Der Krieg der Geheimdienste gegen den Iran ist bereits in vollem Gange. Die einzig relevante Frage lautet: Lässt sich Irans Nuklearprogramm, das nach Aussagen der iranischen Führung ausschließlich friedlichen Zwecken dient, durch terroristische Aktionen diverser Geheimdienste stoppen oder wird es durch einen Überfall westlicher und nahöstlicher Mächte nur für einige Jahre zurückgeworfen? Letztere Aktion birgt die Gefahr eines Flächenbrandes in sich, bei dem sich nicht nur die US-Hypermacht, sondern auch seine Klienten blaue Augen und blutige Nasen holen dürften. Ein möglicher Krieg gegen Iran kann nur noch durch eine glaubwürdige Machtdemonstration Russlands und Chinas verhindert werden.
In den USA ist Präsident Barack Hussein Obama in einem Wahljahr zu einem von Interessengruppen Getriebenen geworden. Offen fordern neokonservative Vertreter zusammen mit den führenden Meinungsmedien und einem in Teilen aggressiv-kriegsbereitem US-Kongress einen erneuten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Iran. Zu den Angriffsbefürwortern gehören auch Teile der rechtszionistischen „Israellobby“ (Mearsheimer/Walt). Insbesondere letztere im Verbund mit der israelischen Regierung üben erheblichen Druck auf die US-Regierung aus, damit sie Irans zivile Nuklearambitionen stoppt. Der US-Präsident hält sich nicht nur alle politischen und militärischen Optionen offen, sondern zielt mit seinen Sanktionsmaßnahmen auf den Zusammenbruch des iranischen Regimes ab. Glaubwürdig ist die Obama-Administration in punkto Nuklearpolitik schon lange nicht mehr, da sie Israels riesiges Nuklearwaffenarsenal einfach nicht zur Kenntnis nimmt, keinerlei Kontrollen der israelischen Anlage in Dimona durch die IAEA in Wien verlangt, Israel den Nuklearwaffensperrvertrag im Gegensatz zu Iran nicht unterzeichnet hat, aber unaufhörlich gegen das virtuelle Atomwaffenprogramm des Iran Sturm läuft. Diese doppelten Standards machen auch die Aufgeregtheiten anderer westlicher Länder unglaubwürdig.
Der Slogan „Let the IDF win“ steht in Israel für den Glauben der Bevölkerung an die „Allmacht“ der anscheinend alles könnenden Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Dieser Nimbus ist der IDF über Jahrzehnte hin zugewachsen, obgleich er erhebliche Kratzer im letzen Überfall auf Libanon im Jahre 2006 und durch das Massaker im Gaza-Streifen um die Jahreswende 2008/2009 erlitten hat (14 tote Israelis; 1 400 tote Palästinenser, überwiegend Zivilisten). Das israelische Sicherheitsestablishment ist in Bezug auf einen militärischen Überfall Israels auf die Nuklearindustrie des Irans nicht nur gespalten, sondern auch zerstritten; die überwiegende Mehrheit lehnt einen Angriff ab.
Die Alternative zu „Let the IDF win“ könnte lauten: Let the Mossad win, was bei einer Güterabwägung, wenn man diesen Terminus benutzen möchte, die „bessere“ Alternative wäre. Die Mossad-Methoden erfüllen aber alle Kriterien und Definitionen von Terrorismus, insbesondere wenn man die von den USA aufgestellten als Maßstab nimmt. Aber in der Schattenwelt der Geheimdienste gelten weder Gesetze, demokratische Regeln und schon gar keine moralischen Kategorien. Wer immer hinter den Attentaten auf iranische Atomwissenschaftler oder Bombenanschlägen stecken mag, ohne die unsichtbare „Hand Gottes“ wären sie nicht zu bewerkstelligen gewesen. Ob sich die Geheimdienste der iranischen Terrororganisation „Mudschaheddin-e-Khalq (MEK)“ bedienen, die von den USA auf ihrer Terrorliste geführt wird und die von dieser gestrichen werden sollte, wenn es nach den Neokonservativen ginge, oder ob Mitglieder der pakistanisch-sunnitischen Organisation Jundallah 2007/08 von Mossad-Agenten hinter dem Rücken der USA in London rekrutiert worden seien, wie in „Haaretz“ vom 13. Januar 2012 ein Bericht von Mark Perry in „Foreign Policy“ zitiert wird, scheint letztendlich zweitrangig zu sein. Die Dementis über den letzten Mordanschlag fallen seitens des führenden Geheimdienstes des Westens, Mossad, auffallend zurückhaltend aus, wohingegen die des US-Geheimdienstes CIA eindeutiger sind. Bei der Leistungsfähigkeit beider Dienste erscheint das US-Dementi durchaus nachvollziehbarer, wenn man die dilettantische öffentliche Inszenierung des Coups vom angeblichen iranischen Attentat auf den saudischen Botschafter in den USA Revue passieren lässt.
