Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Dieses Sprichwort beschreibt treffend die Seriosität der Diplomatie eines im Niedergang befindlichen Imperiums. Julian Assange, der strategische Kopf von WikiLeaks, hat einen unschätzbaren Beitrag zu Offenlegung machiavellistischer Machenschaften von Regierungen geleistet. Wie Anno Dazumal werden auch heute noch die Untertanen getäuscht. Die Veröffentlichungen haben der US-Diplomatie einen schweren Schlag versetzt, niemand sollte den Vertretern des US-Imperiums mehr vertrauen oder sich freiwillig andienen wie besagter FDP-Maulwurf.
Klatsch und Tratsch, den die Dokumente auch offenbaren, gehört ebenfalls zum Geschäft von Diplomaten. Viel wichtiger dagegen ist die Tatsache, was die fünf führenden Publikationsorgane aus hunderttausenden von Dokumenten als berichtenswert herausdestilliert haben. Auffallend ist, dass sich die Hauptstoßrichtung der Berichterstattung gegen den Iran sowie die Doppelmoral und Unaufrichtigkeit der arabischen US-amerikanischen Klientel-Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und die Scheichtümer rund um den Persischen Golf richtet. Ein Blick in die veröffentlichten Dokumente zeigt, wie besessen die USA mit Iran ist, dass sie alle Regierungen geradezu drängen, sich ihrer irrationalen Politik kritiklos anzuschließen.
Die selektive Berichterstattung entspricht auch der vorherrschenden antiislamischen Stimmung in der westlichen Welt. Es geht darum, Iran weiter als die größte Gefahr für den Weltfrieden und die arabischen Diktatoren und Potentaten als potenzielle Heuchler darzustellen. Die Berichterstattung bedient also alle bereits weitverbreiteten Klischees über Muslime und Araber, die von den westlichen und nahöstlichen imperialen Mächten seit Jahrzehnten verbreitet werden. Die antiislamische Stimmung in der Bundesrepublik Deutschland hat mit 65 Prozent eine Rekordhöhe erreicht.
Eine volle Breitseite bekommen einige arabische Despotien ab. Hinter verschlossenen Türen reden sie anders als in der Öffentlichkeit. So scheint sich doch Ariel Sharons Aussage zu bestätigen, die er in einem Interview gegenüber einem scheidenden Israel-Korrespondenten der „New York Times“ geäußert hat, dass man nämlich kein Wort glauben könne, was von Politikern in dieser Region gesagt werde. Was auf den ersten Blick als Vorurteil daherkommt, scheint sich durch die WikiLeaks-Veröffentlichungen zu bestätigen. Die arabischen Despoten - allen voran die saudische Dynastie - reden mit gespaltener Zunge. Nach außen warnen sie vor einem Angriff auf den Iran, hinter verschlossenen Türen befürworten sie einen solchen lautstark. Man müsse „der Schlange den Kopf abschlagen“, sprich das iranische zivile Nuklearprogramm und das Regime ausschalten, so die Saudis. Ähnlich zwiespältig äußerten sich die Autokraten der Scheichtümer, der jordanische Gambling-König und Ägyptens Präsident. Ist es nicht verwunderlich, dass Israel unter den über 300 000 veröffentlichen Dokumenten kaum erwähnt wird?
Ministerpräsident Benyamin Netanyahu war jedenfalls mit den WikiLeads-Enthüllungen sehr zufrieden. Sie bestätigten nicht nur die israelische Lageanalyse, sondern zeigten auch eine große Übereinstimmung zwischen Israel, den USA und einigen arabischen Ländern gegenüber Iran. „Israel ist von den Veröffentlichungen von Wikileaks in keiner Weise beschädigt worden. Im Gegenteil bestätigen die Dokumente viele der israelischen Analysen, besonders in Bezug auf Iran. Unsere Region wird von einer Erzählung gefangen gehalten, die das Ergebnis einer 60-jährigen Propaganda ist und Israel als die größte Bedrohung darstellt. In Wahrheit verstehen die Staatschefs aber, dass diese Sicht der Dinge abgewirtschaftet hat. Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es Übereinstimmung darüber, dass Iran die eigentliche Gefahr darstellt“, so der israelische Prime Minister Netanyahu. Selbst Julian Assange stimmte mit Netanyahu darüber überein, dass die Veröffentlichungen zum „Weltfrieden“ beitrügen. Gegenüber “Time Magazine” sagte der Gründer von WikiLeaks: "We can see the Israeli Prime Minister [Benjamin] Netanyahu coming out with a very interesting statement that leaders should speak in public like they do in private whenever they can." Andere Telegramme zeigen aber, dass fast alle israelischen Voraussagen über die Verfügbarkeit von Atomwaffen seitens Iran falsch waren. In einem Telegramm vom März 2005 wird deutlich, dass die USA skeptisch gegenüber den israelischen Voraussagen waren. So wurde 1993 eine Voraussage gemacht, nach der Iran 1998 über Atomwaffen verfügen würde. In einem weiteren Telegramm von 2009 sagte General Baidatz voraus, dass Iran innerhalb eines Jahres eine Atombombe bauen könne, und bis 2012 wäre das Land in der Lage, innerhalb von Wochen eine Bombe fertigzustellen und innerhalb von sechs Monaten ein ganzes Arsenal. Dies kommentierte sein US-Gesprächspartner wie folgt: „It is unclear if the Israelis firmly believe this or are using worst-case estimates to raise greater urgency from the United States.”
