Die Kontrolle über Jerusalem ist immer eine Quelle des Konfliktes zwischen dem Westen und dem Islam gewesen. Seit 638 muslimische Araber Jerusalem gegen das byzantinische Christentum eroberten, dauerte diese Herrschaft - nur unterbrochen durch die 100-jährige Herrschaft der Kreuzfahrer im 12. Jahrhundert – bis zur Kontrolle der Briten im Jahr 1917, als diese das Gebiet dem Osmanischen Reich entrissen hatten. Der an der Columbia Universität in New York City lehrende palästinensische Wissenschaftler Rashid Khalidi hat diese Periode islamischer Herrschaft über Jerusalem in beeindruckender Weise in einer Rede vor dem UN-Menschrechtsrat dargelegt.
Jerusalem war also unter muslimischer souveräner Herrschaft für mehr als 1 200 Jahre. Die Herrschaft dauerte länger als die jüdische Herrschaft in biblischen Zeiten. Historisch gab es nie einen Konflikt zwischen Islam und dem Judentum über Jerusalem. Das Gegenteil ist der Fall: Unter dem Schutz des Islam, kehrten Juden nach Jerusalem zurück. Der Konflikt zwischen Islam und Judentum begann erst mit der Kolonisierung, insbesondere durch den politischen Zionismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Dieses zionistische Kolonialprojekt sollte durch massive Immigration von jüdischer Seite erfolgen in einem Land, dessen damalige Bevölkerung zu 95 Prozent aus arabischen Muslimen und Christen bestand. Durch die massive Unterstützung der britischen Kolonialmacht nach dem Ersten Weltkrieg und noch größerer Hilfe durch die USA nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Israel zu dem, was es heute ist. Seitdem der Richter am Supreme Court der USA, Louis D. Brandeis, den US-Präsidenten Woodrow Wilson von der Unterstützung des zionistischen Projektes überzeugen konnte, warfen auch die USA ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale. Wenn heute der in Großbritannien lebende berühmte Saxophonist Gilad Atzmon und an ihn anlehnende der israelische Schriftsteller A. B. Yehoshua behaupten, dass der israelischen Kolonisierung ein zentrales Element, nämlich ein Mutterland fehle, so irren sie. Die zionistische Bewegung hatte sogar zwei „Mutterländer“: Großbritannien und die USA. Nur durch diese bedingungslose Unterstützung kann Israel seine absolute Kontrolle und seinen privilegierten Status über das Land und die unterdrückte palästinensische Bevölkerung aufrechterhalten. Die Kontrolle über Jerusalem und die Erklärung als „ewige Hauptstadt des jüdischen Volkes“ wird durch den Islam als die letzte Phase der Eroberung durch die Kreuzfahrer, symbolisiert durch Israel, angesehen. Diese Spaltung wird durch jüdische Extremisten und christliche Fundamentalisten weiter verschärft.
Die Periode der Israeliten oder Hebräer
Die frühsten archäologischen Beweise einer menschlichen Siedlung, was später Jerusalem genannt wird, reichen zurück in die Periode der Herrschaft der Jebusiter von 1800-1000 (B.C. E.=Before the Common Era). Diese Phase wurde abgelöst durch die Eroberung israelischer Stämme unter Führung von König David. (Davids Jerusalem 1010-970). Erst unter seinem Nachfolger, König Salomon, wurde auf dem Berg Moriah ein Tempel errichtet. Damit beginnt die erste Tempel-Periode. Dieser Teil Jerusalems wurde mit einer Mauer umgeben. Diese Periode endete 930. Von 930 bis zur Zerstörung des Tempels im Jahr 586 durch die Babylonier (König Nebukadnezar) kam es zwischen den israelitischen Stämmen zu Kämpfen, weil die zehn nördlichen Stämme eine Verehrung Gottes in Jerusalem ablehnten. Die Babylonier beendeten die längst Periode der Herrschaft der Israeliten (12 Stämme Israels) über Jerusalem. Die herrschenden Mitglieder der Bevölkerung wurde exekutiert, und die Elite nach Babylon deportiert. Die Babylonische Herrschaft wurde durch die Persische Herrschaft (586-400) abgelöst. Die Perser erlaubten die Rückkehr der Elite und den Wiederaufbau des Tempels. Sie gestatteten jedoch nicht, dass die Israeliten oder Hebräer, wie sie jetzt genannt werden, unabhängig über Jerusalem herrschen konnten. Die Perser wurden durch die Griechen abgelöst. In der Zeit von 332 bis 168 kam es zu einem Aufblühen jüdisch-rituellen Lebens und des jüdischen Gesetzes. Unter Antiochos Epiphanes, der aus der Dynastie der Seleukiden stammte, wurden die Stadt und der Tempel zerstört, und die Verehrung der Tora wurde unter Todesstrafe gestellt. Die Makkabäer inszenierten mehrere Aufstände gegen die Griechen und brachten Jerusalem 141 wieder unter jüdische Kontrolle. Die Römische Herrschaft folgte der griechischen und dauert von 63 B. C bis zur muslimischen Invasion im Jahre 638 n. Chr.
Diese Herrschaft lässt sich in zwei Phasen einteilen: Erstens in die Herrschaft von Rom mit der Verehrung der heidnischen Götter bis 313 das römische Reich christlich wurde und Jerusalem von Byzanz (Konstantinopel) aus regiert worden ist. Versuche seitens der jüdischen Bevölkerung, die Herrschaft Roms in Frage zu stellen, wurden brutal niedergeschlagen, und der zweite Tempel wurde im Jahre 70 n. Chr. zerstört. König Hadrian vertrieb zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung und machte Jerusalem zu einer römischen Kolonie: und gab ihr den Namen Aeolia Capitolina, fortan hieß das Land Palästina, genannt nach den Philistern. Nach der Hinrichtung von Jesus entstanden erste christliche Gemeinden in Jerusalem. Zentral für die Ausbreitung des Christentums war die Bekehrung Kaiser Konstantins im Jahre 313. In dieser Zeit konnten Juden nur eine Pilgerfahrt im Jahr nach Jerusalem unternehmen, wohingegen christliche Kirchen, Krankhäuser, Hospize und Herbergen in großer Anzahl gebaut worden sind.
