Endlich liegt die außergewöhnliche Autobiographie „Out of the Frame“ des israelischen Politikwissenschaftlers Ilan Pappe auch in deutscher Übersetzung vor. In ihr erzählt der Autor die Geschichte seiner Konversion vom Zionisten zum Anti-Zionisten. Diese „Bekehrung“ korrespondierte mit seiner Marginalisierung als Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Haifa. Je unverblümter sich Pappe für die Anerkennung des historischen Narratives der Palästinenser im israelischen politischen und öffentlichen Diskurs einsetzte, desto stärker wurde er von Seiten seiner „Kollegen/innen“ gemobbt, diskriminiert und marginalisiert. Sie machten ihm sprichwörtlich das Leben zur Hölle, in der auch noch die letzten Ansprüche von der „Freiheit der Wissenschaft“ auf der Strecke geblieben sind. Als letzter Ausweg blieb ihm nur das Exil in Großbritannien. Er lehrt am Institut für Arabische und Islamische Studien an der University of Exeter, England, und ist Direktor des Europäischen Zentrums für Palestine Studies und der Co-Direktor des Zentrums für Exeter Ethno-politische Studien.
Der Autor kann sich nicht mehr exakt an den Augenblick seiner persönlichen „Offenbarung“ erinnern, aber es gab Momente, in denen Widersprüche zum offiziellen Judentum und die Immoralität des Zionismus immer offener zu Tage traten. Das heißt jedoch nicht, dass Pappe das Judentum samt seiner Moralität ablehnt, weil es immer noch ein großes Erbe darstellt, auf dessen Grundlage man moralische Urteile fällen kann. Für ihn missbraucht der Zionismus jedoch das Judentum samt seiner Moralität für seine politisch-expansionistischen Ziele. „Worst of all was the Zionist and later Israeli abuse of the Holocaust memory to justify the dispossession of Palestine that disconcerted and outraged me. The abuse is obvious and yet so many today can still not see it. It was this departure point human and Jewish that recently led so many Jews to oppose crimes and policies done in the name of the state.”
Ilan Pappe versucht, das Rätsel des Zionismus zu dechiffrieren. Was einst für ihn „ultimativer Ausdruck einer tadellosen Menschheit war“, entpuppte sich, wenn aufgegeben, „als eine rassistische und ziemlich üble Philosophie von der Moral und des Lebens“. Die ersten Zweifel kamen dem Autor, als er 1981 zum Promotionsstudium an die Universität von Oxford ging. Zwei Ereignisse bewirkten die ersten Risse im zionistischen Gebäude: Die Invasion Israels in den Libanon 1981, in dessen Folge es zum Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila kam, das unter den Augen von Generalstabschef Rafael Eitan und Verteidigungsminister Ariel Sharon von den christlichen Phalangisten begannen worden ist. Der zweite „Augenöffner“ war die Einladung der israelischen Botschaft in Stellvertretung des Botschafters Argon, der gerade ein Attentat überlebt hatte, eine Rede zu halten. Für Pappe war die israelische Botschaft bereit, ihn zu opfern, falls es noch einmal zu einem Attentat gekommen wäre. Von diesem Zeitpunkt an begann eine „Reise ohne Wiederkehr“.
Nach Pappe ist es für einen israelischen Akademiker „tödlich“, den Zionismus als koloniale Bewegung und nicht als „Befreiungsbewegung für das jüdische Volk“ zu sehen. Ebenso wenig sei es erlaubt, Zionismus mit Kolonialismus gleichzusetzen; dies sei eine Abirrung von der „historischen Wahrheit“. Aber waren es nicht die Zionisten selber, die ihr Unternehmen in der Terminologie des Kolonialismus beschrieben? Sie waren sogar stolz darauf. So gründeten sie “the Jewish Colonization Association”, “the Society for the Colonization of the Land of Israel”, “the Palestine Jewish Colonization Association”, and “the Jewish Colonial Trust”. Der 12. Zionistenkongress richtete eine “Kolonisierungsabteilung” ein. Chaim Weizman verglich die zionistische Bewegung mit der französischen Kolonisierung Tunesiens.
