In den Nahen Osten ist wieder Bewegung gekommen. Die revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt sind endlich auch in Palästina ankommen. Sie haben nicht nur die politische Lage in Palästina, sondern auch für Israel verändert. Dies konnte man am Nakba-Tag erleben, als sich Tausende von palästinensischen Flüchtlingen über die Grenze auf den Golan-Höhen in ihre Heimat aufmachten. Das israelische Militär reagiert mit brutaler Gewalt und erschoss zirka 20 von ihnen. Aber auch in Washington gab es einigen Wirbel. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu stattete dem Land einen Besuch ab und wies US-Präsident Barack Obama wieder einmal in seine Schranken.
Obama hielt am 19. Mai im State Department eine Rede zur US-Nahostpolitik, in der er als Ausgangspunkt von Verhandlungen die Grenzen vor dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 vorschlug. Dies hatten zuvor zwar alle US-Präsidenten so formuliert, aber trotzdem verschlug es Netanyahu die Sprache. Das Treffen zwischen beiden fand in eisiger Atmosphäre statt. Netanyahu führte Obama nicht nur öffentlich vor, sondern zeigte ihm bei seiner Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses, wer die stärkeren Bataillone hinter sich hat. Die Senatoren und Abgeordnete des Repräsentantenhauses sprangen 55 Mal von ihren Sitzen und spendeten Netanyahu frenetischen Beifall, obgleich Obama vor der Jahrestagung von AIPAC (American Israeli Public Affairs Committee) bereits zurückgerudert war. Zu diesem jährlich stattfindenden Treffen pilgern alle, die Rang und Namen in Washington haben.
Bevor Obama zu einer Europareise aufbrach, ermahnte ihn noch Netanyahu, dass sein Vorgänger, George W. Bush, in einem Brief an Ariel Sharon geschrieben habe, dass es „unrealistisch“ sei, im Rahmen von Verhandlungen von der Waffenstillstandslinie von 1949 als endgültiger Grenze auszugehen. Obama riet aber auch den Palästinensern davon ab, im September von den Vereinten Nationen als Staat erkannt zu werden. Diesen Ratschlag sollten die Palästinenser jedoch nicht befolgen, da von den 200 UN-Mitgliedstaaten zirka 188 einen Staat „Palästina“ anerkennen werden. Außerdem würde damit die andere Hälfte der UN-Teilungsresolution vom 29. November 1947 endlich realisiert werden. Obama verlangte darüber hinaus von den Palästinensern, Israel als „jüdischen Staat“ anzuerkennen. Dabei hätte er doch wissen müssen, das bei der Anerkennung durch US-Präsident Harry S. Truman 1948 dieser justament die Anerkennung eines „Jewish State“ durch die völkerrechtlich korrekte Formulierung „State of Israel“ ersetzt hatte, wie Jeff Gates in seinem Beitrag „The U. S.-Israeli Train Wreck“ zeigt.
Das Dilemma der USA in Bezug auf Israel zeigte sich beim Besuch Netanyahus überdeutlich: Das US-Imperium hat keinerlei Handhabe, um seinen Klientelstaat in seinem nationalen Interesse zu beeinflussen. Seit Dwight D. Eisenhower hat es kein US-Präsident mehr vermocht, sich gegen Israel und seine Lobbygruppen in den USA durchzusetzen. Folglich verpuffte die Rede Obamas in der arabischen Welt. Dort nimmt ihn niemand mehr ernst; seine Meinung ist nicht nur den Menschen, sondern auch den Herrschern gleichgültig. Dafür spricht auch, dass die USA Mubarak und Ben Ali bis zum Schluss unterstützt haben. Obama ist erst auf den Zug aufgesprungen, als bereits alles entschieden war. Die USA haben quasi die arabischen Revolutionen verschlafen, und Israel war sowieso von Anfang an dagegen.
Führten die Proteste in Tunesien und Ägypten noch zum Sturz der Präsidenten, so verteidigen die autokratischen Herrscher im Jemen und Syrien ihre Macht mit brutaler Gewalt. Beide Regime gehen gegen ihre eigene Bevölkerung mit solcher Brutalität vor, dass sie jegliche Legitimität verloren haben. Ganz anders in Libyen: Dort wurde durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates eine „Flugverbotszone“ zum Schutz der Zivilbevölkerung eingerichtet. Sie diente jedoch dem Westen als Vorwand, gegen Muammar Gaddafi Krieg zu führen, um ihn zu stürzen und Libyen als westlichen Stützpunkt zu erobern, um die Entwicklungen in Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko zu beeinflussen.
