Der „Friedensprozess“, der im September 1993 als Deus ex machina auf dem Rasen des Weißen Hauses in die internationale Staatengemeinschaft als eine Möglichkeit zur Lösung des Nahostkonflikts in Gang gesetzt worden ist, hat keinen Friede, sondern nur weitere Besatzungsprozesse gebracht. Ein Staat „Palästina“, der diesen Namen verdient, scheint nicht mehr realisierbar zu sein. Eine Lösung des ältesten Regionalkonfliktes ist nirgendwo in Sicht. Selbst US-Präsident Barack Hussein Obama musste vor der Macht Israels und seiner Hilfstruppen in den USA kapitulieren. Unter seiner Präsidentschaft wird sich im Nahostkonflikt nichts mehr zum Positiven wenden. Der „Friedensprozess“ hat zu erheblichen Frustrationen bei allen Beteiligten geführt. So ist es kein Wunder, dass nach Alternativlösungen Ausschau gehalten wird.
Die Einstaatenlösung als Utopie
In den letzten Jahren hat es verschiedene Konferenzen gegeben, welche die alte Idee einer „Ein-Staaten-Lösung“ als „die Lösung“ für den israelisch-palästinensischen Konflikt propagiert haben. Solche Veranstaltungen fanden in Madrid, London, Haifa, Texas und zuletzt vom 26. bis 28. November 2010 in Stuttgart statt. Eines ihrer wichtigsten Argumente der Ein-Staaten-Vertreter ist: Alle Versuche, den Nahostkonflikt durch die Schaffung eines zweiten Staaten für die Palästinenser zu lösen, seien gescheitert. Ebenso spreche die Entwicklung für Ort gegen eine Zweistaatenlösung, weil sie von einer Symmetrie der Macht zwischen der Kolonialmacht und den Kolonisierten ausgehe. Dies beruhe auf einer falschen Prämisse, nämlich des Zugeständnisses, dass durch die Garantierung begrenzter nationaler Rechte für die Palästinenser in den Gebieten, die im Juni-Krieg von 1967 durch Israel erobert worden sind, bei gleichzeitiger Weigerung, den Palästinensern innerhalb Israel und denjenigen in der Diaspora, gleiche Rechte zu gewähren. Was ebenso gegen eine Zweistaatenlösung nach Ansicht der Befürworter einer Einstaatenlösung spreche, ist die Tatsache, dass in ersterer die israelischen Palästinenser weiterhin Bürger zweiter Klasse bleiben und den Flüchtlingen ihre laut UN-Resolution verbrieftes Recht auf Rückkehr verweigert werden würde.
In Bezug auf das Rückkehrrecht ist zu bedenken, dass ein solches nach Völkerrecht nur den direkt Betroffenen Familien zusteht, den Nachkommen und deren Nachkommen steht dagegen nur ein Recht auf Entschädigung zu. So schreibt der Völkerrechtler Dieter Murswiek unter Bezug auf Gilbert Gornig: „Das Rückkehrrecht ist nicht vererblich, sodass dieses sich in Laufe der Zeit erledigen kann. Vererblich können demgegenüber Entschädigungsansprüche sein.“ Einschränkend fügt er aber hinzu, das, was für Individualansprüche gelte, nicht unbedingt für Gruppenansprüche gelten müsse, da diese ihre Rückkehransprüche als Gruppe behalten, „solange sie als ihrer Identität bewusste Gruppe existiert und solange der Territorialstatus des Vertreibungsgebiets nicht in Übereinstimmung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Weise geändert worden ist, dass ein rechtliches Band zwischen diesem Territorium und der vertriebenen Gruppe nicht mehr besteht. Die Existenz der vertriebenen Volksgruppe ist nicht abhängig vom Überleben der Generation, die noch im Vertreibungsgebiet aufgewachsen ist. Freilich wird das Gruppenbewusstsein regelmäßig im Laufe der Zeit verloren gehen, wenn die Angehörigen der Gruppe im Aufnahmestaat integriert sind.“
Murswiek hat dies zwar alles in Bezug auf die Rechte von Heimatvertriebenen in Folge des Zweiten Weltkrieges geschrieben, aber in generalisierender Form trifft es auch auf die vertriebenen Palästinenser von 1948 zu, insbesondere auf diejenigen, die in den arabischen Staaten nicht integriert worden sind. Aber Murswiek weist weiterhin auf die Probleme einer Berufung auf das Rückkehrrecht hin, die auftreten, „wenn im Vertreibungsgebiet eine neue Bevölkerung ansässig geworden ist.