In jüngster Zeit hat die israelische Tageszeitung „Ha´aretz“ Artikel zum jüdischen Fundamentalismus in Israel veröffentlicht. Er stellt eine ernsthafte Gefahr für den Bestand Israels als einer jüdisch-demokratischen Gesellschaft dar. Die diversen israelischen Regierung haben den öffentlichen Kredit, den das Land im Allgemeinen noch im westeuropäisch-US-amerikanischen Ausland genießt, durch ihre stillschweigende Duldung dieses extremistischen Phänomens fasst völlig aufgebraucht, dies trifft insbesondere auf die im Augenblick regierende rechtsnationalistische Regierung unter Ministerpräsident Benyamin Netanyahu zu, die sich einen Außenminister leistet, der von einigen israelischen Analysten als „faschistisch“ bezeichnet wird.
Jüdischer Fundamentalismus und Rechtsextremismus in Israel sind leider keine neuen Phänomene. Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre konnte man diese selbst als Außen stehender Beobachter - ohne die üblichen Pro-Israel-Scheuklappen - deutlich erkennen. Vor undenklichen Zeiten war es in der Bundesrepublik Deutschland in einigen Zeitschriften noch möglich, darüber sine ira et studio zu schreiben. Heute scheint dies selbst in so genannten linken Publikationsorganen wie der „taz“ oder „Der Freitag“ völlig ausgeschlossen, die schräge „Israeldebatte „ in der taz legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Die bundesrepublikanische Medienlandschaft hat sich gegenüber einer realistischen Berichterstattung über die politische Wirklichkeit Israels immunisiert. Es gibt in punkto Widerspiegelung der Vorgänge in Israel eine „Schweigespirale“ wie weiland gegenüber gewissen politisch nicht korrekten Phänomenen in Deutschland, wie es die „Grande Dame“ der Meinungsforschung, Elisabeth Noelle-Neumann, meinte damals feststellen zu müssen.
Welche extremistischen Formen dieser Fundamentalismus angenommen hat, zeigt das Buch zweier Rabbiner in Israel. Zvi Barel zitiert in „Ha´aretz“ vom 22. August 2010 unter dem Titel „Fundamentalism into the mainstream“: "A soldier who takes part in the war against us, but does so only because he is forced to by threats, is an absolute villain .... We are referring to any sort of participation in the war: a combat soldier, a support soldier, civilian assistance or any form of encouragement and support." And: "Even if civilians are tied up or imprisoned and have no choice but to stay and serve as hostages, it is possible to kill them."
Und so geht es weiter in dieser faschistischen Ideologie: "In discussions on the killing of infants and children ... it is reasonable to harm children if it is clear they will grow up to harm us. Under such circumstances they should be the ones targeted." And finally: "There is no need to discuss the question of who is and is not innocent, just as when we are defending against evil we do not hesitate to strike at limbs that were not actually used in actions against us." Dieses sind Zitate aus "The King's Torah" ("Torat Hamelech") der Rabbiner Yitzhak Shapira and Yosef Elitzur. Barel berichtet weiter, das zahlreiche einflussreiche Rabbiner diese beiden in ihren Ansichten unterstützt haben. Diese Zitate bilden die Grundlage einer Untersuchung wegen „Rassismus“ und „ vermuteter Aufwiegelung“. Die beiden Rabbiner haben eine Befragung seitens der Behörden mit dem Argument verweigert, diese käme einer Anklage oder Befragung wegen ihrer freien Meinung gleich. Barel resümiert folgerichtig, dass dadurch das halachische (jüdische) Gesetz über dem staatlichen stehen würde. Der Chefrabbiner der Extremisten-Siedlung Kiryat Arba, in der auch der Massenmörder Baruch Goldstein als „Märtyrer“ verehrt wird, Dov Lior, ist seinen Rabbiner-Kollegen argumentativ beigesprungen, indem er schreibt: "The harassment of the rabbis because of their halakhic views stands in direct opposition to the principles of freedom of religion and expression that are accepted by the state." In keinem westlich-demokratischen Staat würde solche eine Ansicht hingenommen, die sogar die präventive Tötung von Kleinkindern aufgrund einer eingebildeten später prospektiven „Gefahr“ beinhalten würde, wie die Rabbiner Shapira und Elitzur schreiben. Zvi Barel kommentiert also eine in Israel weithin bekannte Tatsache, wenn er schreibt: “Nothing new, so far. Fundamentalist rabbis have approved murder, attacks on Arabs and their property, the illegal takeover of land, racist segregation between Ashkenazi and Mizrahi female pupils, and have ignored (at least) the murder of a prime minister. After all, the source of authority of those same rabbis, the book of books, is full of hair-raising descriptions of the vengeance exacted by the Children of Israel on the peoples of this land.”