Die muslimische Herrschaft über Jerusalem
638 eroberte der Kalif Umar ibn Khattab Jerusalem. Er schloss mit den Christen ein Abkommen, nach dem nach Zahlung einer Kopfsteuer ihre Besitztümer, Kirchen und persönliches Vermögen unangetastet blieben. Juden wurde die Pilgerfahrt gestattet, aber nach und nach ließen sie sich wieder in Jerusalem nieder.
Die Heiligkeit Jerusalems war für Juden und Christen bereits grundgelegt. Wie Khalidi darlegte, ist für den Islam Jerusalem heilig wegen seiner jüdischen, christlichen und muslimischen Dimension. Für die Muslime war Jerusalem die ursprüngliche Gebetsrichtung „qibla“, bevor es Mekka wurde. Der Koran berichtet von einer nächtlichen Reise Mohammads nach Jerusalem, und nach islamischer Lehre stieg er von dort in den Himmel auf. Diese beiden Reisen wurden zur Quelle der Inspiration unzähliger literarischer und religiöser Werke. Beides wird im Koran berichtet. Es gibt eine besondere Verbindung von Jerusalem zu den fünf täglichen Gebetszeiten im Islam. Erst nach der Himmelfahrt Mohammeds und einem Gespräch zwischen ihm und Moses wurde das fünfmalige Gebiet kanonisiert. Mit der politischen Bedeutung Jerusalems nahm auch dessen religiöse zu. Dies zeigte sich darin, dass die Omayaden-Dynastie in Damaskus zwischen 685 und 709 den Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee errichten ließ. Der Felsendom ist das älteste noch ursprünglich erhaltene muslimische Bauwerk. Jerusalem wurde der drittheiligste Ost nach Mekka und Medina.
Der Westen sitzt mit seiner Theorie des „Kampfes der Kulturen“ einem elementaren Irrtum auf, wenn er meint, der Islam liege außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition. Dies ist ein absolute Fehlwahrnehmung. Der Islam versteht sich als integraler Bestandteil und als die Kulmination des jüdisch-christlichen Erbes. Zentral im Islam ist Gottes Offenbarung gegenüber der Menschheit. Als Vorläufer dieser Offenbarung gelten die Thora und das Evangelium. Auf 18 jüdische Propheten und Könige wird im Koran Bezug genommen. Islam misst David und Salomon einen höheren Stellenwert zu als das Judentum es tut. Nach jüdischer Lehre sind es sündhafte Monarchen, nach dem Islam sind es sündenlose Propheten. Nach dem Koran ist Abraham ein Muslim, der Erbauer der Kaaba in Mekka, dem zentralen Heiligtum im Islam. Erbaut vom ersten Propheten Adam und von Abraham und seinem Sohn Ismail wieder entdeckt. Gemäß Islam wurde Jesus wegen Gottes Liebe zu den Menschen kurz vor seiner Kreuzigung in den Himmel geholt. Jesus ist lebendig im Himmel und wird auf die Erde zurückkehren, um sein 1000-jähriges Reich zu errichten. Gemäß islamischer Lehre wurde Jesus durch Maria geboren, einer Jungfrau, durch den direkten Eingriff Gottes. Nach dem Islam heilte Jesus die Kranken, erweckte Tote zum Leben, vollbrachte Wunder, die der Koran nicht Mohammad zuspricht. Maria wird im Koran öfter erwähnt als im Neuen Testament. Weder das Christentum noch das Judentum sehen mit dem gleichen inhaltlichen Bezug auf den Islam. Das Judentum teilt nicht den Bezug des Islam zu Maria und Jesus. Im Gegenteil, die Orthodoxie verachtet das Christentum. Tatsächlich ist der Islam die ökumenischste der drei großen Religionen in Bezug auf die beiden anderen. Vieles, was für Judentum und Christentum heilig ist, ist auch im Islam heilig. In den arabischen Ländern wie auch im Iran und der Türkei stehen die Gräber verstorbener Juden und ihrer Propheten unter einer staatlichen Fürsorge und werden von den Muslimen genauso geehrt wie von Juden. Stellvertretend für viele seien hier nur die Gräber von Mordechai HaTzaddik und Königin Esther im Iran erwähnt. Aus der langen Periode der osmanischen Herrschaft in Palästina ist nicht bekannt, dass jüdische Gräber mit Vorsatz zerstört worden wären. Die Heiligkeit Jerusalems drückt sich in Lobpreisungen bis ins 11. Jahrhundert hin aus, was im arabischen als bayt al-maqdis oder als „Haus der Heiligkeit“ bezeichnet wird, davon leitet sich der arabische Name für Jerusalem, al-Quds, ab. Diese enge Verbindung des Islam mit Judentum und Christentum wird im Westen geflissentlich verschwiegen, da man sonst den Islam nicht so freimütig dämonisieren könnte.