“ Unter Berufung auf den Völkerrechtler Christian Tomuschat fährt Murswiek dann fort, dass zwar das Heimatrecht der Vertriebenen prinzipiell Vorrang haben müsse, „weil es sonst durch rechtswidrige Siedlungsmaßnahmen vereitelt werden könnte“. Es spreche dennoch einiges dafür, „dass in Laufe der Zeit die neu angesiedelte Bevölkerung ein eigenes Heimatrecht erwirbt. Die Lösung kann dann nicht darin bestehen, dass eines der konkurrierenden Heimatrechte sich einseitig durchsetzt. Es würde neues Unrecht geschaffen, wenn die derzeit in den Vertreibungsgebieten lebende Bevölkerung weichen müsste, und es würde fortbestehendes Unrecht perpetuiert, wenn den Vertriebenen mit Hinweis auf die Rechte der jetzt in ihrer Heimat lebenden Menschen das Rückkehrrecht absprächen. Es muss in solchen Fällen eine Lösung gesucht werden, die möglichst den Interessen beider Gruppen gerecht wird. Je länger die Zeit der Vertreibung dauert, desto stärker werden die Durchsetzungsmöglichkeiten der neuen Siedler.“
Kennern ist bekannt, dass das Völkerrecht nicht wie innerstaatliches Recht durchgesetzt werden kann, weil es keine zentrale Sanktionsinstanz gibt. Die Durchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche hängt im Wesentlichen auch von internationalen Machtkonstellationen ab. Folglich muss man sich von der Vorstellung lösen, dass das Völkerrecht eine strikte Reihenfolge von Rechtsnormen oder Befehlen in Gang setzt, denen man nur folgen müsse, um zu einem „gerechten“ Ziel zu gelangen. Klugheit ist dabei ebenso gefragt, wie Rechtsdogmatismus nicht als das Non plus Ultra gelten kann.
Die Befürworter einer Einstaatenlösung behaupten weiter, dass eine Zweistaatenlösung den Flüchtlingen ihr international garantiertes Rückkehrrecht verweigern würde. Die oben gemachten Ausführungen zu diesem international garantierten Recht sind nicht so glassklar, wie allgemein angenommen. Des Weiteren wird behauptet, dass eine international angestrebte Zweistaatenlösung keinen lebensfähigen palästinensischen Staat schaffen könne und dass eine palästinensische und jüdisch-israelische Unabhängigkeit in eigenen Staaten die fundamentalen Ungerechtigkeiten beseitigen könne. Da es bisher nur einen unabhängigen Staat Israel gibt, kann über diese Frage erst verhandelt werden, wenn ein unabhängiger Staat Palästina von der internationalen Staatengemeinschaft etabliert und anerkannt worden ist.
Dass eine Einstaatenlösung die politisch und ökonomisch billigste Lösung wäre, habe ich in vielen Vorträgen betont, aber immer wieder hinzugefügt, dass ich sie unter den obwaltenden internationalen Machtverhältnissen und der Dominanz der zionistischen Ideologie auf das Bewusstsein der Israelis für absolut utopisch halte. Im Unterschied zu den Erklärungen der anderen Konferenzen, die sich mit dem Thema einer Einstaatenlösung befasst haben, wurde in der „Stuttgarter Erklärung“ eine Junktim zwischen der sehr wichtigen BDS-Kampagne (Boykott, De-Investition und Sanktionen) mit der politischen Forderung nach einer Einstaatenlösung hergestellt. Dies betrachte ich für die BDS-Kampagne als kontraproduktiv, weil sie durch ihre Aktionen primär darauf abzielt, dass durch internationalen ökonomischen Druck, Israel seine Besatzungsherrschaft über das palästinensische Heimatland beendet und dem palästinensischen Volk ein Leben in Selbstbestimmung in einem eigenen Staat ermöglicht, der diesen Namen verdient, und zwar ohne Siedler. Wäre Israel dem Beispiel Deutschlands in Sachen Integration seiner Flüchtlinge gefolgt, gäbe schön längst Frieden in Israel und Palästina. Dem steht aber bis heute die Ideologie des Zionismus als Haupthindernis im Wege. Nicht nur sind fast 100 Prozent der Israelis gegen eine Einstaatenlösung, sie halten sie auch für einen „schlechten Witz“, sondern auch kein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen setzt sich dafür ein. Woher nehmen also die Vertreter einer solchen Lösung die Hoffnung, dass solch ein Konzept jemals realisiert werden könnte, wenn nicht allein durch Israel und seine kolonialistische Expansionspolitik? Setzt Israel diese Politik fort, wird es nicht nur die arabische, sondern die gesamte muslimische Welt gegen sich aufbringen.
