Donnerstag, 30. Mai 2013

„Europa ist ein Sanierungsfall“

Zum ersten Mal hat ein führendes Mitglied der europäisch-politischen Klasse ansatzweise realistisch den Zustand Europas als „Sanierungsfall“ beschrieben. Treffender wäre jedoch der Begriff „Euro-EU“ gewesen. Kein geringer als der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hat es gewagt, gegen jedes EU-Dogma zu verstoßen. Laut „Bild-Zeitung“ sagte der Festredner auf einer Veranstaltung der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer in Brüssel. „Mir macht Sorge, dass derzeit zu viele in Europa noch immer glauben, alles werde gut.“ Oettinger bediente sich sogar der rechtspopulistischen Termini „Gutmenschentum“ und „Erziehungsanstalt für den Rest der Welt“! 

Darüber hinaus machte er Aussagen über Mitgliedstaaten, die in Teilen zwar richtig sind, aber gemäß politisch-korrektem Comment kein Mitglied eines demokratisch nicht legitimierten Gremiums der EU wie der Kommission machen sollte. Für kaum regierbar hält der EU-Kommissar Länder wie „Bulgarien, Rumänien, Italien“ (sic!), und in Großbritannien regiere Premier David Cameron mit der „unsäglichen Hinterbank, seiner englischen Tea-Party“! Auch Frankreich wird von einem deutschen EU-Kommissar (!) geschulmeistert. Es solle seine politischen Hausaufgaben machen, so Ottingers Message an den Elysee Palast. Bekommt Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt noch eine weitere politische Baustelle? 

Oettinger bestätigt in seiner Rede nur die katastrophalen Zustände eines Staatenverbundes, die auf außenpolitischem Gebiet ebenfalls für jeden, der ohne die üblichen ideologischen EU-Scheuklappen die Welt betrachtet, evident sind. In seiner letzten Syrien-Entscheidung haben die EU-Außenminister für alle sichtbar wieder einmal bestätigt, dass die EU außenpolitisch noch nicht einmal den Status einer brüllenden Maus erreicht hat. Fazit: Die EU ist außenpolitisch weitestgehend handlungsunfähig, weil nur die souveränen Nationalstaaten dazu in der Lage sind. 

Es war schon immer vermessen zu behaupten, dass ein Staatenverbund von 27 Mitgliedern eine einheitliche Außenpolitik verfolgen könne. Die einzig potenten Mitglieder, Frankreich und Großbritannien, sind Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die immer noch souveräne Außenpolitik in ihrem nationalen Interesse betreiben, und sich von anderen EU-Mitgliedern nicht ihr Handeln vorschreiben lassen wollen. Ihre nationalen Interessen sind andere als die der übrigen EU-Mitglieder, die sich die Welt eher als globalen „Runden Tisch“ wünschen. Wie formulierte EU-Kommissar Oettinger dies so nett: Die EU solle keine „Erziehungsanstalt für den Rest der Welt“ sein. 

Politische Realisten haben immer die These vertreten, dass die EU seine Zeit und ihre politische Berechtigung hatte, aber die geopolitischen Zeichen der Zeitenwende von 1989 nicht erkannt habe. Dieser „Epochenbruch“ führte zu einem Revival der politischen Rolle des Nationalstaates, was durch die EU-Eliten ignoriert worden ist. Seither haben alle internationalen Ereignisse und Krisen bestätigt, dass nur Nationalstaaten international handlungsfähig und in ihren Entscheidungen souverän sind.

Der völkerrechtswidrige Bombenkrieg gegen Serbien, der so genannte Krieg gegen den Terror in Afghanistan, die Einrichtung der menschenverachten Flugverbotszone über Irak von 1991 bis zum Überfall auf dieses Land in 2003, der Krieg gegen Libyen, die Intervention der Franzosen in Mali, die mögliche bevorstehende Unterstützung von islamistischen Terrorgruppen in Syrien durch Frankreich und Großbritannien mit Waffen u. v. a. m. immer waren es die Entscheidungen souveräner Staaten und nicht „Entscheidungen“ der EU, die sich anmaßt, für die Außenpolitik von 27 souveränen Nationalstaaten entscheiden zu wollen. Alle existentiellen Entscheidungen werden weiterhin in London, Paris, Berlin oder in einer der anderen Hauptstädte der EU getroffen und nicht in Brüssel. Die einst von Henry Kissinger beklage fehlende „Telefonnummer“ gibt es bis dato immer noch nicht. Niemand glaubt im Ernst, US-Präsident Barack Obama oder David Cameron würden vor einer wichtigen außenpolitischen Entscheidung Catherine Ashton in Brüssel anrufen. 

Nicht nur diese Lebenslüge der EU muss öffentlich diskutiert werden, sondern auch die nur kleine Auswahl von Missständen, die EU-Kommissar Günther Oettinger in seiner Rede in Brüssel benannt hat. Franz Josef Strauß hat einmal gesagt, dass das Politbüro von Moskau nach Brüssel umgezogen sei. Dies könnte sich noch einmal als Menetekel erweisen, wenn nicht radikal zum Wohle der arbeitenden Menschen umgesteuert wird. Die "Vereinigten Staaten von Europa" werden jedenfalls eine Fata Morgana bleiben.