Das Buch des französischen Anwalts Ziyad Clot macht für alle Nichtexperten in eloquenter Weise deutlich, welche Farce im Nahen Osten vor den Augen der Weltöffentlichkeit dargeboten wird und die sich „Friedensprozess“ nennt. Der Autor ist Franzose; sein Vater Normanne, seine Mutter palästinensische Libanesin, deren Eltern aus Haifa 1948 vertrieben worden sind. Mit 30 Jahren entschloss sich Clot, die Heimat seiner Mutter zu besuchen und seine Rechtskenntnisse in den Dienst der palästinensischen Sache zu stellen. Schon die Abfertigung auf dem Flughafen Roissy gerät für ihn zum Alptraum, weil er einen arabischen Vornamen hat. Die stundenlangen Kontrollen und törichten Befragungen durch Israelis auf französischem Boden sind nicht nur für jeden Franzosen, sondern auch für die stolze Grand Nation unwürdig!
In Palästina angelangt, erlebt er hautnah die israelische völkerrechtswidrige Besatzung mit ihren alltäglichen Demütigungen und Verletzungen der Menschenrechte der Palästinenser. „Nach dem zu urteilen, was ich seit meiner Ankunft gesehen und erlebt habe, scheint die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Palästinenser eher durch das militärisch definierte Vorgehen der Israelis bestimmt zu sein. Israel ignoriert und verletzt seine internationalen Verpflichtungen und diktiert mit dieser extremen Politik zugleich die gesamten Bedingungen des palästinensischen Lebensalltags. Der neue Friedensprozess änderte daran wenig, eher im Gegenteil.“ Auch Clot musste an den Kontrollpunkten (check points) die Demütigungen und Schikanen ertragen, trotz französischen Passes. Seine Absicht in Palästina war, an der Bir-Zeit-Universität Rechtswissenschaft zu lehren. Er bekam aber eine Anstellung bei der „Einheit zur Unterstützung der Verhandlungen“ („Negotiations Support Unit“ oder NSU) der PLO. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel die Flüchtlingsfrage.
Nach einiger Zeit dämmerte es ihm, was für ein Spiel die so genannte Autonomiebehörde in diesem Prozess eigentlich zu spielen hatte. Seit 18 Jahren schleppt sich dieser „Friedensprozess“ nun schon dahin, und den Palästinensern entschwindet immer mehr Land unter ihren Füßen. Das Projekt eines eigenen Staates ist schon lange tot. Nach Meinung des Autors sah die Abbas-Verwaltung in dem Annapolis-Prozess eine letzte Gelegenheit, die sie nicht verpassen durfte. Die PLO wollte bis zum Ende des Jahres 2008 eine Friedensvereinbarung mit Israel erreichen, die von den Palästinensern in einem Referendum gebilligt werden und die baldige Schaffung eines lebensfähigen souveränen Palästinenserstaats auf dem Gebiet von Gaza und Westjordanland ermöglichen sollte. Damit wollte die Autonomiebehörde außerdem die Anerkennung ihrer Legitimität durch ihr eigenes Volk wiedergewinnen. Dabei setzte die PLO, nachdem sie die Herrschaft über den Gaza-Streifen anscheinend auf längere Dauer verloren hatte, alles auf diese eine Karte, schreibt Clot.
Obgleich die verschiedenen israelischen Ministerpräsidenten sich zwar rhetorisch für einen Palästinenserstaat ausgesprochen hatten, erklärte noch keiner, dass er die Gründung eines „unabhängigen und souveränen“ Palästinenserstaats „in den Grenzen von 1967, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt“ unterstützen wolle. Der Autor hat klar erkannt, „dass die Autonomiebehörde im Laufe der Jahre zu einer Behörde der Besatzung geworden war. Sie war mittlerweile darauf reduziert worden, die Drecksarbeit im Westjordanland an Stelle der Israelis zu erledigen, mit Unterstützung der USA und der EU“. Die Autonomiebehörde sei nicht ein einziges Mal in der Lage gewesen, die Schließung einer Kontrollstelle zu erreichen. Es sei eine Autonomiebehörde ohne Autonomie, eine „Authority“ ohne jede Autorität. Für Clot war es unbegreiflich, woher die Palästinenser bei der täglichen unvorstellbaren Gewalt seitens der israelischen Besatzungsmacht die physische und psychische Kraft nach 63 Jahren Unterdrückung und 44 Jahren brutalster Besatzungswillkür hernähmen.
