Sonntag, 31. Mai 2009

Judentum versus Zionismus

In den USA und Teilen Westeuropas findet seit Jahren eine „Hexenjagd“ auf Kritiker(innen) der israelischen Regierungspolitik statt. Sollte in den USA der „Hate Crimes Prevention Act“ durch den US-Kongress verabschiedet werden, würde jede Kritik am israelischen Regierungshandeln kriminalisiert. Die freie Meinung wäre dann im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ perdu. Das jüngste Beispiel öffentlichen Mobbings ist Charles Freeman, ein ehemaliger US-Botschafter in Saudi-Arabien und China, der für den Job des Geheimdienstkoordinators vorgesehen war. Als dies öffentlich wurde, begann eine beispiellose Verleumdungskampagne, sodass Freeman auf die Ernennung verzichtete. In einer öffentlichen Erklärung schrieb er über die Methoden dieser „Hexenjagd“: „Die Taktiken der Israel-Lobby stellen Höhepunkte der Schande und Unanständigkeit dar, sie schließen Rufmord ebenso mit ein wie selektive falsche Zitate, vorsätzliche Verfälschung der Fakten, Fabrikation von Unwahrheiten und vollkommene Missachtung der Wahrheit.“ Prominentestes Opfer aus dem akademischen Bereich ist Norman G. Finkelstein, der aufgrund massiven Mobbings nicht zum Professor auf Lebenszeit ernannt worden ist. Auch Professor Joel Kovel wurde vom Bard College gemobbt.

Den Hintergrund dieses Meinungskampfes bildet der Israel-Palästina-Konflikt. Konkret geht es um die Deutungshoheit der Begriffe Judentum, Zionismus, Antizionismus und Antisemitismus. Wo eine klare Trennung geboten erscheint, herrschen ein begriffliches Durcheinander und eine semantische Begriffsverschiebung vor, die aus einem Kritiker des Zionismus und der israelischen Besatzungspolitik umgehend einen „Antisemiten“ macht. Handelt es sich aber um einen Kritiker jüdischen Glaubens, wird dieser als „jüdischer Selbsthasser“ verleumdet. Um eine semantische Begriffsverschiebung handelt es sich, wenn einem Kritiker der zionistischen Ideologie unterstellt wird, dieser meine mit seiner Kritik in Wirklichkeit „die Juden“.

Hajo G. Meyer hat in dem vorliegenden Bändchen zur Klärung der Begriffe einen wichtigen Beitrag geleistet. Der Autor wurde in Bielefeld geboren und flüchtet 1939 nach Holland. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert. Gott sei Dank überlebte er diese Hölle. Als promovierter Physiker leitet er bis zu seiner Pensionierung die Forschungsabteilung bei Philips. Sein Buch „Das Ende des Judentums“, das im Melzer Verlag erschienen ist, hat für einigen Wirbel gesorgt. Er wurde als „Holo mit Hajo – Wie zwei Juden den Leipziger xxx xxxxx machen“ verleumdet und diffamiert, sodass er sich gerichtlich dagegen zur Wehr setzte, aber erfolglos, weil das Gericht der Ansicht war, dass man sich dies gefallen lassen müsse. Das Makabere an diesem journalistischen Schmierenstück war, dass es von einem jüdischen deutschen Journalisten aufgeführt worden ist.

Einleitend setzt sich der Autor mit den verheerenden Folgen des Holocaust und dessen Folgen für Juden und Nicht-Juden auseinander und wie die Schuldgefühle durch Begriffsverwirrung missbraucht werden. Sodann zeigt er auf, dass nicht jeder Jude Zionist, nicht jeder Zionist ein Jude und nicht jeder Antizionist ein Antisemit ist. Nach Meyer sind „Antisemit“ und „Antizionist“ inhaltlich völlig verschiedene Begriffe. „Ein Antisemit ist gegen Eigenschaften von Juden, ein Antizionist gegen Taten des zionistischen Staates Israel.“ Der Unterscheid zwischen „einem Juden“ und „einem Zionisten“ sei ähnlich dem zwischen „einem Russen“ und „einem Bolschewiken“. Es gehe also um den Unterschied zwischen einer politischen Meinung gegenüber einer Regierung und der Verbundenheit mit einem soziokulturellen Erbe.