Als im November 1995 der damalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin von einem rechtsextremistischen religiösen Fanatiker bei einer Friedensdemonstration in Tel-Aviv erschossen worden ist, hat das politische Establishment Israels seine Augen vor den wahren Ursachen dieses Attentats verschlossen. Nur wenige, unter ihnen Israel Shahak, deckten die wirklichen Ursachen dieses politisch-religiös-motivierten Mordes auf. Für Shahak gründeten sie in der Halacha, dem jüdischen Gesetz, so wie jetzt wieder Rabbiner ihre antidemokratischen Ansichten über die Palästinenser mit „Gesetzesvorschriften“ aus der Halacha begründen. Schon damals war bekannt, das führende Rabbiner eine „jüdische Fatwa“ gegen Rabin erlassen hatten, auf die sich sein Mörder Yigal Amir immer wieder berufen hat, ohne deren Inspiratoren zu nennen. Aber nicht nur das religiös-extremistische Establishment Israel trägt Verantwortung für die Ermordung Rabins, sondern auch die damaligen Vertreter der Likud-Partei. Sie haben öffentlich gegen den Ministerpräsidenten gehetzt. Nicht ohne Grund hat Lea Rabin damals die ausgestreckte „Beileids spendende“ Hand von Benyamin Netanyahu verweigert. Das folgende Buch gibt einen ersten, erschreckenden, aber aufschlussreichen Blick in die Welt des jüdischen Fundamentalismus in Israel.
Der jüdische Fundamentalismus in Israel hat seine Wurzeln in den orthodoxen Glaubensvorstellungen. Er übt einen verheerenden Einfluss auf alle Bereiche der israelischen Gesellschaft aus, insbesondere das Militär und die Politik. Jüdischer Fundamentalismus ist nichts ungewöhnliches, steht er doch neben christlichem, islamischem und hinduistischem Fundamentalismus. Im Westen wird der islamische Fundamentalismus jedoch geschmäht, jüdischer Fundamentalismus dagegen ignoriert. Dies trifft insbesondere auf die Berichterstattung westlicher Medien zu, die essentielle Fakten nicht berichten, sich einer oberflächlichen Analyse bedienen und folglich oft irreführend ist. Dagegen wird in der hebräischen Presse offen und sehr kritisch über diese innerisraelischen Missstände berichtet; der Duktus der Beiträge würde in den westlichen Medien als „antisemitisch“ inkriminiert werden.
Allen Fundamentalismen ist eine „goldene Zeit“ eigen, die es wiederherzustellen gilt. In der ersten Netanyahu-Regierung (1996-1999) trat das fundamentalistisch-nationalistische Phänomen bereits offen zutage. Heute ist es noch offensichtlicher durch die Regierungsbeteiligung der als rechtsextremistisch geltenden Partei „Israel Beiteinu“. Der Wahlsieg Ehud Baraks 1999 hat die Brisanz des jüdischen Fundamentalismus für Beobachter Israels jedoch wieder in den Hintergrund treten lassen. Fälschlicherweise, wie die Autoren meinen. Für sie stellt der Fundamentalismus weiterhin eine ernste Gefahr für den demokratischen Bestand Israels dar. Diese Warnung der Autoren erhält eine zusätzliche Brisanz, weil Netanyahu 2009 wieder Regierungschef einer rechtsnationalistisch-religiös-fundamentalistischen Regierung geworden ist, die sich einen Außenminister leistet, der nach westeuropäischen demokratischen Standards keine Karriere gemacht hätte. Beruhigend für Israel, auch in Europa und den USA erodieren die Wertmaßstäbe.
Jüdischer Fundamentalismus ist der Glaube, dass die jüdische Orthodoxie, die auf dem babylonischen Talmud, des talmudischen und halachischen Schrifttums beruht, noch gültig ist und ewig Gültigkeit beanspruchen wird. Die jüdischen Fundamentalisten glauben, dass das Alte Testament nur dann als autoritativ angesehen werden kann, wenn es anhand des talmudischen Schrifttums interpretiert wird.
