Gibt es noch Fragen zum Putsch in der Türkei? |
Von Beginn an deutete vieles darauf hin, dass mit diesem "Militärputsch" etwas nicht in Ordnung war. Gewöhnlich gehen Militärs nicht so unüberlegt vor, Planung und Strategie lernen sie von der Pike auf. Kurz nach dem Start des "Putsches" war er auch schon wieder zu Ende. Anstatt das Corpus Delicti, nämlich Erdogan, festzusetzen, konnte dieser fröhlich twitterned über sozialen Medien, die er kurz zuvor noch zensiert hatte und verbieten wollte, seine "Widerstandsaufrufe" aus seinem Urlaubsort absetzen. Auch die anderen Mitglieder seiner Regierung, die alle Befehlsempfänger des Sultans sind, wurden nicht verhaftet. Auch die Radio- und Fernsehsender konnten weiter senden, bei einem wirklichen Putsch gehören sie zu den ersten, die umgehend von Putschisten besetzt werden, um ihre Nachrichten zu verkünden. Und die mutige "Zivilgesellschaft" konnte die "Putschisten", die gerade einmal ihrem Jugendalter entsprungen sind, überwältigen und zum Teil lynchen.
Bisher wurden auch keine Putschisten öffentlich präsentiert, was eine Selbstverständlichkeit für jede siegreiche Partei wäre. Wo sind diese abgeblieben oder gab es sie überhaupt nicht? Erdogan scheint es noch nicht einmal zu gelingen, Generäle oder Obristen zu zwingen, sich öffentlich zu ihren "Schandtaten" zu bekennen. Nur einen einzigen "Drahtzieher" dieses so genannten Putsches scheint er identifiziert zu haben, nämlich seinen Erzfeind, Fethullah Gülen (75 Jahre), der aber seit 1999 im selbstgewählten Exil in Pennsylvania, USA, lebt, um nicht von Erdogan und seinen Schergen liquidiert zu werden.
Dass der türkische Präsident an Erdowahn leidet, ist allseits bekannt. Dies zeigen nicht nur seine Verschwörungsphantasien gegenüber Gülen und den USA, sondern dass er bisher auch über 7 500 Militärs, Richter und unliebsame Oppositionelle hat verhaften lassen, weitere 9 000 wurden aus ihren Ämtern entfernt. Die Türkei wird von jedem "gesäubert", der auch nur den kleinsten Zweifel an diesem neoosmanischen Sultan äußert. Wie sich dieser selbstherrliche Sultan fühlt, zeigt, dass er die USA verdächtigt, hinter diesem Putsch zu stehen. Ultimativ hat der die westliche Führungsmacht aufgefordert, Gülen an die Türkei auszuliefern, damit diese ihn einen Kopf kürzer machen kann. Bis heute hat er noch keinen einzigen stichhaltigen Beweis für dessen angeblicher Beteiligung an diesem Scheinputsch präsentieren können. Diese politische Unverfrorenheit Erdogans zeigt, wie selbstsicher er sich fühlt und wie erpressbar der Westen ist. Erdogan stellt dem Westen den Luftwaffenstützpunkt Incirlik für den so genannten Antiterrorkampf zu Verfügung und verlangt im Gegenzug, über seine totalitären Maßnahmen hinwegzusehen, obwohl die Türkei bis vor kurzem noch neben Saudi-Arabien zu den wichtigsten Unterstützern des Islamischen Terrorstaates (IS) gehört hat.
Dass sich die Nato und die EU von Erdogan erpressen lassen, zeigt, wie moralisch degeneriert beide Organisationen sind. Sie sollten umgehend ihre Truppen aus Incirlik abziehen und den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und Russland im Kampf gegen den IS und die al-Nusra-Front unterstützen. Die Türkei hat weder etwas in der Nato noch in der EU zu suchen, insbesondere jetzt, wo Erdogan das Land in eine Präsidialdiktatur verwandelt, Todesstrafe inbegriffen. Hätte die Nato jemals eine rationale Politik betrieben, wäre sie niemals auf die Erpressungen der Türkei eingegangen.
Die westlichen Staats- und Regierungschefs bitten diesen autokratischen Sultan geradezu inständig, insbesondere Kanzlerin Merkel, nicht vom demokratischen Pfad abzuweichen. Merkel muss diesem Autokraten besonders dankbar sein, hat er sie doch durch den Stopp des Flüchtlingstrecks vor einem Kollaps ihrer unverantwortlichen Politik gerettet. Auch die EU hat ihre rhetorischen Backen weit aufgeblasen und die Türkei gewarnt, die Demokratie nicht ganz abzuschaffen, damit sie weiter mit diesem Staat über den Beitritt zu EU verhandeln kann. Nicht die Einführung der Todesstrafe darf der Knackpunkt sein, da Erdogan die EU und die Nato mit dieser Drohung schon wieder erpresst, sondern die Abschaffung der Demokratie generell. Alles, was Erdogan plant, läuft auf eine Präsidialdiktatur hinaus.
Die Säuberung der Richterschaft, die jetzt ausgeschaltet wird, unterscheidet sich nicht von den stalinistischen und nationalsozialistischen Säuberung des Staatsapparates. Die zukünftigen "Schauprozesse" und "Urteile" werden denen in der Sowjetunion und Nazi-Deutschland ähneln, wenn es denn jemals zu diesen kommen sollte. Die zukünftigen islamistischen und Sharia-affinen Richter werden ganz im Sinne Erdogans "Recht" sprechen. Von Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Demokratie scheint dieser islamistische Autokrat noch nie etwas verstanden zu haben.
Erdogan wird sich aber von dieser politischen Laienspielerschaar nicht beeindrucken lassen, da er glaubt, dass die USA und in ihrem Schlapptau die Nato, von der EU gar nicht zu reden, von ihm abhängig sind. Er wird trotzdem die Türkei jetzt nach seinen Vorstellungen umbauen, und zwar in eine Präsidialdiktatur nach dem Motto: L'état c'est moi. Er hat "Säuberungen" in großen Stile durchgeführt, um das Land von "Viren" und "Metastasen", welch Menschenverachtende Sprache, zu reinigen. Die Todesstrafe in der Türkei wurde auf Druck der Europäischen Union (EU) erst 2002 abgeschafft, eventuelle Todesurteile sollten in lebenslange Haftstrafen umgewandelt werden, was unter türkischen Gefängnisbedingungen noch schlimmer ist als der Tod. Ob sich Erdogan von Merkels und der EU-Drohung, dass bei der Einführung der Todesstrafe eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU perdu wäre, beeindrucken lässt, scheint eher unwahrscheinlich, da sich beide bereits politisch so prostituiert haben, dass solche "Drohungen" nur eine müdes Lächeln bei Erdogan hervorrufen werden.
Erdogan führt gegen jeden Krieg, der nicht für ihn ist, insbesondere gegen die Kurden und die Alewiten. Selbst die demokratische gewählten Abgeordneten der HDP (Kurdenpartei) sind seine Feinde, ihre parlamentarische Immunität wurde aufgehoben, um sie verfolgen und hinter Gitter bringen zu können. Die EU und die USA sollten die PKK, die Befreiungsbewegung des kurdischen Volkes, von ihren ominösen Terrorlisten streichen und sie in ihren legitimen Widerstandskampf gegen das Erdogan-Regime unterstützen, um einen kurdischen Staat in der Osttürkei, Nordirak, Teilen von Syriens und Irans zu fördern. Damit wären die Großmachtmachtphantasien des Sultans ein für allemal erledigt. Übrigens, Israel hat sich schon immer für die Schaffung eines kurdischen Staates eingesetzt.