Die Zweistaatenlösung als Lösung des Nahostkonfliktes?
Viele jüdische Persönlichkeiten haben sich schon vor der Staatsgründung Israels für einen bi-nationalen Staat ausgesprochen. Ob Albert Einstein, Martin Buber, Gerschom Scholem oder Hannah Arendt, alle wurden sie politisch marginalisiert durch die dominante zionistische Elite, die einen jüdischen Staat gründen wollte, um nicht nur das Problem das Antisemitismus aus der Welt zu schaffen, sondern auch dem jüdischen Volk ein Leben als gleiches und gleichen in der internationalen Staatengemeinschaft zu ermöglichen.
Für eine Zweistaatenlösung spricht nicht nur der Teilungsplan der Vereinten Nationen vom 29. November 1947 (Resolution 181 der UN-Generalversammlung), sondern auch in dessen Folge alle weiter UN-Resolutionen, seien sie von UN-Sicherheitsrat oder der UN-Generalversammlung verabschiedet worden. Es gibt quasi niemanden außer einigen Tausenden Individuen, die sich für die Einstaatenlösung einsetzen. Selbst der jüngste Brief von ehemaligen Regierungschefs und Präsidenten fordert endlich die Lösung des Nahostkonfliktes durch eine Zweistaatenlösung. Der einzige Staat, der eine Zweistaatenlösung torpedieren kann, ist Israel durch seine fortgesetzte Kolonisierungspolitik.
Selbst die PLO, die ursprünglich das Konzept eines säkularen und demokratischen Staates für alle Bewohner Palästinas mit Ausnahme der Israelis, die nach der Staatsgründung Israels ins Land gekommen sind, vertreten hatte, musste sich den Realitäten beugen und hat sich 1988 in Algier durch die Proklamation des Staates „Palästina“ für die Zweistaatenlösung und die Anerkennung Israel entschieden. Dass seit Ausbruch des „Friedensprozesses“ im September 1993 kein Staat Palästina entstanden ist, ist der Politik Israels geschuldet, die die besetzten Gebiete seit dieser Zeit mit einem Tempo zersiedelt und eine Mauer, respektive einen Sicherheitszaun um diese Gebiete errichtet hat, dass sich niemand vorstellen kann, dass auf der Grundlage dieses Inselreiches ein überlebensfähiger Staat entstehen könnte.
Nicht nur die UNO, sondern auch die internationale Staatengemeinschaft hat die Pflicht, ihr Mitgliedsland Israel dazu zu bringen, endlich das Völkerrecht zu akzeptieren und die unterzeichneten Menschenrechtspakte in Bezug auf die Behandlung der unterdrückten Palästinenser zu akzeptieren. Wenn die Mitgliedstaaten der UNO wollen, können sie das Völkerrecht durchsetzen, wie dies die US-amerikanische Regierung in Bezug auf den Irak vorgeführt hat, nur das im Falle des Irak keinerlei Verstoß gegen Völkerrecht vor lag, sondern die USA durch ihre mörderische Sanktionspolitik nur die Absicht verfolgten, den Irak auf das Niveau eine Drittweltlandes „herab zu entwickeln“, um es dann leichter sturmreif zu schießen, um es besetzen zu können. Umso gerechtfertigter wäre ein kollektives Vorgehen der Staatengemeinschaft gegen die Besatzungsherrschaft Israel, da hier seit 43 ein Verstoß gegen Völkerrecht und das humanitäre Menschenrecht für alle offensichtlich ist. Es fehlt also nur am Willen der USA und anderer Staaten, das Völkerrecht einmal zur Lösung eines gefährlichen Regionalkonfliktes einzusetzen, anstatt es zum Krieg führen zu missbrauchen.