Die Herrschaft der Abassiden im Jahr 750 und die Verlegung des Sitzes des Kalifats von Damaskus nach Bagdad führten auch zu einem Niedergang Jerusalems. Bis zum Jahr 985 regelten christliche Feiertage zunehmend auch den Rhythmus der muslimischen Bevölkerung. Die christlichen Pilgerzüge nahmen zu. Im Jahre 1065 kamen 12 000 Pilger in die Stadt. Im 10. und 11. Jahrhundert hat die muslimische Dominanz in Jerusalem stark nachgelassen. 1099 belagerten die Kreuzritter Jerusalem und schlachteten die Bevölkerung ab und vertrieben sie. Zahlreiche neue Kirchen wurden gebaut. Der Felsendom wurde nicht zerstört, sondern 1142 in eine Kirche umgewandelt. In Zuge der Kreuzritter kamen christliche Minderheiten aus Syrien, dem Libanon und aus anderen Teilen des Nahen Ostens, um sich in Jerusalem anzusiedeln. Einen dauerhaft negativen Eindruck, der bis heute nachwirkt, hinterließen die Kreuzritter im Bewusstsein der Muslime. Die Besetzung durch Europäer führte aber auch zu einem stärkeren Interesse der Araber und der Muslime an der Stadt.
1187 eroberte Salah-ed Din (Saladin) Jerusalem von den Kreuzrittern zurück. In dessen Folge wurden große Waqfs – muslimische religiöse Stiftungen – gegründet und weitere Investitionen vorgenommen. Im Laufe des 13. Jahrhunderts nahm das Interesse an der Stadt wieder ab, da sie keinen strategischen oder militärischen Wert besaß. Nach den Mameluken besetzen die Osmanen Jerusalem im Jahr 1517. Unter ihrer 400-jährigen Herrschaft durchlief Jerusalem seine bedeutendste Entwicklung. Aufgrund des Einflusses europäischer Mächte im 19. Jahrhundert nahm die Bedeutung Jerusalems als Verwaltungszentrum immer mehr zu. Das Osmanische Reich machte Jerusalem zur Hauptstadt der Provinz Jerusalem. Die schwindende Macht des Osmanischen Reiches gab den europäischen Mächten größeren Spielraum, ihre Rivalitäten gegeneinander auszuspielen. Der deutsche Historiker Alexander Schölch schrieb, dass die europäischen Mächte nicht auf territoriale Kontrolle aus waren, sondern nur ihren Einfluss mehren wollten, indem sie die Kontrolle über die religiösen Minderheiten beanspruchten. So übernahmen die Briten den Schutz der jüdischen Bevölkerung. Die Franzosen den der Christen. Das Zarenreich kümmerte sich um Teile der Orthodoxie, und das deutsche Kaiserreich übte seinen Einfluss über die zum Protestantismus konvertierten Christen aus. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges war Jerusalem die größte Stadt in Palästina. Mit der Ankunft von General Allenby 1917 waren die demographischen Veränderungen der letzten 50 Jahre bereits sichtbar. Der arabische und muslimische Charakter der Stadt war stark im Schwinden begriffen.
Von der zionistischen Kolonisierung zur Gründung Israels
Man darf den Einfluss des europäischen Kolonialismus auf die aktuellen Probleme im Nahen Osten nicht gering schätzen. Da ist zum einen das Skyes-Picot-Abkommen von 1916, in dem hinter dem Rücken der Araber die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien ihre europäischen Einflusszonen festlegten, obgleich man den Arabern ein arabisches Großreich versprochen hatte, wenn sie sich mit dem Westen gegen das osmanische Reich verbünden würden. Ein weiteres zentrales Dokument war die Balfour-Erklärung, in der der britische Außenminister Lord Balfour den Zionisten Großbritannien die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina zugesagt hatte.
Mit der zionistischen Kolonisierung nahmen die Spannungen in Palästina zwischen der arabischen Mehrheitsbevölkerung und den Neusiedlern beständig zu. Das Zusammenleben zwischen Juden, Muslimen und Christen verlief bis dahin spannungsfrei. So etwas wie einen Antijudaismus gab es in der muslimischen Welt nicht. Dieser wurde erst vom so genannten christlichen Europa in diese Region transferiert. Mit der Gründung Israels im Mai 1948 und des daraufhin beginnenden Krieges mit fünf arabischen Staaten kam es zu einer Flucht- und Vertreibungswelle von zirka 700 000 palästinensischen Arabern; dieses Ereignis hat sich als Trauma (al-Nakba= Katastrophe) im arabisch-palästinensischen Bewusstsein verankert. Wie der Holocaust (ohne beide Ereignisse auch nur im entferntesten gleichsetzen zu wollen), der vom Dritten Reich ins Werk gesetzte industriell betriebe Massenmord am europäischen Judentum, zum historischen Narrativ der Israelis wurde, so sollte auch al-Nakba für das palästinensische Bewusstsein nicht unterschätzt werden; sie gehört zum kollektiven Gedächtnis der Palästinenser. Beide historischen Narrative müssen bei der Lösung des Konfliktes immer mitbedacht werden.
