Dagger Complex |
Ist Deutschland nach 1989 immer noch eine US-Kolonie, obwohl dieser Status doch mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag der Vergangenheit angehören müsste? Die amerikanischen „Freunde“ spähen nicht nur die gesamte politische Klasse in Deutschland samt ihrer Untertanen aus, sondern tun dies weltweit. Sie führen darüber hinaus einen Cyber-Krieg gegen unliebsame Länder wie China, Iran usw. In Deutschland unterhalten sie u. a. Anlagen wie den „Dagger Complex“ in der südhessischen Kleinstadt Griesheim, über den niemand weiß, was dort getrieben wird. Verbirgt sich hier ebenfalls eine Außenstelle der „National Security Agency“ (NSA) wie weiland ECHELON in Bad Aibling? Wenn in Deutschland deutsches Recht gilt, wie die Kanzlerin verlautbaren ließ, dann sollte der „Dagger Complex“ für deutsche Behörden zugänglich sein, wenn dies durch die USA verweigert werden sollte, bleibt als Alternative nur die Schließung des Gelände als letztes Mittel.
Das süße Gift der Totalüberwachung scheint auf die politische Klasse wie ein Sedativum zu wirken. Sie entzieht sich ihrer politischen Verantwortung und schiebt den Bürgerinnen und Bürgern den Schwarzen Peter zu: Sie sollten mehr für ihren Datenschutz tun! Dass die Opposition mit dieser Vogel-Strauß-Politik höchst unzufrieden ist, versteht sich von selbst. Auch von Seiten der Kanzlerin herrscht Funkstille. Ihr Innenminister kam von einem USA-Besuch mit leeren Händen zurück. Was und Wen die US-„Freunde“ in Deutschland ausspähen, darüber ließ sich der Innenminister wie folgt vernehmen: „Wir wissen es bis heute nicht." Selbst bei der angeblichen Beihilfe oder Aufdeckung von Terroranschlägen durch das Spionageprogramm der NSA blieb der Reisende einsilbig. Genaues weiß man auch da nicht. Tatsächlich war es nur einer; der zweite war – Gott sei Dank - einem technischen Versehen seitens der Terroristen geschuldet.
Die US-Administration springt mit ihren so genannten Verbündeten und Freunden so um wie weiland das Römische Imperium. Innerhalb der Bundesregierung scheint die Bundesjustizministerin die einzige zu sein, die die Ausmaße dieses Skandals begriffen zu haben scheint. Wenn der Schutz der Bürger- und Freiheitsrechte den Liberalen ein wirkliches Anliegen ist, müssten sie sich nach den Snowden-Enthüllungen viel lautstärker zu Wort melden. Der US-Amerikaner könnte ihnen das politische Überleben sichern. Hatte nicht der deutsche Außenminister vor Jahren noch den Abzug der US-amerikanischen Atomraketen aus Deutschland gefordert? Warum ist er bei dieser kolossalen Bespitzelung so kleinlaut? Schade, dass es keine Hirschs, Baums, Maihofers und Flachs mehr bei den Liberalen gibt.
Auch die Opposition sollte den Mund nicht zu voll nehmen. Warum reisen ihre Vertreter nicht auch nach Washington und „fordern“ von der US-Regierung endlich, die Karten auf den Tisch zu legen? Eine Vermutung könnte sein, dass sie noch nicht einmal von „Unterabteilungsleitern“, diese Administrativfigur gibt es in der US-amerikanischen Bürokratie gar nicht, empfangen worden wären, und schon gar nicht von einem Senator; geschweige denn von einem hochrangigen Regierungsvertreter. Die US-Administration würde vermutlich fragen: Who are “Peer”, “Juergen” or “Katja/Bernd”? Don’t call us, we call you!
