Samstag, 16. Juli 2011

„We want our mark back“

Am 28. April 2010 hat der erste Moderator bei den ARD-Tagesthemen, Tom Buhrow, einen überaus bemerkenswerten Artikel in der „New York Times“ veröffentlicht. Darin ging es um das bedingungslose Europa-Engagement der Deutschen, die dafür sogar bereit waren, ihre „Identität“, die Deutsche Mark, zu opfern, aber am Ende nichts gleichwertiges dafür bekommen haben, sondern sogar des „Egoismus“ und des „Nationalismus“ bezichtigt würden. So fragt Buhrow völlig zu Recht: „Ist es das, was das europäische Projekt ausmacht – entweder Deutschland zahlt die Rechnungen oder die Vergangenheit wird gegen uns geltend gemacht?“ Deutschland werde nicht „nationalistischer, sondern nur „realistischer“. Das Verhalten Deutschlands sei mit dem einer enttäuschten „Braut“ vergleichbar, da kein anderes Land den Traum von den „Vereinigten Staaten von Europa“ mit geträumt habe. Deutschland wollte in einer größeren Union aufgehen, die anderen aber nicht. Dass Frankreich nicht bereit gewesen sei, wie „Arkansas“ zu werden, ist beim Nationalstolz der Franzosen verständlich, aber selbst wie „Kalifornien“ zu werden, auch dazu war Ex-Präsident Jacques Chirac zu Recht nicht bereit, Frankreichs Souveränität für Europa zu opfern. So könne es eines nicht zu späten Tages dazu kommen, dass die Deutschen fordern könnten: „We want our mark back“. Am Ende des Artikels formuliert Buhrow etwas, was man von einem führenden Mitglied der öffentlich-rechtlichen medialen Klasse nicht ohne weiteres erwartet hätte: „Wir werden gute Freunde bleiben. Wir werden einfach nicht mehr die Pin-Nummer unserer ATM-Karte mit Ihnen teilen. Diese ist einem Ehepartner vorbehalten, und wir haben eine lange Zeit vor dem Altar gewartet.“

Für einen führenden Moderator der ARD eine sehr mutige Meinung. Leider ist sie bis dato ohne Resonanz innerhalb der deutschen Kollegen/innenschaft geblieben, obgleich die europäische Währung, der Euro, in den letzten Zügen liegt. Milton Friedman, Nobelpreisträger für Wirtschaft, hat 1999 prophezeit, dass die Euro-Zone vielleicht nach zehn Jahren auseinanderbrechen werde; diese Datum ist gerade einmal um zwei Jahre überschritten worden. Wenn vom Euro noch etwas übrig bleiben soll, müssen die so genannten Oliven-Länder die Euro-Zone verlassen. Sie hätten überhaupt nicht zugelassen werden dürfen, da ihre Zahlen schon damals nicht mit den geforderten Eintrittskriterien in Einklang zu bringen waren, was auch die Europa-Fans wussten.

Die Europäische Währungsunion war nie als eine Transferunion konzipiert worden. Folgende Sätze von Ex-Kanzler Helmut Kohl, die er am 23. April 1998 im Deutschen Bundestag vorgetragen hat, sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Ich bin überzeugt, dass die Erfolgsgeschichte der D-Mark in unserem Land mit einer Erfolgsgeschichte des Euro weitergeht (…) Die Vorzüge, die wir mit der D-Mark erarbeitet haben und an der D-Mark - zu Recht – schätzen, gehen nicht verloren. (…) Meine Damen und Herren, der Euro und die Europäische Währungsunion sind in gar keiner Weise ein unkalkulierbares Risiko (…) Meine Damen und Herren, nach der vertraglichen Regelung gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für die Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers.“ Ein „bail-out“ für bankrotte Staaten ist laut den Maastricht-Verträgen nicht vorgesehen. Oder geht es gar nicht um die Rettung der Staaten, sondern nur um die Rettung der Banken, die sich verzockt haben und sonst Pleite gehen würden? Wie hält es die Europäische Union mit dem Prinzip der Vertragstreue: Pacta sunt servanda? Wie können es verantwortungsvoll handelnde Politiker mit ihrem Gewissen verantworten, dass gutes Geld der Steuerzahler in ein Fass ohne Boden auf nimmer Wiedersehen geworfen wird?