Obgleich durch den UN-Teilungsplan für Jerusalem ein spezieller Status vorgesehen war, führte der Krieg von 1948 zur Teilung der Stadt in einen jüdischen Westteil und einen arabischen Ostteil, der von Jordanien bis 1967 verwaltet worden ist. Erst durch den Sechstagekrieg vom Juni 1967 wurde die Stadt durch die israelische Besetzung „wieder vereint“. 1980 wurde der Ostteil durch das „Jerusalemgesetz“ annektiert. Diese völkerrechtswidrige Annexion wird aber von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt, was sich darin ausdrückt, dass sich alle Botschaften in Tel Aviv befinden. Seither beruft sich Israel auf 3 000 Jahre alte „biblische“ Rechte und bestreitet das historische Recht der Palästinenser auf den Ostteil. Der langjährige Bürgermeister der Stadt, Teddy Kollek, formulierte es in einem Interview mit Azmi Bishara im Dezember 1995 wie folgt: „Ich glaube, dass die Araber kein Recht auf eine Hauptstadt in Jerusalem haben. Sie hatten über Jahrhunderte nicht dieses Ziel, deshalb haben sie auch heute nicht das Recht dazu. Sie haben das Recht, gleichberechtigt zu sein, ihre heiligen Stätten selbständig zu verwalten; sie haben jedoch nicht das Recht auf eine Hauptstadt in Jerusalem. (...) Ich glaube, in Ramallah haben sie das Recht auf eine Hauptstadt. Warum soll ihre Hauptstadt in Jerusalem sein, das schließlich uns gehört?“ Die Chutzpah Kolleks ist jedoch noch steigerbar, als er weiter behauptet, dass für Muslims, Jerusalem keine „besondere Bedeutung“ habe. „Sie haben das erst jetzt erfunden – heute, gestern vielleicht vorgestern. Niemals aber dachten sie daran, eine Hauptstadt in Jerusalem zu bauen. Dies erstand erst als Reaktion darauf, dass wir es beschlossen hatten. (...) Bei uns gibt es diese Idee aber schon seit 3000 Jahren. Schon seit jeher kamen die Juden hierher. Für die Araber fängt es erst mit Mohammed an. (...) Selbst im Koran wird Jerusalem nicht einmal erwähnt. In der Bibel hingegen taucht der Name einige hundertmal auf. Wie kann man da Vergleiche ziehen? Vergessen wir also diese Vorstellung. Es ist etwas, was feststeht und sich nie ändern wird. Ich kann kein anderes Argument finden. Es handelt sich nicht um Rechte oder um eine moralische Berechtigung.“ Für Kollek handelte es sich um einen „neu erfundenen Mythos“. Kollek, der immer eine Aura verbreitete, als habe er irgendetwas für die palästinensischen Bewohner Ost-Jerusalems getan, galt gemeinhin als „Baumeister Jerusalems“ und als „liberaler Zionist“.
Die Methoden der zionistisch-israelischen Kolonisierung Palästinas
Die Besiedelung Palästinas durch die Zionisten erfolgte nicht planlos, sondern nach einem „Materplan“, der von der World Zionist Organisation entworfen worden ist. Von Beginn an gab es Widerstand gegen die Besiedelung Palästinas durch die Gründung jüdischer Kolonien, der bis heute andauert. Die Methoden der Landnahme waren bis zur Staatsgründung der Kauf von Land, das vorwiegend arabischen Großgrundbesitzern gehörte, die es selber nicht nutzen, sondern an palästinensische Bauern verpachtet hatten. Die bewusste Planung der Kolonisierung wurde in einem Buch der ehemaligen Planerin an der Universität Dortmund, Viktoria Waltz, in ihrem Buch „Die Erde habt ihr uns genommen“ 1986 eindrucksvoll dargelegt. Das Buch ist Dank des Internets online lesbar auf „Palästina-Portal“, das von dem Dortmunder Künstler Erhard Arendt betrieben wird.
Mit der Gründung Israels und der Flucht und Vertreibung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung übernahmen jüdische Einwanderer und die Überlebenden des Holocaust dasjenige palästinensische Eigentum, das nicht von den zionistischen Armeen im Krieg zerstört worden ist. Das ehemalige palästinensische Land wurde dem Jüdischen Nationalfonds übertragen. Es darf nur an Juden auf zweimal 50 Jahre verpachtet werden. Bevor es in den Besitz eines Juden übergeht. Nicht-Juden können in Israel kein Land erwerben.
Nach der Besetzung von Restpalästina im Junikrieg von 1967 wurde die Kolonisierung der Gebiete und Ost-Jerusalems massiv in Angriff genommen. Nicht planlos, sondern nach Plan, wie es einmal Ariel Sharon ausgedrückt hatte. Land wurde nur noch zu einem winzigen Teil käuflich erworben. Die Regel waren Enteignungen für „militärische Zwecke“ oder aus „Sicherheitsgründen“; politische Zauberformeln, die den „Landraub“ legal erscheinen lassen sollten. Später entstanden darauf israelische Siedlungen. Leben in der Westbank und auf den Golan-Höhen zirka 300 000 Siedler, so sind es in Ost-Jerusalem 200 000. Die „Judaisierung“ der Stadt vollzog sich in einem unvorstellbaren Tempo. Um die Stadt wurde ein Ring von Siedlungen gelegt, und im Zentrum Ost Jerusalems werden nach und nach Grundstück konfisziert und an Israelis übertragen. Häuser von Palästinensern werden in großer Zahl zerstört, weil sie angeblich ohne Baugenehmigung errichtet worden sind, wobei verschwiegen wird, dass die Stadtverwaltung so gut wie keine Genehmigungen an Palästinenser erteilt. Daneben versucht man, den Palästinensern ihre Aufenthaltsrechte mit fragwürdigen Methoden zu entziehen, um sie aus Ost-Jerusalem zu vertreiben. Wider das Völkerrecht hat man eine monströse Mauer in Jerusalem und um andere palästinensische Städte errichtet, um die Menschen in Enklaven zu halten. Die totale Blockade des Gaza-Streifens ist dabei nur das eklatanteste Beispiel von Menschenverachtung. Die besetzten Gebiete sind durch ein System von „Apartheid-Strassen“ durchzogen, auf denen nur Israelis fahren dürfen. Diese über 43-jährige Besetzung palästinensischen Landes widerspricht nicht nur allen Regeln des Völkerrechts, sondern auch den Menschrechten und insbesondere den so genannten westlichen Werten, ja sie stellt eine Verhöhnung eben dieser „Werte“ dar. Da es sich aber zum überwiegenden Teil um Muslime handelt, scheint dies in Ordnung zu gehen, da „der“ Westen angeblich einen Krieg gegen den „islamischen Terrorismus“ oder, wie es US-amerikanische neokonservative Ideologen gerne nennen, gegen den „Islamfaschismus“ führt. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, wird der Westen in den Augen der „Verdammten dieser Erde“ den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit verlieren. Dass einige muslimische oder arabische Staaten immer noch dem Neokolonialismus des Westens die Stange halten, scheint alle Vorurteile gegenüber „den Arabern“ zu bestätigen.