Die Opposition sollte sich daher auf die Frage konzentrieren, was die Kanzlerin wusste; sie ist letztendlich politisch verantwortlich. Vielleicht kann der ehemalige Chef des BND, seines Zeichens SPD-Genosse, vor einem Untersuchungsausschuss aufschlussreiches über die Kooperation zwischen BND und den anderen „befreundeten“ Diensten mitteilen? Wenn schon alle Bundesminister keine Ahnung hatten, wie verhält es sich dann mit dem Geheimdienstkoordinator in Bundeskanzleramt, der doch der Untergebene der Kanzlerin ist? Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende als ehemaliger Kanzleramtschef könnte bestimmt interessante Erkenntnisse über die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten beisteuern. Die Einsetzung eines NSA-Untersuchungsausschusses könnte der augenblicklichen Opposition in der nächsten Legislaturperiode bestimmt den Start erleichtern. Alle verantwortlichen Regierungsmitglieder sollten vor dieses Gremium zitiert werden.
Wie gefährlich es für einen Staatsbürger geworden ist, wenn er von seinem Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit Gebrauch macht, musste der gelernte Heizungsbauer Daniel Bangart aus Griesheim kürzlich machen, als er über Facebook zu einem „satirischen Spaziergang“ zum „Dagger Complex“ aufrief. Innerhalb kürzester Zeit geriet er in die Fänge der Polizei und des Staatsschutzes. Wer die Maschinerie in Gang gesetzt hat, bleibt im Dunkeln, obwohl es für jeden politisch Denkenden klar sein sollte. „Der Reporterin vom Darmstädter Echo hatte der Staatsschutz mitgeteilt, die Nervosität sei von der amerikanischen Military Police verbreitet worden. Da endet die Informationskette“, so Bangart in einem Interview mit der Tageszeitung „junge Welt“ vom 16. Juli 2013.
Nachdem dieser satirisch gemeinte Spaziergang als ordentliche Demonstration angemeldet worden war, nahmen daran rund 80 Personen teil. Man sollte den Organisatoren wünschen, dass sich daraus eine Massenbewegung entwickelt, die sich gegen die illegale Ausspähung der Privatsphäre wehrt. Wären nicht auch wöchentliche Mahnwachen, wie sie die „Frauen in Schwarz“ gegen die israelische Besatzung in Palästina und andernorts praktizieren, gegen diese geheime Einrichtung denkbar?
In dem zitierten Interview erklärte Bangart weiter: „Ich finde, man kann das als ausgeübte Praxis von Snowdens Theorie bezeichnen. Wir werden alle überwacht, Facebook hängt mit drin – und ich habe es mit komplettem Schwachsinn geschafft, die Maschinerie in Gang zu setzen.“ Eine bessere Beschreibung des Ausspähprogramms „Prism“ hätte man nicht geben können. Warum „spähen“ in Zukunft nicht die Bürger ihre Späher aus und rücken ihnen auf die Pelle? Übrigens wurde in diesem Interview auch bekannt, dass Daniel Bangart, nachdem er sich dem Lager der Occupy-Bewegung angeschlossen hatte, als Haustechniker in einem Nebengebäude der Europäischen Zentralbank mit Kündigung bedroht worden ist, gegen die er mit Hilfe des Rechtsschutzes der IG BAU eine Auseinandersetzung führt. So weit ist es in Deutschland schon wieder gekommen, dass Menschen, die von einem Grundrecht Gebrauch machen, in ihrer beruflichen Existenz bedroht werden.
Jakob Augstein hat die deutsche Situation in seiner Spiegel-online-Kolumne auf den Punkt gebracht: „Wann ist Kontrolle totale Kontrolle? Wenn man sich ihr freiwillig unterwirft - und sie dann nicht einmal mehr spürt. In Deutschland sind die USA diesem Ziel schon sehr nahe gekommen. Das zeigt der Umgang weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit mit dem Überwachungsskandal. Und das zeigt auch die Reaktion der deutschen Regierung. Herunterspielen und verharmlosen: Unsere verantwortlichen Politiker zucken mit den Achseln und geben dabei mit ihrer eigenen Souveränität unsere Rechte ab. Ihre medialen Büchsenspanner applaudieren. Wenn die Deutschen sich das gefallen lassen, haben sie aus zwei Diktaturen nichts gelernt.“