Nach dem Wahlsieg der Hamas bei den ersten demokratischen, freien, gleichen, allgemeinen und geheimen Wahlen in der arabischen Welt verstieß der Westen gegen alle seine Prinzipien. Das palästinensische Volk hatte zur Überraschung aller die falsche Partei gewählt, und dies wurde vom Westen bestraft, indem die Hamas-Regierung boykottiert worden ist. Präsident Abbas wurde seitens Israels und der USA unter Druck gesetzt, die demokratische Regierung ab- und eine dem Westen genehme einzusetzen. Parallel dazu wurden seine Fatah-Kämpfer von den USA militärisch aufgerüstet und mit Hilfe Jordaniens trainiert, um die Hamas militärisch zu besiegen. Für diese Arbeit wurde der Fatah-Warlord Dahlan auserkoren, „der Mann fürs Grobe“. Den Plan dazu hatten nach Meinung des Autors die USA geschmiedet. Sie legten ihn Abbas vor, der einige Anmerkungen anbringen konnte, so dass er zu „seinem Plan“ wurde. Das Endziel des Aktionsplanes liege darin, „einen Sicherheitsapparat zu schaffen, der in der Lage sein würde, einen Palästinensischen Staat in seiner Existenz als friedlicher Nachbar Israels zu stärken und zu schützen“.
Fatah bereitete mit Hilfe der USA einen Staatstreich vor, schreibt Clot. Noch bevor die Fatah in Gaza weitere schwere Waffen erhält, schlägt Hamas zu und besiegt die Abbas-Organisation, deren Kämpfer müssen über Israel ins Westjordanland fliehen; der Fatah-Putsch war gescheitert. Um an den Verhandlungstisch mit Israel zurückzukehren, „hatte Abbas sich zur Kollaboration bei der Liquidierung der Hamas bereit erklärt. Jedem Gedanken einer Einheit seines Volkes zuwider handelnd, hatte er sich dem Plan von George W. Bush angeschlossen.“ Dahlan hielt sich während des Putschversuches seiner Fatah zu einer Knieoperation in Berlin auf!
Aufgrund seines Insiderwissens trug sich Clot Anfang 2008 mit dem Gedanken, um seine Entlassung bei der NSU zu bitten und „dieses Schiff zu verlassen, das dem sicheren Untergang geweiht war: die ´Palestitanic`“. Nur ein Besuch in der Heimatstadt seiner vertriebenen Großeltern, Haifa, bewog ihn zum Bleiben. Beim Besuch des Hauses, das kraft des israelischen Rechts vor 60 Jahren als „Besitz von Abwesenden“ enteignet worden war und jetzt von einer anderen palästinensischen Familie bewohnt wird, übermannten ihn seine Gefühle. „Ich hatte plötzlich eine Gänsehaut. Tränen liefen meine Wangen herunter. Palästina, „mein“ Palästina, das meiner Mutter, war nicht tot, es war nicht an dem Tag, an dem meine Familie geflohen war, gestorben. Es lebte hier immer noch. Israel hin oder her, das Leben war hier nicht stillgestanden.“
Wie der Autor darlegt, verkörpert Abbas in unwürdiger Form die politische Tragödie des palästinensischen Volkes. Am 60. Jahrestag der Nakba, der Vertreibung und Flucht der Palästinenser aus ihrer Heimat, besuchte er weder ein Flüchtlingslager, noch hielt er sich in Palästina auf. Selbst ein Zeitungsbeitrag für drei große internationale Tageszeitungen kam vor lauter Taktieren und Bedenken von Saeb Erekat nicht zustande. Obwohl es keinerlei Annäherung in den Sachfragen gab, musste der Schein aufrechterhalten werden, beide Seiten näherten sich an. „Die PLO, die israelische Regierung, die US-Amerikaner und die EU mussten diese Illusion am Leben erhalten. Auch die EU gab sich durch die Heraufstufung ihrer Beziehungen zu Israel Mitte 2008 der Illusion hin, dadurch größeren Einfluss auf den „Friedensprozess“ ausüben zu können. „Wenn sie sich die Beziehungen zwischen den USA und Israel zum Vorbild nehmen wollten, dann hatte man sich auf einiges gefasst zu machen.“
Wie bereits aus den „Palestine papers“ bekannt, zeigte Israel keinerlei Kompromissbereitschaft. Die ehemalige Außenministerin Tzipi Livni, eine angebliche „Taube“, verhielt sich ebenso politisch unnachgiebig wie alle ihre Vorgänger im Amt, was Kompromisse in Bezug auf die Eigenstaatlichkeit Palästinas in den Grenzen von 1949/1967 betraf. Jede Rückgabe eines annektierten Gebietes müsse durch ein Referendum abgesegnet werden, wie es in einem Gesetz heißt.
