Mittwoch, 3. Oktober 2012

US-Drohnen-Politik: Akte von Staatsterrorismus?


Die Studie "Living Under Drones" der Stanford Universität und der New York University bringt es an den Tag: Die Drohnen-Politik der Obama-Administration in Pakistan tötet nicht nur vorwiegend Zivilisten, sondern erweist sich auch politisch als kontraproduktiv. Neben den überwiegend Unschuldigen, die bei diesen aus den USA gesteuerten Attacken ums Leben kommen, zeitigt diese Art der Politik zwei weitere „Erfolge“: der Hass auf die USA hat in der muslimischen Welt epidemische Ausmaße erreicht, und Al-Kaida ist überall, wie die Ermordung des US-Botschafters in Bengasi gezeigt hat.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass über einen Zeitraum von acht Jahren zwischen 2 562 bis 3 325 Menschen in Pakistan durch Drohnen-Angriffe ums Leben kamen; davon waren 474 bis 881 Zivilisten, eingeschlossen 176 Kinder. Nur zwei Prozent konnten als so genannte „high-level“ Ziele, sprich „Topterroristen“ eingestuft werden. Konkret bedeutet dies, dass durch die Drohnen-Attacken drei Mal so viele Kinder getötet worden sind wie Terroristen. Obgleich einige führende Al-Kaida-Mitglieder durch diese völkerrechtlich höchst fragwürdige Methode eliminiert werden konnten, bleiben mehr ethische, völkerrechtliche und philosophische Fragen unbeantwortet, ganz abgesehen von dem Imageschaden für eine Nation, die das religiöse verbrämte Selbstbildnis von der „Stadt auf einem Hügel“ pflegt; US-Präsident Ronald Reagan sprach immer von der „leuchtenden Stadt“ (shining city). 

Hass auf die US-Regierung und die Rekrutierung von Al-Kaida-Unterstützern erfolgt heute über den exzessiven Gebrauch der Drohnenpolitik und nicht mehr primär über das Gefangenenlager Guantanamo, in dem seit 2001 immer noch über 150 angebliche Al-Kaida-Terroristen einsitzen, ohne jemals auch nur die Chance auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren zu gewärtigen. Einige von ihnen sollen irgendwann von Militärgerichten, so genannten „kangaroo courts“, abgeurteilt werden. Die „shining city“ zeigt hier ihr wahres Gesicht.

In den USA gibt es heftige Kritik an Präsident Obamas Einsatz von Drohnen, die aber von Mitarbeitern seiner Administration nur hinter vorgehaltender Hand geäußert wird. Einige Wissenschaftler rücken diese Art der Politik in die Nähe von „Staatsterrorismus“. Was bisher einmalig für einen demokratischen Staat ist, dass das Staatsoberhaupt persönlich über eine „Todesliste“ (hit list) präsidiert, auf der angebliche Terroristen stehen sollen, die dann durch seinen Befehl zum Abschuss freigegeben sind. Selbst US-amerikanische Staatbürger sind vor dieser außergesetzlichen Tötung nicht sicher, wie das Beispiel des 1971 im kalifornischen Las Cruses geborenen Predigers Anwar al-Awlaki zeigt; selbst sein Sohn fiel später einem Drohnen-Angriff zum Opfer, und dies alles ohne ein rechtsstaatliches Verfahren.

Die Gesetze, die in der Folge von 9/11 im Rahmen des „Patriot Act“ erlassen worden und die in der Zwischenzeit durch weitere einem Rechtsstaat Hohn sprechende Begleitgesetze verfeinert worden sind, scheinen den Rest des Westens nicht zu beunruhigen, obgleich ein Teil der demokratischen Öffentlichkeit der USA dagegen Sturm läuft, weil sie aus den USA einen „Polizeistaat“ gemacht hätten und den Artikeln der US-Verfassung auf das fundamentalste zuwiderliefen. Ist diese Sprachlosigkeit allein der Tatsache geschuldet, dass in den USA ein nicht-weißer Präsident regiert? Wäre nicht die Hölle in den westlichen Medien los, wenn immer noch George W. Bush regieren würde? 

Das Gerede des „Friedensnobelpreiskriegers“ von den „gemeinsamen westlichen Werten“ ist ähnlich hohl wie weiland die Phraseologie eines längst untergegangenen sozialistischen Imperiums. Gehört die Tötung völlig unschuldiger eigener Staatsbürger ohne ordentliches Gerichtsverfahren durch die eigene Regierung zum westlich-demokratischen Wertekanon? Ist das Einkerkern von angeblichen Terroristen seit 2001 ohne Beweis und Gerichtsverfahren in einem Militärlager auf Kuba mit westlichen Werten vereinbar? Ist das in definitive Wegsperren aufgrund eines geäußerten Verdachts von US-Bürgern ein westlicher Wert? Ist ein Angriffskrieg aufgrund manipulierter Fakten durch die US-Regierung im Falle Irak mit dem Völkerrecht und damit mit dem westlichen Rechtsverständnis vereinbar? Die Karikatur des westlichen Wertsystems ließe sich ad Infinitum fortsetzen. 

Die Europäer sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob die USA noch über das gleiche Wertesystem reden, wenn ihr Anführer von „shared common values“ (gemeinsamen Werten) spricht. Mit welchem Recht will man im Nachahmungsfall protestieren, wenn diese westliche-demokratische Praxis von anderen Staaten auch in Anspruch genommen wird? Vielleicht nach dem Motto: Quod licet lovi, non licet bovi! (Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Selbe.) Würde dies dann aber nicht den Gipfel westlicher Doppelmoral darstellen?

Zuerst erschienen hier.