Zuerst erschienen in: Der Semit.
Jerusalem war also unter muslimischer souveräner Herrschaft für mehr als 1 200 Jahre. Die Herrschaft dauerte länger als die jüdische Herrschaft in biblischen Zeiten. Historisch gab es nie einen Konflikt zwischen Islam und dem Judentum über Jerusalem. Das Gegenteil ist der Fall: Unter dem Schutz des Islam, kehrten Juden nach Jerusalem zurück. Der Konflikt zwischen Islam und Judentum begann erst mit der Kolonisierung, insbesondere durch den politischen Zionismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Dieses zionistische Kolonialprojekt sollte durch massive Immigration von jüdischer Seite erfolgen in einem Land, dessen damalige Bevölkerung zu 95 Prozent aus arabischen Muslimen und Christen bestand. Durch die massive Unterstützung der britischen Kolonialmacht nach dem Ersten Weltkrieg und noch größerer Hilfe durch die USA nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Israel zu dem, was es heute ist. Seitdem der Richter am Supreme Court der USA, Louis D. Brandeis, den US-Präsidenten Woodrow Wilson von der Unterstützung des zionistischen Projektes überzeugen konnte, warfen auch die USA ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale. Wenn heute der in Großbritannien lebende berühmte Saxophonist Gilad Atzmon und an ihn anlehnende der israelische Schriftsteller A. B. Yehoshua behaupten, dass der israelischen Kolonisierung ein zentrales Element, nämlich ein Mutterland fehle, so irren sie. Die zionistische Bewegung hatte sogar zwei „Mutterländer“: Großbritannien und die USA. Nur durch diese bedingungslose Unterstützung kann Israel seine absolute Kontrolle und seinen privilegierten Status über das Land und die unterdrückte palästinensische Bevölkerung aufrechterhalten. Die Kontrolle über Jerusalem und die Erklärung als „ewige Hauptstadt des jüdischen Volkes“ wird durch den Islam als die letzte Phase der Eroberung durch die Kreuzfahrer, symbolisiert durch Israel, angesehen. Diese Spaltung wird durch jüdische Extremisten und christliche Fundamentalisten weiter verschärft.
Die Periode der Israeliten oder Hebräer
Die frühsten archäologischen Beweise einer menschlichen Siedlung, was später Jerusalem genannt wird, reichen zurück in die Periode der Herrschaft der Jebusiter von 1800-1000 (B.C. E.=Before the Common Era). Diese Phase wurde abgelöst durch die Eroberung israelischer Stämme unter Führung von König David. (Davids Jerusalem 1010-970). Erst unter seinem Nachfolger, König Salomon, wurde auf dem Berg Moriah ein Tempel errichtet. Damit beginnt die erste Tempel-Periode. Dieser Teil Jerusalems wurde mit einer Mauer umgeben. Diese Periode endete 930. Von 930 bis zur Zerstörung des Tempels im Jahr 586 durch die Babylonier (König Nebukadnezar) kam es zwischen den israelitischen Stämmen zu Kämpfen, weil die zehn nördlichen Stämme eine Verehrung Gottes in Jerusalem ablehnten. Die Babylonier beendeten die längst Periode der Herrschaft der Israeliten (12 Stämme Israels) über Jerusalem. Die herrschenden Mitglieder der Bevölkerung wurde exekutiert, und die Elite nach Babylon deportiert. Die Babylonische Herrschaft wurde durch die Persische Herrschaft (586-400) abgelöst. Die Perser erlaubten die Rückkehr der Elite und den Wiederaufbau des Tempels. Sie gestatteten jedoch nicht, dass die Israeliten oder Hebräer, wie sie jetzt genannt werden, unabhängig über Jerusalem herrschen konnten. Die Perser wurden durch die Griechen abgelöst. In der Zeit von 332 bis 168 kam es zu einem Aufblühen jüdisch-rituellen Lebens und des jüdischen Gesetzes. Unter Antiochos Epiphanes, der aus der Dynastie der Seleukiden stammte, wurden die Stadt und der Tempel zerstört, und die Verehrung der Tora wurde unter Todesstrafe gestellt. Die Makkabäer inszenierten mehrere Aufstände gegen die Griechen und brachten Jerusalem 141 wieder unter jüdische Kontrolle. Die Römische Herrschaft folgte der griechischen und dauert von 63 B. C bis zur muslimischen Invasion im Jahre 638 n. Chr.
Diese Herrschaft lässt sich in zwei Phasen einteilen: Erstens in die Herrschaft von Rom mit der Verehrung der heidnischen Götter bis 313 das römische Reich christlich wurde und Jerusalem von Byzanz (Konstantinopel) aus regiert worden ist. Versuche seitens der jüdischen Bevölkerung, die Herrschaft Roms in Frage zu stellen, wurden brutal niedergeschlagen, und der zweite Tempel wurde im Jahre 70 n. Chr. zerstört. König Hadrian vertrieb zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung und machte Jerusalem zu einer römischen Kolonie: und gab ihr den Namen Aeolia Capitolina, fortan hieß das Land Palästina, genannt nach den Philistern. Nach der Hinrichtung von Jesus entstanden erste christliche Gemeinden in Jerusalem. Zentral für die Ausbreitung des Christentums war die Bekehrung Kaiser Konstantins im Jahre 313. In dieser Zeit konnten Juden nur eine Pilgerfahrt im Jahr nach Jerusalem unternehmen, wohingegen christliche Kirchen, Krankhäuser, Hospize und Herbergen in großer Anzahl gebaut worden sind.