Die machtpolitischen und geostrategischen Veränderungen im Nahen Osten bedeuteten für die Palästinenser, die Reihen zu schließen, bevor sich das „window of opportunity“ wieder schließt und es für einen fundamentalen Politikwechsel zu spät ist. Eine der Konfliktparteien hat bereits ihren Protegé verloren, und auch die Herrschaft der Hamas-„Partei“ in Syrien wankt. Nicht bessere Einsicht war also die treibende Kraft bei der „Versöhnung“ zweier kontradiktorischer Politkonzepte, sondern die Macht der Notwendigkeit, bedingt durch die Veränderungen, welche die Revolution in Ägypten und die Aufstände gegen die arabischen Autokraten bewirkt haben.
Ob das Versöhnungsdokument, das nicht nur von Hamas und Fatah, sondern auch von elf weiteren Gruppierungen unterzeichnet worden ist, das Papier wert ist, auf dem es geschrieben worden ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Wenn beide Kontrahenten die Sache ernst nehmen, können Verhandlungen im alten Stil mit Israel so nicht weitergeführt werden. Mahmud Abbas und seine Kumpane müssen Abschied von ihrer kollaborationistischen Haltung gegenüber Israel nehmen. Die Veröffentlichungen der „Palestine papers“ haben gezeigt, dass jedwede Verhandlungen mit welcher israelischen Regierung auch immer zu nichts führen, weil das Land zu keinem wirklichen politischen Kompromiss bereit ist, solange die Palästinenser nicht kapitulieren, kollektiv „auswandern“ oder sich zum Zionismus bekehren. Eine Regierung der nationalen Einheit wird wieder deutlicher die legitimen Rechte der kolonisierten Palästinenser betonen müssen, welche Abbas und seine Mannen für ihre Privilegien bereits geopfert haben.
Dass das neue und hoffentlich demokratische Ägypten nicht mehr die schäbige Rolle Mubaraks als Erfüllungsgehilfe Israels und der USA gegen die Palästinenser spielen wird, wurde bereits durch die Grenzöffnung zwischen dem Gaza-Streifens und Ägypten für die in Gefangenschaft lebenden Palästinenser dokumentiert, damit Israels Gefangene endlich Zugang zur Welt erhalten, weil eine ungehinderte Ein- und Ausreise jedem Individuum als Menschenrecht zusteht. Auch wird sich eine zukünftige ägyptische Regierung nicht mehr an der Farce beteiligen, die vom Westen als „Friedensprozess“ bezeichnet wird, und der israelischen Kolonisierung der Westbank tatenlos zusehen. Auch wird sie nicht mehr Israels Rhetorik gegenüber Iran unterstützen. All dies sollte Abbas bedenken, wenn er sich wieder mit Israel in Verhandlungen über einen „Friedensprozess“ einlässt. Aber Abbas ist umringt von Ja-Sagern, sodass kritischer Geist diesem Klüngel wohl tun wird.
Das Geschrei in Israel war groß, und Netanyahu rasselte heftig mit dem Säbel über den Fatah-Hamas-Deal. Die Rhetorik der rechtsnationalistischen Netanyahu-Lieberman-Regierung war vorauszusehen. Man drohte „schwerwiegende Konsequenzen“ an. Einige Extremisten verlangten sogar die sofortige Annexion der Westbank. Von Regierungsseite lamentierte man darüber, dass der „Friedensprozess“ nicht fortgesetzt werden könne, solange Mitglieder einer „Terrororganisation“ einer palästinensischen Regierung angehörten. Plötzlich hat Israel wieder „keinen Partner“, als ob Israel jemals ein Partner in einem ernstzunehmenden Friedensprozess gewesen wäre, wenn man sich die Geschichte seit der Gründung des Staates ansieht. Die erste dieser Strafmaßnahmen war die Sperrung von Überweisung der von Israel einbehaltenen Steuern an Abbas; eine rechtswidrige Maßnahme, wie so vieles völkerrechtswidrig ist, was Israel tut.