Im Kapitel „Antizionismus und jüdischer Selbsthass“ weist Meyer auf den Umstand hin, dass es viele Juden gab und gibt, die Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung üben. In diesem Zusammenhang zitiert er Beispiele, dass die „wichtigste Gruppe von jüdischen Selbsthassern ausgerechnet unter den Pionieren des Zionismus selbst zu finden ist“. Wie hasserfüllt Aaron David Gordon die Juden charakterisiert habe, so „könnten es auch die schlimmsten Antisemiten nicht sagen“. Ein anderes Beispiel für „jüdischen Selbsthass“ sei ein Gedicht von Zeev Jabotinsky aus seinem „Betar Gesangbuch“.

Abschließend erinnert Meyer Israel an das Dritte Buch Mose, in dem die Weisung ergangen ist, wie mit Fremden im eigenen Land umzugehen sei. Diese Begriffsklärung war überfällig. Es ist zu hoffen, dass es zur Versachlichung der Debatte beiträgt. Ob aber alle an einer solchen interessiert sind, darf frei nach dem Motto „Warum sachlich, wenn es auch polemisch geht“ bezweifelt werden.

In: Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift, (2009) 3, S. 49 f.

Dienstag, 12. Mai 2009

Israels Okkupation

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet. „Neues“ - in Form wirklicher Erkenntnisse oder Kompromisse - ist seitens Israels nicht zu erwarten. Die Antwort wurde im letzten Gazakrieg in Form der schrecklichen Völkerrechts- und Menschenrechtsverstößen gegeben, welche das moralische Gewissen der Weltöffentlichkeit zwar empört haben, aber durch machtpolitischen Druck auf die Vereinten Nationen im Keim erstickt worden sind. Umso wichtiger ist das Buch von Neve Gordon, Professor für Politik und Regierungslehre an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, der die über 40-jährige Besatzungspolitik seines Landes detailliert beschreibt und analysiert. Obgleich akademisch ausgerichtet, wendet sich das Buch an alle, die sich noch ein Mindestmaß an Gerechtigkeitsempfinden und Menschenwürde bewahrt haben.

Neve Gordon beschreibt die Geschichte einer Besatzungsmacht, die auszog „gütig und aufgeklärt“ sein zu wollen, die aber beim 22-tägigen Dauerangriff gegenüber einer im Prinzip wehrlosen und gefangenen Bevölkerung um die Jahreswende 2008/2009 als brutalste in den Augen der Weltöffentlichkeit geendet hat. Dass der Verteidigungsminister die Chuzpah hatte, diese Armee immer noch als „die moralistischste“ der Welt zu bezeichnen, löste außerhalb Israels nur Kopfschütteln und Unverständnis aus. Wie die Wahrheit über dieses 22-tägige schreckliche Dauerbombardement versucht wird zu unterdrücken, macht die Tatsache deutlich, dass die US-Regierung das Büro des UN-Generalsekretärs wissen ließ, dass eine vollständige Veröffentlichung des UN-Berichts die „Friedensgespräche beeinträchtigen“ würde. Wenn schon die Vereinten Nationen unter ihrem US-abhängigen Generalsekretär ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, umso größere Bedeutung kommen dann den Veröffentlichungen von Menschrechtsorganisationen oder derjenigen von Neve Gordon zu.