Die muslimische Herrschaft über Jerusalem
638 eroberte der Kalif Umar ibn Khattab Jerusalem. Er schloss mit den Christen ein Abkommen, nach dem nach Zahlung einer Kopfsteuer ihre Besitztümer, Kirchen und persönliches Vermögen unangetastet blieben. Juden wurde die Pilgerfahrt gestattet, aber nach und nach ließen sie sich wieder in Jerusalem nieder.
Die Heiligkeit Jerusalems war für Juden und Christen bereits grundgelegt. Wie Khalidi darlegte, ist für den Islam Jerusalem heilig wegen seiner jüdischen, christlichen und muslimischen Dimension. Für die Muslime war Jerusalem die ursprüngliche Gebetsrichtung „qibla“, bevor es Mekka wurde. Der Koran berichtet von einer nächtlichen Reise Mohammads nach Jerusalem, und nach islamischer Lehre stieg er von dort in den Himmel auf. Diese beiden Reisen wurden zur Quelle der Inspiration unzähliger literarischer und religiöser Werke. Beides wird im Koran berichtet. Es gibt eine besondere Verbindung von Jerusalem zu den fünf täglichen Gebetszeiten im Islam. Erst nach der Himmelfahrt Mohammeds und einem Gespräch zwischen ihm und Moses wurde das fünfmalige Gebiet kanonisiert. Mit der politischen Bedeutung Jerusalems nahm auch dessen religiöse zu. Dies zeigte sich darin, dass die Omayaden-Dynastie in Damaskus zwischen 685 und 709 den Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee errichten ließ. Der Felsendom ist das älteste noch ursprünglich erhaltene muslimische Bauwerk. Jerusalem wurde der drittheiligste Ost nach Mekka und Medina.
Der Westen sitzt mit seiner Theorie des „Kampfes der Kulturen“ einem elementaren Irrtum auf, wenn er meint, der Islam liege außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition. Dies ist ein absolute Fehlwahrnehmung. Der Islam versteht sich als integraler Bestandteil und als die Kulmination des jüdisch-christlichen Erbes. Zentral im Islam ist Gottes Offenbarung gegenüber der Menschheit. Als Vorläufer dieser Offenbarung gelten die Thora und das Evangelium. Auf 18 jüdische Propheten und Könige wird im Koran Bezug genommen. Islam misst David und Salomon einen höheren Stellenwert zu als das Judentum es tut. Nach jüdischer Lehre sind es sündhafte Monarchen, nach dem Islam sind es sündenlose Propheten. Nach dem Koran ist Abraham ein Muslim, der Erbauer der Kaaba in Mekka, dem zentralen Heiligtum im Islam. Erbaut vom ersten Propheten Adam und von Abraham und seinem Sohn Ismail wieder entdeckt. Gemäß Islam wurde Jesus wegen Gottes Liebe zu den Menschen kurz vor seiner Kreuzigung in den Himmel geholt. Jesus ist lebendig im Himmel und wird auf die Erde zurückkehren, um sein 1000-jähriges Reich zu errichten. Gemäß islamischer Lehre wurde Jesus durch Maria geboren, einer Jungfrau, durch den direkten Eingriff Gottes. Nach dem Islam heilte Jesus die Kranken, erweckte Tote zum Leben, vollbrachte Wunder, die der Koran nicht Mohammad zuspricht. Maria wird im Koran öfter erwähnt als im Neuen Testament. Weder das Christentum noch das Judentum sehen mit dem gleichen inhaltlichen Bezug auf den Islam. Das Judentum teilt nicht den Bezug des Islam zu Maria und Jesus. Im Gegenteil, die Orthodoxie verachtet das Christentum. Tatsächlich ist der Islam die ökumenischste der drei großen Religionen in Bezug auf die beiden anderen. Vieles, was für Judentum und Christentum heilig ist, ist auch im Islam heilig. In den arabischen Ländern wie auch im Iran und der Türkei stehen die Gräber verstorbener Juden und ihrer Propheten unter einer staatlichen Fürsorge und werden von den Muslimen genauso geehrt wie von Juden. Stellvertretend für viele seien hier nur die Gräber von Mordechai HaTzaddik und Königin Esther im Iran erwähnt. Aus der langen Periode der osmanischen Herrschaft in Palästina ist nicht bekannt, dass jüdische Gräber mit Vorsatz zerstört worden wären. Die Heiligkeit Jerusalems drückt sich in Lobpreisungen bis ins 11. Jahrhundert hin aus, was im arabischen als bayt al-maqdis oder als „Haus der Heiligkeit“ bezeichnet wird, davon leitet sich der arabische Name für Jerusalem, al-Quds, ab. Diese enge Verbindung des Islam mit Judentum und Christentum wird im Westen geflissentlich verschwiegen, da man sonst den Islam nicht so freimütig dämonisieren könnte.
Die Herrschaft der Abassiden im Jahr 750 und die Verlegung des Sitzes des Kalifats von Damaskus nach Bagdad führten auch zu einem Niedergang Jerusalems. Bis zum Jahr 985 regelten christliche Feiertage zunehmend auch den Rhythmus der muslimischen Bevölkerung. Die christlichen Pilgerzüge nahmen zu. Im Jahre 1065 kamen 12 000 Pilger in die Stadt. Im 10. und 11. Jahrhundert hat die muslimische Dominanz in Jerusalem stark nachgelassen. 1099 belagerten die Kreuzritter Jerusalem und schlachteten die Bevölkerung ab und vertrieben sie. Zahlreiche neue Kirchen wurden gebaut. Der Felsendom wurde nicht zerstört, sondern 1142 in eine Kirche umgewandelt. In Zuge der Kreuzritter kamen christliche Minderheiten aus Syrien, dem Libanon und aus anderen Teilen des Nahen Ostens, um sich in Jerusalem anzusiedeln. Einen dauerhaft negativen Eindruck, der bis heute nachwirkt, hinterließen die Kreuzritter im Bewusstsein der Muslime. Die Besetzung durch Europäer führte aber auch zu einem stärkeren Interesse der Araber und der Muslime an der Stadt.
