Mittwoch, 22. Juni 2011

„Antisemitismus“ in der Linkspartei?

Auf dem Markt der Möglichkeiten ist eine neue „wissenschaftliche“ Studie gelandet und hat eine unrühmliche Karriere gemacht sowie eine Debatte über „Antisemitismus in der Linkspartei“ im Deutschen Bundestag ausgelöst: Zwei „Wissenschaftler“, Samuel Salzborn und Sebastian Voigt, haben versucht, sich Gedanken über die „Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit“ zu machen.

Dieses Experiment ist diesen „Wissenschaftlern“ gründlich misslungen, wenn man die üblichen wissenschaftlichen Standards an diese „Studie“ anlegen würde. Diese im wissenschaftlichen Gewande drapierte politische Scharlatanerie wurde aber von der Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ ernst genommen, weil es ihr wohl ins politische Konzept passte. Auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages beriefen sich in ihrem „Tribunal“ über die Linkspartei auf diese Studie. Von den Abgeordneten hätte man erwarten können, dass sie den propagandistischen Schwindel durchschauen, was jedoch nicht geschehen ist.

Die Frage nach dem „Cui bono?“ stellt sich schon bei den beiden Autoren. Gehören sie nicht zum Dunstkreis der „Antideutschen“? Wären sie wirklich unabhängige Wissenschaftler, könnte man über ihre These vielleicht noch diskutieren. Aber die politische Ausrichtung der beiden Autoren steht ihrem „wissenschaftlichen“ Ehrgeiz so sehr im Wege, dass ihre Ausführungen nur das bestätigen, was man von Ideologen erwarten kann. Von Wissenschaft keine Spur, dafür aber umso mehr an ideologischem Irrsinn und Obsession. Die einzigen, die sich über diesen politischen Blödsinn freuen können, sind die „Israellobbyisten“. So gab es am 25 .Mai 2011 eine „Aktuelle Stunde“ im Parlament, in der eine ganze Riege von Abgeordneten aufgetreten ist, die ein Tribunal über die Partei Die Linke abgehalten haben. Verwunderlich war nur, dass sich dies die Abgeordneten der Linken zugemutet haben. Sie hätten umgehend gehen sollen, oder besser noch, sie hätten erst gar nicht kommen bzw. Gregor Gysi schicken sollen, der sich dann mit diesen irrsinnigen Vorwürfen hätten auseinandersetzen können. Die Debatte verfolgte ein Ziel; die so genannten „Guten“ in der Linkspartei sollten sich von den „antisemitischen Schmuddelkindern“ trennen. Wer das Protokoll dieser „Aktuellen Stunde“ gelesen hat, reibt sich verwundert die Augen. Die Argumente, die gegen einige Vertreter der Linkspartei vorgetragen worden sind, haben mit Antisemitismus nichts zu tun, sondern stellen nur eine Kritik an einigen Maßnahmen israelischer Regierungspolitik dar.

Da den neuen „wissenschaftlichen Inquisitoren“ die wirklichen Antisemiten abhanden zu kommen scheinen, müssen neue, nämlich Linke kreiert werden. Folglich haben sie die „wissenschaftliche“ Kategorie des „neuen Antisemitismus“ erfunden, und den nennen sie „antizionistischen Antisemitismus“ oder „linken Antisemitismus“, obgleich niemand sagen kann, was dieser ominöse „antizionistische Antisemitismus“ sein soll.