Der Autor stellt die Frage, wie es zu einer solch brutalen Besetzung kommen konnte. Lagen die Gründe in den Entscheidungen von Politikern oder Militärs, oder lag es an den Strukturen der Besetzung? Gordon entscheidet sich für das Letztere. Ursprünglich „funktionierte die Besetzung gemäß dem kolonialistischen Prinzip“, das das Leben der Menschen verwalten wollte, während es gleichzeitig für die Ausbeutung der Ressourcen sorgte. Bereits kurz nach dem Sechstagekrieg hatte der General und spätere Oberste Richter Meir Shamgar vorgeschlagen, die besetzen Gebiete nicht als solche, sondern als „umstrittene“ zu bezeichnen, was schließlich in den US-amerikanischen politischen Sprachgebrauch unter Präsident Bill Clinton Einzug gefunden hat. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er von so genannten besetzten Gebieten sprach.

Verstand Israel seine Okkupation palästinensischen Landes zu Beginn noch als eine „gütige Besetzung“, die gemäß Moshe Dayans Diktum „Don´t rule over them, let them rather lead their own lives“ funktionieren sollte, änderte sich diese Methode dahingehend, die vom Autor als eine Veränderung von einer „Politik des Lebens zu einer Politik des Todes“ charakterisiert wird. Israel wollte durch seine Okkupation zwar die „Braut“, aber nicht den „Brautpreis“ bezahlen, das heißt, Israel wollte das Land ohne seine ursprünglichen Bewohner. Auch die Beherrschung der Bevölkerung durch „village leagues“, die der israelischen Besetzung etwas Positives abgewinnen konnten, sei gescheitert. Ob die Neuauflage unter Mahmud Abbas erfolgreicher sein wird, ist nicht zu erwarten.

Gordon zeichnet ein realistisches Bild des so genannten Friedensprozesses, der außer in den USA und Westeuropa nirgends als ein solcher gesehen worden ist, schon gar nicht in Palästina, abgesehen von der davon profitierenden politischen Klasse. Nach Meinung des Autors wurde die „Palästinensische Nationale Behörde“ als ein Kontrollinstrument gegenüber der eigenen Bevölkerung ins Leben gerufen. Als sie diese Funktion auch unter Yassir Arafat nicht mehr erfüllen konnte, änderte Israel die Methoden der Kontrolle. Die Okkupationsmacht etablierte eine Art von „Fernkontrolle“ durch die Einrichtung von „Kontrollpunkten“ und „Barrieren“ sowie den massiven Einsatz von F-16 Kampfbombern, Apache Kampfhubschraubern etc.

Die Argumente des Autors sind schwerlich zu widerlegen, weil sie durch unzählige Regierungs- und Militärdokumente wohl begründet sind. Sie zeigen, wie die Besatzungsmacht nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft mit der „demographischen“ und der „militärischen“ „Gefahr“ einer Bevölkerung umgehen will, der man schon jetzt keinerlei Bürger- und Menschenrechte zubilligt. Dass es dadurch zu einer Bedrohung durch der Hamas kommen konnte, überrascht nicht, ist sie doch auf die „excesses and contradictions produced by Israel´s controlling apparatus and practices“ inklusive der tatkräftigen Unterstützung in der Anfangsphase seitens der Besatzungsmacht zurückzuführen. Gordon bedauert zu Recht die Konsolidierung von Hamas, „weil sie sich extrem negativ für alle diejenigen auswirken wird, die sich für die Gründung einer säkularen Demokratie in Palästina“ eingesetzt haben.

Neve Gordon hat in den neunziger Jahren als Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation „Physicians for Human Rights“ bereits enorme Zivilcourage gezeigt. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass er ein solch überzeugendes Buch vorgelegt hat. Aber wenn man sieht, wie selbst der entsetzliche Angriff auf die Bevölkerung des größten „Freiluftgefängnisses“ der Welt in einen Selbstverteidigungskrieg umgedeutet worden ist, scheinen sich die Argumente eines israelischen Wissenschaftlers, der sich auf die führenden Menschrechtsorganisationen seines Landes stützt, wie ein Kampf zwischen David und Goliath auszunehmen. Die Analyse von 40 Jahren israelischer Besatzungspolitik ist allen Lesern und Leserinnen wärmstens empfohlen, insbesondere der deutschen und US-amerikanischen politischen Elite, deren Beratungsresistenz und Realitätsverweigerung beeindruckend sind.

