2003 war das US-Imperium unter seinem damaligen Präsidenten George W. Bush zu einer Art Kreuzzug aufgebrochen, um die US-amerikanische Variante von Demokratie mit brutaler Waffengewalt in die arabische Welt zu bringen. Opfer dieses völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Überfalls war Irak, dessen Herrscher Saddam Hussein ein langjähriger Alliierter und Freund der USA war, bis man ihn aus geopolitischen Überlegungen als „Hitler“ dämonisierte, um ihn erst über zehn Jahre hinweg sturmreif zu bomben, wie unter Bill Clinton, um ihn dann brutal zu überfallen, wie unter dem „boy-emperor“ George W. Bush geschehen. Die Allmachtsphantasien der neokonservativen Politklasse kannten nach den 9/11-Anschlägen keine Grenzen. Sie wurden noch beflügelt durch den „Albatross like ally, Israel“. Der gesamte Nahe Osten sollte sturmreif für die Demokratie geschossen werden, und zwar zum Nutzen Israels und zum Schaden des Westens.
Gingen die westlichen „Kreuzzügler“ und neokonservativen Imperialisten noch davon aus, die „arabischen Massen“ vor ihren brutalen Herrschern zu retten und ihnen die Segnungen der Demokratie zu bringen, haben die Menschen in der arabischen Welt dem Westen eine Lektion erteilt. Sie haben gezeigt, dass sie mit ihren autokratischen Herrschern schon selber fertig werden und nicht auf die Hilfe und Belehrungen der westlichen Eliten angewiesen sind. Deren Interessen haben nichts, aber auch gar nichts mit denen der Menschen in dieser Region zu tun. Eine so genannte humanitäre Intervention des Westens sollten sie sich verbitten, weil eine solche ihnen die Früchte ihres Aufstandes gegen ihre Despoten berauben würde. Die stattfindende Demokratisierung der arabischen Welt stellt ein großes Problem nicht nur die USA, sondern auch für die „einzige Demokratie des nahen Ostens“, Israel, dar.
Die Volksaufstände in der arabischen Welt haben auch eine anti-al-Kaida Stoßrichtung. Sie sind friedliche von der Jugend getragene und durch die neuen Medien gesteuerte Proteste, mit denen die militärisch-bürokratischen Regime in dieser Region völlig überfordert sind. Die Revolutionen in der arabischen Welt bedürfen aber noch einer ideengeschichtlichen Legitimation. Sie können als Aufstände der verarmten und arbeitslosen Massen gegen die schamlos reichen und korrupten Eliten interpretiert werden, die im Interesse des Westens ein Wirtschaftsmodell umgesetzt haben, das die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht hat. Die Revolutionäre sollten sie sich deshalb nicht um Rat an Washington und die anderen westlichen Metropolen wenden, da ihre Malaise justament durch die westlichen Eliten zusammen mit einer kleptokratischen einheimischen Klasse verursacht worden ist.
Als vor 20 Jahren in den Staaten Mittel- und Osteuropas die Menschen auf die Straße gingen und die kommunistischen Regime auf den Müllhaufen der Geschichte expedierten, waren die US-amerikanischen und westeuropäischen Eliten und deren Medienvertreter schier aus dem Häuschen. Das US-Imperium war als Sieger aus dem Kampf der Systeme hervorgegangen und konnte nun ungehindert seinem globalen Expansionsdrang über den noch nicht zu seinen Bedingungen demokratisierten Teil des Globus antreten.
Heute vollzieht sich etwas Vergleichbares in der arabischen Welt, und die westlichen Eliten lavieren zwischen der aufständischen Bevölkerung und deren Unterdrückern, um ihre „Interessen“, „Werte“ und „Stabilität“ zu wahren. Die Obamas, Merkels, Sarkozys, Camerons und die ganze Schar der westlichen Demokraten zeigen den Menschen ihre kalte, machtpolitische Schulter und verlangen von den regierenden Despoten und Diktatoren einen geordneten Wandel und von den Menschen Zurückhaltung. Selbst zu dem brutalen Vorgehen des libyschen Obristen gegen seine eigene Bevölkerung fällt den westlichen Regierungschefs außer diplomatischen Floskeln und Politkosmetik wie dem Ausschluss Libyens aus dem UN-Menschenrechtsrat und der Sperrung der Konten des Gaddafi-Klans wenig ein. Der Westen sollte sich hüten, auch nur über eine Intervention nachzudenken. Wohin das führt, kann in Irak und Afghanistan studiert werden. Was der Westen will, sind einige kosmetische Veränderungen in seinem Sinne, ohne dass sich dadurch die globale Situation radikal verändert. Umgehend werden Hilfsprogramme aus dem Ärmel gezaubert, um den Menschen in typisch kolonialer Manier den bürokratischen Weg zur Demokratie zu weisen. Der Westen tut gerade so, als ob diese „Wilden“ nicht wüssten, wie man Wahlen abhält oder ein Staatswesen aufbaut. Vor lauter Stabilitätsfixierung auf die Tyrannen hat man übersehen, dass es in diesen Ländern eine lebendige Zivilgesellschaft gibt, die bis dato nur keine Stimme hatte.
