Samstag, 1. Januar 2011

The „rogue state“: the United States of America?

Das US-amerikanische Imperium gefällt sich seit Jahrzehnten in der Pose, andere Länder, die sich nicht ihrem Diktat unterwerfen oder ihrem Hegemonie-Streben die Stirn bieten, als „Schurkenstaaten“ oder „evil empire“ zu verleumden und letztendlich zu überfallen. Kein geringer als Noam Chomsky hat deshalb sein Land als „rogue state“ bezeichnet. Die Geschichte der USA zeigt, dass kein Land die Freiheit und Souveränität anderer Staaten stärker bedroht als die Vereinigten Staaten von Amerika, und dies auch noch im Namen von „spreading democracy“, American-style könnte man hinzufügen. Sieht man einmal von dem antikolonialen Befreiungskrieg ab, der zur Unabhängigkeit der USA geführt hat, zielten alle weiteren Kriege auf Eroberung von Territorien und Ländern, die die USA nie wieder verlassen haben. Von den zahlreichen Staatsstreichen, an denen die USA durch ihren Geheimdienst CIA beteiligt waren, gar nicht zu reden. In mehr als drei Viertel aller Staaten sind US-amerikanische Soldaten stationiert, und es gibt 1 000 Militärstützpunkte, d. h. diese Länder sind quasi besetzt, ihre Souveränität gilt als eingeschränkt. Freiwillig haben die USA kein Land wieder verlassen, in dem sie sich einmal festgesetzt haben. Aus Vietnam und Iran konnten sie nur gewaltsam vertrieben werden. Wenn US-Präsident Barack Hussein Obama von Abzug aus Irak oder Afghanistan spricht, bedeutet dies nichts, wie die Um-Definition von 50 000 US-Kampftruppen zu „US-Aufbauhelfern“ zeigt. Die US-Besatzungsgeschichte lehrt etwas anderes: Die USA werden sich aus keinem besetzten Land freiwillig zurückziehen, bis sie und ihre Helfershelfer gewaltsam aus diesen hinausgeworfen werden.

Wie durch die Veröffentlichungen von WikiLeaks weltweit bekannt geworden ist, sind die US-Botschaften „Spionagezentren“, wie z. B. die Anweisung des US-State Departments an die UN-Vertretung der USA zeigt. Dass die US-Botschaften mit CIA-Beamten vollgepackt sind, ist ein offenes Geheimnis. Dass es darüber hinaus in den „befreundeten“ Ländern ein Heer von Informanten gibt, darf vorausgesetzt werden. Jüngstes Beispiel eines „wohlwollenden Gesprächspartners der US-Amerikaner“ war ein sehr enger Mitarbeiter des FDP-Chefs Guido Westerwelle, der auch noch deutscher Außenminister ist. Dass die US-Botschaften und ihre CIA-Mitarbeiter an zahlenreichen Staatstreichen beteiligt waren, ist bekannt. Ob es 1953 im Iran, 1973 in Chile oder wie es in zahllosen US-beherrschten Bananenrepubliken der Fall war. In vielen Ländern hat der CIA zur Destabilisierung US-unfreundlicher Regierungen wesentlich beigetragen. Andere Länder werden dämonisiert wie heute wieder China oder Iran. Staaten werden unter dem Vorwand der Förderung des internationalen Terrorismus überfallen wie Afghanistan und Irak, oder es werden verdeckte Stellvertreterkriege geführt wie in Pakistan, Jemen, Somalia oder in Afrika. Es scheint, als gehöre der Krieg zur zweiten Natur des US-Imperiums wie die Luft zum atmen.

Von 32 kriegerischen Konflikten in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts handelt es sich bei zwei Dritteln um Auseinandersetzungen mit der islamischen Welt. Seit den Kulturkampfthesen von Bernhard Lewis (1964) und Samuel P. Huntington (1993) führt der Westen einen „Kreuzzug“ gegen den Islam, und spätestens seit 9/11 der Islamismus einen „Jihad“ gegen den Westen. Man scheint schon vergessen zu haben, dass Al-Kaida eine US-amerikanisch-pakistanisch-saudi-arabische Hebamme hatte. Auch haben die USA wesentlich zur Fundamentalisierung des Nahen und Mittleren Ostens beigetragen, indem sie den säkularen arabischen Nationalismus als kommunistisches Vehikel missverstanden und deshalb bekämpft und sich mit den reaktionärsten islamistischen Repräsentanten und Organisationen verbündet haben. Dazu schreibt der Wissenschaftler Gilbert Achcar: “The present strength of Islamic fundamentalism is a direct product of very direct US policies (...) Secular nationalism has been weakened and destroyed by the United States as its main enemy. In the 1960s, the dominant trend in the Muslim world in general was secular nationalism and, in the Arab world, Arab nationalism as embodied by Egyptian president Gamal Abdel Nasser. The United States fought this brand of nationalism, basing itself on the most reactionary brand of Islamic fundamentalism implemented and propagated by the Saudi kingdom.” Die seit 43 Jahren andauernde Besetzung palästinensischen Landes durch Israel und die des US-Imperiums in Afghanistan und Irak verstärkten noch diesen Trend. Der älteste Alliierte der USA im Nahen Osten ist übrigens nicht Israel, sondern Saudi-Arabien.