Freitag, 8. Mai 2009

Die Eiserne Mauer

„Wer mauert, hat´s nötig!“ Zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer schicken sich einige Staaten an, „Wälle des Unvermögens“ als Lösung für politische Probleme zu halten. Heiko Flottau, langjähriger Nahostkorrespondent der Süddeutschen Zeitung und heute als freier Journalist in Kairo lebend, hat ein Buch vorgelegt, das sich mit den Hintergründen des Mauer- und Zaunbaus, der Fortsetzung der israelischen Kolonisierung der Westbank und dem Widerstand der Palästinenser auseinandersetzt. Kurz nach Ausbruch des „Friedensprozesses“ 1993 kam der Autor in den Nahen Osten, um vielleicht eines Tages über die Gründung eines kleinen Palästinenserstaates berichten zu können. Dass daraus bis heute nichts geworden ist, scheint dem Umstand geschuldet zu sein, dass „Israel die Kolonisierung des Westjordanlandes intensiviert“ hat.

Vladimir (Ze`ev) Jabotinsky´s berühmter Artikel „The Iron Wall“ aus dem Jahr 1923 stand Pate beim Buchtitel, obgleich in dem Essay nur von einer virtuellen Mauer die Rede ist, die auf militärischer Überlegenheit gründete, die unüberwindlich für die Araber sein sollte. Die eigentliche Idee zum Bau einer Mauer stammt nicht von den „Rechten“, sondern von der Arbeitspartei, also der „Linken“ in Israel. Die „Rechte“ in Israel musste unter lautem Geschrei von ihrer Groß-Israel-Ideologie Abschied nehmen. Ehud Barak sagte in einem Spiegel-Online-Interview den Satz: „Hohe Zäune machen gute Nachbarn.“ (Ursprünglich stammt er aber von Robert Frost aus dem Jahr 1915.) Zum eigentlichen Baumeister diese „Befriedungsanlage“ avancierte jedoch Ministerpräsident Ariel Sharon, der Spiritus Rektor des Siedlungsprojektes in den besetzen palästinensischen Gebieten.

Der Autor hat einige Beiträge über die Auswirkungen des Mauer- bzw. Sicherheitszaunsbau zusammengestellt. So meint der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Ahrens, dass der Bau des Sperrwalls ein Fehler gewesen sei. Abgedruckt ist auch eine Stellungnahme des israelischen Verteidigungsministeriums, die zeigt, dass durch den Mauerbau die Terroranschläge im israelischen Kernland um 90 Prozent zurückgegangen sind. Gleichwohl wurde der Bau dieser Sperranlage vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag in einem Urteil vom 9. Juli 2004 als „völkerrechtswidrig“ bezeichnet und dessen Abbau verfügt, der natürlich nicht erfolgte.

Spannend sind die Ausführungen Flottaus über die Aussagen von Shlomo Sand und Avraham Burg. Beide verlangen von Israel, Abschied von zahlreichen Mythen zu nehmen, in denen sich das Land bequem eingerichtet habe. So sei weder die Vertreibung aus Ägypten noch die Vertreibung aus Jerusalem nach Sand historisch haltbar. „Er fordert von Israel, seine ethnozentrische Sichtweise, seine Haltung, Israel sei ein exklusiv jüdischer Staat, aufzugeben.“ Den israelischen Palästinenser seien die Bürgerrecht zuzubilligen. Auch Burg fordert in einem Interview ebenso Revolutionäres: „Wir müssen unser Monopol für das Leiden aufgeben. Wir sollten aus der Erfahrung mit dem Holocaust viel sensibler werden – auch für das Leiden von anderen. Konkret heißt das: Wenn wir sagen ´nie mehr`, müssen wir meinen ´nie mehr` für alle auf der Welt, nicht nur für uns.“

Flottau hat neben eigenen Beiträgen zahlreiche fremde Stimmen zu Wort kommen lassen, wodurch den Lesern/innen die Dramatik dieses unendlichen Konfliktes hautnah vor Augen geführt wird.