Die USA und ihr treuer „Les American“-Präsident zeigen durch ihre überzogenen Angriffe gegen Assange und WikiLeaks, was ihnen Meinungsfreiheit und Transparenz bedeuten. Die politische und mediale US-Klasse schießt wie immer über das Ziel hinaus. Die irresten von ihnen fordern die Tötung Assanges, andere die Anklage wegen Geheimnisverrates oder weitere Wirrköpfe seine „Ausschaffung“ nach Guantanamo Bay forever. Die USA haben sich spätestens seit der Verabschiedung des „Patriot Act“ von einem Rechtsstaat im westlich-demokratischen Verständnis verabschiedet. Obamas Präsidentschaft konnte diese Schieflage nicht beseitigen, im Gegenteil, es nur noch schlimmer geworden.
Die Veröffentlichungen zeigen auch, dass die US-Politik von Allmachtphantasien bestimmt wird und auf Unaufrichtigkeiten basiert. Der Druck, der auf den Provider Amazon und andere Provider sowie auf den Bezahldienst Paypal, die Schwedische Regierung und die Briten ausgeübt wird, zeigt, dass die Obama-Administration mit allen illegalen Mitteln gegen Assange vorgeht, um ihn nicht nur mundtot zu machen. So schreibt William Blum auf „MWC News“ vom 3. Dezember: „If the house where Julian Assange of Wikileaks is staying is destroyed by a Predator drone, and the United States denies any involvement ... Well, I'll believe them.“
Assange selbst ist dem Vorwurf der USA, durch die Veröffentlichungen würden Menschenleben gefährdet, entgegengetreten und hat eine Redigierung der Telegramme vor Veröffentlichung seitens der USA angeboten, was rundweg abgelehnt worden ist. Hillary Clintons Rechtsberater, Dekan der Yale Law school, Harold Koh, gewissermaßen der John Yoo der demokratischen Partei, erwiderte Assange: „Despite your stated desire to protect those lives, you have done the opposite and endangered the lives of countless individuals. You have undermined your stated objective by disseminating this material widely, without redaction, and without regard to the security and sanctity of the lives your actions endanger." Darauf antwortete Assange: „You have chosen to respond in a manner which leads me to believe that the supposed risks are entirely fanciful and you are instead concerned to suppress evidence of human rights abuse and other criminal behavior.” Wie man sieht, hat sich gegenüber der Bush-Präsidentschaft wenig geändert.
Die vorgebrachten Scheinvorwürfe dienen dazu, Assange zu diskreditieren und zu isolieren, eine gängige Methode aller subversiv arbeitenden Geheimdienste. Diese Machenschaften des US-Imperiums offenzulegen, wäre eigentlich die Aufgabe eines jeden Journalisten. WikiLeaks schwächt nicht das demokratische System durch seinen Hochmut, wie ein Herausgeber einer bekannten Wochenzeitung meint, sondern weist im Gegenteil auf die Defizite von Journalisten hin, die immer häufiger nur noch Pressemitteilungen von Regierungen als eigene Recherche verbreiten. Zu viele machen sogar gemeinsame Sache mit den Herrschenden, indem sie sich nicht nur „einbetten“ lassen, sondern darüber hinaus auch noch für einen Angriff gegen den Iran trommeln. Das unglaublichste Argument, dass sich einige Vertreter der schreibenden Zunft zu Eigen machen, ist das Herrschaftsinstrument der „Staatsräson“ oder einer ominösen „nationalen Sicherheit“, aufgrund dessen eine Veröffentlichung hätte unterbleiben sollen!
Die wohl regierungsamtlichste Zeitung der USA, „The Washington Post“ nannte die WikiLeaks Veröffentlichungen „eine Manipulation der öffentlichen Meinung“. Haben die Kriegsbefürworter der „Post“ ihre unsägliche Rolle in der Vorbereitung des Iraküberfalls vergessen? Trommelt diese Zeitung nicht auch jetzt wieder für einen Überfall auf Iran? Nicht Assange, sondern die US-Medien im Verbund mit der Regierung tun alles, um eine Stimmung zu erzeugen, die einen weiteren Krieg gegen Iran „plausibel“ erscheinen lassen soll. So anarchisch Assange und WikiLeaks auch sein mögen, die Öffentlichkeit braucht solche Menschen, um nicht den „Mächten der Finsternis“ auf immer hilflos ausgeliefert zu sein. Sollte nicht die Diplomatie zu einer alten Geflogenheit zurückkehren? "Top Secret - For Eyes only"!
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