Die Beschreibung der so genannten Friedensverhandlungen durch den Autor lässt für ihn nur den Schluss zu: der „Friedensprozess“ war nicht nur 2008/2009 ins Stocken geraten, sondern „er war beendet“. Die Gespräche mit der Olmert-Regierung zeigen, dass die Israelis die palästinensische Seite permanent ins Leere laufen ließen. Alle Gespräche endeten im Nirgendwo. Das „großzügige Angebot“ Olmerts galt nicht den Palästinensern, „sondern den Medien und der israelischen und internationalen Öffentlichkeit“. Die von Olmert vorgebrachten Positionen seien in Wahrheit ohne jede Beziehung zu dem, was am Verhandlungstisch besprochen worden sei, schreibt der Autor. Über das Lavieren der Abbas-PLO stellt Clot fest: „Mehr noch als die Konfrontation mit den Israelis fürchten sie, ihrem eigenen Volk von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. In den palästinensischen Vierteln Jerusalems richtet sich die Kritik in der Tat genauso gegen die Tatenlosigkeit der Autonomiebehörde wie gegen die israelischen Exzesse.“ Die PLO repräsentiere nicht mehr die Ansicht der Mehrheit des palästinensischen Volkes in der Flüchtlingsfrage.
Am Ende seines „Ausfluges“ in die Heimat seiner Mutter wirft Clot desillusioniert das Handtuch und gibt die demütigenden Verhandlungsprotokolle in Form der „Palestine papers“ an die Öffentlichkeit, damit sie von der Farce, die auf der Nahostbühne abgespult wird, Kenntnis nehme. Die Weltöffentlichkeit ist darüber hinweggegangen, keiner der verantwortlichen Politiker der Autonomiebehörde hat politische Verantwortung übernommen. Saeb Erekat hat die Kompromissfähigkeit der Abbas-Behörde laut „Palestine papers“ am treffendsten formuliert: „The only thing I cannot do is convert to Zionism.“ Ähnlich wie bereits in Taba ist man bereit, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge von 1948, Ost Jerusalem als Hauptstadt, die völkerrechtswidrige Besiedelung ihres Heimatlandes, die Grenzen von 1949/1967 das Sicherheitsproblem u. v. a. m. weitgehend zu opfern, um endlich zu einem Staat zu kommen, wie immer dieser auch aussehen mag.
Nach Clot wird es niemals einen Palästinenserstaat geben. Auf lange Sicht wird es zu einer „Ein-Staaten-Lösung“ kommen, aber nicht im Sinne der Befürworter einer solchen, sondern nur in Form von Israel. Die Lektüre ist für Realisten eine Bestätigung, dass es mit der Sache Palästinas katastrophal bestellt ist. Entschädigt wird man durch eine exzellente Übersetzung aus dem Französischen und die Tatsache, dass es neben unzähligen Utopisten noch einige Klarsichtige wie den Autor gibt, der dies in einer verständlichen Sprache dargestellt hat.