Pappes Autobiographie ist eng verbunden mit der Geschichte seines Landes und der Kolonisierung Palästinas. Seine wissenschaftlichen Überzeugungen über den kolonialistischen Charakter des Zionismus bescherten dem Autor enorme Probleme. Was der Autor über die Mobbing- und Denunziations-Kampagnen seiner Kollegen/innen im Zuge der so genannten Katz-.Affäre schreibt, kann nur als Schande bezeichnet werden. Nicht wie Benny Morris, der eine wissenschaftliche 180-Grad-Wendung vollzog, blieb Pappe seinen Überzeugungen treu. Der Autor schreibt über ein Treffen zwischen israelischen und palästinensischen Historikern in Paris, an dem auch Benny Morris und Itamar Rabinovitch teilgenommen haben. Nach Pappe hätten beide ihren palästinensischen Kollegen aufgrund der nicht Verfügbarkeit der historischen Dokumente und der mangelnden Fachkenntnis die Fähigkeit abgesprochen, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Dies würde bedeuten, dass zumindest in diesem Fall nur die Kolonialherren die Möglichkeit besitzen, die Geschichte der Kolonisierten zu schreiben.
Der Autor kritisiert heftig die Rolle der Medien in Israel, die wesentlich zur Militarisierung der Gesellschaft beitrügen. Sie betätigten sich als willfähriges Sprachrohr des militärischen und politischen Sicherheitsestablishments sowie der zionistischen Ideologie. Als ein Fernsehmoderator ihn einen „Verräter“ und ein ehemaliger Justizminister (!) einen „Agent der Hisbollah“ nannten, war es Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, schreibt Pappe.
In seinem Nachwort „Israel entwaffnen“ zeigt der Autor, wie gestört die israelische Gesellschaft ist. „Es scheint, dass Menschen wie ich den neuen Antisemitismus vertreten, der wie der alte, eine starke selbst hassende Komponente enthält.“ Für diese schräge Haltung hat der Autor eine überzeugende Erklärung parat: „Es war meine jüdische Herkunft, die es mir nicht länger erlaubte, die Lüge zu tolerieren, und diese Herkunft drängte mich in eine aktive Rolle, sie zu demaskieren.“ Für Pappe war der Zionismus eine „großartige Reaktion“ auf die „akuten Probleme der jüdischen Existenz in Europa“. Aber diese edlen Motive waren verschwunden, als man Palästina als Ziel des zionistischen Unternehmens ausgewählt habe. „Es ging nicht mehr um die Rettung von Menschen, sondern man konzentrierte sich auf Kolonisierung und Enteignung.“ Nach Pappe schuf sich die Armee mit Israel einen Staat. Die „Entwaffnung“ dieses modernen Sparta müsse mit der Entwaffnung der Ideologie beginnen, so der Autor. Dazu bedürfe es eines kritischen Dialogs mit der Zivilgesellschaft und der Politik in Israel, die ja zur „zivilisierten Welt“ gehören wollen, aber bei Aufrechterhaltung einer „rassistischen“ Haltung. Eine Änderung in der Haltung seiner Landsleute könne durch die weltweite BDS-Kampagne (Boykott, Divestment und Sanktionen) erreicht werden.
Eine intellektuelle und überaus anspruchsvolle Autobiographie, die den Israellobbyisten und deren Parteigängern innerhalb der politischen Klasse wärmstens empfohlen sei.
Erschienen hier.
Der Autor kann sich nicht mehr exakt an den Augenblick seiner persönlichen „Offenbarung“ erinnern, aber es gab Momente, in denen Widersprüche zum offiziellen Judentum und die Immoralität des Zionismus immer offener zu Tage traten. Das heißt jedoch nicht, dass Pappe das Judentum samt seiner Moralität ablehnt, weil es immer noch ein großes Erbe darstellt, auf dessen Grundlage man moralische Urteile fällen kann. Für ihn missbraucht der Zionismus jedoch das Judentum samt seiner Moralität für seine politisch-expansionistischen Ziele. „Worst of all was the Zionist and later Israeli abuse of the Holocaust memory to justify the dispossession of Palestine that disconcerted and outraged me. The abuse is obvious and yet so many today can still not see it. It was this departure point human and Jewish that recently led so many Jews to oppose crimes and policies done in the name of the state.”
Ilan Pappe versucht, das Rätsel des Zionismus zu dechiffrieren. Was einst für ihn „ultimativer Ausdruck einer tadellosen Menschheit war“, entpuppte sich, wenn aufgegeben, „als eine rassistische und ziemlich üble Philosophie von der Moral und des Lebens“. Die ersten Zweifel kamen dem Autor, als er 1981 zum Promotionsstudium an die Universität von Oxford ging. Zwei Ereignisse bewirkten die ersten Risse im zionistischen Gebäude: Die Invasion Israels in den Libanon 1981, in dessen Folge es zum Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila kam, das unter den Augen von Generalstabschef Rafael Eitan und Verteidigungsminister Ariel Sharon von den christlichen Phalangisten begannen worden ist. Der zweite „Augenöffner“ war die Einladung der israelischen Botschaft in Stellvertretung des Botschafters Argon, der gerade ein Attentat überlebt hatte, eine Rede zu halten. Für Pappe war die israelische Botschaft bereit, ihn zu opfern, falls es noch einmal zu einem Attentat gekommen wäre. Von diesem Zeitpunkt an begann eine „Reise ohne Wiederkehr“.