Der Unterschied zwischen den politischen Klassen des ehemaligen „Ostblocks“ und ihren Counterparts in der arabischen Welt liegt darin, dass letztere die Verbündeten und Freunde des Westens sind. Sie sind diejenigen, die Frantz Fanon den Titel für seinen antikolonialen Klassiker „Black Skin, White Masks“ geliefert haben. Die westlichen Eliten haben sich über weit mehr als ein halbes Jahrhundert keinen Deut um Demokratie, Freiheit, Frauenrechte, good governance und andere „westliche Werte“ gekümmert, Hauptsache die arabischen Despotien waren politisch stabil und ihre Herrscher waren dem Westen wohl gesonnen, dann konnten sie mit ihren Untertanen machen, was sie wollten. Der Westen schaut bis heute bei seinen „guten“, sprich westlich-orientierten Diktatur-Freunden nicht so genau hin, wie in Irak, Afghanistan, Saudi-Arabien, Jemen, Bahrain oder den Staaten Zentralasiens zu beobachten ist. Die Kommentare zum „Machtwechsel“ in Tunesien und Ägypten sind durchtränkt von kolonial-paternalistischem Denken, indem die westlichen Machthaber ihren Stellvertretern in der arabischen Welt sagen, wie sie sich verhalten sollen und was angeblich in deren Interesse liegt.
Die westlichen Zauberformeln für diese doppelten Standards sind „politische Stabilität“, „US-amerikanische = westliche Interessen“, „westliche Werte“ und seit den 9/11-Anschlägen der so genannte „Krieg gegen den Terror“ und „globale Stabilität“. Mit dieser machtpolitischen Begrifflichkeit herrschen westliche Politeliten über Mittelsmänner in der arabischen Welt und darüber hinaus. Haben sich die westlichen Machtpolitiker eigentlich einmal gefragt, welches die Interessen der Menschen in der arabischen Welt sind? Die Ausbeutung ihrer Bodenschätze gehört wohl nicht zu deren Primärinteressen. Warum sollen die Menschen an dieser Art von „politischer Stabilität“ ein Interesse haben, die nur zu ihrem Nachteil ausfällt? Die westlichen Vorstellungen von „politischer Stabilität“ müssen den geknechteten Menschen „obszön“ vorkommen, weil sie ihnen ihre Würde nehmen und sie in Armut und Elend halten, bei gleichzeitiger Unterstützung der Herrschaft einer Kleptokratie. Wer diese „politische Stabilität“ in Frage stellt, unterminiert die „westlichen Werte“ und eine ominöse Stabilitäts- und Herrschaftsdoktrin.
Die Revolutionen in der arabischen Welt haben zwei große Verlierer: Israel und die USA. Beide Regierungen haben bis zuletzt nicht nur an Hosni Mubarak festgehalten, sondern auch seinen Chef-Folterer Omar Suleiman als dessen Nachfolger massiv unterstützt. Das ägyptische Volk hat dagegen revoltiert, bis das Militär Suleiman abgesetzt hat; kurz darauf entging er nur knapp einen Attentat. Die USA und Israel haben in den letzten Jahrzehnten alles getan, damit das palästinensische Volk weiter unterdrückt und kolonisiert werden konnte, und dies mit tatkräftiger Unterstützung Mubaraks und des jordanischen Königs Abdullah. Nach dem Sturz des Shah-Regimes füllte der Pharao vom Nil als westlicher Satrap das machtpolitische Vakuum im Sinne Israels und der USA. Hinzu kam, dass dazu die illegitime Abbas-Regierung ihre Hand zur fortgesetzten Kolonisierung des eigenen Volkes bis zur Selbstverleugnung gereicht hat, wie dies die Veröffentlichung der so genannten „Palestine papers“ zeigt.
Die vorbehaltlose Unterstützung der israelischen Kolonisierungspolitik durch die USA und die angebliche Interessenidentität zwischen beiden Staaten hat wesentlich zum Desaster der US-amerikanischen Nahostpolitik beigetragen. Als letztes Beispiel für diesen verhängnisvollen Kurs kann das US-Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine harmlose Resolution, in der die israelische Siedlungspolitik verurteilt worden ist, angesehen werden. Die USA haben quasi gegen ihre eigenen politischen Vorstellungen gestimmt, weil US-Präsident Barack Obama vorher mit martialischen Tönen einen Baustopp von Israel verlangt hatte, Netanyahu und die „Israellobby“ (Mearsheimer/Walt) ihn aber kalt haben auflaufen lassen. Selbst die Bestechung der israelischen Regierung für eine weitere dreimonatige Verlängerung eines Baustopps durch Obama, versilbert durch zusätzliche drei Milliarden US-Dollar und dem Versprechen, alle zukünftige Resolutionen mit eine Veto zu belegen, wies die Netanyahu-Regierung zurück. Dass die US-Nahostpolitik von der „Israellobby“ maßgeblich beeinflusst wird, ist ein offenes Geheimnis. Die Prozessionen der US-amerikanischen Politelite zum jährlich stattfindenden AIPAC-Kongress in Washington, die oft vom Präsidenten oder dem Vizepräsidenten angeführt werden, machen deutlich, wo sich das Machtzentrum in Bezug auf die Ausrichtung der US-Nahostpolitik befindet. Die Desaster der US-Nahostpolitik beruhen darauf, wenn sich eine Supermacht sich seine Politikvorstellungen von einer Interessengruppe oktroyieren lässt.