Das Argument, es seien schon unumstößliche Fakten vor Ort geschaffen worden, ist nicht überzeugend. In einem Kolonialkonflikt, und darum handelt es sich beim Nahostkonflikt, erwirbt die Kolonialmacht keinerlei Legitimität über die besetzten Gebiete. Alle einseitigen Maßnahmen sind nach Völkerrecht null und nichtig. Dies trifft auch für die 500 000 Siedler zu, die sich als Kolonialisten in der Westbank, Ost-Jerusalem und auf den Golan-Höhen niedergelassen haben. Israelische Regierungen haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, wenn es den Interessen des Staates nützt, ihre Staatsbürger aus den besetzten Gebieten ins Kernland Israel zurück zu holen, wie es im Sinai und dem Gaza-Streifen geschehen ist. Beide Umsiedlungsaktionen wurden von Ariel Sharon realisiert. Wie die deutsch-israelische Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer in ihrer Rede in Stuttgart betont hat, war Frankreich in Algerien auch in der Lage, eine Million Franzosen ins Mutterland zurück zu transferieren.
Die Realisierung des Selbstbestimmungsrechtes des palästinensischen Volkes muss primäres Ziel aller Staaten der UNO sein, weil es in allen UN-Resolutionen grundgelegt ist. Voraussetzung dafür ist das Ende der 43-jährigen israelischen Besatzungsherrschaft und die Rückgängigmachung aller einseitigen Maßnahmen. Darauf sollte sich auch die Solidaritätsbewegung konzentrieren, weil es erste positive Schritte durch die Anerkennung eines Staates „Palästina“ durch einige Staaten Lateinamerikas gibt. Des Weiteren sollte die Solidaritätsbewegung noch eine zweite Stoßrichtung haben, und zwar die Innenpolitik des Staates Israel. Israel definiert sich selber als „jüdisch und demokratisch“, was kluge und weitsichtige Israelis für ein Oxymoron, einen Widerspruch in sich, und für einen Irrweg halten. Israel ist in weiten Teilen eine sehr lebendige Demokratie, aber im klassischen Wortsinne nur für seine jüdischen Staatsbürger. Alle nicht-jüdischen Bürger des Landes sind Bürger zweiter Klasse. Es gibt zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die diesen diskriminierenden Status festschreiben. Das Ziel der Solidaritätsbewegung muss sein, dies öffentlich zu machen, damit sich Israel von einer „Ethnokratie“ zu einer Demokratie im westlichen Sinne für alle seine Bewohner wandelt. Es gehört auch zur Pflicht der Unterstützer Israels, ihre doppelten Standards aufzugeben und die Führung des Landes zu überzeugen, sich zu einer Demokratie im klassisch-westlichen Verständnis zu wandeln. Ein solcher Staat aller seine Bürger neben einem souveränen Staat Palästina, der diesen Namen verdient, liegt im Interesse aller Beteiligten. Ein Haupthindernis auf dem Weg zu einer vollwertigen Demokratie scheint die Ideologie des Zionismus darzustellen. Sie stellt das größte Hindernis für die Lösung des Nahostkonflikts dar. Deshalb ist nach Elias Davidsson Opposition gegen den Zionismus unbedingt geboten, weil sie „derives from a vision of humanity based on the inherent dignity and equality of every human“. Ohne eine „Entzionisierung“ Israels, wie es Michel Warschawski genannt hat, wird das Land kein Staat aller seiner Bewohner werden können. Erst wenn dieses Ziel erreicht sein wird, kann auch der Nahostkonflikt gelöst werden.
Aber darüber entscheiden primär das israelische und das palästinensische Volk. Wir sollten nicht der Hybris verfallen, es besser wissen oder machen zu können als die Betroffenen vor Ort. Was die internationale Solidaritätsbewegung leisten kann, ist Aufklärungsarbeit über die menschenverachtende Politik der israelischen Besatzungsherrschaft und die rassistischen Entwicklungen in Israel aus der jüngsten Zeit sowie die rechtliche Verfasstheit des Staates, der die Ungleichheit seiner Bewohner aufgrund der Religionszugehörigkeit auf allen gesellschaftlichen Gebieten festgeschrieben hat. Wenn dies erreicht ist, ein demokratisches Israel im klassischen Sinne des Wortes und die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates, der diesen Namen verdient, dann können beide Völker sich auf den Weg zu einem Staat oder sogar zu einer noch größeren Einheit, vielleicht sogar einer Drei-Staaten-Lösung (Konföderation) aufmachen. Aber alles hängt vom Ende der Besatzungsherrschaft ab, und darauf sollten sich alle zivilgesellschaftlichen Kräfte, vereint in einer internationalen Bewegung, konzentrieren.