Mittwoch, 6. Mai 2009

Sechzig Jahre Israel

Die Frage muss erlaubt sein: War noch ein Buch zum 60. Geburtstag Israels nötig, das dann auch noch mit fast einjähriger Verspätung auf den Markt gekommen ist? Die Antwort muss Ja lauten, weil über dieses Land nicht oft genug wirklichkeitsnah geschrieben werden kann. In diesem Sinne hebt sich das Buch von Moshe Zuckermann, Professor am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas (TAU) in Tel Aviv, positiv von der Erbauungsliteratur zum Staatsgründungsjubiläum ab, die die Komplexität und Widersprüchlichkeit Israels oft durch wohlwollende Interpretationen überkleistert hat.

Die Lage, in der sich Israel nach über 41 Jahren Besetzung palästinensischen Territoriums befindet, lässt ihm nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis: Entweder gibt Israel die Okkupation auf und riskiert einen Bürgerkrieg, oder es führt einen Dauerkrieg, um die Besetzung aufrechtzuerhalten, mit der Gewissheit der Entstehung eines binationalen Staates. Jede dieser Entscheidungen könnte das zionistische Projekt zum Wanken bringen, schreibt Zuckermann.

Der Autor liefert eine ungeschminkte Bestandsaufnahme seines Landes, die so gar nichts zu tun hat mit der „Israel-Verklärung“, die in den USA und Europa betrieben wird. Selbst das Shoah-Gedenken werde politisch instrumentalisiert. „Der israelische Zionismus rezipierte die Shoah nicht als weltgeschichtliches Ereignis, nicht als Zivilisationsbruch, nicht als das, wofür ein neuer, allgemeinmenschlicher kategorische Imperativ ´nach Auschwitz` notwendig geworden war; er unterwarf die Rezeption der Shoah vielmehr einzig der Logik seiner ideologischen Bedürfnissen, der rigoros funktionellen Zurichtung auf seine Selbstrechtfertigung als zionistischen Staat.“

Die zahlreichen kurzen Kapitel liefern aufschlussreiche Informationen, die man in anderen Publikationen über Israel schmerzlich vermisst. Seien es „das jüdische Problem“, die Ideologie des Zionismus, der Militarismus, Israel und die Diaspora, die Ideologie des Friedens oder die Debatte über „Existenzrecht“ und Existenz, in dem Zuckermann Folgendes schreibt: „Im Falle Israels drängt die Zeit, weil das ´historische Experiment des Zionismus` an einem Punkt ist, an dem ihm die Entscheidung zur Herstellung der Bedingungen für sein eigenes Überleben strukturell abgefordert wird. Israel hat sich zweifelsfrei vom Massada-Komplex zum Samson-Syndrom hinbewegt: Man kann die Juden nicht mehr ´ins Meer werfen`; eher gehen alle – die Juden und ihre Feinde – gemeinsam unter.“ Dies hält der Autor für keine zukunftsträchtige Perspektive.

Zu den deutsch-israelischen Beziehungen hat Zuckermann in einem Postskriptum nicht nur der deutschen politischen Elite, sondern auch seinen „spezial friends“ von den Antideutschen deutliche Wort ins Stammbuch geschrieben. Zur Knesset-Rede der Bundeskanzlerin merkt der Autor an: Wenn man schon Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson erkläre, so sei dies „hohles Gerede“. Deutschland habe seine „historische Verantwortung (Juden gegenüber) … sechsmillionenfach verwirkt; es kann (an Juden) nichts ´wiedergutmachen`, schon gar nicht, wenn es meint, ´Juden` mit ´Israel` gleichsetzen bzw. umtauschen zu dürfen“. Deutschland könne funktionale Beziehungen zu Israel unterhalten, „wobei zu erörtern wäre, was für ein `Israel` in diesem Zusammenhang gemeint ist: das reale Israel, das unter anderem seit über vierzig Jahren ein brutales Okkupationsregime betreibt, …, oder das ´Israel`, das sich abstrakt aus der ´historischen Verantwortung`(den ´Juden`) ableitet, daher auch als Abstraktes zur Projektionsfläche für Befindlichkeiten von Deutschen gerät, die mitunter noch immer nicht wissen, wo sie mit der ´Dauerpräsentation unserer Schande`(Walser) hin sollen.“

