Montag, 26. Mai 2014

Von Basel nach Jerusalem. Ein Crash-Kurs

„Israel ist das Produkt eines Zionistischen Großraumprojekts, dessen Ergebnis heute eine rassistische Gesellschaft ist, die sich jüdisch national definiert und einen ethnisch reinen, ‚Jüdischen Staat‘ anstrebt. Um den bestehenden Jüdischen Staat ‚reinen Blutes‘ zu halten, hetzen fundamentalistische Rabbiner ihre Jüdischen Landsleute auf, keine Heirat mit Nicht-Juden einzugehen, keine Häuser und Wohnungen an Araber zu vermieten, usw.“ Dies sind nur einige Thesen, die sich in dem soeben erschienenen Buches von Viktoria Waltz finden.

Die Autorin ist eine ausgewiesene Expertin in Sachen Raumplanung und hat über Jahrzehnte an der Universität Dortmund dieses Fach unterrichtet. Neben ihren zahlreichen Veröffentlichungen zur Raumplanung und deren enormen gesellschaftspolitischen Implikationen in der Bundesrepublik Deutschland ist Waltz immer wieder auch ihrem internationalistischen Anspruch gerecht geworden. Seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gilt ihr Interesse Palästina, weil sich dort eine geplante Landnahme durch Kolonisation scheinbar am deutlichsten manifestiert.

Für die Expertin in Sachen Raumplanung geschieht nichts planlos. Dies trifft auch für das zionistische Kolonisierungsprojekt in Palästina zu. Dass die „Besiedelung“ der Westbank nicht planlos erfolgt ist, hat kein geringerer als der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon selber bestätigt. Keine Kolonie sei aus einer Laune heraus entstanden, sondern deren Lage sei von Beginn an minutiös geplant gewesen. Genau diesen geplanten Landraub hat Waltz in ihrem Buch beschrieben.

Die Entstehungsgeschichte Israels hat weder etwas mit den biblischen Legenden vom „auserwählten Volk“ noch mit den Versprechen Gottes an Abraham zu tun; diese Mythen sind wissenschaftlicher Rationalität nicht zugänglich und stellen pure Glaubenssätze dar. Auch wurde Israel nicht gegründet, weil der deutsche eliminatorische Antisemitismus unter der Nazi-Barbarei ein kolossales Menschheitsverbrechen am europäischen Judentum begangen hat. Viel wichtiger war jedoch die Diplomatie der zionistischen Bewegung, die sich auf dem Ersten Zionistischen Kongress 1897 in Basel eine politische Organisationsform gegeben hat, um nach Jerusalem zu „reisen“. Aber ohne die internationalen „starken Kräfte“ wäre diese „starke Idee“ niemals Realität geworden, wie die Autorin anmerkt. Das „zionistische Projekt“ ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein „Crash-Kurs“ in Sachen Machtpolitik.

Ihrer zentralen These folgend, ist das „Projekt Israel“ einem schlichten Planungsprozess geschuldet, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Die „Raumergreifung“ sei ein zentrales Instrument der Kolonisierung. Dieser „Reise“-Plan konzentriere sich auf das Land eines anderen Volkes, des palästinensischen, dessen Existenz im Begriff ist, völlig zerstört zu werden. Es gehe um die Schaffung eines „reinen jüdischen Staates“, in dem kein Platz für die autochthone Bevölkerung sei, weil sie als „fünfte Kolonne“ und als „existentielle Bedrohung“ wahrgenommen werde.

Eine weitere zentrale These dieses Buches ist, „dass Israel sich von einem kolonialen Charter-Projekt darüber hinaus zu einem Projekt des rassistisch-religiösen Fundamentalismus entwickelt hat, der allerdings in einem scheinbar demokratischen Gewand daherkommt, denn die Demokratie gilt hier nur für Juden, und nur eingeschränkt für die Palästinenser in Israel und schon gar nicht für die Palästinenser in den 1967 besetzten Gebieten, oder die Syrer im Golan.“ Dieses „Expropriationswerk“, wie es einst der Gründungsvater des Zionismus, Theodor Herzl, genannt hat, läuft nicht im Geheimen, sondern vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. Jeder sieht es, aber niemand protestiert dagegen.

In fünf Kapiteln beschreibt und illustriert Viktoria Waltz anhand zahlreicher Karten den Kolonisierungsprozess, beginnend in der Britischen Mandatszeit, über die Staatsgründung Israels 1948 und der Besetzung Rest-Palästinas in Folge des Juni-Krieges von 1967, um in seine Endphase nach dem so genannten Osloer Friedensprozess einzutreten und mit dem Bau der „Apartheid Mauer“ seinen krönenden Abschluss zu finden. Waltz beschreibt die verheerenden Auswirkungen dieser Mauer auf die Westbank, Ost-Jerusalem und den Gaza-Streifen. Diese Mauer ist ein zentraler Teil von Hindernissen, die die Bewegungsfreiheit der Palästinenser stark einschränken. Am Gravierendsten trifft dies den Gaza-Streifen, der einem „Ghetto“ oder „Freiluftgefängnis“ ähnelt, zu dem nur die Besatzungsmacht die Schlüsselgewalt besitzt.

„Die Apartheid-Mauer erfüllt also viele Zwecke, die allesamt der Zerstörung, Marginalisierung und dem Verfall der palästinensischen Gesellschaft dienen – neben der Tatsache, dass sie ein weiteres Instrument des Diebstahls an Eigentum, an Land und an den Naturressourcen des palästinensischen Volkes darstellt und gegen internationales Recht verstößt.“ Ost-Jerusalem werde von israelischen „Kolonien und Großkolonien“ geradezu stranguliert, parallel dazu findet ein „demographischer Kampf“ statt, der den Bürgern Ost-Jerusalems durch den Entzug ihrer Ausweise ihr Aufenthaltsrecht nimmt und sie so in die „Illegalität“ treibt. Ebenfalls werden Häuserzerstörungen in großem Stile in Ost-Jerusalem vorgenommen, weil sie ohne Baugenehmigungen errichtet worden sind. Die israelischen Behörden sagen jedoch nicht der Weltöffentlichkeit, dass sie keine Baugenehmigungen an Palästinenser in Ost-Jerusalem erteilen. Aufgrund des Bevölkerungswachstums sind die Palästinenser folglich gezwungen, „illegal“ zu bauen.

Viktoria Waltz entlarvt das „zionistische Projekt Israel“ als ein „geplantes Programm der Usurpation Palästinas, der Enteignung und Vertreibung der autochthonen Bevölkerung “. Für die Autorin habe bisher ein „Crash“ den anderen abgelöst. „Von Basel nach Jerusalem“ ist ein „Reiseführer“ in das zionistische „Expropriationswerk“, das zum totalen Verschwinden Palästinas führen kann. Ein „eye-opener“ für jeden Nahost-Interessierten und eine überaus spannende und erhellende Lektüre.

Erschienen hier.