Zuerst erschienen in: Der Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift.
Die Einstaatenlösung als Utopie
In den letzten Jahren hat es verschiedene Konferenzen gegeben, welche die alte Idee einer „Ein-Staaten-Lösung“ als „die Lösung“ für den israelisch-palästinensischen Konflikt propagiert haben. Solche Veranstaltungen fanden in Madrid, London, Haifa, Texas und zuletzt vom 26. bis 28. November 2010 in Stuttgart statt. Eines ihrer wichtigsten Argumente der Ein-Staaten-Vertreter ist: Alle Versuche, den Nahostkonflikt durch die Schaffung eines zweiten Staaten für die Palästinenser zu lösen, seien gescheitert. Ebenso spreche die Entwicklung für Ort gegen eine Zweistaatenlösung, weil sie von einer Symmetrie der Macht zwischen der Kolonialmacht und den Kolonisierten ausgehe. Dies beruhe auf einer falschen Prämisse, nämlich des Zugeständnisses, dass durch die Garantierung begrenzter nationaler Rechte für die Palästinenser in den Gebieten, die im Juni-Krieg von 1967 durch Israel erobert worden sind, bei gleichzeitiger Weigerung, den Palästinensern innerhalb Israel und denjenigen in der Diaspora, gleiche Rechte zu gewähren. Was ebenso gegen eine Zweistaatenlösung nach Ansicht der Befürworter einer Einstaatenlösung spreche, ist die Tatsache, dass in ersterer die israelischen Palästinenser weiterhin Bürger zweiter Klasse bleiben und den Flüchtlingen ihre laut UN-Resolution verbrieftes Recht auf Rückkehr verweigert werden würde.
In Bezug auf das Rückkehrrecht ist zu bedenken, dass ein solches nach Völkerrecht nur den direkt Betroffenen Familien zusteht, den Nachkommen und deren Nachkommen steht dagegen nur ein Recht auf Entschädigung zu. So schreibt der Völkerrechtler Dieter Murswiek unter Bezug auf Gilbert Gornig: „Das Rückkehrrecht ist nicht vererblich, sodass dieses sich in Laufe der Zeit erledigen kann. Vererblich können demgegenüber Entschädigungsansprüche sein.“ Einschränkend fügt er aber hinzu, das, was für Individualansprüche gelte, nicht unbedingt für Gruppenansprüche gelten müsse, da diese ihre Rückkehransprüche als Gruppe behalten, „solange sie als ihrer Identität bewusste Gruppe existiert und solange der Territorialstatus des Vertreibungsgebiets nicht in Übereinstimmung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Weise geändert worden ist, dass ein rechtliches Band zwischen diesem Territorium und der vertriebenen Gruppe nicht mehr besteht. Die Existenz der vertriebenen Volksgruppe ist nicht abhängig vom Überleben der Generation, die noch im Vertreibungsgebiet aufgewachsen ist. Freilich wird das Gruppenbewusstsein regelmäßig im Laufe der Zeit verloren gehen, wenn die Angehörigen der Gruppe im Aufnahmestaat integriert sind.“
Murswiek hat dies zwar alles in Bezug auf die Rechte von Heimatvertriebenen in Folge des Zweiten Weltkrieges geschrieben, aber in generalisierender Form trifft es auch auf die vertriebenen Palästinenser von 1948 zu, insbesondere auf diejenigen, die in den arabischen Staaten nicht integriert worden sind. Aber Murswiek weist weiterhin auf die Probleme einer Berufung auf das Rückkehrrecht hin, die auftreten, „wenn im Vertreibungsgebiet eine neue Bevölkerung ansässig geworden ist.“ Unter Berufung auf den Völkerrechtler Christian Tomuschat fährt Murswiek dann fort, dass zwar das Heimatrecht der Vertriebenen prinzipiell Vorrang haben müsse, „weil es sonst durch rechtswidrige Siedlungsmaßnahmen vereitelt werden könnte“. Es spreche dennoch einiges dafür, „dass in Laufe der Zeit die neu angesiedelte Bevölkerung ein eigenes Heimatrecht erwirbt. Die Lösung kann dann nicht darin bestehen, dass eines der konkurrierenden Heimatrechte sich einseitig durchsetzt. Es würde neues Unrecht geschaffen, wenn die derzeit in den Vertreibungsgebieten lebende Bevölkerung weichen müsste, und es würde fortbestehendes Unrecht perpetuiert, wenn den Vertriebenen mit Hinweis auf die Rechte der jetzt in ihrer Heimat lebenden Menschen das Rückkehrrecht absprächen. Es muss in solchen Fällen eine Lösung gesucht werden, die möglichst den Interessen beider Gruppen gerecht wird. Je länger die Zeit der Vertreibung dauert, desto stärker werden die Durchsetzungsmöglichkeiten der neuen Siedler.“