Die Länder der „Oliven-Koalition“ können nur wieder auf die Beine kommen, wenn sie die Euro-Zone verlassen und ihre nationalen Währungen einführen, damit die Regierungen endlich Herr über ihr eigenes Schicksal und das ihrer Bürger werden können, indem sie ihre Währungen, wie z. B in Griechenland, um 40 Prozent abwerten (Vaclav Klaus) und mit einer eigen Währungshoheit wieder nationale Politik gestalten zu können. Länder wie die Tschechische Republik, Polen, Großbritannien, die Schweiz, Dänemark, Norwegen, Schweden werden einen Teufel tun, auf ein sinkendes Euro-Schiff aufzuspringen und ihre Souveränität gegen eine bürokratische Fremdbestimmung eines ominösen Imperiums einzutauschen. Den EU- und Euro-Fans sei das Interview des tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus vom 28. April 2010 in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ empfohlen, das sich durch einen politischen Realismus auszeichnet, den man bei der politischen EU-Klasse vermisst. Was er zur „griechischen Tragödie“ zu sagen hat, sollte endlich von den EU-Regierungschefs zur Kenntnis genommen werden. „Die wirkliche Tragödie ist nicht die rationale oder irrationale Wirtschaftspolitik in Griechenland, es ist der Euro, der die Tragödie bewirkt.“ Wer eine Politik, die in den Abgrund führt, als „alternativlos“ erklärt, hat seine politische Seriosität eingebüßt, da es immer ein Alternative gibt – schon ein Nein stellt eine Alternative dar.

Als am 7. Mai 2010 über die Verabschiedung des Hilfspaketes für Griechenland im Deutschen Bundestag abgestimmt worden ist, hatten nur vier CDU/CSU-Abgeordnete und ein FDP-Abgeordneter sowie die Fraktion der Partei DIE LINKE den Mut, mit Nein zu stimmen. Einem zweiten Griechenland-Hilfspakt sollten die Politiker aus Verantwortung für ihre deutschen Wähler/innen, denen sie primär politisch verantwortlich sind, nicht zustimmen, und die Bundeskanzlerin ist auf das Grundgesetz vereidigt und nicht auf irgendwelche EU-Angelegenheiten.

Der renommierte Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel schrieb unmittelbar nach der Abstimmung im Deutschen Bundestag einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin: „Der Euro hat die Einheit Europas nicht vorangebracht, sondern blockiert. Die Völker Europas waren niemals uneiniger als jetzt. Die einen haben den Euro für ihre nationalen Zwecke missbraucht, ihn inflationiert und sich über die Halskrause verschuldet; die anderen müssen dafür zahlen. Der Euro hat uns vor keiner Krise geschützt, im Gegenteil: er hat die internationale Spekulation gegen ihn angefacht und verstärkt. Er ist weder ein Integrationsmotor gewesen, noch hat er sich als Schutzschild bewährt. Eines ist aber auch klar geworden: Es wird diese Gemeinschaftswährung nur solange geben, wie Deutschland für sie zahlt.“ Dazu hat Tom Buhrow eigentlich 2010 alles gesagt.

Als ich aus aktuellem Anlass meinen Beitrag „Der Irrweg von Maastricht“ wieder gelesen habe, war ich erschrocken über die Aktualität; alle Prognosen waren nicht nur eingetroffen, sondern übererfüllt worden, was bei Prognosen nicht die Regel ist. Als ich 1993 warnte, dass 20 Mrd. ECU jährlich in einen Kohäsionsfonds für die Südländer einzuzahlen wären, warf man mir Nationalismus und Rassismus vor. Im Angesicht der heutigen Transferzahlungen hätte man diesen Betrag aus der Portokasse zahlen können.

Der Euro scheint nur überleben zu können, wenn er sich zu einem Nord-Euro reformiert. Alle „Fußkranken“ müssen ihre nationalen Währungen wieder einführen und einen neuen Anlauf nehmen, um die Hürden auf korrekte Weise zu überspringen. Wenn dabei einige Banken über die Wupper gehen: So what! Die Kontrolle der internationalen Finanzwelt samt ihrer Spekulanten oder des „Heuschrecken-Kapitalismus“ wäre die dringlichere Aufgabe. Während die Ackermänner dieser Welt in Sänften getragen werden und Millionen scheffeln, werden die „Verdammten dieser Erde“ in Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien zur Ader gelassen. Die Einführung des Euros hat bisher nur den internationalen Konzernen, den Banken und den Spekulanten genützt, die eigentlichen Verlieren sind die Bürger Europas, die alle an einer Nivellierung der sozialen Standards zu leiden haben. Wer dies für eine verantwortbare Politik hält, sollte sein Amt aufgeben. Spätestens wird der Wähler sie 2013 dort hinschicken, wohin sie gehören: Ab in die Provinz, damit sie endlich kapieren, was die Menschen denken und wollen. Als letzten politischen Gag hat die politische Klasse in Europa die Überbringer der katastrophalen Nachricht für das Euro-Desaster, die US-Ratingagenturen, verantwortlich gemacht. No comment! Bei diesem politischen Tohuwabohu kommt der journalistischen Klasse eine wichtige Aufgabe zu: Nicht Hofschranzen-Journalismus in Sachen Euro ist jetzt gefragt, sondern an Tom Buhrow oder Jürgen Elsässer anknüpfend, sollten sie endlich einmal ihre Verantwortung gegenüber den Mächtigen wahrnehmen und die Sache beim Namen nennen: Der Euro in dieser Länder-Konstellation ist am Ende.