Am 19. Oktober hat Fuad Hamdan in der "Süddeutsche Zeitung" (SZ) einen Gastbeitrag unter dem Titel "Zwei Völker, ein Staat" veröffentlicht. Folgenden Leserbrief habe ich dazu geschrieben, der am 10. November 2011 in der "SZ"veröffentlicht worden ist.
Theodor Herzl für die Realisierung der Utopie einer Ein-Staaten-Lösung für den Nahostkonflikt in Anspruch zu nehmen, ist vermessen. Seit einigen Jahren - und zuletzt auf einer Konferenz in Stuttgart -wurde in einer so genannten Stuttgarter Erklärung für diese These geworben. Ihre Protagonisten offenbaren durch diese Forderungen ihre Unkenntnis über die Ursprünge und die Ziele des Zionismus. Aufgrund des latenten Antisemitismus in Europa des 19. Jahrhunderts ging es dem Zionismus immer nur um die Lösung der Judenfrage (Herzl), und zwar in einem eigenen Staat für das jüdische Volk. Für die Lösung der Palästinenserfrage fühlt sich der Zionismus nicht zuständig.
In Israel gibt es vielleicht ein Dutzend Israelis, die sich für einen bi-nationalen einsetzen. Ihr politischer Einfluss ist gleich Null. Vor der Staatsgründung war dies anders. In den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben sich Martin Buber, Gerschom Scholem u. v. a. m. für diese fortschrittlichste aller Lösungen eingesetzt. Matzpen in Israel, die Kommunistische Partei Israels, ja selbst der Kommunistische Bund in der Bundesrepublik Deutschland haben sich für einen multinationalen Staat in Palästina ausgesprochen. Konnten sich die jüdischen Vertreter einer Ein-Staaten-Lösung schon nicht gegen die Vorstellung der damaligen Vertreter des Zionismus auf der internationalen Bühne durchsetzen, umso weniger werden die heutigen Vertreter dieser Idee gehört werden.
Die elf Punkte, die der Autor aufzählt, hören sich gut an, das Problem ist nur, dass es keine relevante Macht auf der Welt gibt, die diese Utopie politisch unterstützt. Selbst die palästinensische Führung hat gerade ihr Bewerbungsschreiben für die Aufnahme eines Staates „Palästina“ in den Kreis der Völkerfamilie beantragt. In Israel gelten Befürworter einer Ein-Staaten-Lösung als „Staatsfeinde“. Warum fordert die politische Klasse Israels von ihren palästinensischen Gegnern die Anerkennung Israels als eines jüdischen Staates, wenn sie zu bi-nationalen Ufern aufbrechen wollte?
Eine Ein-Staaten-Lösung würde für die Palästinenser die Akzeptanz von Bürgern zweiter Klasse auf ewig bedeuten. Selbst der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, der von rechtsnationalistischen und rechtsextremen Kreisen als „linksextrem“ eingeschätzt wird, hält von diesem Konzept gar nichts. "Das ist leeres Geschwätz einiger weniger Professoren, die schlicht die Nase voll haben von Israel und es auflösen wollen." Auch für Noam Chomsky, Norman Finkelstein und Felicia Langer sprechen politische und völkerrechtliche Gründe gegen das Konzept einer Ein-Staaten-Lösung.
Der Autor und die anderen Exil-Palästinenser sollten sich für ein Ende der 45-jährigen Besatzungsherrschaft und die Umsetzung von Völkerrecht einsetzen, denn nur dadurch kann ein Staat „Palästina“ entstehen. Jegliches Gerede von einer Ein-Staaten-Lösung ist Utopie – ein Nicht-Ort.