Die Autoren vertreten die These, dass der jüdische Fundamentalismus nur dann zu verstehen ist, wenn man die historische Periode identifiziere, die die Fundamentalisten wiederherstellen wollen. Sie teilen die Geschichte des Judentums in vier Perioden ein. Die jüdischen Fundamentalisten haben die Zeit von 1550 bis 1750 als die „goldene Zeit“ des Judentums beschrieben, in der die große Mehrheit der Juden die Kabbala und ihre Regeln akzeptierte. Diese Ära sollte wiedererstehen.
In Israel gibt es eine große Anzahl von Fundamentalisten und Extremisten. Einer der ersten war der Rabbiner Abraham Kook, der „jüdische Überlegenheit“ predigte. "The difference between a Jewish soul and souls of non-Jews - all of them in all different levels - is greater and deeper than the difference between a human soul and the souls of cattle." Eines ihrer gemeinsamen Ziele sei die Errichtung des jüdischen Tempels auf dem Haram al-Sharif (Tempelberg). Wenn dies nicht zu erreichen sei, dann solle der Platz, auf dem die islamischen Heiligtümer - Felsendom und Al-Aksa-Moschee - stehen, von Besuchern freigehalten werden. Die Bedeutung des jüdischen Fundamentalismus lässt sich nach Ansicht der Autoren nur in dessen Beitrag zur Spaltung der israelischen Gesellschaft verstehen. Diese drücke sich insbesondere in der Tatsache aus, dass die Linke in Israel die Normalität anstrebt und wie jedes andere Volk leben will - dies ein zentrales Dogma des säkularen Zionismus - wohingegen die Rechte und die Fundamentalisten die Einzigartigkeit des jüdischen Volkes betonen und sich bewusst von anderen Völkern unterscheiden wollten. „Juden sind und können kein normales Volk sein. Ihre Einzigartigkeit beruht auf dem ewigen Bund mit Gott“, so Vertreter der Siedlerbewegung Gush Emunim (Block der Getreuen), der von Rabbi Tzvi Yehuda Kook gegründet worden ist. Dies geht dann sogar soweit, dass aufgrund des „jüdischen Blutes“ Juden zu einer anderen Kategorie gehören als Nicht-Juden. „Für religiöse Juden hat das Blut eines Nicht-Juden keinen wirklichen Wert; für Vertreter des Likud besitzt es einen relativen“ so die Autoren. Die innerjüdische Diskussion, die von ranghohen Vertretern der Fundamentalisten wie Rabbi Ovadia Yoseph, dem geistigen Oberhaupt der Shas-Partei, und anderen Vertretern des religiösen Establishments und der Nationalreligiösen Partei (NRP) zu diesen Fragen geführt werden, mutet mehr als bizarr an. Die Autoren betonen mehrmals, dass sich diese Diskussion nie in der englischen Literatur wiederfinde bzw. im Ausland völlig unbekannt sei.
Das Buch bietet einen erstklassigen Überblick in die verschiedenen fundamentalistischen Strömungen wie der Haredim, die sich in aschkenasische (europäische) und sephardische (orientalische) Juden teilen, den Vertretern der NRP und des Gush Emunim. Des Weiteren werden die Bedeutung des Massenmörders Baruch Goldstein, der in der Ibrahim-Moschee in Hebron 29 betende Muslime niedermetzelte, und der religiöse Hintergrund des Attentates auf Ministerpräsident Yitzhak Rabin religiös eingeordnet. Beide politische Ereignisse seien ohne die religiöse Tradition der Bestrafung und Tötung von „Häretikern“ nicht zu verstehen.
Shahak und Mezvinsky haben ein provokantes und faszinierendes Buch geschrieben. Es erschließt dem Leser Bilder des Judentums und eines Teils der israelischen Gesellschaft, die nicht in das Wunschbild vieler Lobbyisten, Israelfans und politisch Naiver passen wollen. Vielleicht geben diesen Fans die Worte des langjährigen Autoren des „Jerusalem Reports“ vom April 2001, Ze´ev Chafets, zu denken: „The Arabs can`t destroy Israel, but the rabbis can. The rabbis can do that by turning Israel into the kind of political entity that Jews lived in for 2,000 years, by turning it into a place governed by clerical law and clerical thinking which had become so backward and xenophobic that Israel wont`t be able to function as a state.” Das Buch ist unbequem, aber aufschlussreich. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre sinnvoll. Oder soll auch dieses spannende und interessante Buch dem „Traumbild“ geopferte werden und der „Schweigespirale“ in Deutschland anheimfallen?
