Wer versucht, die kolossale und weltweite NSA-Spionageaffäre als politisches „Sommerloch“ abzutun, betreibt das Geschäft der politischen Desinformation. Der Skandal zieht immer größere Kreise, und schon hat Glenn Greenwald, der Guardian-Journalist, weitere brisante Enthüllungen über die deutsche Verwicklung angekündigt. Die Bundesregierung tut aber immer noch so, als ginge sie das alles nichts an, und überhaupt habe man von allem nichts gewusst. Dass das PRISM-Programm in Afghanistan nichts mit dem NSA-PRISM-Programm zu tun habe, kann man noch nicht einmal Klein Fritzchen verkaufen.
Das politische Nicht-Wissen-Wollen scheint der wichtigste Punkt in den Koalitionsvereinbarungen dieser Regierung zu sein. Bei der traditionellen Sommer-Pressekonferenz der Kanzlerin wurden politische Valiums in Form von politischen Phrasen verteilt, damit die Journaille gut durch den Sommer kommt. Wenn sich schon die Regierungsvertreter schöne Ferien machen wollen, sollte ihnen die Journaille diese jedoch zusammen mit der Opposition kräftig versalzen. Dieses „Sommerloch“ birgt politischen Sprengstoff wie schon lange nicht mehr. Eigentlich müsste die Stunde der Opposition schlagen, die aber personell so schlecht aufgestellt ist, das mit ihr politisch keine Bundestagswahl zu gewinnen ist. So wird ihr nur der Untersuchungsausschuss als alternatives Polit-Forum nach den Wahlen bleiben. Die Opposition hat darüber hinaus noch ein weiteres Problem: Nur ein Drittel der Deutschen macht sich über ihr ausspioniert werden Sorgen; da kann die Regierung beruhigt in die Ferien fahren.
„Deutschland ist kein Überwachungsstaat“, wie die Kanzlerin betont. Natürlich nicht: Deutschland ist ein total überwachter Staat, und zwar durch den „großen Bruder“ und „Freund“ sowie ihre europäischen „Partner“. Der Stasi-Erich hätte sich über PRISM gefreut, da er fast 90.000 „professionelle“ Schlapphüte und IMs im Westen hätte freisetzen können. Wäre die DDR durch dieses Arbeitsfreisetzungsprogramm vielleicht vor ihrem Untergang gerettet worden? In Griesheim bei Darmstadt baut die NSA ein Spionagezentrum mit deutscher Billigung. Deutlicher hätte man die mangelnde Souveränität nicht dokumentieren können. Hätte Deutschland das Sagen über sein Territorium, müsste der „Dagger Complex“ umgehend geschlossen und die US-Atomraketen von deutschem Boden abgezogen werden.
Das waren noch Zeiten, als Kanzler Gerhard Schröder im Lichte des völkerrechtswidrigen US-geführten Irak-Überfalls sagen konnte: "Bei uns in Deutschland und in Europa gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts. Das erwarte ich von jedem." Es kommt geradezu einer Verhöhnung der Bürgerinnen und Bürger gleich, wenn man das NSA-Spionageprogramm als ein Problem des Datenschutzes oder der mangelnden Vorsorge der Internetsicherheit seitens der Ausgespähten darstellt. Dass das vollste Vertrauen der Kanzlerin ihren für die Datensicherheit verantwortlichen Untergebenen gilt, verwundert da nicht. Besser hätte man das Bild von den Drei Affen nicht persiflieren können. Kongenial wurde dies seitens der medialen Klasse durch das Niveau- und ahnungslose Beckmann-Geschwätz über die USA und der politischen Klasse ergänzt.
Warum soll die deutsche politische „Elite“ amerikanischer sein als die US-amerikanische? Kein geringer als der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter hat in einer Rede in Atlanta Folgendes gesagt: "America does not have a functioning democracy at this point in time“(!), und dies ist für einen US-Präsidenten eine mehr als mutige Aussage. Wenn sich also in Deutschland Kritik an den rechtswidrigen Abhörmaßnahmen der USA äußert, so hat dies nichts mit „Antiamerikanismus“ zu tun. Dieses lächerliche Argument ähnelt dem, das verwendet wird, um Kritik an der brutalen Besatzungspolitik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk als „Antisemitismus“ zu diffamieren.
Kritik an der zum Teil verbrecherischen Politik der USA in Irak, Afghanistan, Syrien und Iran sowie der Verachtung der Souveränität ihrer vermeintlichen Freunde hat nichts mit Kritik des amerikanischen Volkes zu tun, sondern sie richtet sich ausschließlich gegen die politische Klasse, die schon lange nicht mehr die Prinzipien der amerikanischen Demokratie vertritt, sondern nur noch die des militärisch-industriellen und finanzoligarchisch-medialen Komplexes. Unzählige Kritiker halten die USA schon seit langen für einen „Polizeistaat“ und für einen Staat, der von einer an Totalitarismus grenzenden „Sicherheitsphobie“ besessen ist. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind die demokratischen Werte und Freiheitsrechte, welche die USA bisher symbolisiert haben. Die USA werden einem totalitären Monster im Sinne von George Orwell immer ähnlicher.
Da es in den USA keine von Konzernen unabhängigen, freien Medien und keinen Widerstand gegen die Machenschaften der Regierung seitens der Bevölkerung mehr gibt, und es ebenso nicht mehr feststellbar ist, was die Menschen wirklich denken, hat sich das Imperium entschlossen, seine Untertanen auszuspionieren. Hat es nicht eine ähnliche Situation in der ehemaligen Sowjetunion gegeben, schreibt Justin Raimondo auf der Website „antiwar“. Und weiter schreibt er: “America is no longer a democracy in the sense we have traditionally meant it. This is really the essence of what Snowden has revealed. The various surveillance programs he’s exposed (…) are all tools necessary for the construction of what can only be called a police state.”
Die deutsche politische Öffentlichkeit sollte sich einmal über die geheimen Strukturen von Teilen der US-Regierung informieren. Das so genannte FISA-Gericht, das über die geheimen Abhörmaßnahmen entscheidet, hat nichts mit einem Gericht im demokratischen Sinne zu tun. Es ähnelt eher einem „Gericht“, das es in der ehemaligen Sowjetunion gegeben haben könnte, wo alles im Geheimen geschah. „The court meets in a special sealed-off soundproof bug-proof chamber, there are only government lawyers present making their case, and there is no public record of the court’s decisions, let alone transcripts of the proceedings. All very Soviet: all that’s lacking is a portrait of Lenin staring down on the participants in this "legal" farce.” Diese Kritik an Missständen beim “Großen Bruder” soll “Antiamerikanismus” sein?
Nachdem die USA Europa von einer Tyrannei befreit haben, sollten Präsident Obama und der US-Kongress sensibler dafür sein, ob sich ihr Land nicht auf einem Weg in die Knechtschaft für ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger befindet. Dass die europäischen Freunde und Verbündeten ihrem ehemaligen Protektor vor diesem verhängnisvollen Weg warnen sollten, ist nicht mehr als ausgleichende Gerechtigkeit.