Das Veto der USA im UN-Sicherheitsrat ist gegen elementare nationale Interessen Amerikas gerichtet. In einer Zeit, in der die arabische Welt in Aufruhr ist und die Menschen für ihre Freiheit kämpfen, stellen sich die USA auf die Seite des israelischen Unterdrückers und des Kolonialismus und senden damit ein falsches Signal an die arabischen Autokraten und Despoten. In dieser Haltung liegen die wahren Gründe dafür, dass große Teile der arabisch-muslimischen Welt die USA „hassen“, weil sie nicht nur mit zweierlei Maß messen, sondern weil sie sich auch auf die Seite der Unterdrücker von Freiheit und Selbstbestimmung stellen, mag dies nun der Kolonialismus Israels oder die Repression der arabischen Despoten sein.
Darüber hinaus wird die US-Außenpolitik zu einem großen Teil auch von diversen christlich fundamentalistischen Gruppierungen beeinflusst, die eine blinde Solidarität mit Israel einfordern. Sie sehen den Staat als den Beginn der Verheißung für das Kommen des Messias und die israelische Kolonisierungspolitik „biblischen Landes“ als einen Akt der Beschleunigung für dessen Erscheinen. In deren Phantasien wird es zu einem Armageddon kommen, bevor der Messias herrschen kann. Diese Gruppe, die solch religiös-irrationale Vorstellungen in Politik umzusetzen verlangen, bewegt sich zwischen 50 und 70 Millionen US-Bürger. Eine solche US-amerikanische Nahostpolitik, die sich von diesen religiösen Wahnideen beeinflussen lässt, ist nicht nur absurd, sondern auch gefährlich, weil irrational.
Die machtpolitischen Veränderungen in der arabischen Welt liegen weder im Interesse Israels noch der USA. Beide hatten sich so an den Umgang mit arabischen Autokraten gewöhnt, dass sie sich wenig um Demokratie gekümmert haben. Die israelischen Medien reagierten hysterisch auf den Sturz Mubaraks, ihr Lieblingstyrann und Partner in der Unterdrückung der Palästinenser war plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Einige Medienvertreter griffen US-Präsident Obama an, weil er nicht Mubarak unterstützt hat, und sie sehnten sich nach den guten alten Tagen eines George W. Bush zurück. Aber Israels Interessen sind vielleicht mit US-amerikanischen identisch, aber nicht mit denen des Westens generell, ja seine fast 44-jährige Okkupationspolitik ist eine schwere Hypothek für die Glaubwürdigkeit der USA, aber auch für die des Westens. Das Land verfolgt eine eigene hegemoniale Agenda im Nahen und Mittleren Osten.
Wie kann es sein, dass Israels „Sicherheit“ durch demokratische Revolutionen in der arabischen Welt bedroht wäre? Die politisch-mediale Klasse Israels hat vor demokratischen Wahlen gewarnt, weil diese nicht automatisch zu demokratischen Verhältnissen führten. Der ehemaligen Verteidigungsminister Moshe Arens hat in der Tageszeitung „Haaretz“ die These vertreten, dass man Frieden leichter mit Diktatoren schließe. "Frieden schließt man mit Diktatoren." Da es in Israels Nachbarschaft keine Demokratien gab, war man nolens volens gezwungen, mit Diktaturen Friedensverträge zu schließen. Der israelische Präsident Shimon Peres stieß ins gleiche Horn. Auf einem Banque in Jerusalem sagte Peres, dass ein antidemokratisches Regime, das für Frieden ist, besser sei, als eine Demokratie, die gegen den Frieden ist. Er lobte in seiner Rede Mubarak und warnte vor der Gefahr von Wahlen, da sie zu einem Wahlsieg der Muslim Bruderschaft führen könnten. Jetzt wird auch nachvollziehbar, warum man nach dem demokratischen Wahlsieg der Hamas 2006 von Seiten der USA, Israels und der EU alles in die Wege geleitet hat, um die einzige demokratische Arabische Regierung aus dem Amt zu drängen. Hätte die frei gewählte Hamas-Regierung überlebt, wäre Israels Status als der „einzigen Demokratie des Nahen Ostens“ perdu gewesen. Wie die Veröffentlichung der „Palestine papers“ gezeigt hat, scheint es in der Tat leichter zu sein, mit einem demokratisch nichtlegitimierten arabischen Präsidenten wie Abbas und seinen Kumpanen als mit demokratisch gewählten Hamas-Vertretern Frieden zu schließen.