Der Politjargon der Autoren erinnert stark an die „antideutsche“ Terminologie. Samuel Salzborn hat nicht nur für einschlägige Publikationsorgane gearbeitet, sondern auch in linksgestörten Postillen wie „Jungle World“, „Antifaschistische Nachrichten“ oder „konkret“ publiziert. In seiner Habilitationsschrift „Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne“ hat er angeblich eine Lücke zwischen theoretischer Aufarbeitung antisemitischer Theorien und empirischer Verifizierung geschlossen. Das theoretische Sample besteht leider nur aus sieben (!) Telefoninterviews, eine grandiose empirische Leistung. Gelobhudelt wurde diese „wissenschaftliche“ Arbeit, man höre und staune, von dem Koautor der vorliegenden „wissenschaftlichen Studie“, Sebastian Voigt, in „der tageszeitung“ vom 8. Mai 2010. Dass diese „empirische“ Überprüfrung einiger desperater wissenschaftlicher Meinungen nicht hinreichend ist, leuchtet selbst wissenschaftlichen Laien ein. Und so etwas darf eine Vertretungsprofessur an der Liebig-Universität in Gießen wahrnehmen. Auch die Bundestagsabgeordneten haben sich mehrmals auf diese „wissenschaftliche“ Studie berufen. Gregor Gysi hat den darin unterstellten Antisemitismus in der Linkspartei als „Blödsinn“ bezeichnet.

Bei Salzborns Koautor, Sebastian Voigt, handelt es sich um ein Gründungsmitglied des „Bundesarbeitskreises BAK Schalom“ in der Linkspartei, der eine Plattform gegen „Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus“ darstellen soll. Tatsächlich handelt es sich um ein politisches Instrument der Zersetzung und Diffamierung von Mandatsträgern der Linkspartei in Bezug auf deren Kritik an der Kolonisierungs-, Unterdrückungs- und Besatzungspolitik Israels. Die Mitglieder dieses Klübchens machen politischen Radau, denunzieren ehrbare Kritiker und schüchtern die gesamte Partei ein, um letztendlich jede abweichende Meinung, die die israelischen Besatzungspolitik nicht gutheißt, mundtot zu machen. Ein Mosaikstein in dieser Verleumdungskampagne soll auch diese so genannte wissenschaftliche Studie darstellen. Voigt ist darüber hinaus auch noch wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut der Universität Leipzig und Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; zuvor war er Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei eng verbunden ist, und deren Mitglieder, die ihm ideologisch nicht passen, er jetzt denunziert.

Mit diesem wissenschaftlichen Pamphlet sollen Mitglieder der Linkspartei einer gnadenlosen Hetzjagd ausgesetzt werden. Was bisher den Paus, Ramelows, Liebichs, Kippings u. a. nicht gelungen ist, soll jetzt mit dieser „wissenschaftlichen“ Expertise und mit Hilfe von einigen Bundestagsabgeordneten bewerkstelligt werden. Der renommierte Völkerrechtler Norman Paech wurde solange durch Denunziation und Verleumdung seitens seiner „Parteifreunde/Innen“ auf übelste Art und Weise madig gemacht, dass er sich zurückzog. Die urdeutsche „Blockwart-Mentalität“ feiert auch in der Linkspartei wieder fröhliche Urstände.

In impertinenter Art und Weise behaupten die beiden wissenschaftlichen Ideologen, dass in der Linkspartei „linke Selbstimprägnierungsstrategien darüber hinwegtäuschen“, dass im bundesrepublikanischen Spektrum der Linken „antisemitische Positionen in ihren Reihen toleriert“ würden. Es finde ein „Dämonisierung der Politik Israels“ statt, die sich nicht nur in einer Parteinahme zugunsten der Palästinenser ausrücke, sondern bis hin zu einer „offenen Solidarisierung mit den terroristischen Kräften innerhalb dieses Spektrums“ reichten, und diese Position sei seit Anfang des Jahres 2010 innerhalb der Bundespartei „konsensfähig“ geworden. Für diese ungeheuerlichen Behauptungen bleiben die beiden „Wissenschaftler“ jeglichen Beweis schuldig, geschweige denn, dass sie irgendeinen Beschluss der Linkspartei vorlegen könnten. Als Beispiele dienen die politischen Äußerungen oder politische Aktionen einiger Funktionsträger der Linkspartei. Dass einige Abgeordnete die zionistische Ideologie Israels oder die Regierungspolitik kritisieren, wird ihnen als „antizionistischer Antisemitismus“ ausgelegt. Es scheint, als haben diese beiden Wissenschaftsideologen die Mechanismen einer demokratischen Gesellschaft nicht begriffen, in der es keine Tabus geben darf, insbesondere dann nicht, wenn es um völkerrechtswidriges und menschenverachtendes Regierungshandeln auch der israelischen Regierung geht.