Spätestens seit den Überfällen der USA und ihrer „willigen Vollstrecker“ auf Afghanistan und Iraq, die zu einer humanitären Katastrophe in diesen Ländern geführt hat, befindet sich der Westen in einer Legitimitätskrise. Diese Kriege im Namen „westlicher Werte“ haben den moralischen Tiefpunkt offengelegt, an dem sich die Demokratien des Westens befinden. Um noch an Glaubwürdigkeit zu retten, was noch zu retten ist, sollten sich die Staaten des Westens von der US-amerikanischen Okkupation dieser Länder verabschieden, weil sie sonst in einer US-Besetzung ad infinitum gefangen bleiben werden. Es werden Milliarden von Euro und US-Dollar in den Sand gesetzt, die überall für Sozial- und Wirtschaftsprogramme fehlen. Die Armut in den USA und den Ländern der Europäischen Union hat Rekordhöhen erreicht. Hartz-IV-Empfänger in Deutschland sollen fünf Euro Almosen mehr erhalten, gleichzeitig werden Milliarden am Hindukusch versenkt. Was ist dies, wenn nicht politischer Zynismus? Am Hindukusch wird nicht die Freiheit, sondern die geopolitische Expansion des US-Imperiums verteidigt und gefestigt. Dies liegt nicht im europäischen und schon gar nicht im deutschen Interesse. Die Fragwürdigkeit „westlicher Werte“ und die moralische Krise des Westens offenbaren sich auch im Schweigen der „westlichen Staatengemeinschaft“ gegenüber der Abriegelung des Gaza-Streifens durch die israelischen Besatzungstruppen. Die humanitäre Katastrophe der Menschen in diesem „Freiluftgefängnis“ ist die Kehrseite der moralischen Krise des Westens und seiner Politik des doppelten Standards.

Die Europäische Union sollte sich von der US-Dominanz lösen, weil die Werte, für die das US-Imperium steht, keine „westlichen Werte“ sind. Besetzung, Unterdrückung, Ausbeutung, Mord, Folterungen und das Wegsperren von Menschen ohne ordentlichen Prozess stellen eine Karikatur westlicher Werte dar. Davon und von dem US-Konzept eines „permanenten Krieges“ sollten sich die europäischen Demokratien schnellstens lossagen. Wie besessen und irrational die Vertreter des US-Imperiums handeln, zeigen die antidemokratischen Machenschaften gegen den Gründer von WikiLeaks, Julian Assange. Nicht nur werden zivile Organisationen unter Druck gesetzt, alle Kontakte zu WikiLeaks zu kappen, sondern führende Republikaner u. a. rufen offen zu Liquidierung Assanges auf, und die US-Administration beugt das Recht, um eine „Rechtsgrundlage“ für einen „Schauprozess“ gegen Assange zu initiieren. Einer Auslieferung von Julian Assange an die USA muss deshalb von allen demokratischen Kräften Widerstand entgegengesetzt werden, weil ihn dort nicht nur kein fairer Prozess erwartet, sondern, wie Assange nicht zu Unrecht vermutet, auch seine Ermordung. Die Solidarität des demokratischen Westens und seiner zivilgesellschaftlichen Kräfte sollte auch dem US-Soldaten Bradley Manning gelten, dem vorgeworfen wird, „geheimes“ Material an WikiLeaks weitergegeben zu haben, was unbewiesen ist. Mr. Manning wird seit über sechs Monaten in Isolationshaft unter unmenschlichsten Bedingungen gefangen gehalten, um ihn „weichzukochen“, damit der gegen Assange aussagt, wofür ihm Straffreiheit zugesichert worden sei. Mannings Material ist es zu verdanken, dass die Weltöffentlichkeit erfährt, wie brutal sich die US-Besatzungstruppen in Irak verhalten. Der „killing spree“ der Besatzung eines US-Apache-Kampfhelikopters auf harmlose Zivilisten und deren Retter zeigt der Weltöffentlichkeit wahrscheinlich nur die Spitze eines Eisberges des „benign“ Hegemons, wie einige europäische Analysten fälschlicherweise die Expansionspolitik des US-Imperiums interpretieren. Aufgrund der noch unentdeckten möglichen Kriegsverbrechen der US-Besatzungstruppen in Irak und Afghanistan sollte Mao Zedongs berühmte Tausend-Blumen-Losung ins heute gewendet lauten: Lasst Tausend Bradley Mannings und Julian Assanges blühen!