John Laughland |
Es geht um die Verteidigung und Zurückgewinnung der Souveränität der Nation und des Nationalstaates, weil in dem Vertrag von Maastricht nicht nur die Abschaffung nationaler Währungen, sondern auch die Überwindung der Nationalstaaten verabredet worden ist, so die zentrale These von John Laughland, Direktor des russisch-französischen „Instítut de la Démocratíe et de la Coopération“ und Autor des Buches „Travesty“ in einem Vortrag in Berlin. Auch diese Veranstaltung wurde vom Chefredakteur des Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, moderiert, der schon die große „Souveränitätskonferenz“ im November 2012 an der Freien Universität Berlin organisiert hat.
„Souveränität ist ausschließlich die Eigenschaft des Staates; ein Staat kann souverän sein oder nicht. Ein souveräner Staat kann demokratisch und frei sein oder eben nicht.“ Souveränität sei weder mit der Freiheit noch mit der Rechtsstaatlichkeit identisch; auch Diktaturen können souveräne Staaten sein. Alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind gleichberechtigt. stehen auf einer Ebene und sind gleich zu behandeln. Selbst wenn die Souveränität durch die EU verfremdet wird, verschwindet sie nicht, sondern werde nur auf eine andere Ebene verwiesen. Sie existiert immer irgendwo, sei es auf nationaler, lokaler oder internationaler Ebene, so weitere provokante Thesen Laughlands.
„Nation“ sei sowohl ein linker als auch rechter Begriff. EU und Nato verfolgen beide eine supranationale Ideologie. „Der Euro ist eine direkte Folge von einer supranationalen Ideologie.“ Diese Ideologie herrsche im ganzen Westen. Nach Meinung Laughlands wurde sie am klarsten vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl formuliert. Er habe immer behauptet, dass die Nation die Ursache der europäische Kriege gewesen sei. Folglich müsse man diesen Nationen ein Ende bereiten und zu einer postnationalen europäischen Ordnung voranschreiten.
Nach seiner Rückkehr aus Maastricht erklärte Kanzler Kohl im Dezember 1991 im Deutschen Bundestag u. a.: „Der Weg zur europäischen Union ist unumkehrbar. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind jetzt in einer Weise verbunden, die ein Ausbrechen oder einen Rückfall in früheres nationalstaatliches Denken mit all seinen schlimmen Konsequenzen unmöglich macht.“ Kohl habe im Euro ein politisches Instrument gesehen, um eine ideologische Revolution durchzuführen. Nationalstaatliches Denken sollte in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Laughland zeigt sich davon überzeugt, dass es sich bei dieser supranationalen Ideologie nicht nur um Rhetorik handelt. Sie wurde sogar im Grundgesetz und damit verfassungsrechtlich verankert. Der ehemalige Artikel 23 GG des Grundgesetzes wurde im Moment der Wiedervereinigung nicht aufgehoben, sondern durch einen neuen supranationalen „Europa-Artikel“ ersetzt. Die Bundesrepublik Deutschland ist also heute der einzige Mitgliedstaat der Europäischen Union, der verfassungsrechtlich dazu verpflichtet ist, nicht nur Mitgliedstaat der EU zu bleiben, sondern auch bei deren „Entwicklung“, sprich Zentralisierung mitzuwirken. Kohl habe an die Notwendigkeit einer supranationalen Ordnung als Friedensgarantie für Europa geglaubt. Wie wirkmächtig die Ideologie des Supranationalismus ist, wird auch daran sichtbar, dass der EU 2012 der Friedensnobelpreis verliehen worden ist.
Laughland wies darauf hin, dass die europäischen Staatschefs in Maastricht am Tag nach der Auflösung der UdSSR eintrafen. Am 8. Dezember 1991 hatten die russischen, ukrainischen und weißrussischen Präsidenten im weißrussischen Bialowezha-Urwald das Todesurteil über die Sowjetunion gesprochen: Am 9. Dezember wurde mit dem Maastricht-Gipfel ein neues EU-Imperium geschaffen. Die Verbindung zwischen den beiden Ereignissen sei nicht nur zeitlich, sondern auch ideologisch gewesen. Die westlichen Politiker seien fest entschlossen gewesen, die neue Freiheit der Staaten des Ostens durch neue supranationale Strukturen zu begrenzen. Für sie konnte Stabilität nur durch die Erschaffung einer neuen Zwangsordnung gesichert werden, so Laughland. Das Instrument dazu sei der Euro. Er war der Ersatz für die alte Hegemonie des Warschauer Paktes. Die Angst der europäischen Politiker vor der Nation, dem Nationalstaat und der nationalen Freiheit in Osteuropa sei eine wesentliche Ursache für die Einführung des Euro und für die Neustrukturierung der EU gewesen.
