Bildausschnitt: Foto IMPACT-SE. |
Der Nahostkonflikt scheint vorerst machtpolitisch entschieden. Die ideologischen Schlachten um den „wahren“ Narrativ werden jedoch weiter in den israelischen und palästinensischen Schulbüchern ausgetragen, wie die jüngste US-Studie zeigt
In keinem anderen Land sind die Schulbücher einer strikteren Kontrolle unterworfen als in Palästina. Die israelische Regierung, die Europäische Union, die USA und andere Institutionen achten minutiös darauf, dass die Lerninhalte der palästinensischen Schulbücher sich an Fakten und nicht an Ideologie orientieren.
Seit Beginn der israelischen Besatzung im Jahr 1967 bis zum Abschluss der Osloer-Verträge 1993/94 war die israelische Militärverwaltung für das Bildungssystem in den besetzten Gebieten zuständig. Die ersten von Palästinensern erstellten Schulbücher wurden im Jahr 2000 eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt dienten in der Westbank jordanische und im Gaza-Streifen ägyptische Schulbücher als Lehrmittel im Unterricht. In ihnen wurde mit antisemitischen Klischees hantiert, Israel und der Zionismus nur in negativen Zusammenhängen erwähnt, und über den Holocaust gab es überhaupt keine Informationen.
Unabhängige Untersuchungen der Europäischen Union, der Hebräischen Universität in Jerusalem oder des renommierten Georg-Eckart-Instituts für internationale Schulbuchforschung (GEI) in Braunschweig sind unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, dass in palästinensischen Schulbüchern weder zu Hass noch zu Gewalt gegen Israel angestachelt werde. 2003 gab es jedoch durch ein Lehrbuch, das im Fach „Islamische Kultur“ verwendet wurde, einen Rückschritt. In ihm wurde zum „Djihad“ (heiliger Krieg) aufgerufen und das „Märtyrertum“ verherrlicht; beides seien religiöse Pflichten. Obgleich auch Juden zum „Volk des Buches“ gehören, blieben sie in diesem Buch unberücksichtigt; Erwähnung dagegen fanden nur die Christen.
Gleichwohl behauptete der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon im Jahr 2004, dass die „Aufhetzung zu Hass und Gewalt“ in den palästinensischen Schulbüchern schlimmer sei als jeglicher Terrorismus, ohne dafür jedoch Beispiele zu nennen. Auch das politisch rechtslastige „Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education“ (IMPACT-SE) stellt in seinem Bericht “Israel, the West, Women and the Environment in Palestinian Textbooks” Behauptungen auf, dass in deren Schulbüchern „jüdische Rechte und die Existenz Israels“ bestritten werden, dass „Israel und die Juden“ dämonisiert, der „arabisch-israelische Konflikt“ in einer verzerrten Art und Weise dargestellt und nicht „Toleranz und Frieden, sondern das Märtyrertum und der gewaltsame Kampf“ befürwortet werden würden.
In israelischen staatlichen und staatlich-religiösen Schulbüchern dagegen werde Friede und Toleranz gelehrt, über das palästinensische Volk und seine Nationalität aufgeklärt und Stereotypen abgebaut. Die elf Ergebnisse, die IMPACT-SE in seiner Studie „Peace, Tolerance and the Palestinian ‚Other‘ in Israeli Textbooks“ über das Bild der Palästinenser und die Darstellung des Konfliktes zutage gefördert haben, wirft die Frage auf, warum es bisher so gut wie keine zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen israelischen und palästinensischen Schülern/innen gibt.
Die diversen Studien von IMPACT-SE haben eine eindeutige Stoßrichtung, sie befassen sich überwiegend mit Schulbüchern in muslimischen Ländern wie zum Beispiel Ägypten, Iran, Saudi Arabien, Tunesien, Syrien und den palästinensischen Gebieten. Die Studie über israelische Schulbücher erweckt den Anschein, als sei sie mit einer rosaroten Brille verfasst worden. Die Erziehungswissenschaftlerin von der Hebräischen Universität in Jerusalem, Nurit Peled-Elhanan, hält deren „Inhaltsanalysen für oberflächlich“, und das Institute sei „rechtsorientiert“ und habe seinen Sitz in den völkerrechtswidrigen Siedlungen, wie sie gegenüber dem Autor erklärte. „They don’t address the issues of the Naqba or of racism, their examples are utterly ridiculous and they have not touched upon the visuals or the maps.” They do a very shallow content analysis. IMPACT-SE betreibt zwar eine imposante Website, auf der jedoch als einzige Kontaktmöglichkeit nur eine Email-Adresse angegeben wird. Meine Anfrage nach Anschrift und Telefonnummer blieb unbeantwortet.
Zu einem radikal anderen Ergebnis als IMPACT-SE kommt Peled-Elhanan in ihrer Studie „Palestine in Israeli School Books“. Sie hat zahlreiche Textbücher, die an israelischen High Schools (Gymnasien) Pflichtlektüre sind, einer gründlichen Inhaltsanalyse unterzogen; sie kommt zu einem erschreckenden Ergebnis: Die Textbücher steckten voller rassistischer, antiarabischer Klischees, die nicht über die dortigen „israelischen Araber“ aufklärten, sondern „die anderen“, sprich die ursprünglichen Bewohner Palästinas, marginalisierten, karikierten und dämonisierten. So werden zum Beispiel palästinensische Bauern mit einem Pflug gezeigt, der von zwei Eseln gezogen wird. Der Name „Palästinenser“ werde nur im Zusammenhang mit „Terrorismus“ verwendet. Gezeigt werden vermummte, Steine werfende palästinensische Jugendliche. Oder die palästinensischen Orte werden als rückständig im Gegensatz zu den Siedlungen dargestellt, die Schweizer Dörfern ähnelten. In keinem der untersuchten Textbücher werde irgendetwas Positives über die „israelischen Araber“ gesagt, sei es im kulturellen, sozialen, literarischen, historischen, traditionellen oder agrarischen Sektor, obgleich sie 20 Prozent der israelischen Bevölkerung stellen, von den zirka fünf Millionen Palästinensern in den besetzten Gebieten gar nicht zu sprechen. Sie werden nur als „palästinensisches Problem“ dargestellt. In den Schulbüchern dominiere ein „rassistischer Diskurs“. Man spreche nur von „israelischen Arabern“ und nie von „Palästinensern“, um damit zu suggerieren, dass ihre Heimat in einem der 21 arabischen Ländern sei.
