Wie konnte aus einem „Saulus“ der „Stahlhelmfraktion“ der CDU-Bundestagsfraktion ein politischer „Paulus“ werden, der so vehement seine Stimme gegen die Aggressionskriege des Westens gegenüber der islamischen Welt erhebt?
In seinem jüngsten Buch kritisiert Jürgen Todenhöfer die Politik des Westens. Er plädiert für eine Verhandlungslösung sowohl für den Syrien- als auch Irankonflikt. Er erhebt massiven Widerspruch gegen die Kriegslügen der USA und der Nato und verlangt eine Kehrtwende gegenüber der muslimischen Welt, die er bestens kennt. Er hat viele Staatschefs persönlich getroffen; einige von ihnen wurden durch den Westen gestürzt und liquidiert. Sollte Todenhöfer nicht auch einmal zu den arabischen Despoten reisen, die der Westen seine Verbündeten nennt, um sie nach ihren kriegerischen Motiven zu befragen? Die ersten Adressen sind Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jemen u. a.
Den Autor zeichnet aus, dass er das Gespräch mit allen Seiten sucht. Er hebt sich dadurch positiv von den Vertretern der Massenmedien ab, die im Dienste ihrer Financiers Berichte verfassen müssen, die den herrschenden Interessen genehm sind, und diese stehen im Augenblick auf Konfrontation und Krieg. So bestätigt er durch eigene Recherchen, dass die Hälfte der Nachrichten, welche die westlichen Medien verbreiten, falsch ist. Für jeden kritischen Beobachter ist dies nicht überraschend, wie die Lügen aus dem ersten oder zweiten Irakkrieg oder die angeblichen Vergewaltigungen durch Gaddafis Schergen gezeigt haben. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Korrespondentin der Tageszeitung „junge Welt“, Karin Leukefeld, die regelmäßig aus Syrien berichtet. Für ihre realistischen Reportagen wird sie jedoch von einigen Vertretern der deutschen Journaille der „Hofberichterstattung“ für Baschar al-Assad geziehen, weil sie sich nicht an dem Kriegsgeschrei und der negativen Berichterstattung der westlichen Medien beteiligt.
Todenhöfers Buch ist einerseits ein Plädoyer gegen den Krieg, den er noch aus eigner Erfahrung kennt, andererseits enthält es Reportagen aus allen Krisengebieten der Welt, wie zum Beispiel Afghanistan, Iran, Irak, Syrien, Pakistan, Ägypten u. a. Dass er in das von Israel besetzte und strangulierte „Gaza-Ghetto“ nur durch einen Tunnel „einreisen“ konnte, zeigt, was die „israelischen Freunde“ von den Deutschen halten.
Der Autor vertritt die These, dass die Kriege des Westens auf „Lügen“ gebaut seien und dieser heute wieder frivol Krieg gegen „barbarische Völker“ führe, wie es einst Winston Churchill genannt hat. Im Unterschied zu den Hochzeiten des westlichen Imperialismus bedienten sich heute die westlichen Regierungschefs nur „rationalerer“ Begründungen. Erst durch eine kolossale Dämonisierung der muslimischen Welt seien diese Aggressionen möglich geworden.
Jürgen Todenhöfer räumt auch mit dem Mythos einer so genannten Freien Syrischen Armee auf. Sie könne sich höchstens auf 20 000 Kämpfer stützen, wohingegen die islamistischen Fundamentalisten und Terroristen der Al-Nusra-Front und von Al-Qaida über die doppelte Anzahl verfügten. Der Westen fördere und unterstütze mit Hilfe Saudi-Arabiens und Katars Kräfte, die sich später gegen ihn wenden könnten.
Todenhöfers Ansatz könnte vorbildlich für eine Journaille sein, die zunehmend zur Kriegspartei geworden ist; dies trifft insbesondere für die US-amerikanischen Medien, aber zunehmend auch für deutsche „Leitmedien“ zu, wie zum Beispiel für ein Massenblatt aus dem Süden der Republik, das sich zunehmend als Sprachrohr des Pentagon geriert.
Dass der Autor immer noch annimmt, dass Afghanistan für die Anschläge von 9//11 von George W. Bush bestraft worden sei, erscheint im Lichte der Fakten als politisch naive. Soeben ist der Dokumentarfilm „9/11 in The Academic Community“ von Adnan Zuberi beim Filmfestival der Toronto University ausgezeichnet worden, der sich mit der feigen Haltung der Akademikerschaft im Umgang mit 9/11 auseinandersetzt. Auch das Interview mit dem ehemaligen Nato-Oberbefehlshaber, General Wesley Clark, von 2006 hat gezeigt, dass die Kriege gegen Afghanistan und Irak und gegen weitere Länder der muslimischen Welt lange vor 9/11 geplant worden sind. In diesem Fall muss Todenhöfer noch nacharbeiten, bevor er behauptet, dass die Kriege der USA eine „Terrorzuchtprogramm“ und die „Befreier“ zu Todfeinden geworden seien.
Todenhöfer zeigt, dass die Welt nicht den Geostrategen überlassen werden darf, weil sie sonst in Krieg und Chaos versinkt. Die moralische Empörung, wie sie ein Stéphan Hessel und ein Jürgen Todenhöfer befürworten, ist allemal humaner, weil sie den Rückfall in die Barbarei verhindern kann, auf dessen Weg sich der Westen bereits befindet.