Die Antwort darauf kann für die von den USA geschaffene nach 9/11-Welt nur lauten: katastrophal. Nach Ansicht des Autors darf diese Welt nicht untergehen. Das US-amerikanische Imperium hat diese Anschläge nicht nur dazu genutzt, die Welt in einen permanenten Krieg ohne Ende zu führen, sondern durch sein aggressives und kriegswilliges Verhalten deutlich gemacht, wie dringend eine Gegenmacht im internationalen System gebraucht wird, um dem Expansionsdrang der US-„Hypermacht“ Einhalt zu gebieten. Dass Robert Kagan, einer der „godfathers“ der Aggressionskriege der USA, gerade zu diesem Zeitpunkt wieder eine ideologische Rechtfertigungsschrift für die Vorherrschaft und Aufrechterhaltung der vom US-Imperium geschaffenen Welt vorlegt, verwundert nicht. Militärische Überlegenheit und imperiales Verhalten bedürfen einer ideologischen Legitimation.
Robert Kagan gehört zusammen mit William Kristol zu den Gründern des berühmt-berüchtigten neokonservativen Think Tanks „Project for The New American Century“, der maßgeblich für die intellektuelle Wegbereitung des Überfalls der USA auf Irak verantwortlich zeichnete. Die Mitglieder dieses unsäglichen Politik-Projekts hatten bereits US-Präsident Bill Clinton aufgefordert, Saddam Hussein zu stürzen. Mit diesen Forderungen wandten sie sich auch an Bush. Zahlreiche Mitglieder dieses so genannten Think Tanks bekleideten höchste Ämter in der Administration von George W. Bush.
Kagans Buch „Macht und Ohnmacht. Amerika gegen Europa in der neuen Weltordnung“ hat die intellektuelle Variante für US-Kriegsministers Donald Rumsfelds Slogan vom „neuen“ und „alten“ Europa geliefert. Für das erstere standen damals die „willigen Vollstrecker“ der US-Aggression, Tony Blair und José Maria Aznar, für letzteres Jacques Chirac und Gerhard Schröder. Durch diese „Mars“- und Venus“-Symbolik insinuiert Kagan, als würden sich die USA und die Europäer in Fragen der Ethik und der Macht in anderen Galaxien bewegen. Angeblich befanden sich diese „alten“ Europäer in einem historischen Paradies von Frieden und relativem Wohlstand, das der Verwirklichung von Kants, Ewigem Frieden'“ gleichkomme, wohingegen die USA sich in einer anarchischen Hobbesschen Welt tummelten, in der auf internationale Verträge und Gesetze kein Verlasse mehr sei. Folglich hingen diese Werte vom Einsatz US-amerikanischer militärischer Macht ab.
Haben aber nicht gerade die USA durch ihre politische Willkür und den Einsatz militärischer Gewalt das Völkerrecht bewusst ausgehebelt und es rhetorisch mit Verachtung gestraft? Die USA haben mit ihrer allein auf militärische Macht setzenden Politik die Welt in einen Zustand vor 1648 zurückgeworfen, quasi in einen gesetzlosen Naturzustand, in dem der Stärkste die Regeln bestimmt. Diesem Verständnis sind die Europäer nicht entschieden genug entgegengetreten, bzw. einige neokonservative Regierungschefs haben diese politische Verhaltensweise durch ihre servile Haltung gegenüber Bush noch gefördert, insbesondere Tony Blair und José Maria Aznar. Für dieses Verhalten wurden beide von ihren Bürgern abgewählt.
Robert Kagan ist kein Politiker. Er ist intellektueller Stichwortgeber für eine Politik, in der Kriege wieder zum Alltag gehören. Er arbeitet als “senior fellow” für Außenpolitik im Brookings Institut und als Leitartikler für die politisch weit rechtsstehende Tageszeitung “The Washington Post“. In seinem jüngsten Buch scheint er, wie alle seine neokonservativen Kollegen, welche die USA in zwei verhängnisvolle Kriege geschrieben haben, nichts gelernt zu haben.
Für die Neokonservativen scheint „Regime Change“ in Syrien und danach Teheran das Ziel zu sein, gemäß dem Slogan: „Anyone can go to Baghdad. Real men go to Tehran.“ Einen solch zynischen Satz konnte nur ein Regierungsbeamter (nicht Kagan) sagen, den der sinnlose Tod von tausenden Gis nicht interessiert. Der Klappentext verklärt den Autor: “The country’s most influential strategic thinkers, paints a vivid, alarming picture of what the world might look like if the United States were truly to let its influence wane”. Was wäre so schlimm, wenn dieser verhängnisvolle Einfluss nachlassen würde? Aber Kagans Buch will die USA bereits als die antagonistische Macht gegenüber Russland und China positionieren, weil sie die einzigen Mächte sind, welche die globale US-Expansion noch stoppen können.
Es spricht Bände, dass Kagan zu den so genannten „special advisers“ des republikanischen Herausforderers von Barack Obama, Mitt Romney, gehört. Auf seiner bisherigen Wahlkampftour hatte sich dieser durch stupende und politisch unverantwortliche Äußerungen hervorgetan. Auch sein Beraterstab verspricht einen Bush déjà-vu für die Welt. Es kommt aber noch schlimmer, Romney hat angekündigt, er werde vor jeder Entscheidung, die Israel betrifft, die israelische Regierung nach ihrer Meinung fragen und danach in deren Sinn entsprechend entscheiden!