Israelische Politiker und israelische „Arabisten“ entwerfen in den Medien ein Horrorszenario, in dem die Muslim Bruderschaft und so genannte Islamisten die Hauptrolle spielt. Demokratische Wahlen könnten sie an die Macht bringen, dann würde es so kommen wie in Iran und Gaza. Demokratie im Nahen Osten liege nicht im israelischen Interesse und stelle eine Gefahr für das Land dar, so der dominante Tenor in der Medienlandschaft. Diese schrägen Einstellungen sind weit verbreitet unter der politisch-medialen Klasse Israels, erfahren aber keine Zurückweisung durch die westliche Staatengemeinschaft.
Wo liegt das Hauptproblem des Westens mit den Revolutionen in der arabischen Welt? Es ist die eingebildete Gefahr einer Herrschaft und Machtübernahme durch „Islamisten“. Die ägyptische Revolution ist primär ein Verlangen der Jugend und der Mehrheit der unterprivilegierten Ägypter nach Freiheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Das Mubarak-Regime lag wie Mehltau über dem Land. Die Revolution wurde nicht von „Islamisten“ oder Vertretern der Muslim Bruderschaft gesteuert oder gar entfacht. Auch in Tunesien, Libyen, Jemen und andernorts haben sie wenig bis nichts zum Aufstand beigetragen. Sie sind in diesem Machtkampf nur ein Akteur unter vielen. Die Verbreitung von Furcht vor „Islamisten“ oder der Dämonisierung der Muslim Bruderschaft durch politische Propaganda dient der Erhaltung des geopolitischen Einflusses des Westens und Israels in der Region, der sich bisher zum Schaden der Menschen ausgewirkt hat. Mubarak und der Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas haben nichts gegen das israelische Massaker an der Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens, bei dem 1 400 Menschen - überwiegend Frauen und Kinder - umgekommen sind, einzuwenden gehabt, obwohl sie darüber vorab informiert gewesen sind. Mubarak hatte sogar die ägyptische Grenze zum Gaza-Streifen geschlossen, damit keiner der Bewohner des Strips aus dem Gefängnis fliehen konnte.
Das größte Problem des von den USA dominierten Westens ist dessen Politik des doppelten Standards. Die USA kritisieren Menschrechtsverletzungen in China, Russland, Weißrussland, Nord-Korea oder Iran, aber sie schweigen zu den wesentlich schwerwiegenderen bei den „guten“ westlich-orientierten Diktatoren und Despoten in der arabischen Welt oder Zentralasiens. Ja, man benutzt diese sogar als Folterer im Namen westlicher Werte, wie die Verschleppungen angeblicher Terroristen in arabische Kerker durch die US-amerikanische CIA belegen, in denen sie im Namen der Demokratie für die US-amerikanischen Auftraggeber „weichgefoltert“ worden sind. Diese doppelten Standards des Westens schlagen besonders schwer zu Buche, wenn man sich das politische Verhalten der israelischen Regierungen im besetzen Palästina anschaut.
Als Bush 2001 auf dubiosen Wegen ins Amt gehievt worden ist, setzte er umgehend alle Machtmittel ein, um das von seinen neokonservativen Förderern proklamierte „New American Century“ Wirklichkeit werden zu lassen. Der Sturz Saddam Hussein hatte höchste Priorität auf der neokonservativen Agenda. Durch die Anschläge des 11. September 2001 musste jedoch erst der Umweg über Afghanistan genommen werden, bevor der Irak im März 2003 überfallen werden konnte. Die Gründe für den Überfall waren alle konstruiert; es gab kein überzeugendes Argument für diesen völkerrechtswidrigen Krieg. Beide Kriege haben dem Image der USA enorm geschadet. Sowohl Irak als auch Afghanistan haben dem US-Imperium aber auch seine Grenzen aufgezeigt. In den Bergen des Hindukusch und im arabischen Treibsand wird sich das Schicksal des US-Imperiums entscheiden.
Die Geburtswehen eines „Neuen Nahen Osten“ wurden nicht durch die Überfälle der Bush-Regierung ausgelöst, sondern durch die demokratischen Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain oder anderenorts. Die Förderung von Demokratie und nicht Gewalt und Paktieren mit Antidemokraten, wie von den USA über Jahrzehnte praktiziert, scheinen die wahren Geburtswehen eines „Neuen Nahen Ostens“ zu sein. Wie kommen die USA zu einer von Israel eigenständigen Nahostpolitik? Ein Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich die US-Außenpolitik befindet, ist ihre Dissoziation von Israels völkerrechtswidriger Kolonisierungspolitik, die zur Zerstörung der Existenzgrundlagen des palästinensischen Volkes geführt hat. Die USA müssen endlich die demokratisch-gewählte Regierung der Palästinenser anerkennen und nicht länger mit einen illegitimen Präsidenten und Ministerpräsidenten zusammen mit Israel gegen die Interessen des palästinensischen Volkes arbeiten. Die USA sollten sich endlich auf ihre revolutionäre Tradition besinnen und die Völker und nicht die Diktatoren wegen einer ominösen Stabilitätsdoktrin unterstützen. Der Westen sollte akzeptieren, dass diese demokratiefeindliche Stabilitätsdoktrin ein für alle Mal perdu ist.