Die Spaltung innerhalb des palästinensischen Widerstandslagers lag im Interesse Israels, und man tat alles, um diese aufrechtzuerhalten. Die Drohung mit dem Ende des „Friedensprozesses“ klingt hohl, als ob es jemals einen „Friedensprozess“ gegeben hätte, der diesen Namen verdient. Die altbekannten Propagandafloskeln wurden wieder aus der zionistischen Mottenkiste hervorgekramt und in die Welt hinausposaunt. Damit sollen den Staaten wieder jegliche eigenständige Handlungsoptionen genommen werden, wie weiland beim Wahlsieg der Hamas 2006, als erstmalig in freien, gleichen, geheimen und allgemeinen demokratischen Wahlen in der arabischen Welt eine Regierung aus dem Amt gewählt worden ist. Der damalige „Sündenfall“ des Westens, der wieder gegen seine so genannten Werte handelte, weil Israel es ihm aufgetragen hatte, darf sich dieses Mal nicht wiederholen, weil sich dadurch der Westen zum wiederholten Male jeglicher eigenständiger Politik berauben würde. Die spalterische Politik Israel gegenüber der arabischen und muslimischen Welt wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, u. a. auch deshalb, weil Israel mit der Türkei einen wichtigen Verbündeten verloren hat, den es durch seine aggressive Politik, wie z. B. durch die Ermordung von neun türkischen Staatsbürgern bei der völkerrechtswidrigen Kaperung der „Mavi Marmara“ in internationalen Gewässern geschehen, mehrmals vor den Kopf gestoßen hat.
Wo Israel mit seiner schrillen Politrhetorik immer landen kann, sind die USA und in einigen europäischen Staaten. Die meisten der europäischen Regierung sehen das völlig anders, wie z. B. die Rolle der Hamas. Demgegenüber haben die USA das politische Mantra von Hamas als Terrororganisation wiederholt und gefordert, Hamas müsse der Gewalt abschwören, Israels Existenzrecht anerkennen und die ausgehandelten Verträge akzeptieren. Keiner hat jedoch jemals von Israel gefordert, der Gewalt abzuschwören (1 600 Tote im Libanon 2006; 1 400 Tote in Gaza 2008/09 sprechen eine eindeutige Sprache, von den hunderten toten Palästinensern in den Jahren dazwischen gar nicht zu reden), das Existenzrecht des palästinensischen Volkes anzuerkennen und die Oslo-Verträge einzuhalten. Apropos „Existenzrecht Israels“: Hat jemals irgendjemand gefordert, das „Existenzrecht“ Deutschlands, Frankreichs, der USA oder Tongas anzuerkennen? Daran zeigt sich, wie grotesk eine solche politische Forderung ist. Das Völkerrecht kennt nur die staatliche Anerkennung. Außerdem existiert Israel, Punkt! Darüber braucht nicht mehr diskutiert zu werden.
Neben der seit Jahrzehnten bestehenden Obstruktionspolitik der USA und Israels bleiben Fragen in dem „Versöhnungsdokument“ wie der zukünftige Wahlmodus, der Status der PLO, Sicherheitsarrangements, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit und die Rolle des Legislativrates weitgehend ungeklärt. Israel hält immer noch 13 demokratisch-gewählte Hamas-Mitglieder des „Palästinenserparlament“ grundlos gefangen. Wie soll damit umgegangen werden? Wie das israelische Außenministerium in einer politischen Lageanalyse feststellte, würde eine erfolgreiche Versöhnung den politischen Interessen Israels und der USA in der Region schaden. Die Palästinenser sollte diese „negativen“ Auswirkungen für seinen Besatzer und dessen Klienten, die USA, wenig interessieren, weil deren politisches Interesse nicht dem des palästinensischen Volkes entspricht. Es scheint, als entspreche diese Analyse den extremistischen Ansichten von Außenminister Lieberman.
