Der Untertitel dieses Spaziergangs durch das jüdische Witzenhausen lautet: kennst du Israel Beer Josaphat alias Paul Julius Reuter? Reuter stammte aus einer Witzenhäuser Rabbiner-Familie und ist der Gründer der Nachrichtenagentur Reuters mit Sitz in London. Er war, zeitgemäß ausgedrückt ein Medienunternehmer.
Manfred Baumgardt, studierter Historiker und Politologe, hatte bereits mit seinem Buch „Es stand alles in der Zeitung“ den jüdischen Bürgern Witzenhausens ein publizistisches Denkmal gesetzt. Diese Studie vermittelte Einblicke in eine Kleinstadt im Dritten Reich und wie dort mit den jüdischen Bewohnern umgegangen worden ist. Schikanen, Misshandlungen, Enteignungen, Deportationen und schließlich die Ermordung der Juden war ein flächendeckendes Phänomen. Wer es wissen wollte, konnte es wissen, da alles in der Zeitung stand.
Im „jüdischen Witzenhausen“ lädt der Autor die Leser/innen zu einem Einkaufsbummel mit Emmi und ihrem Vater Peter Kanngiesser im Jahr 1933 durch Witzenhausen ein. Diese Sightseeing Tour führt vorbei an den ehemaligen Wohn- und Geschäftshäusern, der Synagoge und der jüdischen Volksschule dieser Stadt. Beim Lesen dieser minutiösen Darstellung überkommt den Lesern/innen eine Gefühl der unmittelbaren Teilnahme.
Der Gemeindeälteste der Jüdischen Gemeinde erzählt die Geschichten berühmter Witzenhäuser, wie die des Barons Paul Julius Freiherr von Reuter (1816-1899), besser bekannt durch die Nachrichtenagentur Reuters. Dessen Vater Samuel Levi Josaphat war einst Rabbiner von Witzenhausen, musste jedoch mit der Familie nach Kassel umziehen, wo Israel Beer Josaphat alias Paul Julius Freiherr von Reuter 1816 zur Welt kam.
Die zahlreichen historischen Ansichten stehen im krassen Kontrast zu den heutigen Gebäuden, die sich alle im Besitz der „feinen“ Witzenhäuser Gesellschaft befinden. Ebenso enthält das Buch zahlreiche Anzeigen von „Inventur-Verkäufen“ nach 1933. So boten die Wallachs, Kugelmanns, Oppenheims&Nußbaums, Madelongs und Katz‘ ihre Waren zu „Vorzugspreisen“ an. Vielsagend ist das Kriegerdenkmal im Stadtpark, das selbstverständlich keine Namen von jüdischen Gefallenen enthält.
Den Stadtrundgang gibt es nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Hebräisch und Englisch. Die Übersetzung ins Hebräische stammt von Nimrod Baratz und die Englische von Carrie McIlwain. Abgerundet wird das Buch von zahlreichen historischen und zeitgenössischen Ansichten des jüdischen Witzenhausen. Ein überaus interessantes zeitgenössisches Werk von großer historischer Bedeutung.
Manfred Baumgardt, Ein jüdisches Witzenhausen, BoD, Norderstedt 2018, 76 Seiten, € 14,50. Übersetzungen ins Hebräische und Englische.