Zuerst erschienen, in: International. Zeitschrift für Internationale Politik, Wien.
Gingen die westlichen „Kreuzzügler“ und neokonservativen Imperialisten noch davon aus, die „arabischen Massen“ vor ihren brutalen Herrschern zu retten und ihnen die Segnungen der Demokratie zu bringen, haben die Menschen in der arabischen Welt dem Westen eine Lektion erteilt. Sie haben gezeigt, dass sie mit ihren autokratischen Herrschern schon selber fertig werden und nicht auf die Hilfe und Belehrungen der westlichen Eliten angewiesen sind. Deren Interessen haben nichts, aber auch gar nichts mit denen der Menschen in dieser Region zu tun. Eine so genannte humanitäre Intervention des Westens sollten sie sich verbitten, weil eine solche ihnen die Früchte ihres Aufstandes gegen ihre Despoten berauben würde. Die stattfindende Demokratisierung der arabischen Welt stellt ein großes Problem nicht nur die USA, sondern auch für die „einzige Demokratie des nahen Ostens“, Israel, dar.
Die Volksaufstände in der arabischen Welt haben auch eine anti-al-Kaida Stoßrichtung. Sie sind friedliche von der Jugend getragene und durch die neuen Medien gesteuerte Proteste, mit denen die militärisch-bürokratischen Regime in dieser Region völlig überfordert sind. Die Revolutionen in der arabischen Welt bedürfen aber noch einer ideengeschichtlichen Legitimation. Sie können als Aufstände der verarmten und arbeitslosen Massen gegen die schamlos reichen und korrupten Eliten interpretiert werden, die im Interesse des Westens ein Wirtschaftsmodell umgesetzt haben, das die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht hat. Die Revolutionäre sollten sie sich deshalb nicht um Rat an Washington und die anderen westlichen Metropolen wenden, da ihre Malaise justament durch die westlichen Eliten zusammen mit einer kleptokratischen einheimischen Klasse verursacht worden ist.
Als vor 20 Jahren in den Staaten Mittel- und Osteuropas die Menschen auf die Straße gingen und die kommunistischen Regime auf den Müllhaufen der Geschichte expedierten, waren die US-amerikanischen und westeuropäischen Eliten und deren Medienvertreter schier aus dem Häuschen. Das US-Imperium war als Sieger aus dem Kampf der Systeme hervorgegangen und konnte nun ungehindert seinem globalen Expansionsdrang über den noch nicht zu seinen Bedingungen demokratisierten Teil des Globus antreten.
Heute vollzieht sich etwas Vergleichbares in der arabischen Welt, und die westlichen Eliten lavieren zwischen der aufständischen Bevölkerung und deren Unterdrückern, um ihre „Interessen“, „Werte“ und „Stabilität“ zu wahren. Die Obamas, Merkels, Sarkozys, Camerons und die ganze Schar der westlichen Demokraten zeigen den Menschen ihre kalte, machtpolitische Schulter und verlangen von den regierenden Despoten und Diktatoren einen geordneten Wandel und von den Menschen Zurückhaltung. Selbst zu dem brutalen Vorgehen des libyschen Obristen gegen seine eigene Bevölkerung fällt den westlichen Regierungschefs außer diplomatischen Floskeln und Politkosmetik wie dem Ausschluss Libyens aus dem UN-Menschenrechtsrat und der Sperrung der Konten des Gaddafi-Klans wenig ein. Der Westen sollte sich hüten, auch nur über eine Intervention nachzudenken. Wohin das führt, kann in Irak und Afghanistan studiert werden. Was der Westen will, sind einige kosmetische Veränderungen in seinem Sinne, ohne dass sich dadurch die globale Situation radikal verändert. Umgehend werden Hilfsprogramme aus dem Ärmel gezaubert, um den Menschen in typisch kolonialer Manier den bürokratischen Weg zur Demokratie zu weisen. Der Westen tut gerade so, als ob diese „Wilden“ nicht wüssten, wie man Wahlen abhält oder ein Staatswesen aufbaut. Vor lauter Stabilitätsfixierung auf die Tyrannen hat man übersehen, dass es in diesen Ländern eine lebendige Zivilgesellschaft gibt, die bis dato nur keine Stimme hatte.