Zuerst erschienen in: Der Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift, (2010) 5, S. 66-68.
Israel Shahak/Norton Mezvinsky, Jewish Fundamentalism in Israel, Pluto, 2. Aufl., 2010, Neuauflage 2004 (1999), 176 Seiten.
Jüdischer Fundamentalismus und Rechtsextremismus in Israel sind leider keine neuen Phänomene. Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre konnte man diese selbst als Außen stehender Beobachter - ohne die üblichen Pro-Israel-Scheuklappen - deutlich erkennen. Vor undenklichen Zeiten war es in der Bundesrepublik Deutschland in einigen Zeitschriften noch möglich, darüber sine ira et studio zu schreiben. Heute scheint dies selbst in so genannten linken Publikationsorganen wie der „taz“ oder „Der Freitag“ völlig ausgeschlossen, die schräge „Israeldebatte „ in der taz legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Die bundesrepublikanische Medienlandschaft hat sich gegenüber einer realistischen Berichterstattung über die politische Wirklichkeit Israels immunisiert. Es gibt in punkto Widerspiegelung der Vorgänge in Israel eine „Schweigespirale“ wie weiland gegenüber gewissen politisch nicht korrekten Phänomenen in Deutschland, wie es die „Grande Dame“ der Meinungsforschung, Elisabeth Noelle-Neumann, meinte damals feststellen zu müssen.
Welche extremistischen Formen dieser Fundamentalismus angenommen hat, zeigt das Buch zweier Rabbiner in Israel. Zvi Barel zitiert in „Ha´aretz“ vom 22. August 2010 unter dem Titel „Fundamentalism into the mainstream“: "A soldier who takes part in the war against us, but does so only because he is forced to by threats, is an absolute villain .... We are referring to any sort of participation in the war: a combat soldier, a support soldier, civilian assistance or any form of encouragement and support." And: "Even if civilians are tied up or imprisoned and have no choice but to stay and serve as hostages, it is possible to kill them."
Und so geht es weiter in dieser faschistischen Ideologie: "In discussions on the killing of infants and children ... it is reasonable to harm children if it is clear they will grow up to harm us. Under such circumstances they should be the ones targeted." And finally: "There is no need to discuss the question of who is and is not innocent, just as when we are defending against evil we do not hesitate to strike at limbs that were not actually used in actions against us." Dieses sind Zitate aus "The King's Torah" ("Torat Hamelech") der Rabbiner Yitzhak Shapira and Yosef Elitzur. Barel berichtet weiter, das zahlreiche einflussreiche Rabbiner diese beiden in ihren Ansichten unterstützt haben. Diese Zitate bilden die Grundlage einer Untersuchung wegen „Rassismus“ und „ vermuteter Aufwiegelung“. Die beiden Rabbiner haben eine Befragung seitens der Behörden mit dem Argument verweigert, diese käme einer Anklage oder Befragung wegen ihrer freien Meinung gleich. Barel resümiert folgerichtig, dass dadurch das halachische (jüdische) Gesetz über dem staatlichen stehen würde. Der Chefrabbiner der Extremisten-Siedlung Kiryat Arba, in der auch der Massenmörder Baruch Goldstein als „Märtyrer“ verehrt wird, Dov Lior, ist seinen Rabbiner-Kollegen argumentativ beigesprungen, indem er schreibt: "The harassment of the rabbis because of their halakhic views stands in direct opposition to the principles of freedom of religion and expression that are accepted by the state." In keinem westlich-demokratischen Staat würde solche eine Ansicht hingenommen, die sogar die präventive Tötung von Kleinkindern aufgrund einer eingebildeten später prospektiven „Gefahr“ beinhalten würde, wie die Rabbiner Shapira und Elitzur schreiben. Zvi Barel kommentiert also eine in Israel weithin bekannte Tatsache, wenn er schreibt: “Nothing new, so far. Fundamentalist rabbis have approved murder, attacks on Arabs and their property, the illegal takeover of land, racist segregation between Ashkenazi and Mizrahi female pupils, and have ignored (at least) the murder of a prime minister. After all, the source of authority of those same rabbis, the book of books, is full of hair-raising descriptions of the vengeance exacted by the Children of Israel on the peoples of this land.”