Für die „Antideutschen“ hat Zuckermann nur intellektuelle Geringschätzung übrig. Durch ihre überspannte „Israel-Solidarität“, ihr „abstruses Fahnenschwenken“ sowie ihr sonstiges „ideologisches Getue“ wollten sie nur ihre „nationalen Identitätsprobleme“ kompensieren. Sie gleichen im besten Fall „gutwillige Ignoranten“ oder eher „Gesinnungsschmarotzer“, die durch ihr „unreflektiertes Identitäts- und Befindlichkeitsdefizit“ letztlich „eine regressive politische Reaktion kanalisieren, ohne sich bewusst zu werden, dass sie durch die Ersetzung des Antisemitismus durch Islamophobie gerade das Andenken jener missbrauchen und kontaminieren, in deren Namen sie meinen, sprechen zu dürfen und derer sie sich projektiv bedienen, um sich selbst zu setzen“.

Zuckermann antwortet auf die Behauptung, in Deutschland tobe Antisemitismus folgendermaßen: „Antisemitismus hat es in der alten Bundesrepublik wie im nunmehr vereinten Deutschland immer gegeben. Er tobt nicht wieder, vor allem aber tobt er nicht, sondern hält sich eben in den Grenzen jener offenbar unausrottbaren Dimension, die es ihm ermöglicht fortzuwesen, ohne aber einem einzigen in Deutschland lebenden Juden in den Sinn zu kommen zu lassen, Deutschland seinetwegen verlassen zu wollen.“ Der Antisemitismus in seinen diversen Formen sei in Deutschland „ein gezügelter, weil tabuisierter Antisemitismus“. Und zur „Figur“ eines „Antisemitismus-Beauftragten“ meint der Autor, dass dies mit vielerlei zu tun habe, „nur nicht mit einer vom real herrschenden Antisemitismus ausgehenden Bedrohung, geschweige denn mit einer ernstzunehmenden Absicht, diese zu bekämpfen“.

Zur Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus schreibt Zuckermann: „Wer noch immer nicht den Unterschied zwischen Judentum, Zionismus und Israel, mithin zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik begriffen hat, wird zwangsläufig miteinander vermengen, was auseinander gehalten gehört.“ Gegenüber Religionsfunktionären, Lobbyisten oder einzelnen irregeleiteten Journalisten scheinen diese Worte in den Wind gesprochen zu sein.

Wer sich über Israel, seiner Ideologie und Geschichte, die tiefenpsychologischen Determinanten seiner Politik und der Besetzung fremden Territoriums sowie der Unterdrückung der Palästinenser umfassend informieren will, wird durch diese äußergewöhnliche Analyse auf seine Kosten kommen. Im sprachlichen Bereich weist das Buch jedoch einige Defizite auf, die man aber schnell überlesen sollte.

Dienstag, 5. Mai 2009

Bundeswehr als Gutkrieger?

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit der Regierungsübernahme durch die Schröder/Fischer-Regierung kriegstauglich geworden – neben der Einführung von Hartz IV ein weiteres bleibendes Verdienst dieser rot/grünen Bundesregierung. Tausende deutscher Soldaten tummeln sich in den verschiedensten Krisengebieten der Welt. Einer ernsthaften Debatte über Sinn und Unsinn eines solchen militärischen Engagements weicht die Politik jedoch aus. Tatsächlich befindet sich Deutschland im Krieg, aber keiner gibt es zu oder spricht öffentlich darüber. Nach außen hin wird so getan, als betreibe man Entwicklungshilfe, und die Bundeswehr sei ein bewaffnetes Technisches Hilfswerk (THW). Vom grundgesetzlichen Auftrag der Bundeswehr zur Landesverteidigung ist nichts mehr übrig geblieben: Heute ist die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee geworden, ohne dass es darüber eine öffentliche Debatte gegeben hätte. Wie tief die Kluft zwischen Regierung und dem Souverän in dieser Frage ist, zeigen Umfragen, in denen sich die Bürger mit überwältigender Mehrheit gegen die Militäreinsätze rund um den Globus aussprechen. Ob Deutschlands "nationale Interessen" am Hindukusch verteidigt werden, wie Peter Struck meinte, wird immer fraglicher.