Ob die Zusammenarbeit zwischen dem israelischen Besatzer und der willfährigen Abbas-Regierung in Sicherheitsfragen nicht primär der Sicherheit der völkerrechtswidrigen Kolonisatoren in der Westbank dient als den Palästinensern, muss von einer Regierung der nationalen Einheit überdacht werden. Hamas hat sich bisher immer geweigert, seine Hand den Besatzern zu reichen, um die eigene Bevölkerung zu drangsalieren und zu unterdrücken. Eine völkerrechtliche Anerkennung Israels, und nur darum kann es gehen, kommt für Hamas nur in Frage, wenn im Gegenzug Israel „Palästina“ als Staat völkerrechtlich anerkennt. Yassir Arafat hatte Israel im Rahmen der Oslo-Vereinbarungen mehrmals anerkannt, Israel im Gegenzug aber immer nur die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes. Die adäquate Ebene wäre gewesen, wenn Arafat die Arbeitspartei als Vertreterin des israelischen Volkes anerkannt hätte. Hamas kann kein glaubwürdiger Partner in einer Regierung der nationalen Einheit sein, wenn die „Friedensgespräche“ weiterhin von der PNA (Palestinensische Nationale Autorität) in der Person von Abbas und seinen Kumpanen geführt werden. Die Verhandlungen mit Israel sollten nicht mehr von der völlig korrumpierten PNA geführt, sondern müssen durch die PLO geleitet werden, da sie die Vertreterin des gesamten palästinensischen Volkes ist. Die Hamas, die einen großen Teil der Palästinenser vertritt, müsste deshalb zuerst in die PLO aufgenommen werden, und diese müsste sich einer Reform an Haupt und Gliedern unterziehen. Wenn nicht die Farce des „Friedensprozesses“, sondern ein wirklicher Friedensprozess neu beginnen soll, dann muss ein Verhandlungsteam zusammengestellt werden, welches das Vertrauen nicht nur der nationalen Einheitsregierung, sondern aller Palästinenser, auch derjenigen in der Diaspora und der Hamas genießt.
Noch ist für Israel nichts verloren, denn Ministerpräsident Netanyahu hat vor beiden Häusern des US-Kongresses eine Rede gehalten, vor einem Gremium, das zu 95 Prozent unter dem Einfluss der „Israellobby“ steht. Patrick J. Buchanan hat am 25. August 1990 in einer Kolumne geschrieben: „Capitol Hill is Israeli Occupied Territory“. Der „wind of change“ und neues Denken kommen bestimmt nicht aus den USA und schon gar nicht aus Israel, sondern aus den revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt, wenn sich diese doch einmal einig wäre. Solange sie geteilt bleibt in moderate, sprich „gute“ Amerikahörige Regierungen, und radikale, sprich „schlechte“ Amerikakritische Regierungen, kann es zu keinen positiven Veränderungen im Israel-Palästina-Konflikt kommen.
Zuerst erschienen in: International, (2011) 2.
Obama hielt am 19. Mai im State Department eine Rede zur US-Nahostpolitik, in der er als Ausgangspunkt von Verhandlungen die Grenzen vor dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 vorschlug. Dies hatten zuvor zwar alle US-Präsidenten so formuliert, aber trotzdem verschlug es Netanyahu die Sprache. Das Treffen zwischen beiden fand in eisiger Atmosphäre statt. Netanyahu führte Obama nicht nur öffentlich vor, sondern zeigte ihm bei seiner Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses, wer die stärkeren Bataillone hinter sich hat. Die Senatoren und Abgeordnete des Repräsentantenhauses sprangen 55 Mal von ihren Sitzen und spendeten Netanyahu frenetischen Beifall, obgleich Obama vor der Jahrestagung von AIPAC (American Israeli Public Affairs Committee) bereits zurückgerudert war. Zu diesem jährlich stattfindenden Treffen pilgern alle, die Rang und Namen in Washington haben.
Bevor Obama zu einer Europareise aufbrach, ermahnte ihn noch Netanyahu, dass sein Vorgänger, George W. Bush, in einem Brief an Ariel Sharon geschrieben habe, dass es „unrealistisch“ sei, im Rahmen von Verhandlungen von der Waffenstillstandslinie von 1949 als endgültiger Grenze auszugehen. Obama riet aber auch den Palästinensern davon ab, im September von den Vereinten Nationen als Staat erkannt zu werden. Diesen Ratschlag sollten die Palästinenser jedoch nicht befolgen, da von den 200 UN-Mitgliedstaaten zirka 188 einen Staat „Palästina“ anerkennen werden. Außerdem würde damit die andere Hälfte der UN-Teilungsresolution vom 29. November 1947 endlich realisiert werden. Obama verlangte darüber hinaus von den Palästinensern, Israel als „jüdischen Staat“ anzuerkennen. Dabei hätte er doch wissen müssen, das bei der Anerkennung durch US-Präsident Harry S. Truman 1948 dieser justament die Anerkennung eines „Jewish State“ durch die völkerrechtlich korrekte Formulierung „State of Israel“ ersetzt hatte, wie Jeff Gates in seinem Beitrag „The U. S.-Israeli Train Wreck“ zeigt.
