority L. W.) in transferring lands owned by Jewish people to the Palestinians and also helped to register lands of Jewish people in the name of the Church.” It was further alleged that the Bishop forged documents. The letter also stated that Bishop Dawani and his family should leave the country immediately.

The study concludes by saying that Palestinian Christians are “disproportionately affected by the occupation”. A further Christian emigration not only from Palestine but also from other Middle Eastern countries could transform a political conflict into a religious one between Islam and Judaism. The West bears heavy responsibility for the exodus of the Palestinian and Arab Christians because its one-sided alignment with Israel’s occupation and its attacks on Iraq has led to a mass flight of Christians. If the West keeps trying together with their Arab allies to topple the regime of Bashar al-Assad, the consequences for Christian and minorities will be catastrophic.

When things are wrong for Palestinian Christians or the other Christian communities in the Middle East, they are wrong for all Palestinians and all Arabs. The root of Palestinian sufferings is founded in Israeli military occupation of their homeland and the occupation of Arab land by Western occupation forces helped by Arab stooges.

The value of the study lies in the fact that it has shed some light on the difficult conditions of Christians who do not live under Islamic rule but under regimes dominated by Western proxies that instigate sectarian division.

First published here, here and here.