Eric Chauvistré, freier Journalist in Berlin, hält der politischen Elite den Spiegel vor, in dem die Widersprüchlichkeiten, Unehrlichkeiten und Illusionen des militärpolitischen Engagements sich wie in einem Prisma bündeln. Selbst die edelsten Motive taugen nichts, wenn die angepeilten Ziele nicht erreicht werden, so der Autor. Das Weißbuch zählt einige Katastrophenszenarien wie z. B. den Klimawandel auf. Darüber hinaus will Deutschland Afghanistan die Demokratie bringen, den Frauen das Ende der Unterdrückung und allen Menschen Zugang zu Bildung ebnen; auch freie Wahlen sollten organisiert werden. Für all dies braucht man aber nicht die Bundeswehr.

Der Autor verlangt Offenheit und Ehrlichkeit der Politik gegenüber den Bürgern, wohin die Reise gehen soll. Er verweist zu Recht auf den Misserfolg militärischen Eingreifens auf dem Balkan. Dieser Krieg wurde mit dem Argument der Abwendung einer „humanitären Katastrophe“ begründet. Dieses „Argument“ war aber schon immer zweischneidig. Durch die militärischen Interventionen seitens der USA und der NATO wurde aber erst „eine humanitäre Katastrophe geschaffen, die ansonsten zur Begründung militärischer Einsätze angeführt wird“.

Es gibt keine Bundestagsdebatte über Afghanistan, die sich nicht im emotionalen Überschwang über die „Erfolge“ ergeht. Das Pentagon, die US-Geheimdienste, der UN-Generalsekretär und das Internationale Rote Kreuz jedenfalls „teilen die unbedarfte Haltung der deutschen Befürworter des Afghanistan-Einsatzes“ nicht. Bisher sind 32 deutsche „Aufbauhelfer“ (Soldaten) gefallen. Die Bundeswehr habe sich in ihren hermetisch abgeriegelten Feldlagern verbarrikadiert. Der Eigenschutz der Soldaten sei zum obersten Ziel geworden. Die Mission werde zum Selbstzweck. Den Soldaten und ihren Kommandeuren sei daraus kein Vorwurf zu machen. Sie müssten darauf bedacht sein, die viermonatige Abkommandierung möglichst ohne menschliche Verluste zu überstehen, so der Autor.

Chauvistré fordert eine offene und ehrliche Debatte, weil sonst das Engagement der Bundeswehr auch in Afghanistan scheitern werde. Die deutsche Militärpolitik leide an ihren „überschätzten Möglichkeiten“. Diese realistisch einschätzen zu können, heißt, Abschied nehmen vom Gutkriegertum und moralischer Überhöhung der eigenen Ansprüche.

Das Buch ist glänzend geschrieben. Chauvistré diskutiert ein sehr ernstes politisches Thema, bei dem man aber auch manchmal schmunzeln muss, ob des mangelnden Realitätssinnes der politisch Verantwortlichen. Ein Muss für den politisch Interessierten und hoffentlich ein Anstoß zu mehr Wahrhaftigkeit in einer todernsten Angelegenheit. Die politische Frage müsste eigentlich lauten: Wie kommt die Bundeswehr schnellstmöglich und ohne Prestige- und Gesichtsverlust aus dem afghanischen Morast heraus, weil es am Hindukusch nichts zu gewinnen gibt?