Das Dilemma der USA in Bezug auf Israel zeigte sich beim Besuch Netanyahus überdeutlich: Das US-Imperium hat keinerlei Handhabe, um seinen Klientelstaat in seinem nationalen Interesse zu beeinflussen. Seit Dwight D. Eisenhower hat es kein US-Präsident mehr vermocht, sich gegen Israel und seine Lobbygruppen in den USA durchzusetzen. Folglich verpuffte die Rede Obamas in der arabischen Welt. Dort nimmt ihn niemand mehr ernst; seine Meinung ist nicht nur den Menschen, sondern auch den Herrschern gleichgültig. Dafür spricht auch, dass die USA Mubarak und Ben Ali bis zum Schluss unterstützt haben. Obama ist erst auf den Zug aufgesprungen, als bereits alles entschieden war. Die USA haben quasi die arabischen Revolutionen verschlafen, und Israel war sowieso von Anfang an dagegen.
Führten die Proteste in Tunesien und Ägypten noch zum Sturz der Präsidenten, so verteidigen die autokratischen Herrscher im Jemen und Syrien ihre Macht mit brutaler Gewalt. Beide Regime gehen gegen ihre eigene Bevölkerung mit solcher Brutalität vor, dass sie jegliche Legitimität verloren haben. Ganz anders in Libyen: Dort wurde durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates eine „Flugverbotszone“ zum Schutz der Zivilbevölkerung eingerichtet. Sie diente jedoch dem Westen als Vorwand, gegen Muammar Gaddafi Krieg zu führen, um ihn zu stürzen und Libyen als westlichen Stützpunkt zu erobern, um die Entwicklungen in Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko zu beeinflussen.
Die machtpolitischen und geostrategischen Veränderungen im Nahen Osten bedeuteten für die Palästinenser, die Reihen zu schließen, bevor sich das „window of opportunity“ wieder schließt und es für einen fundamentalen Politikwechsel zu spät ist. Eine der Konfliktparteien hat bereits ihren Protegé verloren, und auch die Herrschaft der Hamas-„Partei“ in Syrien wankt. Nicht bessere Einsicht war also die treibende Kraft bei der „Versöhnung“ zweier kontradiktorischer Politkonzepte, sondern die Macht der Notwendigkeit, bedingt durch die Veränderungen, welche die Revolution in Ägypten und die Aufstände gegen die arabischen Autokraten bewirkt haben.
Ob das Versöhnungsdokument, das nicht nur von Hamas und Fatah, sondern auch von elf weiteren Gruppierungen unterzeichnet worden ist, das Papier wert ist, auf dem es geschrieben worden ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Wenn beide Kontrahenten die Sache ernst nehmen, können Verhandlungen im alten Stil mit Israel so nicht weitergeführt werden. Mahmud Abbas und seine Kumpane müssen Abschied von ihrer kollaborationistischen Haltung gegenüber Israel nehmen. Die Veröffentlichungen der „Palestine papers“ haben gezeigt, dass jedwede Verhandlungen mit welcher israelischen Regierung auch immer zu nichts führen, weil das Land zu keinem wirklichen politischen Kompromiss bereit ist, solange die Palästinenser nicht kapitulieren, kollektiv „auswandern“ oder sich zum Zionismus bekehren. Eine Regierung der nationalen Einheit wird wieder deutlicher die legitimen Rechte der kolonisierten Palästinenser betonen müssen, welche Abbas und seine Mannen für ihre Privilegien bereits geopfert haben.