Kennern ist bekannt, dass das Völkerrecht nicht wie innerstaatliches Recht durchgesetzt werden kann, weil es keine zentrale Sanktionsinstanz gibt. Die Durchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche hängt im Wesentlichen auch von internationalen Machtkonstellationen ab. Folglich muss man sich von der Vorstellung lösen, dass das Völkerrecht eine strikte Reihenfolge von Rechtsnormen oder Befehlen in Gang setzt, denen man nur folgen müsse, um zu einem „gerechten“ Ziel zu gelangen. Klugheit ist dabei ebenso gefragt, wie Rechtsdogmatismus nicht als das Non plus Ultra gelten kann.
Die Befürworter einer Einstaatenlösung behaupten weiter, dass eine Zweistaatenlösung den Flüchtlingen ihr international garantiertes Rückkehrrecht verweigern würde. Die oben gemachten Ausführungen zu diesem international garantierten Recht sind nicht so glassklar, wie allgemein angenommen. Des Weiteren wird behauptet, dass eine international angestrebte Zweistaatenlösung keinen lebensfähigen palästinensischen Staat schaffen könne und dass eine palästinensische und jüdisch-israelische Unabhängigkeit in eigenen Staaten die fundamentalen Ungerechtigkeiten beseitigen könne. Da es bisher nur einen unabhängigen Staat Israel gibt, kann über diese Frage erst verhandelt werden, wenn ein unabhängiger Staat Palästina von der internationalen Staatengemeinschaft etabliert und anerkannt worden ist.
Dass eine Einstaatenlösung die politisch und ökonomisch billigste Lösung wäre, habe ich in vielen Vorträgen betont, aber immer wieder hinzugefügt, dass ich sie unter den obwaltenden internationalen Machtverhältnissen und der Dominanz der zionistischen Ideologie auf das Bewusstsein der Israelis für absolut utopisch halte. Im Unterschied zu den Erklärungen der anderen Konferenzen, die sich mit dem Thema einer Einstaatenlösung befasst haben, wurde in der „Stuttgarter Erklärung“ eine Junktim zwischen der sehr wichtigen BDS-Kampagne (Boykott, De-Investition und Sanktionen) mit der politischen Forderung nach einer Einstaatenlösung hergestellt. Dies betrachte ich für die BDS-Kampagne als kontraproduktiv, weil sie durch ihre Aktionen primär darauf abzielt, dass durch internationalen ökonomischen Druck, Israel seine Besatzungsherrschaft über das palästinensische Heimatland beendet und dem palästinensischen Volk ein Leben in Selbstbestimmung in einem eigenen Staat ermöglicht, der diesen Namen verdient, und zwar ohne Siedler. Wäre Israel dem Beispiel Deutschlands in Sachen Integration seiner Flüchtlinge gefolgt, gäbe schön längst Frieden in Israel und Palästina. Dem steht aber bis heute die Ideologie des Zionismus als Haupthindernis im Wege. Nicht nur sind fast 100 Prozent der Israelis gegen eine Einstaatenlösung, sie halten sie auch für einen „schlechten Witz“, sondern auch kein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen setzt sich dafür ein. Woher nehmen also die Vertreter einer solchen Lösung die Hoffnung, dass solch ein Konzept jemals realisiert werden könnte, wenn nicht allein durch Israel und seine kolonialistische Expansionspolitik? Setzt Israel diese Politik fort, wird es nicht nur die arabische, sondern die gesamte muslimische Welt gegen sich aufbringen.