Als im November 1995 der damalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin von einem rechtsextremistischen religiösen Fanatiker bei einer Friedensdemonstration in Tel-Aviv erschossen worden ist, hat das politische Establishment Israels seine Augen vor den wahren Ursachen dieses Attentats verschlossen. Nur wenige, unter ihnen Israel Shahak, deckten die wirklichen Ursachen dieses politisch-religiös-motivierten Mordes auf. Für Shahak gründeten sie in der Halacha, dem jüdischen Gesetz, so wie jetzt wieder Rabbiner ihre antidemokratischen Ansichten über die Palästinenser mit „Gesetzesvorschriften“ aus der Halacha begründen. Schon damals war bekannt, das führende Rabbiner eine „jüdische Fatwa“ gegen Rabin erlassen hatten, auf die sich sein Mörder Yigal Amir immer wieder berufen hat, ohne deren Inspiratoren zu nennen. Aber nicht nur das religiös-extremistische Establishment Israel trägt Verantwortung für die Ermordung Rabins, sondern auch die damaligen Vertreter der Likud-Partei. Sie haben öffentlich gegen den Ministerpräsidenten gehetzt. Nicht ohne Grund hat Lea Rabin damals die ausgestreckte „Beileids spendende“ Hand von Benyamin Netanyahu verweigert. Das folgende Buch gibt einen ersten, erschreckenden, aber aufschlussreichen Blick in die Welt des jüdischen Fundamentalismus in Israel.
Der jüdische Fundamentalismus in Israel hat seine Wurzeln in den orthodoxen Glaubensvorstellungen. Er übt einen verheerenden Einfluss auf alle Bereiche der israelischen Gesellschaft aus, insbesondere das Militär und die Politik. Jüdischer Fundamentalismus ist nichts ungewöhnliches, steht er doch neben christlichem, islamischem und hinduistischem Fundamentalismus. Im Westen wird der islamische Fundamentalismus jedoch geschmäht, jüdischer Fundamentalismus dagegen ignoriert. Dies trifft insbesondere auf die Berichterstattung westlicher Medien zu, die essentielle Fakten nicht berichten, sich einer oberflächlichen Analyse bedienen und folglich oft irreführend ist. Dagegen wird in der hebräischen Presse offen und sehr kritisch über diese innerisraelischen Missstände berichtet; der Duktus der Beiträge würde in den westlichen Medien als „antisemitisch“ inkriminiert werden.
Allen Fundamentalismen ist eine „goldene Zeit“ eigen, die es wiederherzustellen gilt. In der ersten Netanyahu-Regierung (1996-1999) trat das fundamentalistisch-nationalistische Phänomen bereits offen zutage. Heute ist es noch offensichtlicher durch die Regierungsbeteiligung der als rechtsextremistisch geltenden Partei „Israel Beiteinu“. Der Wahlsieg Ehud Baraks 1999 hat die Brisanz des jüdischen Fundamentalismus für Beobachter Israels jedoch wieder in den Hintergrund treten lassen. Fälschlicherweise, wie die Autoren meinen. Für sie stellt der Fundamentalismus weiterhin eine ernste Gefahr für den demokratischen Bestand Israels dar. Diese Warnung der Autoren erhält eine zusätzliche Brisanz, weil Netanyahu 2009 wieder Regierungschef einer rechtsnationalistisch-religiös-fundamentalistischen Regierung geworden ist, die sich einen Außenminister leistet, der nach westeuropäischen demokratischen Standards keine Karriere gemacht hätte. Beruhigend für Israel, auch in Europa und den USA erodieren die Wertmaßstäbe.
Jüdischer Fundamentalismus ist der Glaube, dass die jüdische Orthodoxie, die auf dem babylonischen Talmud, des talmudischen und halachischen Schrifttums beruht, noch gültig ist und ewig Gültigkeit beanspruchen wird. Die jüdischen Fundamentalisten glauben, dass das Alte Testament nur dann als autoritativ angesehen werden kann, wenn es anhand des talmudischen Schrifttums interpretiert wird.
Die Autoren vertreten die These, dass der jüdische Fundamentalismus nur dann zu verstehen ist, wenn man die historische Periode identifiziere, die die Fundamentalisten wiederherstellen wollen. Sie teilen die Geschichte des Judentums in vier Perioden ein. Die jüdischen Fundamentalisten haben die Zeit von 1550 bis 1750 als die „goldene Zeit“ des Judentums beschrieben, in der die große Mehrheit der Juden die Kabbala und ihre Regeln akzeptierte. Diese Ära sollte wiedererstehen.