Dass das neue und hoffentlich demokratische Ägypten nicht mehr die schäbige Rolle Mubaraks als Erfüllungsgehilfe Israels und der USA gegen die Palästinenser spielen wird, wurde bereits durch die Grenzöffnung zwischen dem Gaza-Streifens und Ägypten für die in Gefangenschaft lebenden Palästinenser dokumentiert, damit Israels Gefangene endlich Zugang zur Welt erhalten, weil eine ungehinderte Ein- und Ausreise jedem Individuum als Menschenrecht zusteht. Auch wird sich eine zukünftige ägyptische Regierung nicht mehr an der Farce beteiligen, die vom Westen als „Friedensprozess“ bezeichnet wird, und der israelischen Kolonisierung der Westbank tatenlos zusehen. Auch wird sie nicht mehr Israels Rhetorik gegenüber Iran unterstützen. All dies sollte Abbas bedenken, wenn er sich wieder mit Israel in Verhandlungen über einen „Friedensprozess“ einlässt. Aber Abbas ist umringt von Ja-Sagern, sodass kritischer Geist diesem Klüngel wohl tun wird.
Das Geschrei in Israel war groß, und Netanyahu rasselte heftig mit dem Säbel über den Fatah-Hamas-Deal. Die Rhetorik der rechtsnationalistischen Netanyahu-Lieberman-Regierung war vorauszusehen. Man drohte „schwerwiegende Konsequenzen“ an. Einige Extremisten verlangten sogar die sofortige Annexion der Westbank. Von Regierungsseite lamentierte man darüber, dass der „Friedensprozess“ nicht fortgesetzt werden könne, solange Mitglieder einer „Terrororganisation“ einer palästinensischen Regierung angehörten. Plötzlich hat Israel wieder „keinen Partner“, als ob Israel jemals ein Partner in einem ernstzunehmenden Friedensprozess gewesen wäre, wenn man sich die Geschichte seit der Gründung des Staates ansieht. Die erste dieser Strafmaßnahmen war die Sperrung von Überweisung der von Israel einbehaltenen Steuern an Abbas; eine rechtswidrige Maßnahme, wie so vieles völkerrechtswidrig ist, was Israel tut.
Die Spaltung innerhalb des palästinensischen Widerstandslagers lag im Interesse Israels, und man tat alles, um diese aufrechtzuerhalten. Die Drohung mit dem Ende des „Friedensprozesses“ klingt hohl, als ob es jemals einen „Friedensprozess“ gegeben hätte, der diesen Namen verdient. Die altbekannten Propagandafloskeln wurden wieder aus der zionistischen Mottenkiste hervorgekramt und in die Welt hinausposaunt. Damit sollen den Staaten wieder jegliche eigenständige Handlungsoptionen genommen werden, wie weiland beim Wahlsieg der Hamas 2006, als erstmalig in freien, gleichen, geheimen und allgemeinen demokratischen Wahlen in der arabischen Welt eine Regierung aus dem Amt gewählt worden ist. Der damalige „Sündenfall“ des Westens, der wieder gegen seine so genannten Werte handelte, weil Israel es ihm aufgetragen hatte, darf sich dieses Mal nicht wiederholen, weil sich dadurch der Westen zum wiederholten Male jeglicher eigenständiger Politik berauben würde. Die spalterische Politik Israel gegenüber der arabischen und muslimischen Welt wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, u. a. auch deshalb, weil Israel mit der Türkei einen wichtigen Verbündeten verloren hat, den es durch seine aggressive Politik, wie z. B. durch die Ermordung von neun türkischen Staatsbürgern bei der völkerrechtswidrigen Kaperung der „Mavi Marmara“ in internationalen Gewässern geschehen, mehrmals vor den Kopf gestoßen hat.
Wo Israel mit seiner schrillen Politrhetorik immer landen kann, sind die USA und in einigen europäischen Staaten. Die meisten der europäischen Regierung sehen das völlig anders, wie z. B. die Rolle der Hamas. Demgegenüber haben die USA das politische Mantra von Hamas als Terrororganisation wiederholt und gefordert, Hamas müsse der Gewalt abschwören, Israels Existenzrecht anerkennen und die ausgehandelten Verträge akzeptieren. Keiner hat jedoch jemals von Israel gefordert, der Gewalt abzuschwören (1 600 Tote im Libanon 2006; 1 400 Tote in Gaza 2008/09 sprechen eine eindeutige Sprache, von den hunderten toten Palästinensern in den Jahren dazwischen gar nicht zu reden), das Existenzrecht des palästinensischen Volkes anzuerkennen und die Oslo-Verträge einzuhalten. Apropos „Existenzrecht Israels“: Hat jemals irgendjemand gefordert, das „Existenzrecht“ Deutschlands, Frankreichs, der USA oder Tongas anzuerkennen? Daran zeigt sich, wie grotesk eine solche politische Forderung ist. Das Völkerrecht kennt nur die staatliche Anerkennung. Außerdem existiert Israel, Punkt! Darüber braucht nicht mehr diskutiert zu werden.
