Die Arabische Welt kommt nicht zur Ruhe. Und es zeigt sich immer wieder, dass selbst in diesen demokratischen Erhebungen gegen die seit Dekaden herrschenden Autokraten und Diktatoren immer wieder der Nahostkonflikt um das historische Palästina aufscheint. In der Arabellion geht es auch um den vergessenen Nahostkonflikt. Um die an diesem Konflikt beteiligten Akteure kreist das Buch des Journalisten und Nahostkorrespondenten der Frankfurter Allgemeine Zeitung, Markus Bickel, der seit 2005 aus Libanon berichtet.
„Die Arabische Revolution klopft an Israels Tür“, kommentierte die israelische Tageszeitung „Haaretz“ die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge über die syrisch-israelische Grenze in den von Israel 1981 annektierten Golan. Mag der syrische Präsident Asad diese „spontane“ Rückkehr mit Wohlwollen betrachtet haben, so zeigt diese jedoch, dass das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge neben der Gründung eines Palästinenserstaats das Herzstück des Nahostkonflikts bildet.
Im Kapitel „Arabiens Stunde null“ legt der Autor bereits den Finger in die Wunde westlicher Nahostpolitik. Eine an Stabilität statt Demokratie, Realpolitik statt rechtsstaatlicher Prinzipien ausgerichteten Politik sei der Stützpfeiler amerikanischer und europäischer Politik gewesen, bevor sie durch den „arabischen Frühling“ ihre Basis verloren haben. Auch Israel habe sich bequem eingerichtet mit den autoritären Regimen in seiner Nachbarschaft. Bis zuletzt hielt Israel an Mubarak fest. Auch das Asad-Regime war Garant für Stabilität; seit 40 Jahren war kein Schuss mehr zwischen beiden Staaten gefallen.
In den weiteren Kapiteln befasst sich Markus Bickel mit dem schiitischen Halbmond, der Rolle Syriens in Libanon und dessen Verwicklungen in das Attentat auf Rafik Hariri, den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten. Weitere Akteure wie der Hisbollah und die Hamas werden behandelt. Auch die deutsche Rolle bei den Vermittlungen zwischen Israel und dem Hisbollah beim Austausch von entführten Israelis gegen libanesische Gefangene in Israel oder bei der versuchten Aufklärung des Mordes an Hariri durch den deutschen Staatsanwalt Detlev Mehlis kommt zur Sprache.
Wie undurchdringlich das komplexe Gestrüpp aus internationalen, politischen, persönlichen, familiären, kulturellen und ökonomischen Beziehungen in dieser Region und hier insbesondere in Libanon ist, zeigt die „Aufklärung“ des Attentats auf Hariri. Deutete zu Beginn alles auf Syrien und den Hisbollah hin, so scheint eine Aufklärung heute weniger wahrscheinlich als im Jahr 2005, als die Vereinten Nationen erstmalig ein Sondertribunal zur Aufklärung einer „terroristischen Straftat“ an einer Person eingerichtet haben.
Die Beschreibung der Komplexität dieser Region wäre noch überzeugender gelungen, wäre auf die Rolle Israels etwas mehr Kritik verwandt worden. Israels massive Zerstörungen 2006 im Libanon oder 2008/09 im Gaza-Streifen werden nur en passant erwähnt. Die Leserschaft erhält tiefe Einblicke in Gesellschaften und deren politische Vorstellungen, denen man im Lichte einer islamkritischen Öffentlichkeit im Westen sehr skeptisch gegenübersteht. In dieser nuancenreichen Darstellung liegt der Wert dieses Buches.
Zuerst erschienen hier.