Wie glorreich ist die schöne neue Welt, die die USA durch ihre „Einzigartigkeit“ nach dem Zweiten Weltkrieg der Menschheit „geschenkt“ haben? Hier kann die rücksichtslose imperiale „Manifest Destiny“-Geschichte der USA bis zu Beginn des 20 Jahrhunderts unter den Tisch fallen. Die Wohltaten des US-Imperiums allein nach 1945 sind alle in "Blut getränkt". 3 Millionen Tote im Koreakrieg, 1, 7 Millionen Tote im Vietnamkrieg, 2 Millionen Tote im kambodschanischen Völkermord, über 1 Million Tote während des irakisch-iranischen Krieges, den die USA mit Giftgas- und Waffenlieferungen an Saddam Hussein wohlwollend begleitet haben, fast 2 Millionen Tote im Irak und Afghanistan. Über diese Zahlen geht der Autor Non Challenge hinweg.
Wie Kagan seine Leserschaft in die Irre führt, zeigt seine völlig ahistorische Behauptung, dass „the main causes of war throughout history has been a rough parity of power that leaves nations in doubt about who is stronger”. Genau das Gegenteil trifft zu: Gerade das Machtgleichgewicht zwischen den USA und der Sowjetunion hat eine Expansion und Aggression der USA verhindert. Erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 konnten die USA ihre Expansion- und Kriegspolitik gegenüber anderen Ländern ungehindert umsetzen, weil es das Gleichgewicht des Schreckens nicht mehr gab. Auch Kagans zweite Behauptung, dass es darauf ankomme, wer im Großmachtpoker die Oberhand behalte, um den Frieden zu erhalten, geht an der Realität vorbei, wie das Beispiel der USA zeigt. Die US-amerikanische Geschichte der Eroberungen zeigt, dass dieses Land das bei weitem aggressivste im internationalen System ist. Davon zeugt auch seine Stützpunktpolitik. Drei Viertel der Welt ist mit US-Stützpunkten überzogen, das heißt, sie sind quasi besetzt.
Der Autor versucht, das Desaster des Irak-Überfalls durch die USA und ihre "willigen Vollstrecker" reinzuwaschen. Indem er das Irak- und Afghanistan-Desaster völlig vernachlässigt, kann er vollmundig behaupten, dass die US-amerikanische Macht Kriege verhindert, sowie Demokratie und Wohlstand gefördert habe. Und völlig überheblich fügt er hinzu: „when American power declines, the institutions and norms American power supports will decline too“. Man könnte hinzufügen, dass, wenn diese Scheinheiligkeit solche Ausmaße erreicht, dann soll es so sein, denn diese „Normen“, wie willkürliche Tötungen durch ferngesteuerte Killer-Drohnen verdienen es nicht, unterstützt zu werden. Die jüngste Geschichte lehrt jedoch das genaue Gegenteil. Andrew J. Bacevich, Professor für Internationale Beziehungen an der Boston University, stellt völlig zu Recht fest, dass „in today’s world, the most bellicose countries tend to be democracies, with the United States very much in the vanguard”. Dass Demokratien per se friedfertige Staatsformen seien, gehört deshalb, was die USA betrifft, ins Reich der Legenden.
Kagans Argumentation bewegt sich oftmals auf einem wackeligen Fundament, wenn er schreibt, dass die USA wesentlich erfolgreicher in Irak als in Vietnam waren, wenn man die heutigen Schwierigkeiten bedenkt. Diese Relativierung unterschiedlicher historischer und politischer Ereignisse dient dem Autor dazu, politisch geschickt für noch mehr Militärausgaben zu plädieren, wenn China einen Teil seiner ökonomischen Macht in eine militärische transferieren würde. Dabei hat er das kolossale Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China im Blick. Kagan bedauert, dass Länder wie Deutschland und Frankreich sich nicht am Überfall der Bush-Krieger auf Irak beteiligt haben.
Dieses Buch eines neokonservativen US-amerikanischen Expansionisten ist übersät mit vagen Formulierungen. Kagan scheint etwas Falsches aus der jüngsten US-Geschichte gelernt zu haben. Es ist gut, dass die europäischen Nationen andere Rückschlüsse aus ihrer Geschichte gezogen haben, und zwar dass die Hybris vor dem Fall kommt, und daran wird auch die weitere Aufblähung des Verteidigungshaushaltes nichts ändern. Um diesen Expansionsdrang zu stoppen, bedarf es aber einer eindeutigen Ansage Russlands und Chinas an die aggressivste Macht nach 1945, weil sie sonst eines Tages ebenso an der Reihe sind wie Irak, Afghanistan, Libyen, Jemen und demnächst Syrien und Iran. Kagan hat ein "Kriegs"-Drehbuch für den nächsten republikanischen US-Präsidenten geschrieben. Eine Übersetzung dieses politischen Pamphlets ins Deutsche ist nicht zwingend notwendig.