Jetzt hat die Dame aus der Phalanx der Bush-Krieger auch ihre Memoiren vorgelegt. Die „Bushies“ werden nicht enttäuscht: Es gibt nicht die geringste Spur von Selbstkritik, auch Selbstzweifel über mögliche getroffene Fehlentscheidungen – Fehlanzeige. Der Einmarsch in den Irak – richtig. Für eine Professorin an der Stanford University ein Armutszeugnis. Was vermittelt sie eigentlich ihren Studenten/innen? Vielleicht „values“, über die sie am 25. Oktober 2011 an der Queens University in Charlotte, North Carolina, vor 2 000 Zuhörern/innen sprach.
Nicht um die Zerstörung US-amerikanischer „Werte“ während der achtjährigen Bush-Präsidentschaft ging es, sondern um den Wert der „Chancengleichheit“ für alle; er habe gelitten. In “the idea that you can come from humble circumstances and also do great things”, sah sie eine der Ursachen, die in Amerika falsch gelaufen seien. Dieser Tellerwäscher-Millionärs-Mythos war immer die seltene Ausnahme von der Regel. Condoleezza Rice hätte ihre jungen Zuhörer darüber aufklären sollen, wie die Bush-Administration mit den so genannten US-amerikanischen Werten umgesprungen ist.
Auch über das Irak- und Afghanistan-Desaster nichts Reflektiertes, das erwähnenswert wäre. Kein Wort über das „Fünf-Sterne-Wellness-Hotel“, inklusive „waterboarding“-Kur in Guantanamo Bay, Kuba, nichts über die obszönen Folterorgien in Abu Ghreib, Irak, nichts über die Kerker in Bagram, Afghanistan, nichts über die CIA-Geheimgefängnisse u. v. a. m. Das Einzige, was sie selbstkritisch über ihr Verhalten zu berichten weiß, war ihre Abwesenheit und Sprachlosigkeit während des Hurrikans Katrina, der weite Teile New Orleans verwüstet hat; in diesem Augenblick weile Rice auf Shopping- und Theatertour in New York City.
Das Buch bedient sich einer akademischen Marotte: Es vermittelt den Eindruck, als habe Rice ihren Stickwort- und Zettelkasten minutiös aufgearbeitet. So sind es auch die Anekdoten, die das Opus auflockern und konsumierbar machen. Es gibt kein Wort der Kritik an George W. Bush. Obgleich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder US-Vizepräsident Dick Cheney härter mit Rice ins Gericht gegangen sind, zahlt die Professorin es ihnen nicht mit gleicher Münze heim. Beide hätten nicht alles richtig gemacht. Das kritischste über Cheney klingt dann so: „Cheney mochte nicht den Wandel zu mehr Diplomatie in Bushs zweiter Amtszeit. Wenn der Präsident seinen Rat nicht annahm, war er enttäuscht“, so Rice. Irgendwie vermitteln die Ausführungen zwischen den Zeilen, dass Rice von den männlichen Bush-Kriegern nicht ganz ernst genommen worden ist.
Wie schon von Bush so bekommt Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auch von Rice sein Fett ab. Angeblich sei Bush von Schröders Antikriegsposition geschockt gewesen. Den Satz, der auf eine deutsche Beteiligung am Irakkrieg hindeuten sollte und auf den Rice anspielt, wird von Bush in seinen Memoiren zitiert: „Wenn Sie es schnell und entschieden erledigen, dann bin ich mit Ihnen.“ Der Ex-Kanzler hatte schon bei Erscheinen der Bush-Memoiren diesen dementiert.
Die ehemalige US-Außenministerin scheint es zu bedauern, dass zur Zeit des Irak-Überfalls nicht Angela Merkel und Nikolas Sarkozy an der Macht gewesen sind. „Ich kam nicht umhin zu denken: Wie anders wäre alles gelaufen, hätten wir das Problem Saddam Hussein mit Sarkozy angehen können, statt mit Chirac im Elysée oder mit Merkel anstelle von Schröder in Berlin“, so Rice.
Dass Rice Bushs Politik des Demokratie- und Freiheitexports durch die Aufstände in der arabischen Welt bestätigt sieht, verwundert doch sehr. Eine deutlichere Widerlegung des gewaltsamen „Regimewechsels“ à la Bush hätten die friedlichen Proteste nicht liefern können. Auch kein Wort zum ersten „Regimewechsel“ durch demokratische, freie, allgemeine, gleiche und geheime Wahlen in Palästina. Die Bush-Regierung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die mit absoluter Mehrheit gewählte Hamas-Regierung international boykottiert worden und folglich gescheitert ist.
Das Vermächtnis, dass auf Rice und den führenden Akteuren der Bush-Regierung lastet, ist enorm. Irak ist keine Demokratie, sondern immer noch eine Diktatur. Im Lande herrscht das Chaos. Jenseits der so genannten „grünen Zone“ herrscht das Recht des Dschungels. Trillionen von US-Dollars wurden im arabischen Treibsand versenkt. Von all dem Desaster liest man auch bei Rice nichts. Lange ist es her, dass ein alternder ehemaliger US-Verteidigungsminister seine Verantwortung für den Schlamassel des Vietnamkrieges öffentlich eingestanden hat, zwar spät, aber nicht zu spät. Von dieser Größe ist leider kein Strahl auf die Bush-Krieger gefallen. Von einer Professorin hätten die Leser/innen mehr Selbstkritik und Reflexion erwartet, aber in der vorliegenden Form können die Memoiren von Condoleezza Rice ihr nicht zu „Höheren Ehren“ gereichen.