Die Zweistaatenlösung als Lösung des Nahostkonfliktes?
Viele jüdische Persönlichkeiten haben sich schon vor der Staatsgründung Israels für einen bi-nationalen Staat ausgesprochen. Ob Albert Einstein, Martin Buber, Gerschom Scholem oder Hannah Arendt, alle wurden sie politisch marginalisiert durch die dominante zionistische Elite, die einen jüdischen Staat gründen wollte, um nicht nur das Problem das Antisemitismus aus der Welt zu schaffen, sondern auch dem jüdischen Volk ein Leben als gleiches und gleichen in der internationalen Staatengemeinschaft zu ermöglichen.
Für eine Zweistaatenlösung spricht nicht nur der Teilungsplan der Vereinten Nationen vom 29. November 1947 (Resolution 181 der UN-Generalversammlung), sondern auch in dessen Folge alle weiter UN-Resolutionen, seien sie von UN-Sicherheitsrat oder der UN-Generalversammlung verabschiedet worden. Es gibt quasi niemanden außer einigen Tausenden Individuen, die sich für die Einstaatenlösung einsetzen. Selbst der jüngste Brief von ehemaligen Regierungschefs und Präsidenten fordert endlich die Lösung des Nahostkonfliktes durch eine Zweistaatenlösung. Der einzige Staat, der eine Zweistaatenlösung torpedieren kann, ist Israel durch seine fortgesetzte Kolonisierungspolitik.
Selbst die PLO, die ursprünglich das Konzept eines säkularen und demokratischen Staates für alle Bewohner Palästinas mit Ausnahme der Israelis, die nach der Staatsgründung Israels ins Land gekommen sind, vertreten hatte, musste sich den Realitäten beugen und hat sich 1988 in Algier durch die Proklamation des Staates „Palästina“ für die Zweistaatenlösung und die Anerkennung Israel entschieden. Dass seit Ausbruch des „Friedensprozesses“ im September 1993 kein Staat Palästina entstanden ist, ist der Politik Israels geschuldet, die die besetzten Gebiete seit dieser Zeit mit einem Tempo zersiedelt und eine Mauer, respektive einen Sicherheitszaun um diese Gebiete errichtet hat, dass sich niemand vorstellen kann, dass auf der Grundlage dieses Inselreiches ein überlebensfähiger Staat entstehen könnte.
Nicht nur die UNO, sondern auch die internationale Staatengemeinschaft hat die Pflicht, ihr Mitgliedsland Israel dazu zu bringen, endlich das Völkerrecht zu akzeptieren und die unterzeichneten Menschenrechtspakte in Bezug auf die Behandlung der unterdrückten Palästinenser zu akzeptieren. Wenn die Mitgliedstaaten der UNO wollen, können sie das Völkerrecht durchsetzen, wie dies die US-amerikanische Regierung in Bezug auf den Irak vorgeführt hat, nur das im Falle des Irak keinerlei Verstoß gegen Völkerrecht vor lag, sondern die USA durch ihre mörderische Sanktionspolitik nur die Absicht verfolgten, den Irak auf das Niveau eine Drittweltlandes „herab zu entwickeln“, um es dann leichter sturmreif zu schießen, um es besetzen zu können. Umso gerechtfertigter wäre ein kollektives Vorgehen der Staatengemeinschaft gegen die Besatzungsherrschaft Israel, da hier seit 43 ein Verstoß gegen Völkerrecht und das humanitäre Menschenrecht für alle offensichtlich ist. Es fehlt also nur am Willen der USA und anderer Staaten, das Völkerrecht einmal zur Lösung eines gefährlichen Regionalkonfliktes einzusetzen, anstatt es zum Krieg führen zu missbrauchen.
