„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“, so steht es in Artikel 5 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Anlässlich des 30. Jahrestages der Verabschiedung der Antifolterkonvention durch die Vereinten Nationen hat Amnesty International eine Bilanz vorgelegt, die sehr ernüchternd ist. Laut AI ist „Folter nicht nur weiterhin existent, sie ist sogar auf dem Vormarsch“.
In den vergangenen Jahren hat AI über Folter und andere Formen der Misshandlung in 141 berichtet. In einigen Ländern wurde Folter routinemäßig und systematisch angewandt, in anderen waren es Einzel- oder Ausnahmefälle. Um der schleichenden Ausbreitung der Folter Einhalt zu gebieten, startet AI eine weltweite „Stopp-Folter-Kampagne“. Folter stelle nicht nur eine grobe Menschenrechtsverletzung, sondern eine Straftat dar.
Die im Zeitraum von 2009 bis 2014 bekanntgewordenen Fälle von Folter und Misshandlungen stellten nur die Spitze des Eisberges dar, tatsächlich sei das Ausmaß jedoch viel größer. Jeder könne nach AI Opfer von Folter werden. „Viele Opfer von Folter gehören benachteiligten Gruppen an: Frauen, Kinder, Angehörige ethnischer Minderheiten, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle. Besonders häufig sind auch Menschen betroffen, die in Armut leben.“ In vielen Ländern würden Frauen Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen durch Staatsbedienstete.
Laut AI-Bericht gibt es Folter auf allen Kontinenten. Der Bruch des Folter-Tabus durch die Vereinigten Staaten von Amerika im Irak und Afghanistan habe wie ein Dammbruch gewirkt. Nicht nur die perversen Folterexzesse im Gefängnis von Abu Ghraib, sondern auch die Einrichtung von Geheimgefängnissen durch die CIA - u. a. auch in einigen europäischen Ländern wie Polen, Litauen und Rumänien - haben die USA völlig diskreditiert. Laut Recherchen der „Washington Post“ haben die USA für diese Foltergefängnisse zirka 15 Mio. US-Dollar gezahlt. In Polen soll Khalid Scheich Mohammed, einer der angeblichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001, 183 Mal durch „Waterboarding“ gefoltert worden sein. Durch die exzessive Anwendung von Folter haben sich die USA selber von ihrem moralischen Sockel gestoßen.
Dass diese selbstgerechte Position ohne Fundament war, zeigt das soeben erschienene Buch von Rebecca Gordon „Mainstreaming Torture: Ethical Approaches in the Post-9/11 United States“, das zeigt, dass es unter jeder US-Regierung Folter gegeben hat. Eine zentrale These ihres Buches lautet, dass es sich bei Folter um keinen isolierten Einzelfall handele, sondern die Folter ständige Praxis, quasi eine Institution sei, die enorme Planungen voraussetze.
Seit der Eroberung durch die weißen Siedler wurden die Ureinwohner gefoltert und abgeschlachtet. Sklaven wurden misshandelt. Im Vietnam-Krieg fanden massive Folterungen statt. Folter ist ständige Praxis in US-Gefängnissen, jüngstes Beispiel ist der Informant (Whistleblower) Chelsea „Bradley“ Manning, der über Monate in Isolationshaft in einem Militärgefängnis gesessen hat. Kein US-Präsident verfolgt die „Informanten“ so gnadenlos wie Obama, obwohl er sie noch ermuntert hatte, als er noch Präsidentschaftskandidat war.
Rebecca Gordon unterrichtet Philosophie und Ethik an der Universität von San Franzisco. Das Thema Folter gehört nicht nur in eine philosophische Fakultät, sondern in die Mitte der Gesellschaft. Die Zivilgesellschaft ist aufgefordert, „Mainstreaming Torture“ global bekanntzumachen und den Herrschenden den Spiegel vorzuhalten, damit die neue „Stopp-Folter-Kampagne“ von Amnesty International Früchte trägt. Folter hat noch nie zur Wahrheitsfindung beigetragen, sondern immer nur neue Feinde der Freiheit hervorgebracht.