Die Europäische Union ist ein politisches Gebilde, das von Krise zu Krise taumelt, und dies scheint ihr Lebenselixier zu sein. Ob diese politische Kopfgeburt wie weiland das Römische Reich kollabieren wird, scheint nach Meinung des Autors wahrscheinlich. Geht es nach der deutschen politische Klasse, kollabiert finanziell eher Deutschland als die EU, wenn man sich die horrenden Verpflichtungen vor Augen führt, die das Land für die anderen Euro-Staaten und die EU als Ganzes übernommen hat.
David Engels ist ein jugendlicher deutsch-belgischer Althistoriker, der an der Freien Universität von Brüssel lehrt. Seine Vergleiche der EU mit dem Kollaps der Römischen Republik sind anregend zu lesen, aber wie alle Vergleiche so hinkt auch dieser, schon alleine deshalb, weil die EU nie das historische Alter des Römischen Reiches erreichen wird. Das Römische Reich bestand mehr als eintausend Jahre. Der EU dagegen scheint schon seit der Einführung des Euro, in 2002, das politische Totenglöckchen zu läuten.
Für den Autor steht die "europäische Demokratie" am Abgrund. Hat es eine solche überhaupt jemals gegeben? Von Demokratie kann in der EU wohl keine Rede sein, wenn man die Kriterien eines wirklichen demokratischen Staates an dieses Staatenkonglomerat anlegt. Wie formulierte es doch der wiedergewählte Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, so plastisch: Wenn die EU einen Aufnahmeantrag in die EU stellen würde, müsste man diesen aufgrund von Demokratiedefiziten ablehnen! Der EU fehlt ein Proprium; das pekuniäre seiner Mitglieder zu Lasten eines Staates taugt nicht als ewige Bestandsgarantie.
Engels beschreibt eine EU, die von einer Dauerkrise gebeutelt wird, an Werteverlust leidet, am Reformstau fast erstickt und vor politischer Erstarrung sich im Endstadium wie weiland das Sowjet-Imperium befindet. Das heißt, die EU geht noch nicht unter, sondern durchläuft erst ihre "augustinische Wende", bevor sie ihrem Ende entgegen geht. Ob sich die EU aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit durch eine Rückbesinnung auf ihre ureigene Identität oder ihre kulturellen Traditionen wie weiland Baron Münchhausen am eigenen Zopf aus dem politischen Morast befreien kann, wie der Autor spekuliert, mag dahingestellt sein.
Da Engels von kulturellen und sittlichen "Entartungen" einer individualistischen , seelisch pervertierten modernen Gesellschaft spricht, die durch die digitalisierte Gesellschaft noch ihre Steigerung erfährt, verlässt er die nüchterne Bestandsaufnahme einer EU, die zahlreichere defizitäre gesellschaftliche Symptome aufweist als diese kulturalistischen. Der Autor spricht von einer "Zivilisationskrise" , die den Wandlungen gleiche, die die spätrömische Republik durchgemacht habe. Mit Zivilisationskrise meint Engels die Auflösung der Identitätsmuster.
Der Autor überfrachtet seine politisch-konzise Analyse der Missstände innerhalb der EU mit kultureller Larmoyanz, wenn er sich in Aussagen über das "Wesen des Menschen" ergeht, die "Patchworkbeziehungen" und die fehlende Erziehung der Kinder aufgrund "beruflichen Ehrgeizes" der Eltern beklagt. Das "Außerachtlassen" der Ungleichheit in der Gesellschaft, insbesondere in der "1968er-Zeit", habe zur Erosion von lebenslangen Verhaltensmustern und Hierarchien beigetragen. Ob dadurch die alten Werte in einem globalen Kulturkampf gerettet werden können, wie der Autor meint, bleibt der Zukunft anheimgestellt.
Wo Unheil droht, wächst das Rettende auch, wie schon Hölderlin wusste. Aber selbst ein Europa der Nationalstaaten hält Engels für nicht überlebensfähig gegenüber den sich formierenden Imperien in Asien oder Nordamerika. Für ihn kann das Rettende nur von einem imperialen Europa kommen, dass sich seiner geistigen Werte besinnt, die man ihm geraubt habe. Als Fazit scheint Engels doch Sicherheit und Gleichheit der Freiheit vorzuziehen, wenn sie durch eine staatsinterventionistische Politik abgefedert wäre. Eine gute Herrschaft von oben hat es bis heute nur in philosophischen Abhandlungen gegeben. Mehr Pragmatismus hätte dem Buch gut getan.
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