Freitag, 10. Juni 2011

Fatah, Hamas und die arabischen Revolutionen

Die Veränderungen in der arabischen Welt sind endlich auch in Palästina ankommen. Sie haben nicht nur die politische Lage in Palästina, sondern auch einiges für Israel verändert. Israels Pharao, Hosni Mubarak, wurde auf Druck des Volkes vom Militär aus dem Verkehr gezogen, und Bashar al-Assad steht in Syrien noch das Schlimmste bevor. Für die Palästinenser bedeutete dies, die Reihen zu schließen, bevor sich das „window of opportunity“ wieder schließt und es für einen fundamentalen Politikwechsel zu spät ist. Eine der Konfliktparteien hat bereits ihren Protegé verloren, und auch die Herrschaft der Hamas-„Partei“ in Syrien wankt. Nicht bessere Einsicht war also die treibende Kraft bei der „Versöhnung“ zweier kontradiktorischer Politkonzepte, sondern die Macht der Notwendigkeit, bedingt durch die geopolitischen Veränderungen, welche die Revolution in Ägypten und die Aufstände gegen die arabischen Autokraten bewirkt haben.

Ob das Versöhnungsdokument, das nicht nur von Hamas und Fatah, sondern auch von elf weiteren Gruppierungen unterzeichnet worden ist, das Papier wert ist, auf dem es geschrieben worden ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Wenn beide Kontrahenten die Sache ernst nehmen, können Verhandlungen im alten Stil mit Israel so nicht weitergeführt werden. Mahmud Abbas und seine Kumpane müssen Abschied von ihrer kollaborationistischen Haltung gegenüber Israel nehmen. Die Veröffentlichungen der „Palestine papers“ haben gezeigt, dass jedwede Verhandlungen mit welcher israelischen Regierung auch immer zu nichts führen, weil das Land zu keinem wirklichen politischen Kompromiss bereit ist, solange die Palästinenser nicht kapitulieren und kollektiv „auswandern“ oder sich zum Zionismus bekehren. Eine Regierung der nationalen Einheit wird wieder deutlicher die legitimen Rechte der kolonisierten Palästinenser betonen müssen, welche Abbas und seine Mannen für ihre Privilegien bereits geopfert haben.

Dass das neue und hoffentlich demokratische Ägypten nicht mehr die schäbige Rolle Mubaraks als Erfüllungsgehilfe Israels und der USA gegen die Palästinenser spielen wird, wurde bereits durch die Ankündigung deutlich, die Grenze des Gaza-Streifens zu Ägypten für die in Gefangenschaft lebenden Palästinenser wieder zu öffnen, damit Israels Gefangene endlich Zugang zur Welt erhalten, weil eine ungehinderte Ein- und Ausreise jedem Individuum als Menschenrecht zusteht. Auch wird sich eine zukünftige ägyptische Regierung nicht mehr an der Farce beteiligen, die vom Westen als „Friedensprozess“ bezeichnet wird, und der israelischen Kolonisierung der Westbank tatenlos zusehen. Auch wird sie nicht mehr Israels kriegerische Rhetorik gegenüber Iran unterstützen. All dies sollte Abbas bedenken, wenn er sich wieder mit Israel in Verhandlungen über einen „Friedensprozess“ einlässt. Aber Abbas ist umringt von Ja-Sagern, sodass kritischer Geist diesem Klüngel wohl tun wird.

Dass Geschrei in Israel war groß über den Fatah-Hamas-Deal. Auch die Rhetorik der rechtsnationalistischen Netanyahu-Lieberman-Regierung war vorauszusehen: Der „Friedensprozess“ könne nicht fortgesetzt werden, solange Mitglieder einer „Terrororganisation“ einer Regierung angehörten. Israel hat wieder keinen „keinen Partner“. Israel erließ umgehend Strafmaßnahmen und sperrte die Überweisung der eingehaltenen Steuern an Abbas; eine rechtswidrige Maßnahme, wie so vieles, was Israel tut. Als ob es jemals einen „Friedensprozess“ gegeben hätte, der diesen Namen verdient. Die altbekannten Propagandafloskeln wurden wieder aus der zionistischen Mottenkiste hervorkramt und in die Welt hinausposaunt. Damit sollen den Staaten wieder jegliche eigenständige Handlungsoptionen genommen werden, wie weiland beim Wahlsieg der Hamas 2006, als erstmalig in freien, gleichen, geheimen und allgemeinen demokratischen Wahlen in der arabischen Welt eine Regierung aus dem Amt gewählt worden ist. Der damalige „Sündenfall“ des Westens, der wider gegen seine so genannten Werte handelte, weil Israel es ihm aufgetragen hatte, darf sich dieses Mal nicht wiederholen, weil sich dann der Westen zum wiederholten Male jeglicher eigenständiger Politik berauben würde. Die spalterische Politik Israel gegenüber der arabischen und muslimischen Welt wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, u. a. auch deshalb, weil Israel mit der Türkei einen wichtigen Verbündeten verloren hat, den es durch seine aggressive Politik mehrmals vor den Kopf gestoßen hat.

