Die Autorin gehört zu denjenigen, die sich von den extremistischen zionistischen Israel-Fans in Deutschland und den USA als „Antisemitin“ und „jüdische Selbsthasserin“ verleumden lassen muss, obgleich sie nur versucht, die Verbrechen der zionistischen Besatzungsmacht auf der Grundlage einer jüdischen Ethik zu kritisieren.
Bereits in der Einleitung nennt sie ihr Anliegen: So wolle sie zeigen, dass man bei einer Kritik der staatlichen Gewalt, der kolonialen Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen, der Vertreibung und Enteignung eines anderen Volkes durch den Staat Israel auf jüdische Quellen zurückgreifen könne, dies würde darüber hinaus deutlich machen, „dass eine jüdische Kritik der von Israel ausgeübten staatlichen Gewalt zumindest möglich, wenn nicht sogar ethisch geboten ist“ . Weiterhin sei es ihr Anliegen, aufzuzeigen, dass „jüdische Werte der Kohabitation oder des Zusammenlebens mit Nicht-Juden zum ethischen Kernbestand des Diaspora-Judentums gehören“, woraus die Autorin meint, ableiten zu können, dass die Forderung für soziale Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit ein integraler Bestandteil „säkularer, sozialistischer und religiöser jüdischer Traditionen“ sei.
Judith Butler, die Komparatistik und Rhetorik an der University of Berkeley in Kalifornien lehrt, gehört zu den führenden Vertreterinnen der Genderforschung. In diesem Buch entwickelt sie anhand der Ideen von Hannah Arendt, Walter Benjamin, Emmanuel Lévinas, Primo Levi, aber auch den Schriften von Edward Said und Mahmoud Darwish, Elemente einer jüdischen Ethik und kritisiert anhand derer die durch den Zionismus ausgeübte staatliche Gewalt gegenüber einem kolonisierten Volk. Bei den von Butler angerufenen Autoritäten handelt es sich um säkulare Vertreter des Judentums, sieht man einmal von Said und Darwish ab.
Seit der Zionismus Ende des 19. Jahrhunderts auf der politischen Bühne in Erscheinung trat, gab es seitens der Vertreter des religiösen Judentums massive Kritik an dieser „Häresie“. Eine jüdische Kritik am Zionismus gibt es somit seit über einhundert Jahren, wie der kanadische Historiker Jakov M. Rabkin in seinem exzellenten Buch „A Threat from Within. A Century of Jewish Opposition to Zionism“ minutiös dargelegt hat. Dass Butler dieses Buch in ihren Quellen unerwähnt lässt, ist ein großes Manko.
Eine Kritik des zionistischen Besatzungsregimes ist vom Standpunkt einer jeden Weltanschauung mehr als geboten, weil die zionistische Ideologie das Judentum, das mit dieser Ideologie nicht gleichgesetzt werden darf, in eine Art Mithaftung nimmt und damit der gesamten Judenheit eine Art kollektive Mitverantwortung aufbürdet für die Besatzungsverbrechen, die der Zionismus auch im Namen des Judentums am palästinensischen Volk begeht. Nicht ohne Grund wehren sie viele mit den Worten dagegen: "Nicht in unserem Namen!"
Gleichwohl ist die Kritik Butlers am Zionismus mehr als überfällig. Aber eine Lösung des Nahostkonfliktes kann es nur geben, wenn man das Resümee des Briten John Rose beherzigt, das er in seinem Buch „Mythen des Zionismus“ (Rotpunktverlag, Zürich 2010) gezogen hat: „Der Zionismus ist das Problem, seine Beseitigung ist die Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten und für die arabisch-jüdische Versöhnung in Palästina.“ Dass dazu ein säkularer Staat gehört, in dem Israelis und Palästinenser gleichberechtigt zusammenleben, wie die Autorin fordert, versteht sich für einen Demokraten von selbst.