Das Argument, es seien schon unumstößliche Fakten vor Ort geschaffen worden, ist nicht überzeugend. In einem Kolonialkonflikt, und darum handelt es sich beim Nahostkonflikt, erwirbt die Kolonialmacht keinerlei Legitimität über die besetzten Gebiete. Alle einseitigen Maßnahmen sind nach Völkerrecht null und nichtig. Dies trifft auch für die 500 000 Siedler zu, die sich als Kolonialisten in der Westbank, Ost-Jerusalem und auf den Golan-Höhen niedergelassen haben. Israelische Regierungen haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, wenn es den Interessen des Staates nützt, ihre Staatsbürger aus den besetzten Gebieten ins Kernland Israel zurück zu holen, wie es im Sinai und dem Gaza-Streifen geschehen ist. Beide Umsiedlungsaktionen wurden von Ariel Sharon realisiert. Wie die deutsch-israelische Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer in ihrer Rede in Stuttgart betont hat, war Frankreich in Algerien auch in der Lage, eine Million Franzosen ins Mutterland zurück zu transferieren.
Die Realisierung des Selbstbestimmungsrechtes des palästinensischen Volkes muss primäres Ziel aller Staaten der UNO sein, weil es in allen UN-Resolutionen grundgelegt ist. Voraussetzung dafür ist das Ende der 43-jährigen israelischen Besatzungsherrschaft und die Rückgängigmachung aller einseitigen Maßnahmen. Darauf sollte sich auch die Solidaritätsbewegung konzentrieren, weil es erste positive Schritte durch die Anerkennung eines Staates „Palästina“ durch einige Staaten Lateinamerikas gibt. Des Weiteren sollte die Solidaritätsbewegung noch eine zweite Stoßrichtung haben, und zwar die Innenpolitik des Staates Israel. Israel definiert sich selber als „jüdisch und demokratisch“, was kluge und weitsichtige Israelis für ein Oxymoron, einen Widerspruch in sich, und für einen Irrweg halten. Israel ist in weiten Teilen eine sehr lebendige Demokratie, aber im klassischen Wortsinne nur für seine jüdischen Staatsbürger. Alle nicht-jüdischen Bürger des Landes sind Bürger zweiter Klasse. Es gibt zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die diesen diskriminierenden Status festschreiben. Das Ziel der Solidaritätsbewegung muss sein, dies öffentlich zu machen, damit sich Israel von einer „Ethnokratie“ zu einer Demokratie im westlichen Sinne für alle seine Bewohner wandelt. Es gehört auch zur Pflicht der Unterstützer Israels, ihre doppelten Standards aufzugeben und die Führung des Landes zu überzeugen, sich zu einer Demokratie im klassisch-westlichen Verständnis zu wandeln. Ein solcher Staat aller seine Bürger neben einem souveränen Staat Palästina, der diesen Namen verdient, liegt im Interesse aller Beteiligten. Ein Haupthindernis auf dem Weg zu einer vollwertigen Demokratie scheint die Ideologie des Zionismus darzustellen. Sie stellt das größte Hindernis für die Lösung des Nahostkonflikts dar. Deshalb ist nach Elias Davidsson Opposition gegen den Zionismus unbedingt geboten, weil sie „derives from a vision of humanity based on the inherent dignity and equality of every human“. Ohne eine „Entzionisierung“ Israels, wie es Michel Warschawski genannt hat, wird das Land kein Staat aller seiner Bewohner werden können. Erst wenn dieses Ziel erreicht sein wird, kann auch der Nahostkonflikt gelöst werden.
Aber darüber entscheiden primär das israelische und das palästinensische Volk. Wir sollten nicht der Hybris verfallen, es besser wissen oder machen zu können als die Betroffenen vor Ort. Was die internationale Solidaritätsbewegung leisten kann, ist Aufklärungsarbeit über die menschenverachtende Politik der israelischen Besatzungsherrschaft und die rassistischen Entwicklungen in Israel aus der jüngsten Zeit sowie die rechtliche Verfasstheit des Staates, der die Ungleichheit seiner Bewohner aufgrund der Religionszugehörigkeit auf allen gesellschaftlichen Gebieten festgeschrieben hat. Wenn dies erreicht ist, ein demokratisches Israel im klassischen Sinne des Wortes und die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates, der diesen Namen verdient, dann können beide Völker sich auf den Weg zu einem Staat oder sogar zu einer noch größeren Einheit, vielleicht sogar einer Drei-Staaten-Lösung (Konföderation) aufmachen. Aber alles hängt vom Ende der Besatzungsherrschaft ab, und darauf sollten sich alle zivilgesellschaftlichen Kräfte, vereint in einer internationalen Bewegung, konzentrieren.
Zuerst erschienen in: Der Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift.