Freitag, 21. Januar 2011

Moshe Zuckermann, "Antisemit!"

Der Titel des Buches des israelischen Historikers Moshe Zuckermann hätte nicht treffender formuliert werden können. Der Vorwurf des „Antisemitismus“ ist der politisch gewinnträchtigste gegenüber den Kritikern israelischer Besatzungs- und Unterdrückungspolitik gegen das palästinensische Volk in ihrem Heimatland. Mit diesem hanebüchenen Vorwurf werden nicht die Neonazis, sondern führende Persönlichkeiten sowohl jüdischer als auch nicht-jüdischer Provenienz überzogen. An vorderster Front dieser Verleumdungskampagne agiert die derzeitige rechtsnationalistische israelische Regierung samt ihrer Israelfans in den USA und weiten Teilen Westeuropas. Wie sagte doch der israelische Regierungschef Benyamin Netanyahu, nachdem der UN-Menschrechtsrat den Goldstone-Bericht an den UN-Sicherheitsrat weitergeleitete hat: „Wir brechen jetzt auf, um jene zu delegitimieren, die versuchen, uns zu delegitimieren.“

Diese Lobby betreibt ihr unsägliches Geschäft seit dem Scheitern der Camp David-Verhandlungen im Sommer 2000 und der Rückeroberung der so genannten Autonomiegebiete durch die Sharon-Regierung. Die Verbrechen und Verstöße gegen Völker- und Menschrechte, die seither begangen worden sind, lassen sich selbst von wohlwollenden Kreisen nicht mehr rational rechtfertigen, folglich griff man zum Mittel der Verleumdung, Diskreditierung, Diffamierung und der Verdrehung der Wahrheit. Dies hat auch deshalb so gut funktioniert, weil es den regierenden politischen Eliten zupass kam, da diese sich dann nicht selbst mit der Pervertierung ihrer so genannten westlichen Werten durch Israel auseinander zu setzen brauchten.

Über die Verruchtheit des Antisemitismus braucht man wohl kein Wort zu verlieren. Wie denn jede Form des Rassismus und der Stigmatisierung Andersdenkender und –gläubiger, wie z. B. derzeit der Muslime, zu verurteilen ist. Zuckermann hatte bereits in seinem Buch „Zweierlei Holocaust“ über die Instrumentalisierung dieses einzigartigen Menschheitsverbrechen sowohl durch Israel als auch durch Deutschland geschrieben. In seinem jüngsten Werk spitzt er diese These berechtigterweise zu, da sich die Lage für die Kritiker der israelischen Regierungspolitik dramatisch verschlechtert hat. Ihnen drohen mancherorts die Vernichtung ihrer beruflichen Existenz, und dies mit aktiver Hilfe von Philosemiten (die eigentlichen Antisemiten), die sich als neokonservative Parteigänger einer rassistischen Rollback-Politik des US-amerikanischen Neokolonialismus gerieren.

Die Funktionalisierung des Holocaust durch die israelische Regierung ist für den Autor evident. Diese „Zionisierung der Shoah“ wird mehrfach belegt. Dabei spielte die Shoah bei der Gründung des Staates Israel auf internationaler Bühne nicht die geringste Rolle. Wer die Protokolle der Debatte in der UNO nachliest, wird feststellen, dass kein geringerer als der damalige UN-Vertreter der Sowjetunion, Andrej Gromyko, der einzige war, der erklärt hatte, dass dem jüdischen Volk aufgrund der Verbrechen der Shoah und des Versagens des Westens, einen solchen zu verhindern, ein Staat zustünde. Für die damaligen zionistischen Vertreter war es das größte politische Anliegen, die Gründung des Staates durch „public law“ und der Berufung auf ein „natürliches Recht“ zu erreichen. Soviel zur Wissenslücke der Israelfans.

Für die deutschsprachigen Leser/innen besonders interessant ist der zweite Teil. Hier wird wieder einmal eine typisch deutsche Debatte sichtbar, wie sie nur in Deutschland mit einer zutiefst verunsicherten und inkompetenten politischen Elite geführt werden kann. Nach Art einer altbekannten „Gesinnungspolizei“ wissen diese antisemitischen Philosemiten schon immer, wer der wirkliche „Antisemit“ ist. Der Autor kritisiert die damit einhergehende Verharmlosung des Antisemitismus und die „Banalisierung des Bösen“ durch die Sekte der Antideutschen und ihrer „willigen Helfershelfer“. So schreibt er: „Ähnlich wie der Antisemit, der in allem Jüdischen paranoid eine Bedrohung gewahrt, weil er auf den Juden eigene Ängste und Lebensdefizite projiziert“, so stellt er den antideutschen Israelfans ein vernichtendes Zeugnis aus. Nach ihm „erblickt der ´antideutsche` Juden- und Israelfreund in allem den drohenden ´Antisemitismus`, auf den er das projiziert, was er sich selbst nicht eingestehen darf, gerade weil er sich mit ihm identifiziert: die eigene in die Latenz verwiesene antisemitische Regung“.

Bemerkenswert ist die immer vorgebracht Selbstviktimisierung durch die israelische Regierung, die auch der Autor kritisiert. Ein Land, das bis über beide Ohren mit Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie den hochmodernsten US-amerikanischen konventionellen Waffen vollgestopft ist, sieht sich immer noch als „das Opfer“; ein solches Land hat in der Tat kein sicherheits-, sondern ein psychologisches Problem.

Dass der Autor nicht nur von den „Antideutschen“ oder anderen obskuren Israelfans kritisiert wird, gereicht ihm zur Ehre. Sein Buch legt den Finger sowohl in die israelischen als auch deutschen Wunden, und dies ist auch gut so. Wenn schon die politische Klasse in Deutschland damit nichts anfangen kann, so sollten wenigsten die Reste der Linken, die noch rudimentär in der Partei „Die Linke“ zu verorten sind, ihre Kritik an den demokratiefeindlichen Machenschaften der Israelfans und ihrer philosemitischen Freunden in Deutschland vehement zurückweisen. Dafür bietet das Buch Zuckermanns gute Argumente. Daran sollten sich auch die Medien beteiligen, aber hier ist bereits Hopfen und Malz verloren. Ein sehr hilfreiches Buch, das der politisch verkorksten Haltung der Deutschen Argumentationshilfen an die Hand gibt. Ob sie diese überhaupt wollen, darf jedoch bezweifelt werden.

Erschienen im ProMedia Verlag.