In Israel gibt es eine große Anzahl von Fundamentalisten und Extremisten. Einer der ersten war der Rabbiner Abraham Kook, der „jüdische Überlegenheit“ predigte. "The difference between a Jewish soul and souls of non-Jews - all of them in all different levels - is greater and deeper than the difference between a human soul and the souls of cattle." Eines ihrer gemeinsamen Ziele sei die Errichtung des jüdischen Tempels auf dem Haram al-Sharif (Tempelberg). Wenn dies nicht zu erreichen sei, dann solle der Platz, auf dem die islamischen Heiligtümer - Felsendom und Al-Aksa-Moschee - stehen, von Besuchern freigehalten werden. Die Bedeutung des jüdischen Fundamentalismus lässt sich nach Ansicht der Autoren nur in dessen Beitrag zur Spaltung der israelischen Gesellschaft verstehen. Diese drücke sich insbesondere in der Tatsache aus, dass die Linke in Israel die Normalität anstrebt und wie jedes andere Volk leben will - dies ein zentrales Dogma des säkularen Zionismus - wohingegen die Rechte und die Fundamentalisten die Einzigartigkeit des jüdischen Volkes betonen und sich bewusst von anderen Völkern unterscheiden wollten. „Juden sind und können kein normales Volk sein. Ihre Einzigartigkeit beruht auf dem ewigen Bund mit Gott“, so Vertreter der Siedlerbewegung Gush Emunim (Block der Getreuen), der von Rabbi Tzvi Yehuda Kook gegründet worden ist. Dies geht dann sogar soweit, dass aufgrund des „jüdischen Blutes“ Juden zu einer anderen Kategorie gehören als Nicht-Juden. „Für religiöse Juden hat das Blut eines Nicht-Juden keinen wirklichen Wert; für Vertreter des Likud besitzt es einen relativen“ so die Autoren. Die innerjüdische Diskussion, die von ranghohen Vertretern der Fundamentalisten wie Rabbi Ovadia Yoseph, dem geistigen Oberhaupt der Shas-Partei, und anderen Vertretern des religiösen Establishments und der Nationalreligiösen Partei (NRP) zu diesen Fragen geführt werden, mutet mehr als bizarr an. Die Autoren betonen mehrmals, dass sich diese Diskussion nie in der englischen Literatur wiederfinde bzw. im Ausland völlig unbekannt sei.
Das Buch bietet einen erstklassigen Überblick in die verschiedenen fundamentalistischen Strömungen wie der Haredim, die sich in aschkenasische (europäische) und sephardische (orientalische) Juden teilen, den Vertretern der NRP und des Gush Emunim. Des Weiteren werden die Bedeutung des Massenmörders Baruch Goldstein, der in der Ibrahim-Moschee in Hebron 29 betende Muslime niedermetzelte, und der religiöse Hintergrund des Attentates auf Ministerpräsident Yitzhak Rabin religiös eingeordnet. Beide politische Ereignisse seien ohne die religiöse Tradition der Bestrafung und Tötung von „Häretikern“ nicht zu verstehen.
Shahak und Mezvinsky haben ein provokantes und faszinierendes Buch geschrieben. Es erschließt dem Leser Bilder des Judentums und eines Teils der israelischen Gesellschaft, die nicht in das Wunschbild vieler Lobbyisten, Israelfans und politisch Naiver passen wollen. Vielleicht geben diesen Fans die Worte des langjährigen Autoren des „Jerusalem Reports“ vom April 2001, Ze´ev Chafets, zu denken: „The Arabs can`t destroy Israel, but the rabbis can. The rabbis can do that by turning Israel into the kind of political entity that Jews lived in for 2,000 years, by turning it into a place governed by clerical law and clerical thinking which had become so backward and xenophobic that Israel wont`t be able to function as a state.” Das Buch ist unbequem, aber aufschlussreich. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre sinnvoll. Oder soll auch dieses spannende und interessante Buch dem „Traumbild“ geopferte werden und der „Schweigespirale“ in Deutschland anheimfallen?
Zuerst erschienen in: Der Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift, (2010) 5, S. 66-68.
Israel Shahak/Norton Mezvinsky, Jewish Fundamentalism in Israel, Pluto, 2. Aufl., 2010, Neuauflage 2004 (1999), 176 Seiten.