Der Unterschied zwischen den politischen Klassen des ehemaligen „Ostblocks“ und ihren Counterparts in der arabischen Welt liegt darin, dass letztere die Verbündeten und Freunde des Westens sind. Sie sind diejenigen, die Frantz Fanon den Titel für seinen antikolonialen Klassiker „Black Skin, White Masks“ geliefert haben. Die westlichen Eliten haben sich über weit mehr als ein halbes Jahrhundert keinen Deut um Demokratie, Freiheit, Frauenrechte, good governance und andere „westliche Werte“ gekümmert, Hauptsache die arabischen Despotien waren politisch stabil und ihre Herrscher waren dem Westen wohl gesonnen, dann konnten sie mit ihren Untertanen machen, was sie wollten. Der Westen schaut bis heute bei seinen „guten“, sprich westlich-orientierten Diktatur-Freunden nicht so genau hin, wie in Irak, Afghanistan, Saudi-Arabien, Jemen, Bahrain oder den Staaten Zentralasiens zu beobachten ist. Die Kommentare zum „Machtwechsel“ in Tunesien und Ägypten sind durchtränkt von kolonial-paternalistischem Denken, indem die westlichen Machthaber ihren Stellvertretern in der arabischen Welt sagen, wie sie sich verhalten sollen und was angeblich in deren Interesse liegt.
Die westlichen Zauberformeln für diese doppelten Standards sind „politische Stabilität“, „US-amerikanische = westliche Interessen“, „westliche Werte“ und seit den 9/11-Anschlägen der so genannte „Krieg gegen den Terror“ und „globale Stabilität“. Mit dieser machtpolitischen Begrifflichkeit herrschen westliche Politeliten über Mittelsmänner in der arabischen Welt und darüber hinaus. Haben sich die westlichen Machtpolitiker eigentlich einmal gefragt, welches die Interessen der Menschen in der arabischen Welt sind? Die Ausbeutung ihrer Bodenschätze gehört wohl nicht zu deren Primärinteressen. Warum sollen die Menschen an dieser Art von „politischer Stabilität“ ein Interesse haben, die nur zu ihrem Nachteil ausfällt? Die westlichen Vorstellungen von „politischer Stabilität“ müssen den geknechteten Menschen „obszön“ vorkommen, weil sie ihnen ihre Würde nehmen und sie in Armut und Elend halten, bei gleichzeitiger Unterstützung der Herrschaft einer Kleptokratie. Wer diese „politische Stabilität“ in Frage stellt, unterminiert die „westlichen Werte“ und eine ominöse Stabilitäts- und Herrschaftsdoktrin.
Die Revolutionen in der arabischen Welt haben zwei große Verlierer: Israel und die USA. Beide Regierungen haben bis zuletzt nicht nur an Hosni Mubarak festgehalten, sondern auch seinen Chef-Folterer Omar Suleiman als dessen Nachfolger massiv unterstützt. Das ägyptische Volk hat dagegen revoltiert, bis das Militär Suleiman abgesetzt hat; kurz darauf entging er nur knapp einen Attentat. Die USA und Israel haben in den letzten Jahrzehnten alles getan, damit das palästinensische Volk weiter unterdrückt und kolonisiert werden konnte, und dies mit tatkräftiger Unterstützung Mubaraks und des jordanischen Königs Abdullah. Nach dem Sturz des Shah-Regimes füllte der Pharao vom Nil als westlicher Satrap das machtpolitische Vakuum im Sinne Israels und der USA. Hinzu kam, dass dazu die illegitime Abbas-Regierung ihre Hand zur fortgesetzten Kolonisierung des eigenen Volkes bis zur Selbstverleugnung gereicht hat, wie dies die Veröffentlichung der so genannten „Palestine papers“ zeigt.
Die vorbehaltlose Unterstützung der israelischen Kolonisierungspolitik durch die USA und die angebliche Interessenidentität zwischen beiden Staaten hat wesentlich zum Desaster der US-amerikanischen Nahostpolitik beigetragen. Als letztes Beispiel für diesen verhängnisvollen Kurs kann das US-Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine harmlose Resolution, in der die israelische Siedlungspolitik verurteilt worden ist, angesehen werden. Die USA haben quasi gegen ihre eigenen politischen Vorstellungen gestimmt, weil US-Präsident Barack Obama vorher mit martialischen Tönen einen Baustopp von Israel verlangt hatte, Netanyahu und die „Israellobby“ (Mearsheimer/Walt) ihn aber kalt haben auflaufen lassen. Selbst die Bestechung der israelischen Regierung für eine weitere dreimonatige Verlängerung eines Baustopps durch Obama, versilbert durch zusätzliche drei Milliarden US-Dollar und dem Versprechen, alle zukünftige Resolutionen mit eine Veto zu belegen, wies die Netanyahu-Regierung zurück. Dass die US-Nahostpolitik von der „Israellobby“ maßgeblich beeinflusst wird, ist ein offenes Geheimnis. Die Prozessionen der US-amerikanischen Politelite zum jährlich stattfindenden AIPAC-Kongress in Washington, die oft vom Präsidenten oder dem Vizepräsidenten angeführt werden, machen deutlich, wo sich das Machtzentrum in Bezug auf die Ausrichtung der US-Nahostpolitik befindet. Die Desaster der US-Nahostpolitik beruhen darauf, wenn sich eine Supermacht sich seine Politikvorstellungen von einer Interessengruppe oktroyieren lässt.