1187 eroberte Salah-ed Din (Saladin) Jerusalem von den Kreuzrittern zurück. In dessen Folge wurden große Waqfs – muslimische religiöse Stiftungen – gegründet und weitere Investitionen vorgenommen. Im Laufe des 13. Jahrhunderts nahm das Interesse an der Stadt wieder ab, da sie keinen strategischen oder militärischen Wert besaß. Nach den Mameluken besetzen die Osmanen Jerusalem im Jahr 1517. Unter ihrer 400-jährigen Herrschaft durchlief Jerusalem seine bedeutendste Entwicklung. Aufgrund des Einflusses europäischer Mächte im 19. Jahrhundert nahm die Bedeutung Jerusalems als Verwaltungszentrum immer mehr zu. Das Osmanische Reich machte Jerusalem zur Hauptstadt der Provinz Jerusalem. Die schwindende Macht des Osmanischen Reiches gab den europäischen Mächten größeren Spielraum, ihre Rivalitäten gegeneinander auszuspielen. Der deutsche Historiker Alexander Schölch schrieb, dass die europäischen Mächte nicht auf territoriale Kontrolle aus waren, sondern nur ihren Einfluss mehren wollten, indem sie die Kontrolle über die religiösen Minderheiten beanspruchten. So übernahmen die Briten den Schutz der jüdischen Bevölkerung. Die Franzosen den der Christen. Das Zarenreich kümmerte sich um Teile der Orthodoxie, und das deutsche Kaiserreich übte seinen Einfluss über die zum Protestantismus konvertierten Christen aus. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges war Jerusalem die größte Stadt in Palästina. Mit der Ankunft von General Allenby 1917 waren die demographischen Veränderungen der letzten 50 Jahre bereits sichtbar. Der arabische und muslimische Charakter der Stadt war stark im Schwinden begriffen.
Von der zionistischen Kolonisierung zur Gründung Israels
Man darf den Einfluss des europäischen Kolonialismus auf die aktuellen Probleme im Nahen Osten nicht gering schätzen. Da ist zum einen das Skyes-Picot-Abkommen von 1916, in dem hinter dem Rücken der Araber die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien ihre europäischen Einflusszonen festlegten, obgleich man den Arabern ein arabisches Großreich versprochen hatte, wenn sie sich mit dem Westen gegen das osmanische Reich verbünden würden. Ein weiteres zentrales Dokument war die Balfour-Erklärung, in der der britische Außenminister Lord Balfour den Zionisten Großbritannien die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina zugesagt hatte.
Mit der zionistischen Kolonisierung nahmen die Spannungen in Palästina zwischen der arabischen Mehrheitsbevölkerung und den Neusiedlern beständig zu. Das Zusammenleben zwischen Juden, Muslimen und Christen verlief bis dahin spannungsfrei. So etwas wie einen Antijudaismus gab es in der muslimischen Welt nicht. Dieser wurde erst vom so genannten christlichen Europa in diese Region transferiert. Mit der Gründung Israels im Mai 1948 und des daraufhin beginnenden Krieges mit fünf arabischen Staaten kam es zu einer Flucht- und Vertreibungswelle von zirka 700 000 palästinensischen Arabern; dieses Ereignis hat sich als Trauma (al-Nakba= Katastrophe) im arabisch-palästinensischen Bewusstsein verankert. Wie der Holocaust (ohne beide Ereignisse auch nur im entferntesten gleichsetzen zu wollen), der vom Dritten Reich ins Werk gesetzte industriell betriebe Massenmord am europäischen Judentum, zum historischen Narrativ der Israelis wurde, so sollte auch al-Nakba für das palästinensische Bewusstsein nicht unterschätzt werden; sie gehört zum kollektiven Gedächtnis der Palästinenser. Beide historischen Narrative müssen bei der Lösung des Konfliktes immer mitbedacht werden.
Obgleich durch den UN-Teilungsplan für Jerusalem ein spezieller Status vorgesehen war, führte der Krieg von 1948 zur Teilung der Stadt in einen jüdischen Westteil und einen arabischen Ostteil, der von Jordanien bis 1967 verwaltet worden ist. Erst durch den Sechstagekrieg vom Juni 1967 wurde die Stadt durch die israelische Besetzung „wieder vereint“. 1980 wurde der Ostteil durch das „Jerusalemgesetz“ annektiert. Diese völkerrechtswidrige Annexion wird aber von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt, was sich darin ausdrückt, dass sich alle Botschaften in Tel Aviv befinden. Seither beruft sich Israel auf 3 000 Jahre alte „biblische“ Rechte und bestreitet das historische Recht der Palästinenser auf den Ostteil. Der langjährige Bürgermeister der Stadt, Teddy Kollek, formulierte es in einem Interview mit Azmi Bishara im Dezember 1995 wie folgt: „Ich glaube, dass die Araber kein Recht auf eine Hauptstadt in Jerusalem haben. Sie hatten über Jahrhunderte nicht dieses Ziel, deshalb haben sie auch heute nicht das Recht dazu. Sie haben das Recht, gleichberechtigt zu sein, ihre heiligen Stätten selbständig zu verwalten; sie haben jedoch nicht das Recht auf eine Hauptstadt in Jerusalem. (...) Ich glaube, in Ramallah haben sie das Recht auf eine Hauptstadt. Warum soll ihre Hauptstadt in Jerusalem sein, das schließlich uns gehört?“ Die Chutzpah Kolleks ist jedoch noch steigerbar, als er weiter behauptet, dass für Muslims, Jerusalem keine „besondere Bedeutung“ habe. „Sie haben das erst jetzt erfunden – heute, gestern vielleicht vorgestern. Niemals aber dachten sie daran, eine Hauptstadt in Jerusalem zu bauen. Dies erstand erst als Reaktion darauf, dass wir es beschlossen hatten. (...) Bei uns gibt es diese Idee aber schon seit 3000 Jahren. Schon seit jeher kamen die Juden hierher. Für die Araber fängt es erst mit Mohammed an. (...) Selbst im Koran wird Jerusalem nicht einmal erwähnt. In der Bibel hingegen taucht der Name einige hundertmal auf. Wie kann man da Vergleiche ziehen? Vergessen wir also diese Vorstellung. Es ist etwas, was feststeht und sich nie ändern wird. Ich kann kein anderes Argument finden. Es handelt sich nicht um Rechte oder um eine moralische Berechtigung.“ Für Kollek handelte es sich um einen „neu erfundenen Mythos“. Kollek, der immer eine Aura verbreitete, als habe er irgendetwas für die palästinensischen Bewohner Ost-Jerusalems getan, galt gemeinhin als „Baumeister Jerusalems“ und als „liberaler Zionist“.