Warum glaubt eigentlich der Westen das Märchen von der nuklearen Bedrohung durch Irans virtuelle Atomwaffen, wenn es die klugen Geheimdienstler oder Wissenschaftler in Israel selber nicht glauben? So überrascht es nicht, wenn ehemalige Geheimdienstleiter nach ihrem Ausscheiden aus ihren Ämtern endlich die Wirklichkeit so wahrnehmen, wie sie tatsächlich ist. Aber wenn selbst der amtierende Mossad-Chef Tamir Pardo in einer Rede vor Israels Top-Botschafter in Jerusalem Ende Dezember 2011 einen nuklearen Iran für keine „existentielle Bedrohung“ des Landes hält, sollte die westliche Öffentlichkeit doch aufhorchen. So erklärte Pardo, dass die „iranische Bedrohung“ häufig „zu freizügig“ verwandt werde, insbesondere „in Gesprächen zwischen den Falken in den USA und Israel“. „If you said a nuclear bomb in Iranian hands was an ‘existential’ threat that would mean that we would have to close up shop. That’s not the situation.” Pardo ist also der letzte in der Geheimdienst-Phalanx, der sich gegen einen militärischen Angriff durch Israel ausspricht. Ein weiterer Ex-Mossad-Chef, Ephraim Halevy, erklärte, dass Iran keine existenzielle Bedrohung für Israel darstelle und fuhr fort: «Der Staat Israel kann nicht zerstört werden, aber ein Angriff Israels auf Iran könnte nicht nur Israel, sondern die ganze Region für 100 Jahre beeinträchtigen.»
Ein Blick auf die geopolitische Lage Irans zeigt, dass das Land von der US-Militärmaschinerie umzingelt ist. Folglich sollte der Westen der Ansicht des renommierten israelischen Militärhistorikers Martin van Crefeld zustimmen, der 2004 erklärte, dass die Iraner „would be crazy not to build nuclear weapons considering the security threats they face“. Drei Jahre später fügte er hinzu, dass „the world must now learn to live with a nuclear Iran the way we learned to live with a nuclear Soviet Union and a nuclear China. (…) We Israelis have what it takes to deter an Iranian attack. We are in no danger at all of having an Iranian nuclear weapon dropped on us (…) thanks to the Iranian threat; we are getting weapons from the U.S. and Germany.” Kein geringerer als Verteidigungsminister Ehud Barak hat in einem PBS-Interview mit Charlie Rose am 16. November 2011 in den USA Folgendes erklärt: Wenn er iranischer Politiker wäre, würde er auch nach Nuklearwaffen streben!
Dass dem Iran in 2012 einiges bevorstehe, machte der israelische Generalstabschef Benny Gantz laut „Associated Press“ vom 11. Januar 2012 vor dem Außen- und Verteidigungsausschuss der Knesset deutlich: Israel, als Amerikas Stellvertreter, sei in Sabotageakte gegen das iranische Nuklearprogramm durch „unnatürliche“ Mittel verwickelt. Jüngste Medienberichte lassen aber das Schlimmste befürchten.
Ein Desaster für die Region und darüber hinaus kann nur verhindert werden, wenn der Slogan „Let the Mossad win“ die Oberhand gegenüber „Let the IDF win“ behält.