Ausschnitt eines Cartoons von Patrick Chappatte. |
„Wenn es ernst wird, muss man lügen“, so der Ex-Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker während einer Sitzung im Mai 2011 in Brüssel. Und „solange ich lebe“, werde es keine gemeinschaftliche Haftung für die Schulden der anderen europäischen Staaten geben, so einmal Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitte 2012. Es werde ein drittes Rettungspaket für Griechenland geben müssen, und dies sei immer schon öffentlich gesagt worden, verkündete Finanzminister Wolfgang Schäuble mitten im Wahlkampf 2013. Dass man vorher anderes angekündigt hatte – Schwamm drüber!
Seit dem Bruch des Maastricht-Vertrags, der ein „bail-out“ anderer Länder untersagt, ist der Damm gebrochen. Fortan gilt: Pacta non sunt servanda! Auch die Europäische Zentralbank (EZB) mutierte wider ihre eigene Satzung zum alleinigen Financier finanziell maroder Staaten. Das Verbot einer Staatsfinanzierung in den Statuten der EZB scheint auch Kanzlerin Merkel zu ignorieren, „indem sie Draghi eine Art Persilschein ausstellt, dass angeblich jede Maßnahme der EZB durch das Mandat Geldwertstabilität gedeckt sei.“ Nur Bundesbankpräsident Jens Waldmann scheint im Kreise seiner Kollegen der einzige zu sein, der die Regelverletzungen demokratischer Prinzipien beklagt.
Schon Franz Josef Strauss hat festgestellt, dass das Politbüro von Moskau nach Brüssel umgezogen sei. In diesem Sinne stellt Holger Steitzner in der FAZ vom 28. August 2012 die berechtigte Frage nach einem demokratischen Verfahren, „wenn in einem an das Politbüro erinnernden intransparenten Verfahren ein paar geldpolitische Spitzenbeamte über eine umfassende Vergemeinschaftung von Risiken aus Staatsschulden entscheiden. Was sagt der Bundestag zur Übernahme von weiteren Milliardenschulden zu Lasten des deutschen Steuerzahlers? Wollen die Parlamente aus der Eurozone künftig ihr Budgetrecht an EU-Spitzenbeamte abtreten?“ Im Gegensatz zur EU haben die USA und die Schweiz den Ausstieg aus den Staatshilfen für marode Banken weitgehend geschafft. In der EU mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Hilfen zum Dauerzustand werden.
Im Augenblick befindet sich die EU auf dem Weg in eine Transfer- und Schuldenunion; die Folge wird eine „Inflationsunion“ sein. Die finanzielle Lage der Südschiene der EU gleicht einer ökonomisch-finanziellen Horror-Show. Bei der jüngst verkündeten „Gesundung“ der Euro-Zone handelt es sich um den sagenhaften Anstieg von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprokukts. Wie „Eurostat“ meldet, sei die Staatsverschuldung im ersten Quartal 2013 weiter gestiegen, und zwar um 1,6 Prozent. Spitzenreiter ist nach wie vor Griechenland. Auch der „Musterschüler“ der EU steht nicht gut da.
In dieser Situation, in der die Fliehkräfte zunehmen und das finanzielle Chaos innerhalb der EU immer größer wird, verlangen doch allen Ernstes einige deutsche Politiker „mehr Europa“, sprich die Schaffung einer politischen Union, anstatt innezuhalten und über die ökonomische Fehlkonstruktion des Euro nachzudenken und ggf. die Reset- oder sogar Delete-Taste zu drücken, will man das Chaos perfektionieren. Hatte man schon die Souveränität über die Währungshoheit an eine demokratisch nichtlegitimierte Europäische Zentralbank abgegeben, so beabsichtigt man mit der Forderung nach noch „mehr Europa“, den Deutschen Bundestag auf den Status eines unbedeutenden Regionalparlaments zurückzustufen.