Die Methoden der zionistisch-israelischen Kolonisierung Palästinas
Die Besiedelung Palästinas durch die Zionisten erfolgte nicht planlos, sondern nach einem „Materplan“, der von der World Zionist Organisation entworfen worden ist. Von Beginn an gab es Widerstand gegen die Besiedelung Palästinas durch die Gründung jüdischer Kolonien, der bis heute andauert. Die Methoden der Landnahme waren bis zur Staatsgründung der Kauf von Land, das vorwiegend arabischen Großgrundbesitzern gehörte, die es selber nicht nutzen, sondern an palästinensische Bauern verpachtet hatten. Die bewusste Planung der Kolonisierung wurde in einem Buch der ehemaligen Planerin an der Universität Dortmund, Viktoria Waltz, in ihrem Buch „Die Erde habt ihr uns genommen“ 1986 eindrucksvoll dargelegt. Das Buch ist Dank des Internets online lesbar auf „Palästina-Portal“, das von dem Dortmunder Künstler Erhard Arendt betrieben wird.
Mit der Gründung Israels und der Flucht und Vertreibung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung übernahmen jüdische Einwanderer und die Überlebenden des Holocaust dasjenige palästinensische Eigentum, das nicht von den zionistischen Armeen im Krieg zerstört worden ist. Das ehemalige palästinensische Land wurde dem Jüdischen Nationalfonds übertragen. Es darf nur an Juden auf zweimal 50 Jahre verpachtet werden. Bevor es in den Besitz eines Juden übergeht. Nicht-Juden können in Israel kein Land erwerben.
Nach der Besetzung von Restpalästina im Junikrieg von 1967 wurde die Kolonisierung der Gebiete und Ost-Jerusalems massiv in Angriff genommen. Nicht planlos, sondern nach Plan, wie es einmal Ariel Sharon ausgedrückt hatte. Land wurde nur noch zu einem winzigen Teil käuflich erworben. Die Regel waren Enteignungen für „militärische Zwecke“ oder aus „Sicherheitsgründen“; politische Zauberformeln, die den „Landraub“ legal erscheinen lassen sollten. Später entstanden darauf israelische Siedlungen. Leben in der Westbank und auf den Golan-Höhen zirka 300 000 Siedler, so sind es in Ost-Jerusalem 200 000. Die „Judaisierung“ der Stadt vollzog sich in einem unvorstellbaren Tempo. Um die Stadt wurde ein Ring von Siedlungen gelegt, und im Zentrum Ost Jerusalems werden nach und nach Grundstück konfisziert und an Israelis übertragen. Häuser von Palästinensern werden in großer Zahl zerstört, weil sie angeblich ohne Baugenehmigung errichtet worden sind, wobei verschwiegen wird, dass die Stadtverwaltung so gut wie keine Genehmigungen an Palästinenser erteilt. Daneben versucht man, den Palästinensern ihre Aufenthaltsrechte mit fragwürdigen Methoden zu entziehen, um sie aus Ost-Jerusalem zu vertreiben. Wider das Völkerrecht hat man eine monströse Mauer in Jerusalem und um andere palästinensische Städte errichtet, um die Menschen in Enklaven zu halten. Die totale Blockade des Gaza-Streifens ist dabei nur das eklatanteste Beispiel von Menschenverachtung. Die besetzten Gebiete sind durch ein System von „Apartheid-Strassen“ durchzogen, auf denen nur Israelis fahren dürfen. Diese über 43-jährige Besetzung palästinensischen Landes widerspricht nicht nur allen Regeln des Völkerrechts, sondern auch den Menschrechten und insbesondere den so genannten westlichen Werten, ja sie stellt eine Verhöhnung eben dieser „Werte“ dar. Da es sich aber zum überwiegenden Teil um Muslime handelt, scheint dies in Ordnung zu gehen, da „der“ Westen angeblich einen Krieg gegen den „islamischen Terrorismus“ oder, wie es US-amerikanische neokonservative Ideologen gerne nennen, gegen den „Islamfaschismus“ führt. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, wird der Westen in den Augen der „Verdammten dieser Erde“ den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit verlieren. Dass einige muslimische oder arabische Staaten immer noch dem Neokolonialismus des Westens die Stange halten, scheint alle Vorurteile gegenüber „den Arabern“ zu bestätigen.
Zuerst erschienen in: Der Semit.