Neben der seit Jahrzehnten bestehenden Obstruktionspolitik der USA und Israels bleiben Fragen in dem „Versöhnungsdokument“ wie der zukünftige Wahlmodus, der Status der PLO, Sicherheitsarrangements, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit und die Rolle des Legislativrates weitgehend ungeklärt. Israel hält immer noch 13 demokratisch-gewählte Hamas-Mitglieder des „Palästinenserparlament“ grundlos gefangen. Wie soll damit umgegangen werden? Wie das israelische Außenministerium in einer politischen Lageanalyse feststellte, würde eine erfolgreiche Versöhnung den politischen Interessen Israels und der USA in der Region schaden. Die Palästinenser sollte diese „negativen“ Auswirkungen für seinen Besatzer und dessen Klienten, die USA, wenig interessieren, weil deren politisches Interesse nicht dem des palästinensischen Volkes entspricht. Es scheint, als entspreche diese Analyse den extremistischen Ansichten von Außenminister Lieberman.
Ob die Zusammenarbeit zwischen dem israelischen Besatzer und der willfährigen Abbas-Regierung in Sicherheitsfragen nicht primär der Sicherheit der völkerrechtswidrigen Kolonisatoren in der Westbank dient als den Palästinensern, muss von einer Regierung der nationalen Einheit überdacht werden. Hamas hat sich bisher immer geweigert, seine Hand den Besatzern zu reichen, um die eigene Bevölkerung zu drangsalieren und zu unterdrücken. Eine völkerrechtliche Anerkennung Israels, und nur darum kann es gehen, kommt für Hamas nur in Frage, wenn im Gegenzug Israel „Palästina“ als Staat völkerrechtlich anerkennt. Yassir Arafat hatte Israel im Rahmen der Oslo-Vereinbarungen mehrmals anerkannt, Israel im Gegenzug aber immer nur die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes. Die adäquate Ebene wäre gewesen, wenn Arafat die Arbeitspartei als Vertreterin des israelischen Volkes anerkannt hätte. Hamas kann kein glaubwürdiger Partner in einer Regierung der nationalen Einheit sein, wenn die „Friedensgespräche“ weiterhin von der PNA (Palestinensische Nationale Autorität) in der Person von Abbas und seinen Kumpanen geführt werden. Die Verhandlungen mit Israel sollten nicht mehr von der völlig korrumpierten PNA geführt, sondern müssen durch die PLO geleitet werden, da sie die Vertreterin des gesamten palästinensischen Volkes ist. Die Hamas, die einen großen Teil der Palästinenser vertritt, müsste deshalb zuerst in die PLO aufgenommen werden, und diese müsste sich einer Reform an Haupt und Gliedern unterziehen. Wenn nicht die Farce des „Friedensprozesses“, sondern ein wirklicher Friedensprozess neu beginnen soll, dann muss ein Verhandlungsteam zusammengestellt werden, welches das Vertrauen nicht nur der nationalen Einheitsregierung, sondern aller Palästinenser, auch derjenigen in der Diaspora und der Hamas genießt.
Noch ist für Israel nichts verloren, denn Ministerpräsident Netanyahu hat vor beiden Häusern des US-Kongresses eine Rede gehalten, vor einem Gremium, das zu 95 Prozent unter dem Einfluss der „Israellobby“ steht. Patrick J. Buchanan hat am 25. August 1990 in einer Kolumne geschrieben: „Capitol Hill is Israeli Occupied Territory“. Der „wind of change“ und neues Denken kommen bestimmt nicht aus den USA und schon gar nicht aus Israel, sondern aus den revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt, wenn sich diese doch einmal einig wäre. Solange sie geteilt bleibt in moderate, sprich „gute“ Amerikahörige Regierungen, und radikale, sprich „schlechte“ Amerikakritische Regierungen, kann es zu keinen positiven Veränderungen im Israel-Palästina-Konflikt kommen.
Zuerst erschienen in: International, (2011) 2.