Das finanzielle Chaos, das die Euro-Währung verursacht hat, müsste eigentlich ein Glücksfall für jede parlamentarische Opposition sein. Auch hier ist Fehlanzeige im Deutschen Bundestag zu vermelden. Anstatt die Regierung vor sich herzutreiben, verschlimmbessert die Opposition die Sache noch durch Forderungen nach Einführung von Eurobonds und einer Haftungsunion. Folglich gibt es eine große Koalition in Sachen „Eurorettung um jeden Preis“. Aus berechtigten Gründen lehnt die Partei Die Linke die vorgeschlagenen Euro-„Rettungsmaßnahmen“ ab, weil diese ausschließlich den Großkonzernen, Banken und der Finanzoligarchie zugutekämen; an der Sinnhaftigkeit der Kunstwährung aber hat auch sie keinen Zweifel. „Solidaritätsleistungen“ à la deutschem Länderfinanzausgleich, wie gefordert, sind den Normalverdienern nicht zu vermitteln, um dadurch fremde Banken, Spekulanten und unverantwortlich handelnde Politiker zu retten.
Das Projekt „Europäische Union“ war von Beginn an ein Eliten-Projekt, das sich zunehmend von den Interessen der europäischen Bürger/innen entfremdet hat. Die Aufgabe der Währungshoheit über die D-Mark war angeblich der Preis für die Einheit Deutschlands. Niemand hätte aber die Wiedervereinigung Deutschlands verhindern können, schon gar nicht Margaret Thatcher oder Francois Mitterand. Und von Michail Gorbatschow und George W. H. Bush sen. ist nicht überliefert, dass sie die Aufgabe über die Währungshoheit von Kanzler Helmut Kohl gefordert hätten. War die Aufgabe der eigenen Währung also Kohls Europa-Romantik geschuldet, die er bis heute noch pflegt?
„Were he still chancellor, Kohl would surely insist that the euro must be saved by moving decisively toward a political union. Merkel and her compatriots have reacted differently, reluctantly doing the minimum needed to prevent collapse”, stellt Timothy Garton Ash in der Zeitschrift “Foreign Affairs” in der September-Oktober-Ausgabe 2012 fest. Der Autor gibt einen realistischen Ausblick auf die Zukunft der EU: “Future historians may then identify sometime around 2005 as the apogee of the most far-reaching, constructive, and peaceful attempt to unite the continent that history has ever seen.”
Der Erfolg der Euro-Währung darf nicht mit der Idee eines vereinten Europas gleichgesetzt werden. Elf EU-Staaten gehören der Gemeinschaftswährung nicht an, trotzdem ist die EU nicht untergegangen. Diejenigen Länder, die nicht zur Euro-Zone gehören, befinden sich in einer besseren ökonomischen Verfassung als die Staaten, die der Euro-Währung angehören. Sie können weiterhin souverän über die Steuerung des Wechselkurses Einfluss auf ihre Wirtschaftspolitik nehmen, was die Regierungen in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Irland, Zypern, Frankreich oder auch Deutschland nicht mehr können. Selbst Norwegen, das noch nicht einmal der EU angehört, fühlt sich zu Europa gehörig, und es geht ihm ökonomisch blendend.
Das Gerede, dass mit dem Scheitern des Euro, Europa scheitern würde, entpuppt sich als politische Rhetorik einiger Ideologen. Was hat die europäische Kultur mit dem Euro zu tun? Warum Euro-Fans die europäische Idee auf eine Kunstwährung reduzieren, bleibt ihr Geheimnis. Nicht die EU wird scheitern, sondern diejenigen Politiker, die wider alle ökonomische Vernunft hochindustrialisierte Länder zu einem Zwangsverbund mit Entwicklungsökonomien verbunden haben, zum Schaden letzterer und deren Menschen. Dieser gordische Knoten muss von den Völkern Europas zum Wohle Europas durchtrennt werden. Wenn es nicht die Wähler tun, werden es die Finanzmärkte oder die Finanzspekulanten richten.