Wo Israel mit seiner schrillen Politrhetorik immer landen kann, sind die USA und Deutschland. Beide haben das politische Mantra von Hamas als Terrororganisation widerholt und gefordert, Hamas müsse der Gewalt abschwören, Israels Existenzrecht anerkennen und die ausgehandelten Verträge akzeptieren. Keiner hat jedoch jemals von Israel gefordert, der Gewalt abzuschwören (1 600 Tote im Libanon 2006; 1 400 Tote in Gaza 2008/09 sprechen eine eindeutige Sprache, von den hunderten toten Palästinensern in den Jahren dazwischen gar nicht zu reden), das Existenzrecht des palästinensischen Volkes anzuerkennen und die Oslo-Verträge einzuhalten. Apropos „Existenzrecht Israels“: Hat jemals irgendjemand gefordert, das „Existenzrecht“ Deutschlands, Frankreichs, der USA oder irgendeines anderen Staates anzuerkennen? Daran zeigt sich, wie grotesk eine solche politische Forderung ist. Das Völkerrecht kennt nur die staatliche Anerkennung. Außerdem existiert Israel, Punkt! Darüber braucht nicht mehr diskutiert zu werden. Hätte die deutsche politische Klasse auch nur die geringste Ahnung, was sich hinter dieser Propagandaformel vom „Existenzrecht“ wirklich verbirgt, könnten sie nicht gedankenlos diesen politischen Unfug nachplappern.

Am 5. Mai war Palästinenserpräsiden Mahmoud Abbas in Berlin, einige Wochen vorher Israels Ministerpräsident Netanyahu. Die Bilder der Begegnungen sprechen Bände: Netanyahu und Merkel schauen sich lächeln wie „Verliebte“ in die Augen; gegenüber Abbas tritt Merkel mit erhobenem Zeigefinger auf, wie gegenüber einem beim Abschreiben ertappten Schulbuben. Dass Merkel ihm dann eine Lektion in israelischer politischer Propaganda erteilte, überrascht keinen. Unter der Merkel/Westerwelle/Rösler-Regierung ist in Bezug auf den Nahen Osten Hopfen und Malz verloren, obwohl Westerwelle manchmal kluge politische Momente hat, wie bei beim Abstimmungsverhalten Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, als es um einen Kriegseintritt gegen Libyen ging, der durch eine so genannte Einrichtung einer „Flugverbotszone“ für Zivilisten verbrämt wurde. Heute führt die NATO einen Krieg auf Seiten von „Aufständischen“ gegen eine international anerkannte Regierung.

Neben der seit Jahrzehnten bestehenden Obstruktionspolitik der USA und Israels bleiben die Fragen in dem „Versöhnungsdokument“ wie der zukünftige Wahlmodus, der Status der PLO, Sicherheitsfragen, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit und die Rolle des Legislativrates weitgehend ungeklärt. Israel hält immer noch 13 demokratisch-gewählte Mitglieder des „Palästinenserparlament“ grundlos gefangen. Wie soll damit umgegangen werden?

Noch ist für Israel nichts verloren, denn Ministerpräsident Netanyahu hat vor beiden Häusern des US-Kongresses eine Rede gehalten, vor einem Gremium, das zu 95 Prozent den Befehlen der „Israellobby“ gehorcht. Der „wind of change“ und neues Denken kommen bestimmt nicht aus den USA, sondern aus den revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt, wenn sich diese doch einmal einig wäre. Solange sie geteilt bleibt in moderate, sprich „gute“ Amerikahörige Regierungen, und radikale, sprich „schlechte“ Amerikakritische Regierungen, kann es zu keinen positiven Veränderungen im Israel-Palästina-Konflikt kommen.

Zuerst erschienen in: Der Semit.