Ein ähnlicher Prozess habe auch bei der Nato stattgefunden. Beide Organisationen wurden nach 1991 wieder ideologisch aufgerüstet und neu ausgerichtet: Monetaristisch die EU und politisch-militärisch die Nato. Auf dem Nato-Gipfel in Rom 1991 wurde ein neues strategisches Konzept entwickelt, das im Jahre 1999 noch ausgebaut wurde. Die NATO sollte zukünftig kein Verteidigungsbündnis, sondern eine nach „außen gerichtete und mit neuen Polizeirechten ausgestattete Eingriffsallianz sein, für die die alten Regeln der internationalen Souveränität nicht mehr galten“. Die Nato erklärte sich zum Garanten des europäischen und internationalen Friedens, und zwar aufgrund der gemeinsamen ideologischen Überzeugung, dass die nationale Freiheit eine Gefahr für den Frieden darstelle und dass eine supranationale Macht notwendig sei, um die Welt zu regieren, so John Laughland.
Diese neue supranationale Ideologie war Teil eines viel größeren Prozesses, den Präsident George H. W. Bush 1991 in seiner Rede vor dem US-Kongress als "eine Neue Weltordnung" beschrieben hat. In diesem neuen Supranationalismus ging es nicht mehr um Gleichgewicht, sondern um westliche Hegemonie unter Führung der USA, so Laughland. In diesem Prozess war die UNO-Resolution 688 vom 5. April 1991 maßgeblich. Diese Resolution wurde angebliche zum Schutz der Kurden und Schiiten im Irak verabschiedet, tatsächlich habe sich der Sicherheitsrat aber das Recht angemaßt, aus humanitären Gründen Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat anwenden zu dürfen. Der Missbrauch des Begriffs der „humanitären Intervention“ im Kosovo-Krieg im Jahre 1999 wurzelt in dieser Irak-Resolution. Diese Resolution wurde dazu missbraucht, den Irak zwölf Jahre lang zu bombardieren, bis George W. Busch im Jahre 2003 mit dem Überfall auf das Land, Saddam Hussein stürzte.
Laughland betonte weiter, dass mit dieser Resolution auch die Idee geboren wurde, der Westen verkörpere "Werte" und nicht politische Macht. Die Wirklichkeit der Politik und die Ausübung der militärischen Gewalt wurden als moralischer Universalismus getarnt. Insbesondere im Kosovo-Krieg wurde die massive Ausübung militärischer Macht durch die NATO mittels Menschenrechts-Rhetorik kaschiert. Der ideologische Charakter war doch zu offensichtlich. So meinte Tony Blair: "Wir kämpfen nicht für Territorium, sondern für Werte (...) und für einen neuen Internationalismus." Der Soziologe Ulrich Beck hat sogar behauptet, der Krieg sei für die EU "ein militärischer Euro", ein Mittel also, die europäische Einheit voranzutreiben. Kosovo-Krieg 1999 ist der Beweis dafür, dass die EU und die NATO voneinander untrennbar sind, so der Redner.
Laughland beendete seinen Vortrag mit ähnlich provokanten Thesen, wie er ihn begonnen hatte: Das entideologisierte Russland stellt also eine existentielle Bedrohung für das noch unter Ideologie leidende postmoderne Europa dar. Das sei der Grund, warum EU und NATO alles tun, um Russland auf denselben postmodernen Weg zu zwingen, welchen der Westen seit 20 Jahren bedauerlicherweise geht. Russland ist mit seinem noch staatlichen "alten Denken" der Beweis dafür, dass Helmut Kohl so wenig in Bezug auf den Nationalstaat wie hinsichtlich des Euro Recht hatte. Putin werde von der russischen Bevölkerung auch deshalb unterstützt, weil er den russischen Staat verkörpere und ihn in die „Modernität“ zurückgeführt habe. Nutzbringende Beziehungen zwischen einem „postnationalen“ Europa und einem nationalstaatlich orientierten Russland seien in Zukunft schwierig.
Wer an der Stärkung der Demokratie - gegen die Globalisierung und den Mythos der Macht des Marktes - interessiert ist, sollte für nationale Souveränität eintreten. Jedes frei gewählte Parlament kann es sich nicht bieten lassen, seine ureigenste Kompetenz, das Haushaltsrechts, an nicht gewählte Funktionäre oder an eine Troika abzugeben. Kein Staat darf sich von ihr sein Macht- und Haushaltsrecht auf kaltem Wege wegnehmen lassen. Ein Verzicht auf nationale Souveränität bedeutet auch immer die Entmachtung des Bürgers. The road to serfdom is paved with good intentions.
Wer an der Stärkung der Demokratie - gegen die Globalisierung und den Mythos der Macht des Marktes - interessiert ist, sollte für nationale Souveränität eintreten. Jedes frei gewählte Parlament kann es sich nicht bieten lassen, seine ureigenste Kompetenz, das Haushaltsrechts, an nicht gewählte Funktionäre oder an eine Troika abzugeben. Kein Staat darf sich von ihr sein Macht- und Haushaltsrecht auf kaltem Wege wegnehmen lassen. Ein Verzicht auf nationale Souveränität bedeutet auch immer die Entmachtung des Bürgers. The road to serfdom is paved with good intentions.