Der Zionismus ist eine Variante des jüdischen Nationalismus. Wie jeder Nationalismus ist er des Teufels und somit mehr als kritikwürdig. Wer die Auswüchse dieses zionistischen Nationalismus erlebt hat und kennt, hält die Kritik am Zionismus von Seiten der Linkspartei für politisch harmlos. Die Behauptung, dass Antizionismus, d. h. die Kritik an dieser nationalistischen Ideologie und Politik, gleichbedeutend mit Antisemitismus sei, verharmlost letzteren. Dass sich Salzborn und Voigt die obskure Arbeitsdefinition der Europäischen Union über Antisemitismus zu Eigen machen, überrascht nicht. Diese denunziatorischen Kriterien wurden auf Druck der „Israellobbyisten“ auf europäischer Ebene durchgesetzt, obgleich sie nicht justiziabel sind, sondern als politische Instrumente zur Diskreditierung von berechtigter Kritik an Israels brutaler Unterdrückungspolitik eines anderen Volkes eingesetzt werden. Keiner der Funktionsträger der Linkspartei hat jemals durch seine Kritik gegen diese überaus fragwürdige Definition verstoßen.

Als jüngster Kampfbegriff der „Israellobbyisten“ hat sich nicht nur in der Linkspartei der Terminus „antizionistischer Antisemitismus“ eingebürgert. Durch diese Politphrase soll jedwede Kritik am Regierungshandeln der rechtszionistisch-nationalistischen israelischen Regierung diskreditiert werden. Die beiden „Wissenschaftler“ wollen durch ihr Pamphlet dazu eine „wissenschaftlich“ begründete Rechtfertigung liefern. Dies ist ihnen aber formvollendet misslungen. Auf diese Scharlatanerie ist bisher nur die „Frankfurter Rundschau“ abgefahren. Sollte die wissenschaftliche Zeitschrift, der dieses Pamphlet zur Publikation vorliegt, dieses veröffentlichen, sollte sie umgehend ihr Erscheinen einstellen. Wer die folgende hanebüchene Behauptung aufstellt, „dass Die Linke auf dem besten Weg ist, eine antisemitische Partei zu werden“, sollte sich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politische ins Aus manövrieret haben. Noch schlimmer kommt es im Resümee: Dort wird behauptet, dass die moderaten Positionen der Linkspartei zum Nahostkonflikt in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Von den Bundestagsabgeordneten der Linkspartei würde ein „antizionistischer Antisemitismus immer offensiver geäußert. Israel wird das Existenzrecht abgestritten und die Politik des jüdischen Staates mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht.“ Für alle diese Unterstellungen werden keine Beweise präsentiert. Mit „Blödsinn“ sind die Aussagen dieses politischen Machwerkes noch nett charakterisiert und sollten von den wenigen seriösen Kritikern israelischer Besatzungspolitik nicht allzu ernst genommen werden. Viel gefährlicher sind die eigenen Parteigenossen/Innen, die aus politischem Opportunismus gegen Andersdenkende in den eigenen Reihen mit den Waffen der Denunziation vorgehen, weil sie über keine Gegenargumente verfügen, genauso wenig wie diese „Wissenschaftler“.

Zuerst erschienen in der Sonderausgabe der Zeitschrift Der Semit (Juni 2011), die sich mit der "Antisemitismusdebatte" in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 2011 auseinandersetzt. Diese Debatte zeichnete sich durch eine große Meinungsvielfalt zwischen den Fraktionen aus. Die Sonderausgabe der Zeitschrift kann direkt beim Verlag bestellt werden.