Nach Pappe ist es für einen israelischen Akademiker „tödlich“, den Zionismus als koloniale Bewegung und nicht als „Befreiungsbewegung für das jüdische Volk“ zu sehen. Ebenso wenig sei es erlaubt, Zionismus mit Kolonialismus gleichzusetzen; dies sei eine Abirrung von der „historischen Wahrheit“. Aber waren es nicht die Zionisten selber, die ihr Unternehmen in der Terminologie des Kolonialismus beschrieben? Sie waren sogar stolz darauf. So gründeten sie “the Jewish Colonization Association”, “the Society for the Colonization of the Land of Israel”, “the Palestine Jewish Colonization Association”, and “the Jewish Colonial Trust”. Der 12. Zionistenkongress richtete eine “Kolonisierungsabteilung” ein. Chaim Weizman verglich die zionistische Bewegung mit der französischen Kolonisierung Tunesiens.
Pappes Autobiographie ist eng verbunden mit der Geschichte seines Landes und der Kolonisierung Palästinas. Seine wissenschaftlichen Überzeugungen über den kolonialistischen Charakter des Zionismus bescherten dem Autor enorme Probleme. Was der Autor über die Mobbing- und Denunziations-Kampagnen seiner Kollegen/innen im Zuge der so genannten Katz-.Affäre schreibt, kann nur als Schande bezeichnet werden. Nicht wie Benny Morris, der eine wissenschaftliche 180-Grad-Wendung vollzog, blieb Pappe seinen Überzeugungen treu. Der Autor schreibt über ein Treffen zwischen israelischen und palästinensischen Historikern in Paris, an dem auch Benny Morris und Itamar Rabinovitch teilgenommen haben. Nach Pappe hätten beide ihren palästinensischen Kollegen aufgrund der nicht Verfügbarkeit der historischen Dokumente und der mangelnden Fachkenntnis die Fähigkeit abgesprochen, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Dies würde bedeuten, dass zumindest in diesem Fall nur die Kolonialherren die Möglichkeit besitzen, die Geschichte der Kolonisierten zu schreiben.
Der Autor kritisiert heftig die Rolle der Medien in Israel, die wesentlich zur Militarisierung der Gesellschaft beitrügen. Sie betätigten sich als willfähriges Sprachrohr des militärischen und politischen Sicherheitsestablishments sowie der zionistischen Ideologie. Als ein Fernsehmoderator ihn einen „Verräter“ und ein ehemaliger Justizminister (!) einen „Agent der Hisbollah“ nannten, war es Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, schreibt Pappe.
In seinem Nachwort „Israel entwaffnen“ zeigt der Autor, wie gestört die israelische Gesellschaft ist. „Es scheint, dass Menschen wie ich den neuen Antisemitismus vertreten, der wie der alte, eine starke selbst hassende Komponente enthält.“ Für diese schräge Haltung hat der Autor eine überzeugende Erklärung parat: „Es war meine jüdische Herkunft, die es mir nicht länger erlaubte, die Lüge zu tolerieren, und diese Herkunft drängte mich in eine aktive Rolle, sie zu demaskieren.“ Für Pappe war der Zionismus eine „großartige Reaktion“ auf die „akuten Probleme der jüdischen Existenz in Europa“. Aber diese edlen Motive waren verschwunden, als man Palästina als Ziel des zionistischen Unternehmens ausgewählt habe. „Es ging nicht mehr um die Rettung von Menschen, sondern man konzentrierte sich auf Kolonisierung und Enteignung.“ Nach Pappe schuf sich die Armee mit Israel einen Staat. Die „Entwaffnung“ dieses modernen Sparta müsse mit der Entwaffnung der Ideologie beginnen, so der Autor. Dazu bedürfe es eines kritischen Dialogs mit der Zivilgesellschaft und der Politik in Israel, die ja zur „zivilisierten Welt“ gehören wollen, aber bei Aufrechterhaltung einer „rassistischen“ Haltung. Eine Änderung in der Haltung seiner Landsleute könne durch die weltweite BDS-Kampagne (Boykott, Divestment und Sanktionen) erreicht werden.
Eine intellektuelle und überaus anspruchsvolle Autobiographie, die den Israellobbyisten und deren Parteigängern innerhalb der politischen Klasse wärmstens empfohlen sei.
Erschienen hier.