Auf dem Höhepunkt des Gaza-Massakers um die Jahreswende 2008/09 erklärte die israelische Außenministerin Tzipi Livni: „Die Palästinenser lehren ihren Kindern uns zu hassen, wir dagegen lehren, deinen Nächsten zu lieben.“ Wenn die israelischen Medien von Zeit zu Zeit über die Brutalität der eigenen Soldaten in den besetzten Gebieten berichteten, werde immer wieder die Frage gestellt, wie diese „ netten“ Jungen und Mädchen zu solchen Taten fähig seien. Obwohl die überwiegende Mehrheit der israelischen Schülerinnen und Schüler eine aufgeklärte und liberale Schulbildung genössen, müsse die Frage beantwortet werden, warum sie in den besetzten Gebiete „zu solchen schrecklichen Monstern mutierten“, schreibt Peled-Elhanan.
Ihre Antwort darauf lautet: „Die Menschen wollen nicht wirklich wissen, was ihre Kinder in den Lehrbüchern lesen.“ Dass Zerrbild über die „israelischen Araber“, wie die israelischen Palästinenser in Israel genannt werden, und die „terroristischen Palästinenser“ spräche nicht nur aus den Texten, sondern ebenso aus den Illustrationen. Es gebe in allen Textbüchern kein einziges Bild, das die „Araber“ als „normale Menschen“ zeige. Dies bezeichnete die Autorin als „Strategie negativer Repräsentation“.
Gegenüber den 1990er-Jahren habe es einen großen Rückschritt gegeben. In der Folge des so genannten Friedensprozesses sei es für einen kurzen Zeitraum möglich gewesen, auch die palästinensische Sichtweise in Schulbüchern in Umrissen darzustellen. Seit der Wahl von Ariel Sharon im Jahr 2001 wurden selbst diese winzigen Fortschritte wieder zunichte gemacht. Einige Textbuch-Autoren mussten ihre vorherige „liberalere“ Darstellungsweise revidieren.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie der israelischen Wissenschaftlerin Ruth Firer, die sie im Auftrag des GEI 2005 durchgeführt hat. Im Zuge des Friedensprozesses wurde zwar das negative Image „des Arabers“ zum Teil zurückgedrängt, aber es sei nicht gelungen, die Sichtweise der Palästinenser adäquat darzustellen. Dies drücke sich nach Meinung von Peled-Elhanan auch in den abgedruckten Landkarten aus, auf denen es einerseits kein „Palästina“ mehr gebe, wenn es andererseits jedoch umrisshaft eingezeichnet sei, erscheine es als „weißes“ Gebiet und vermittele dadurch den Eindruck, als sei es „unbewohnt“. Man spreche nur vom „Land Israel“ (Eretz Israel) und nicht vom Staat Israel, was ein großer Unterschied sei.
Die Massaker, die im Laufe des Staatswerdungsprozesses von den zionistischen Milizen begangen worden seien, werden nicht geleugnet, schreibt Peled-Elhanan, sondern als etwas Gutes und Notwendiges angesehen, das die Gründung des Staates Israel gefördert habe. Ebenso werde das Töten von Palästinenser als eine notwendige „Überlebensmaßnahme“ des entstehenden jüdischen Staates dargestellt. Jene, die dies als eine Abweichung vom Zionismus versuchen zu rechtfertigen, hätten eine unzureichende Kenntnis darüber, was Zionismus eigentlich bedeute und welche zentrale Rolle er in dieser „offensichtlich rassistischen Ideologie“ und bei der Rechtfertigung von „ethnischer Säuberung“ und „rassistischer Herrschaft über die Palästinenser“ spiele. IMPACT-SE kritisierte Peled-Elhanans Untersuchung als durch vorgefasste Thesen gefärbte persönliche Sichtweise, für die sie nur Beweise gesucht habe.
Mögen sich in palästinensischen und israelischen Schulbüchern wie auch immer geartete Zerrbilder über das jeweils andere Volk befinden, die „eigentliche“ Erziehung zu Hass und Gewalt erfolgt tagtäglich durch die brutale Realität der israelischen Besatzungsherrschaft. Die täglichen Demütigungen an hunderten von Kontrollpunkten, die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die Häuserzerstörungen, die tägliche Gewalt auf den Straßen, die Misshandlung von Eltern vor den Augen ihrer Kinder oder die zahllosen Militäraktionen gegen wehrlose Menschen und vieles mehr sind das „beste“ Unterrichtsmaterial. Die dadurch verursachten Traumata konterkarieren jede pädagogische Maßnahme und jedes noch so „objektive“ Lehrbuch.
Dieser Artikel wurde von "der Freitag" erst angefordert, aber dann aus "aktuellen" Planungsgründen nicht veröffentlicht.
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