Das Veto der USA im UN-Sicherheitsrat ist gegen elementare nationale Interessen Amerikas gerichtet. In einer Zeit, in der die arabische Welt in Aufruhr ist und die Menschen für ihre Freiheit kämpfen, stellen sich die USA auf die Seite des israelischen Unterdrückers und des Kolonialismus und senden damit ein falsches Signal an die arabischen Autokraten und Despoten. In dieser Haltung liegen die wahren Gründe dafür, dass große Teile der arabisch-muslimischen Welt die USA „hassen“, weil sie nicht nur mit zweierlei Maß messen, sondern weil sie sich auch auf die Seite der Unterdrücker von Freiheit und Selbstbestimmung stellen, mag dies nun der Kolonialismus Israels oder die Repression der arabischen Despoten sein.
Darüber hinaus wird die US-Außenpolitik zu einem großen Teil auch von diversen christlich fundamentalistischen Gruppierungen beeinflusst, die eine blinde Solidarität mit Israel einfordern. Sie sehen den Staat als den Beginn der Verheißung für das Kommen des Messias und die israelische Kolonisierungspolitik „biblischen Landes“ als einen Akt der Beschleunigung für dessen Erscheinen. In deren Phantasien wird es zu einem Armageddon kommen, bevor der Messias herrschen kann. Diese Gruppe, die solch religiös-irrationale Vorstellungen in Politik umzusetzen verlangen, bewegt sich zwischen 50 und 70 Millionen US-Bürger. Eine solche US-amerikanische Nahostpolitik, die sich von diesen religiösen Wahnideen beeinflussen lässt, ist nicht nur absurd, sondern auch gefährlich, weil irrational.
Die machtpolitischen Veränderungen in der arabischen Welt liegen weder im Interesse Israels noch der USA. Beide hatten sich so an den Umgang mit arabischen Autokraten gewöhnt, dass sie sich wenig um Demokratie gekümmert haben. Die israelischen Medien reagierten hysterisch auf den Sturz Mubaraks, ihr Lieblingstyrann und Partner in der Unterdrückung der Palästinenser war plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Einige Medienvertreter griffen US-Präsident Obama an, weil er nicht Mubarak unterstützt hat, und sie sehnten sich nach den guten alten Tagen eines George W. Bush zurück. Aber Israels Interessen sind vielleicht mit US-amerikanischen identisch, aber nicht mit denen des Westens generell, ja seine fast 44-jährige Okkupationspolitik ist eine schwere Hypothek für die Glaubwürdigkeit der USA, aber auch für die des Westens. Das Land verfolgt eine eigene hegemoniale Agenda im Nahen und Mittleren Osten.
Wie kann es sein, dass Israels „Sicherheit“ durch demokratische Revolutionen in der arabischen Welt bedroht wäre? Die politisch-mediale Klasse Israels hat vor demokratischen Wahlen gewarnt, weil diese nicht automatisch zu demokratischen Verhältnissen führten. Der ehemaligen Verteidigungsminister Moshe Arens hat in der Tageszeitung „Haaretz“ die These vertreten, dass man Frieden leichter mit Diktatoren schließe. "Frieden schließt man mit Diktatoren." Da es in Israels Nachbarschaft keine Demokratien gab, war man nolens volens gezwungen, mit Diktaturen Friedensverträge zu schließen. Der israelische Präsident Shimon Peres stieß ins gleiche Horn. Auf einem Banque in Jerusalem sagte Peres, dass ein antidemokratisches Regime, das für Frieden ist, besser sei, als eine Demokratie, die gegen den Frieden ist. Er lobte in seiner Rede Mubarak und warnte vor der Gefahr von Wahlen, da sie zu einem Wahlsieg der Muslim Bruderschaft führen könnten. Jetzt wird auch nachvollziehbar, warum man nach dem demokratischen Wahlsieg der Hamas 2006 von Seiten der USA, Israels und der EU alles in die Wege geleitet hat, um die einzige demokratische Arabische Regierung aus dem Amt zu drängen. Hätte die frei gewählte Hamas-Regierung überlebt, wäre Israels Status als der „einzigen Demokratie des Nahen Ostens“ perdu gewesen. Wie die Veröffentlichung der „Palestine papers“ gezeigt hat, scheint es in der Tat leichter zu sein, mit einem demokratisch nichtlegitimierten arabischen Präsidenten wie Abbas und seinen Kumpanen als mit demokratisch gewählten Hamas-Vertretern Frieden zu schließen.
Israelische Politiker und israelische „Arabisten“ entwerfen in den Medien ein Horrorszenario, in dem die Muslim Bruderschaft und so genannte Islamisten die Hauptrolle spielt. Demokratische Wahlen könnten sie an die Macht bringen, dann würde es so kommen wie in Iran und Gaza. Demokratie im Nahen Osten liege nicht im israelischen Interesse und stelle eine Gefahr für das Land dar, so der dominante Tenor in der Medienlandschaft. Diese schrägen Einstellungen sind weit verbreitet unter der politisch-medialen Klasse Israels, erfahren aber keine Zurückweisung durch die westliche Staatengemeinschaft.
