Die
Geschichte des Konflikts um Palästina stellt ein Lehrbeispiel dafür dar, wie
auswärtige Mächte über ein Jahrhundert lang eine Region zugrunde gerichtet
haben. Der Nahe und der Mittlere Osten sind seit hundert Jahren Spielball der
Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien und seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs der beiden Großmächte USA und Sowjetunion, respektive heute Russland.
Durch das Sykes-Picot-Abkommen
von 1916 wurden die Araber getäuscht und politisch über den Tisch gezogen. Durch
die Balfour-Erklärung vom 2. November 1917 wurde die Gründung eines jüdischen
Staates ermöglicht, der durch seine kolonialistische und aggressive Politik bis
heute eine Gefahr für die Region darstellt. Beide Abkommen hatten desaströse
Folgen für die Menschen.
"Hundert
Jahre leere Versprechen", das von Fritz Edlinger, Generalsekretär der
österreichisch-arabischen Gesellschaft, herausgegeben worden ist, beleuchtet in
zahlreichen Beiträgen diese verhängnisvolle Geschichte. Dem Herausgeber ist es
gelungen namhafte AutorenInnen zu gewinnen. Dazu zählen Richard Falk, Rashid Khalidi,
Miko Peled, Vijay Prashad, Salah Abdel Shafi, Nasser al-Kidwa, Omar Barghouti,
Roger Hancock, Petra Wild, um nur einige zu nennen.
Obgleich es
um die Sache der Palästinenser noch nie so schlecht bestellt war wie im
Augenblick, gebe es Hoffnung, weil das palästinensische Volk seine Identität
nicht verloren und seine Ziele nie aus den Augen verloren habe. David
Ben-Gurion hatte Unrecht als er meinte, die Alten würden sterben und die Jungen
würden vergessen. Der palästinensische Wille nach Freiheit und Selbstbestimmung
war niemals größer als heute, auch wenn Israel alles unternimmt, um den
Freiheits- und Widerstandswillen der Palästinenser zu brechen.
In seinem
Vorwort weist Edlinger auf Konstanten der zionistischen Politik hin, die seit der
Entstehung des Zionismus bis heute Gültigkeit besitzen. So dachten die
zionistischen Politiker nie daran, "eine faire und auf gleicher Augenhöhe
abgeschlossene Vereinbarung mit den PalästinenserInnen abzuschließen".
Hinzu kam der permanente Wort- und Rechtsbruch, insbesondere was das
Völkerrecht betrifft. Diesem rechtswidrigen Verhalten der israelischen
politischen Klasse hat eine orientierungslose palästinensische Führung nichts
entgegenzusetzen.
In zwei
Beitragen zeichnet Petra Wild die Entstehung des Zionismus 1897 bis zur
Balfour-Erklärung 1917 sowie die Geschichte der Besatzung der Westbank und des
Gaza-Streifens im Jahr 1967 bis stillen Annexion durch die israelischen
Besatzer nach. Beim zionistischen Projekt handele es sich um
"Siedlerkolonialismus" im klassischen Sinne. Die logische Konsequenz
war die ethnische Säuberung Palästinas 1948, schreibt Wild. Auch die Besatzung
Rest-Palästinas 1967 folgt einem siedlerkolonialistischen Muster: Durch
Landraub und Siedlungsbau solle die einheimische Bevölkerung verdrängt werden.
Dies könne nur beendet werden, wenn dem Expansionismus eine Grenze gesetzt bzw.
er zurückgerollt werde. Oder wie Roger Hancock in seinem Beitrag über die
Intifada feststellt, werde der nächste Widerstand "im Zeichen von
Selbstbestimmung, Freiheit, Einheit und Demokratie stehen".
Der einzige
Weg zum Frieden, sei die "Beendigung der Apartheid", schreib Richard
Falk. Was aber nach Rashid Khalidi parallel dazu stattfinden muss, sei die
Beendigung des "israelisch-amerikanischen Würgegriffs auf Palästina".
Die hysterischen Reaktionen der israelischen Führung auf die BDS-Bewegung und
die damit korrespondierende US-amerikanische "legale"
Kriminalisierung dieser Bewegung zeige, dass der Weg zur vollen
"Gleichheit, Selbstbestimmung, Bürgerrechten, Sicherheit und ökonomischem
Wohlstand" für beide Völker in Palästina noch weit ist, so Khalidi.
Ob sich die
Hoffnungen von Salah Abdel Shafi erfüllen, dass sich die Europäische Union (EU)
vom "Payer" zum "Player" mausert, muss mit sehr viel
Skepsis betrachtet werden, wenn man sich die extreme Bevorzugung Israels durch
die EU vor Augen führt. Wären der EU ihre eigenen Wertvorstellen auch nur einen
Pfifferling wert, so müsste sie das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel
aussetzen und das Land boykottieren, solange es die völkerrechtswidrige
Besatzung aufrechterhält, die Menschenrechte der Palästinenser mit Füßen tritt
und alle UNO-Resolutionen missachtet. Kann man aber etwas anderes als
Inkonsequenz von einem antidemokratischen Staatenkonglomerat erwarten?
Einen
gangbaren Weg aus der Krise hin zum Sieg hat Nasser al-Kidwa in seinem Beitrag
aufgezeigt. Trotz der politisch widrigen Umstände sei ein Sieg der
palästinensischen Seite immer noch möglich. Der Autor präsentiert zehn Ideen
für eine mögliche Beendigung der Krise, in der sich die palästinensische
Gesellschaft samt ihrer Führung befinden. Jede dieser Thesen klingt für sich genommen
überzeugend, lässt aber die sich dramatisch verschlechternde geopolitische Lage
der ganzen Region außer Acht, deren Neuordnung sich gerade die drei
"Schurkenstaaten", USA, Israel und Saudi-Arabien, vornehmen.
Gleichgültig, wie das Abenteuer ausgeht, es wird zum Schaden Palästinas
sein.
Mit diesem Buch
ist es dem Herausgeber gelungen, nicht nur alle relevanten Themenbereiche
fundiert diskutieren zu lassen, sondern dazu auch die kompetentesten Autoren
gefunden zu haben. Eine Zeittafel und einiges historisches Kartenmaterial
runden diesen gelungenen Sammelband ab. Eine mehr als lohnende Lektüre.
Fritz
Edlinger (Hg.), Palästina - Hundert Jahre leere Versprechen. Geschichte eines
Weltkonflikts, ProMedia, Wien 2017, 208 Seiten, € 19.90.