Wo liegt das Hauptproblem des Westens mit den Revolutionen in der arabischen Welt? Es ist die eingebildete Gefahr einer Herrschaft und Machtübernahme durch „Islamisten“. Die ägyptische Revolution ist primär ein Verlangen der Jugend und der Mehrheit der unterprivilegierten Ägypter nach Freiheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Das Mubarak-Regime lag wie Mehltau über dem Land. Die Revolution wurde nicht von „Islamisten“ oder Vertretern der Muslim Bruderschaft gesteuert oder gar entfacht. Auch in Tunesien, Libyen, Jemen und andernorts haben sie wenig bis nichts zum Aufstand beigetragen. Sie sind in diesem Machtkampf nur ein Akteur unter vielen. Die Verbreitung von Furcht vor „Islamisten“ oder der Dämonisierung der Muslim Bruderschaft durch politische Propaganda dient der Erhaltung des geopolitischen Einflusses des Westens und Israels in der Region, der sich bisher zum Schaden der Menschen ausgewirkt hat. Mubarak und der Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas haben nichts gegen das israelische Massaker an der Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens, bei dem 1 400 Menschen - überwiegend Frauen und Kinder - umgekommen sind, einzuwenden gehabt, obwohl sie darüber vorab informiert gewesen sind. Mubarak hatte sogar die ägyptische Grenze zum Gaza-Streifen geschlossen, damit keiner der Bewohner des Strips aus dem Gefängnis fliehen konnte.
Das größte Problem des von den USA dominierten Westens ist dessen Politik des doppelten Standards. Die USA kritisieren Menschrechtsverletzungen in China, Russland, Weißrussland, Nord-Korea oder Iran, aber sie schweigen zu den wesentlich schwerwiegenderen bei den „guten“ westlich-orientierten Diktatoren und Despoten in der arabischen Welt oder Zentralasiens. Ja, man benutzt diese sogar als Folterer im Namen westlicher Werte, wie die Verschleppungen angeblicher Terroristen in arabische Kerker durch die US-amerikanische CIA belegen, in denen sie im Namen der Demokratie für die US-amerikanischen Auftraggeber „weichgefoltert“ worden sind. Diese doppelten Standards des Westens schlagen besonders schwer zu Buche, wenn man sich das politische Verhalten der israelischen Regierungen im besetzen Palästina anschaut.
Als Bush 2001 auf dubiosen Wegen ins Amt gehievt worden ist, setzte er umgehend alle Machtmittel ein, um das von seinen neokonservativen Förderern proklamierte „New American Century“ Wirklichkeit werden zu lassen. Der Sturz Saddam Hussein hatte höchste Priorität auf der neokonservativen Agenda. Durch die Anschläge des 11. September 2001 musste jedoch erst der Umweg über Afghanistan genommen werden, bevor der Irak im März 2003 überfallen werden konnte. Die Gründe für den Überfall waren alle konstruiert; es gab kein überzeugendes Argument für diesen völkerrechtswidrigen Krieg. Beide Kriege haben dem Image der USA enorm geschadet. Sowohl Irak als auch Afghanistan haben dem US-Imperium aber auch seine Grenzen aufgezeigt. In den Bergen des Hindukusch und im arabischen Treibsand wird sich das Schicksal des US-Imperiums entscheiden.
Die Geburtswehen eines „Neuen Nahen Osten“ wurden nicht durch die Überfälle der Bush-Regierung ausgelöst, sondern durch die demokratischen Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain oder anderenorts. Die Förderung von Demokratie und nicht Gewalt und Paktieren mit Antidemokraten, wie von den USA über Jahrzehnte praktiziert, scheinen die wahren Geburtswehen eines „Neuen Nahen Ostens“ zu sein. Wie kommen die USA zu einer von Israel eigenständigen Nahostpolitik? Ein Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich die US-Außenpolitik befindet, ist ihre Dissoziation von Israels völkerrechtswidriger Kolonisierungspolitik, die zur Zerstörung der Existenzgrundlagen des palästinensischen Volkes geführt hat. Die USA müssen endlich die demokratisch-gewählte Regierung der Palästinenser anerkennen und nicht länger mit einen illegitimen Präsidenten und Ministerpräsidenten zusammen mit Israel gegen die Interessen des palästinensischen Volkes arbeiten. Die USA sollten sich endlich auf ihre revolutionäre Tradition besinnen und die Völker und nicht die Diktatoren wegen einer ominösen Stabilitätsdoktrin unterstützen. Der Westen sollte akzeptieren, dass diese demokratiefeindliche Stabilitätsdoktrin ein für alle Mal perdu ist.
Zuerst erschienen, in: International. Zeitschrift für Internationale Politik, Wien.